Lange bevor der mehrere Milliarden teure Bahnhofsumbau in der baden-württembergischen Landeshauptstadt weite Teile des deutschen Volkes in Nah- und Fernverkehrslogistikexperten verwandelte, gab es neben der friedlichen Nutzung der Atomenergie eigentlich nur ein Thema, dessen radikale Ablehnung zur Bildung recht skurriler Allianzen führte.

Als im April 2009 die Einspruchsfrist gegen die Patentierung eines Verfahrens zur Zucht von für die Fleischproduktion besonders geeigneten Mastschweinen endete, rief das nicht nur die üblichen Verdächtigen wie den Bund Naturschutz, die Aktivisten von Greenpeace sowie die Landtagsfraktion der bayerischen Grünen auf den Plan. „Ja zum Leben, Nein zum Patent“ forderte beispielsweise auch der Bayerische Staatsminister für Umwelt und Gesundheit Markus Söder auf dem Münchner Marienplatz.

Etwas mehr als ein Jahr später spielten sich ähnliche Szenen in der Münchner Innenstadt ab. Eine breite Allianz von Landwirten über Ökoaktivisten bis hin zu Kirchenleuten forderte mit Plakaten und Trillerpfeifen „Stoppt die Enteigung von Bauern und Züchtern“ und „Mein Patent gehört dem Schöpfer“. Aufhänger des Protestzuges zum Europäischen Patentamt war der Streit um den Fortbestand der beiden Patente EP 1069819 und EP 1211926.

Zwar schließt Artikel 53 b des Europäischen Patentübereinkommens Patente auf `Pflanzensorten und Tierrassen´ genauso aus wie die Patentierbarkeit von `im Wesentlichen biologischen Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren´ – dies hielt das Europäische Patentamt aber nicht davon ab, Züchtungsverfahren, bei denen neben den Methoden Gregor Mendels auch so genannte Markergene genutzt wurden, als technische und damit patentierfähige Verfahren zu betrachten.

`Verfahren zur Zucht von Tomaten mit niedrigem Wassergehalt und Produkt dieses Verfahrens´

Patent EP 1211926

Als Markergene werden eindeutig identifizierbare DNA-Abschnitte bezeichnet. Die Entdeckung solcher Marker gehört mittlerweile zum molekularbiologischen Standardprogramm von Erstsemestern. Einmal gefunden, ist es mehr oder weniger nur noch eine Fleißarbeit, den Markern bestimmte Eigenschaften zuzuordnen: Ähnlich wie Leuchttürme die Navigation erleichtern, lässt der molekularbiologische Nachweis des Markers dann Rückschlüsse auf das Vorhandensein bestimmter Eigenschaften zu. Klar, dass das den Züchtungsfortschritt erheblich beschleunigt, schließlich kann unter Zuhilfenahme der Marker über Erfolg oder Misserfolg einer Kreuzung anhand minimaler Mengen von Pflanzenmaterial routinemäßig innerhalb weniger Stunden befunden werden.

Im Jahr 2003 wurde dem israelischen Landwirtschaftsministerium das Patent EP 1211926 auf – wie es offiziell heißt – ein `Verfahren zur Zucht von Tomaten mit niedrigem Wassergehalt und Produkt dieses Verfahrens´ erteilt. Im Jahr zuvor war der englischen Plant Bioscience mit EP 1069819 bereits ein `Verfahren zur selektiven Erhöhung des anticancerogenen Glucosinolate bei Brassica Sorten´ patentiert worden. Während es im Fall der Tomaten eineinhalb Jahre dauerte, bis sich mit der niederländischen Unilever jemand fand, der die Rechtmäßigkeit dieses Patentes anzweifelte, wurde im Fall des Brokkolis drei Monate nach Ankündigung der Patenterteilung im Abstand von nur zwei Tagen sowohl von der schweizerischen Syngenta als auch der französischen Limagrain Einspruch gegen die Erteilung des Patentes eingelegt.

Aus Sicht der Beschwerdeführer waren in beiden Fällen Selektionsverfahren patentiert worden, die `im Wesentlichen biologische Verfahren´ darstellen und deshalb gar nicht patentierbar sein dürften. Die mit der Klärung betraute Technische Beschwerdekammer entschied, dass zur Feststellung der Patentfähigkeit zuerst die Frage geklärt werden müsste, wie der Begriff `im Wesentlichen biologisches Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren´ überhaupt zu verstehen sei und legte diese Frage im Jahr 2007 deshalb der Großen Beschwerdekammer vor.

Anfang Dezember letzten Jahres kam die Große Beschwerdekammer nun zum Schluss, dass die bloße Verwendung technischer Verfahrensschritte den Ausschluss der Patentierbarkeit nicht aufhebt. Eine erste konkrete Anwendung dieser Grundsatzentscheidung wird nun wiederum in der für `Brokkoli´ und `Tomaten´ zuständigen Technischen Beschwerdekammer erfolgen. Der von den Demonstranten befürchtete `Ausverkauf der Schöpfung´, also die Patentierbarkeit von Pflanzen und Tieren, wurde durch diese Entscheidung nicht berührt und stand auch zu keinem Zeitpunkt zur Diskussion.

Schließlich ist es nicht am Europäischen Patentamt, darüber zu entscheiden, ob Pflanzen oder Tiere patentfähig sind. Diese Entscheidung wurde im Jahr 1998 auf EU-Ebene in der Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen getroffen. Und in der heißt es nun einmal: `Patentierbar sind neue Erfindungen, die auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind, und zwar auch dann, wenn sie ein Erzeugnis aus biologischem Material enthalten oder sich auf biologisches Material beziehen´.

Deshalb ist auch die Politik gefragt, soll es darum gehen, den `Ausverkauf der Schöpfung´ zu stoppen. Die Patentrechtler als ausführendes Organ setzen lediglich Vorgaben um.

Tim Jacobsen