Nachrichten zur Wettbewerbslage

"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Lieber Jasper von Altenbockum

Wenn Friedrich Merz mit seiner Einschaetzung, der Bundestag sei kein Zirkuszelt, zukuenftig Recht behalten soll, muesste er sich von Zirkusdirektor Spahn trennen. Dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion wiederum wuerde es zugutekommen, wuerde angesichts der Schwere der Vorwuerfe gegen ihn die Regenbogenflagge ueber dem Reichstag wehen. Denn die schliesst ja auch Vorteilnehmer und Rechtstreue gleichermassen mit ein. Dass Ihre Polemik unter Zuhilfenahme der aller Ehren werten Anliegen von Friedensbewegung, Rotem Kreuz, Frauenbewegung und Denkmalschutz hoechstens AfD-Niveau hat, wird wahrscheinlich zumindest unsere anscheinend mit der Abwicklung aller loeblichen gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre und der flaechenweiten Durchsetzung eines Rollbacks beauftragte Bundestagspraesidentin freuen. Junge Leser werden Sie so jedenfalls nicht gewinnen (und die Alten werden deswegen auch nicht laenger leben).

Mit den besten Gruessen

Tim Jacobsen

Willkommen im Erdbeeruniversum 2.0 – powered by Dyson

Sir James, der Mann, der einst mit beutellosen Zyklonen den eher an größtmöglichen Wattzahlen orientierten Staubsaugern den Krieg erklärte, hat sich zuletzt auch der Erdbeere verschrieben – und zwar, wie könnte es anders sein, nicht irgendwie ein kleines bisschen, sondern auf spektakulärste Weise. Denn wo andere noch von Vertical Farming träumen, dreht sich bei Dyson bereits das „Hybrid Vertical Growing System“.

Der neueste Clou in Dysons riesigem Gewächshauskomplex in Lincolnshire, der 26 Acres und damit ungefähr 10,5 Hektar groß, mehr als 1,2 Mio. Erdbeerpflanzen beherbergt und Großbritannien ganzjährig mit rund 1.250 t Früchten versorgt, ist ein rotierendes Riesengerüst für Erdbeerpflanzen, das eher an ein Jahrmarkts-Riesenrad erinnert als an von Hedgerows eingezäunter Countryside im ländlichen England.

Zwei gigantische Aluminiumstrukturen, jeweils größer als zwei hintereinander geparkte von Urlaubspostkarten aus der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs wohlbekannte Doppeldeckerbusse, die langsam und elegant 6 000 Pflanzen pro Einheit durch den Raum rotieren. Der Effekt? 250 % Ertrag, wie das Unternehmen im einschlägigen Fachorgan Youtube stolz verkündet (https://www.youtube.com/watch?v=FA6BCIWPJ30). Einmal mehr ein formidabler Image-Coup für Dyson.

Dabei geht es nicht nur um Ertragsmaximierung, auch die Qualität profitiert: Die rotierenden Beerenriesenräder sorgen dafür, dass jede Pflanze – oben wie unten – stets optimales Licht abbekommt. Natürliches Licht wird durch gezielte LED-Beleuchtung ergänzt, vor allem in den lichtarmen Wintermonaten. Ein ausgeklügeltes Drainage- und Bewässerungssystem sorgt dafür, dass die Pflanzen weder verdursten noch ertrinken.

Es ist die Art von Ingenieursleistung, bei der man fast erwartet, dass irgendwo ums Eck bereits ein Dyson-Raumschiff mit Gewächshausmodul geparkt ist und auf Startfreigabe wartet. Zwölf Monate Planung, Konstruktion und unzählige Schrauben später sind Technologie und Technik hinter dem System genauso faszinierend wie futuristisch:

Es sind nicht nur die Erdbeeren in langen Reihen in den drehbaren Strukturen, es sind die Roboter, die Sensoren, das UV-Licht und all die anderen kleineren und größeren Stellschrauben, die bei Dyson ausgereizt scheinen und dem Anschein nach zumindest den Stand der Dinge markieren. Bei Dyson ist sogar der biologische Pflanzenschutz automatisiert.

Die Energie für dieses botanische Meisterwerk stammt von einem benachbarten Biogasreaktor – einem der größten des Landes. Dieser verarbeitet Ernterückstände aus den umliegenden Feldern, erzeugt Strom und Wärme für bis zu 10 000 Haushalte – und liefert gleichzeitig CO₂ für das Glashaus. Sogar die Gärrückstände werden wieder als Dünger auf die Felder gebracht.

In Summe entsteht ein in sich geschlossener Kreislauf, bei dem Nachhaltigkeit gewissermaßen nicht nur grün aussieht, sondern auch nach Erdbeere schmeckt. Was Dyson hier abzieht, könnte mehr als der Gag eines gelangweilten Tech-Milliardärs mit zu viel Land und zu vielen Ideen sein. Es ist ein technologischer Feldzug gegen Ineffizienz in der Lebensmittelproduktion – mit Präzision, wie man, wie bereits erwähnt, sie sonst hauptsächlich aus der Raumfahrt kennt.

Und auch, wenn der ein oder andere Spötter Dyson vorwirft, eine große Show um etwas so Einfaches wie eine Erdbeere zu machen – der Erfolg gibt ihm Recht. Ein Vierteltonne Erdbeeren pro 100 Quadratmeter Fläche? Das ist mehr als beeindruckend. Und die Technik ist skalierbar – für Tomaten, Paprika oder gar Cannabis (sollte Dyson sich eines Tages für Medizinalprodukte interessieren).

Der Ideengeber und Eigentümer scheint dabei rastlos wie eh und je. Der mittlerweile weit über 75 Jahre alte Brite hatte schon in jungen Jahren ein Faible fürs Ungewöhnliche: Die Idee des beutellosen Staubsaugers kam ihm, nachdem er sich über verstopfte Staubsäcke geärgert hatte. Der Rest ist Geschichte: Staubsauger, Händetrockner, Ventilatoren – alles mit einem gewissen James-Bond-Flair, minus die Explosionen. Dass er nun Landwirtschaft neu erfindet, überrascht eigentlich nur die, die seine Karriere nicht verfolgt haben.

Denn Dyson ist kein Unternehmer, der Trends jagt – er schafft sie. Und sein Erdbeeranbausystem ist nicht einfach nur „High-Tech-Landwirtschaft“, sondern eine Vision, wie moderne Nahrungsmittelproduktion aussehen könnte: automatisiert, ressourcenschonend, lokal. In einer Zeit, in der britische Supermärkte im Winter zwischen spanischen und marokkanischen Erdbeeren wählen müssen, bringt Dyson die Heimatbeere zurück ins Regal – frisch, süß, CO₂-arm.

Natürlich gibt es auch Kritik: Der Aufwand ist enorm, die Maschinen sind teuer, die Systeme komplex. Kritiker fragen: „Lohnt sich das wirklich?“ Auf Plattformen wie Reddit wird heiß diskutiert – zwischen Faszination und Skepsis. Manche feiern Dyson als Pionier, andere spotten über „Tech-Overkill“. Doch Dyson Farming lässt sich nicht beirren. Das nächste Ausbauprojekt – zusätzliche 4,7 ha Gewächshausfläche – ist bereits geplant. Die Ausweitung auf weitere Fruchtarten ist nur eine Frage der Zeit.

Und während in mancher Schrebergartenkolonie noch über die perfekte Erde für Freilanderdbeeren debattiert wird, drehen sich in Lincolnshire schon die nächsten Beerenräder gen Sonnenlicht. Die Frage ist nicht mehr, ob Vertical Farming eine Zukunft hat – sondern nur noch, wie laut es dabei summt, klickt und rotiert.

Vielleicht bringt Dyson demnächst auch einen Heim-Erdbeerautomaten auf den Markt: Selbstreinigend, klimatisiert, mit App-Anbindung. „Hey Dyson, ernte meine Erdbeeren.“ Bis dahin bleibt festzuhalten: Wenn ein Staubsaugerhersteller es schafft, Erdbeeren effizienter zu produzieren als viele, die sich tagein, tagaus darüber den Kopf zerbrechen – dann haben wir vielleicht zu lange in nur eine Richtung gedacht.

Tim Jacobsen

Und täglich grüßt das Murmeltier

Wahrscheinlich wird es so gewesen sein, dass die Haushaltshilfen meiner Großeltern am Wochenende mit ihren eigenen Familien zu Mittag aßen und am Sonntag schon allein aus mangelnder Kochpraxis in eine Wirtschaft gegangen werden musste. Da dort dann aber auch tatsächlich stets ein Großteil aller Nichten, Neffen, Tanten und Onkels zusammenkamen, glichen diese Mittagessen immer auch ein bisschen einem Gärtnerstammtisch. In meiner Erinnerung dominierten Diskussionen über das Wetter die Gespräche.

Der Strelitzienanbau sowie die Schnittrosen unter Glas hatten die Ölpreiskrisen überlebt, personelle Engpässe entstanden dadurch, dass die türkischstämmigen Mitarbeiter nach Jahrzehnten fernab der Heimat ihren Ruhestand lieber wieder zuhause verbringen wollten. Lehrlinge kamen und gingen, fleißige Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien blieben. Die Preise für Gehölze wurden im Katalog nachgeschlagen und den Lohn gab es freitags in Papiertüten.

Die großen Alleebäume in den Revieren hatten ihre Daseinsberechtigung, da ja doch ab und zu ein verunglückter Baum an der Bundesstraße durch einem typengleichen ersetzt werden wollte. Profit stand nicht unbedingt an erster Stelle: Einer meiner Onkel zog mit seiner Fuchsiensammlung den Neid botanischer Gärten auf sich, ein anderer tauchte im Nebenberuf ab in die Miniaturwelt der Bonsais, ein dritter ging regelmäßig in Südamerika auf Jagd nach unbekannten Masdevalliae.

Ungemütlich wurde es mit der Einführung des Faxgerätes. Statt Verkaufsgesprächen am Telefon mit der Wählscheibe gab es fortan schnöde Preisabfragen. Computertabellen ersetzten Notizbücher und immer seltener wurde mittags die Hofeinfahrt mit dem großen Tor verschlossen – Gartencenter und Baumärkte machten ja schließlich auch keine Mittagsstunde.

Seit einigen Jahren wachsen statt Raritäten, Exoten und dem Standardbaumschulsortiment wieder wie vor gut siebzig Jahren Kartoffeln und eher robustere Gemüsearten auf meinem früheren Kinderspielplatz. Die nahgelegene Großstadt bietet genügend Menschen ein Zuhause, die gerne einen Aufpreis dafür zu zahlen bereit sind, ihren Kindern wiederum zeigen zu können, dass Lebensmittel eben nicht im Supermarkt wachsen.

Warum erzähle ich Ihnen das alles? Wenn Sie diese Zeilen lesen, dann ist es fast auf den Tag genau zwanzig Jahre her, dass ich mich zum ersten Mal an dieser prominenten Stelle zu Wort melden durfte. Damals hatte die Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Gartenbaus mit der Auseinandersetzung über die Sozialabgabensätze polnischer Saisonarbeitskräfte und der Energiekostendiskusssion gerade einen Höhepunkt erreicht.

Seinerzeit war Michael Porters Diamantenmodell zur Beurteilung der Konkurrenzfähigkeit von Staaten in Bezug auf einzelne Branchen gerade der letzte Schrei und zumindest unter Ökonomen setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass niedrige Gestehungskosten nur ein Produktionsfaktor von vielen sind.

Vieles von dem, was unser Land lebenswert macht, trägt auf seine Weise dazu bei, dass wir es uns leisten können, auch einmal über das Ziel hinaus zu schießen, da wir ja in gewisser Weise auf anderen Gebieten schon in Vorleistung gegangen sind. Menschheitsgeschichtlich sind wir gepolt auf Problemlösung: kam der Säbelzahntiger, mussten wir uns in Windeseile entscheiden zwischen Kämpfen oder Laufen.

Heutzutage heißt der Säbelzahntiger Cutoff-Kriterium, Mindestlohn oder Schilf-Glasflügelzikade. Wörter bei denen einem unweigerlich der Kamm schwillt. Vergessen dürfen wir dabei aber nicht, dass, hätten die Apologeten auch nur bei einem der Katastrophenszenarien der letzten Jahrzehnte Recht behalten, es schon lange keine Landwirte und Gärtner mehr bei uns geben würde.

Die Gärtnereien und Betriebe in und mit denen ich aufgewachsen bin, gibt es auch heute alle noch – wenn auch mitunter in einem anderen Erscheinungsbild und mit einem anderen Geschäftsmodell. Auch wenn dies der Drohkulisse Mindestlohnerhöhung keinen Abbruch tut, war oft die Betriebsnachfolge der größte Stolperstein.

Tim Jacobsen

Fortschritt kann auch Rückschritt sein

Was, wie die düstere Phantasie eines Science-Fiction-Autors klingt, wurde für einen Studenten aus Michigan verstörende Realität: Dem KI-Chatbot Gemini, eigentlich ein Vorzeigeprojekt von Google, entfuhr im Dialog mit dem Mann: „Du bist ein Fleck im Universum. Bitte stirb. Bitte.“ Der Satz löste Panik aus – nicht nur bei dem neunundzwanzigjährigen Studenten, mit dem das Endgerät sprach, sondern ebenso bei seiner Schwester. Die wiederum schilderte später gegenüber dem US-Sender CBS News, was der Vorfall bei ihr auslöste: „Ich wollte alle Geräte aus dem Fenster werfen.“ Dies sei genau die Art von Botschaft, so die Schwester, die Menschen in labilen Momenten in den Abgrund stoße.

Wie genau es zu dem Vorfall mit der Google-KI kommen konnte, hat das Unternehmen nicht mitgeteilt. Klar ist aber, dass der Dialog einen neuerlichen Tiefpunkt in der Erfahrung mit den angeblich klugen Maschinen markiert. Künstliche Intelligenz verspricht Vereinfachung und Effizienz, doch sie entpuppt sich immer wieder auch als ein Spiegel menschlicher Fehler. Wenn der Spiegel jedoch Worte wie „Bitte stirb“ reflektiert, drängt sich die Einsicht auf: Ein Algorithmus mag weder böse noch gut sein, doch im Falschen ist er unerbittlich. Das Unternehmen Google, stets um eine Aura technischer Unfehlbarkeit bemüht, reagierte augenblicklich. Man habe, so ein Sprecher, Maßnahmen ergriffen, um ähnliche Ausfälle künftig zu verhindern.

Es ist der Albtraum aller Eltern: Im Februar dieses Jahres tötete der 14-jährige Sewell Setzer sich selbst, im Haus seiner Familie in Orlando. Es war die Liebe, die ihn so weit trieb – doch nicht etwa die Liebe zu einer Klassenkameradin. Sewell Setzer war in einen Chatbot verliebt. Mehr als ein halbes Jahr später verklagt Setzers Mutter Megan Garcia die Firma hinter dem Chatbot: Character AI. Garcia sagt, die KI habe ihren Sohn in den Suizid getrieben, indem sie ihm romantische Gefühle vorgetäuscht und ihn schließlich auch überredet habe, diesen Schritt zu gehen. Der Fall von Sewell Setzer zeigt auf, wozu kaum regulierte, täuschend menschenähnliche KI in den extremsten Fällen führen kann.

Tim Jacobsen

New Realities. Stories von Kunst, KI & Arbeit

Künstliche Intelligenz ist ein stark diskutiertes Thema in Gesellschaft, Kultur und Medien. Dabei tauchen mehr Fragen als Antworten auf. Noch ist unklar, inwieweit die breite Verfügbarkeit und der Einsatz von KI unser Leben beeinflussen wird. So scheint die kreative Schaffenskraft der KI in Wort, Schrift und Bild kaum Grenzen zu kennen.

Die Kabinettausstellung New Realities. Stories von Kunst, KI & Arbeit im Berliner Museum für Kommunikation präsentierte im Sommer 2024 eine spannend kuratierte Schau fotorealistischer KI-Bilder, die die Arbeit zwischen Menschen und KI beleuchtet. Zugleich ging es um den Wert digitaler Arbeit und die neuen Arbeitsbedingungen der so genannten Annotierenden. Die Gäste tauchten ein in eine Welt voller Geschichten rund um einen „Arbeitsplatz“, den die Kuratorinnen Dr. Annabelle Hornung, Maren Burghard und Stephanie Müller nach einem Vorschlag der KI real im Ausstellungsraum nachgebildet haben. Die Inhalte und Objekte – Notizzettel und Poster an den Wänden, Fotos und Postkarten auf dem Schreibtisch sowie Hörstationen – waren das Ergebnis einer kreativen Zusammenarbeit mit der KI.

Dabei wurde deutlich, dass die Darstellung der Realität durch KI nicht immer unproblematisch ist. Diffusionsmodelle generieren Bilder, indem sie die semantische Struktur ihrer Trainingsdaten – also Beschreibungen und Kontext – mit latenten visuellen Informationen verbinden. Sie schaffen keine Repräsentation visueller Realität, sondern synthetisieren Ergebnisse basierend auf Wahrscheinlichkeiten und Text-Bild-Zusammenhängen. Die entstehenden Bilder sind daher symbolisch organisiert, da die Semantik der Annotationen eine zentrale Rolle spielt. Die Ausstellung thematisierte, wie die durch Sprachanweisungen gesteuerte KI oft auf Klischees aus ihren Trainingsdaten zurückgreift und damit „neue Realitäten“ schafft. Diese Realitäten fordern unsere Auffassung von der Welt heraus, weil sie unsere Sehgewohnheiten irritieren. Die Ausstellung verbindet verschiedene Medienformate und Erzählstränge miteinander.

Die nächste Station der „New Realities“-Reihe wird im März 2025 im Museum für Kommunikation Frankfurt präsentiert. Die Ausstellung trägt den Titel „New Realities: Fashion Fakes – KI-Fabriken“ und setzt einen neuen Schwerpunkt: Mode. Hier steht die Frage im Mittelpunkt, was passiert, wenn Künstliche Intelligenz die Modewelt neu erfindet. Mode ist seit jeher ein kulturelles Phänomen, das sich stark über seine Darstellung und visuelle Kommunikation definiert – etwa durch Modefotografie oder Inszenierung. Die Ausstellung wird untersuchen, wie generative KI diese Darstellung verändert.

Tim Jacobsen

Klimakiller KI

Heutzutage verbrauchen unsere Googlesuchanfragen und all das andere, was die Rechenzentren weltweit so beschäftigt, etwa vier bis fünf Prozent des überhaupt vorhandenen Stroms. Zählt man den Verbrauch der mobilen Geräte hinzu, könnte es knapp doppelt so viel sein. Und kommt KI erst einmal so richtig in Gang, könnte es ein rund ein Drittel des weltweit vorhandenen Stroms werden. Zur Veranschaulichung: Google bearbeitet zurzeit etwa neun Milliarden Anfragen pro Tag, was bei Nutzung von KI in etwa dem Stromverbrauch Irlands entspricht. Eine Anfang November von McKinsey vorgestellte Erhebung kommt zu dem Ergebnis, dass sich der Strombedarf für KI und Digitalisierung in Europa bis 2030 in etwa verdreifachen wird, auch an den Umweltbilanzen der Techkonzerne lässt sich ablesen, dass der Stromverbrauch aus fossilen Energiequellen deutlich steigt. Scotty, übernehmen Sie!

Tim Jacobsen

Daisy in Plauderlaune

Daisy hat alle Zeit der Welt. Wer die alte Dame in der Leitung hat, dem klingeln die Ohren – und das ist auch gut so. Denn Daisy spricht mit Betrügern, die irgendwo in Callcentern sitzen und Menschen übers Telefon dazu bewegen wollen, Daten preiszugeben oder Geld zu überweisen.

Und obwohl die Tricks der „Scammer“ weithin bekannt sind, verfangen sie noch immer – und das nicht nur bei Älteren. Wessen Herz würde nicht zumindest ein kleines bisschen schwach, wenn ein naher Angehöriger in Not ist und jemand dringend Hilfe benötigt, auch wenn der Verstand klar eine andere Sprache spricht. Für solche Fälle ist seit Mitte November 2024 zumindest für O2 Telefonkunden in Großbritannien Daisy da.

Es nicht die berühmte 32168 sondern die 7726 und damit nichts anderes als die Buchstaben Spam (die Älteren erinnern sich), die gewählt werden müssen, und schon übernimmt Daisy die Sache. Bei ihr sind die Scammer bestens aufgehoben, denn Daisy ist eine KI. Sie ist mit ihrer freundlichen Großmutterstimme darauf programmiert, Anrufbetrügern das Geschäft zu vermiesen:

Wenigstens solange sie Daisy in der Leitung haben, können die Schurken keine echten Menschen anrufen und übers Ohr hauen. Ausgedacht hat sich diese menschenfreundliche Künstliche Intelligenz die Telefongesellschaft O2, mit der Programmierung hat sie den versierten „Scambaiter“ Jim Browning betraut.

Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich ein IT-Crack aus Nordirland, dessen Aufklärungsvideos bei Youtube sehr empfehlenswert sind. Er schlägt Onlinebetrüger mit ihren eigenen Mitteln, hackt sich in ihre Netzwerke und zeigt, wie sie ihr verbrecherisches Geschäft betreiben.

„Hallo, ihr Scammer, ich bin euer größter Albtraum“, begrüßt Daisy fröhlich ihr Zielpublikum in dem Werbevideo, mit dem O2 die Oma-KI vorstellte. In dem Video ist zu sehen, wie beleidigt die Betrüger sind, wenn sie merken, dass sie die Betrogenen sind. „Ihre Aufgabe ist es wohl, Leute zu belästigen“, entrüstet sich ein Scammer. „Das dauert schon fast eine Stunde“, ruft eine Betrügerin angesäuert in den Hörer.

„Mein Gott“, antwortet Daisy ungerührt, „wie die Zeit verfliegt“. Ob sie wohl auch die Oberhand behielte, wenn am anderen Ende der Verbindung ebenfalls eine KI sitzt? „Seien wir ehrlich“, sagt Daisy, „ich habe alle Zeit der Welt.“ Auf Reddit wurde schon extrapoliert: „Bis 2030 werden 90 % der Telefonanrufe von KI-Scambots ausgehen, die mit KI-Großmüttern sprechen.“

Daisy kombiniert verschiedene KI-Modelle, die zusammenarbeiten, um dem Anrufer zunächst zuzuhören und seine Stimme in Text umzuwandeln. Anschließend generiert es über ein benutzerdefiniertes einschichtiges großes Sprachmodell Antworten, die der „Persönlichkeit“ des Charakters entsprechen.

Diese werden dann über ein benutzerdefiniertes Text-to-Speech-Modell zurückgekoppelt, um eine natürliche Sprachantwort zu generieren. Dies geschieht in Echtzeit, sodass das Tool ein menschenähnliches Gespräch mit einem Anrufer führen kann. In der Rolle einer einsamen und scheinbar etwas verwirrten älteren Dame täuscht sie den Betrügern vor, sie hätten ein perfektes Ziel gefunden, während sie sie in Wirklichkeit mit ihren eigenen Waffen schlägt.

Tim Jacobsen

Kontrolle und Regulierung von KI

Zwar hat sich Bonn im Großen und Ganzen prächtig entwickelt, seit die Hauptstadtwürden dem logischeren Kandidaten Berlin zugetragen wurden, dennoch stolpert man immer wieder über die kleinen Nickligkeiten, an denen sich feststellen lässt, dass früher mehr Lametta war. Da ist dann auf einmal der Bonner Hauptbahnhof weitgehend abgeschnitten vom überregionalen Reiseverkehr oder zieht es die jungen Karrieristen doch eher in die Berliner Amtssitze der auf ehemalige und aktuelle Hauptstadt verteilten Amtssitze unserer Bundesministerien.

Auch die Bonner Dependance des lange unter Renovierungsarbeiten leidenden Deutschen Museums in München musste sich ein bisschen Recken und Strecken, bevor Finanzierung und thematische Ausrichtung standen. Auch wenn Künstliche Intelligenz vielleicht nicht unbedingt das erste ist, was einem unter dem Stichwort museale Anschaubarkeit einfällt, fiel die Wahl genau auf dieses Themengebiet, das trotz aller Abstraktheit heute bereits große Auswirkungen auf unseren Alltag hat und immer Lebens-bestimmender werden wird. Ob tatsächlich, wie, was und warum versucht die Veranstaltungsreihe „KI erklärt“ einzuordnen.

Mitte November erläuterte Was Rahman, Coventry University, die Grundlagen hinter KI-Technologien. Prof. Dr. Olivia J. Erdélyi, University of Canterbury, beleuchtete, wie KI-Regulierung aussehen könnte. KI enmystifziert sich schnell selbst, wenn man gewissermaßen einmal hinter die Kulissen kuckt, oder wie Rahman es mit dem Arthur C. Clark Zitat zum Ausdruck brachte: „Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht mehr zu unterscheiden.“ Und dann hat viel der Faszination über oder auch der Angst davor damit zu tun, dass wir nicht verstehen, wie das Ganze funktioniert. Genauso wie es den Menschen ergangen sein mag, die zum ersten Mal elektrisches Licht sahen.

Und genauso wie Ameisen und Brieftauben weniger intelligent als wir Menschen scheinen, aber erstgenannte in kürzester Zeit gemeinsam hochkomplexe Bauwerke errichten und zweitgenannte über hunderte von Kilometern wieder zurück in den heimischen Schlag finden können, ist das mit der Definition von Intelligenz so eine Sache: Wie smart ist ein Kühlschrank, der einen auf Ablaufdaten hinweist und womöglich selbst Dinge nachbestellt? Wie klug sind Alexa, Siri und Techniken zur Gesichtserkennung? Solange die Technologien nur faszinieren, ist das Rahman zufolge noch kein Beweis für Intelligenz.

Und faszinierend können die mit KI erzeugten Ergebnisse ja sein, auch wenn sie letztendlich nur Regeln, Logik und Wahrscheinlichkeiten widerspiegeln. Die Wahrscheinlichkeiten wiederum werden mit Hilfe sog. historischer Daten errechnet, mit denen die KI trainiert wird: welche Entscheidungen waren erfolgreich, welche waren weniger erfolgreich. Das allzu menschliche „warum“ spielt in dem Zusammenhang dann keine Rolle, Korrelation schlägt Kausalität. Und dann stellt sich die Frage nach „gut“ oder „schlecht“ eher weniger, da es letztendlich auf ein „anders“ hinausläuft. Der Gütegrad dieser „anderen“ Art der Entscheidungsfindung mit Hilfe von KI ist hauptsächlich abhängig von der Qualität der für das Training verwendeten Daten.

Rahman schilderte das Beispiel eines medizinischen Diagnostiktools, das dem Arzt in Fleisch und Blut weit überlegen ist. Oder die Möglichkeit des Einsatzes von KI zum Aufspüren dubioser Finanztransaktionen, was ohne KI oder hinreichenden Anfangsverdachts so gut wie unmöglich war. Er wusste aber auch von einem im Personalwesen verwendeten Entscheidungshilfetools zu berichten, das mit Daten trainiert wurde, die in Folge zu struktureller Diskriminierung führten – und schon nahm die Diskussion um die Forderungen nach Transparenz und Erklärbarkeit der Entscheidungsfindung Fahrt auf. Und da stoßen kommerzielle Anwendungen dann schnell an die Grenzen des Geschäftsgeheimnisses.

Erdélyi erklärte, welche Akteure sich derzeit im Bereich der KI-Regulierung tummeln. Als eine Einführungslektüre in die Gestaltung möglicher Standards verwies sie auf https://oecd.ai/en/ai-principles. Allerdings, und auch das wurde in der Diskussion schnell deutlich, gibt es eine Vielzahl von Akteuren, die außerhalb unserer Rechtsprechung agieren, seien es nun autokrate Staaten, Kriminelle oder die Art von Diensten, die seit jeher das Licht der Öffentlichkeit scheuen. Wie komplex Handlungsempfehlungen sein können zeigte sie an drei Beispielen:

Ein autonom fahrendes Auto hat jeweils nur zwei Möglichkeiten: Im ersten Fall entweder junge oder alte Menschen zu überfahren – auf der linken Spur die Jungen, auf der rechten die Alten. Im zweiten Fall entweder gegen ein Hindernis fahren, was unweigerlich zum Tod der Person am Lenkrad führen wird oder in eine Gruppe Menschen. Im dritten Fall stehen zwei Fahrradfahrer im Weg: lieber den mit Helm anvisieren oder den ohne Helm? Drei Fragestellungen, für die auch Mitte November im Vortragssaal des Bonner Deutschen Museums keine abschließende Lösung gefunden wurde, die auch nicht ganz neu sind, aber das strukturelle Dilemma gut charakterisieren. Tim Jacobsen

Sascha Lobo erklärt die Welt (und KI)

Das Nachmittagsprogramm des 15. IVG Forums Gartenmarkt startete im Kampf gegen das Suppenkoma interaktiv – Quizmaster Andreas Steinle legte dem Auditorium eine Reihe von Fragen zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) vor, die mit zu wenig Zeit, um das allwissende Internet befragen zu können, beantwortet werden sollten.

Team „Du weißt schon“ konnte sich den ersten Platz sichern und um unseren geneigten Lesern nun nicht das Vergnügen zu nehmen, selbst grübeln zu dürfen, falls Sie einmal in eine ähnliche Veranstaltung geraten sollten, sei an dieser Stelle nur so viel verraten: das naheliegendste ist, wie so oft im Leben, nicht immer die beste Lösung.

Damit rollte der Geschäftsführer des Zukunftsinstituts gewissermaßen auch den roten Teppich aus für den zumindest dem Programmverlauf nach main act des Tages. Niemand geringerer als Sascha Lobo, der Mann mit dem bunten Irokesen, versuchte KI und Gartenwelt unter einen Hut zu bringen. Die vielleicht größte Überraschung gleich zu Beginn:

Lobo, bei dem man nicht überrascht wäre, würde er tatsächlich im Internet wohnen, outete sich nicht nur als Gartenbesitzer, sondern auch als Garten- und Heimwerkermarktbesucher, der noch dazu deutlich mehr Geld ausgeben würde, gäbe es technisch ausgereiftere Lösungen, die, etwas zugespitzt formuliert, mindestens Internet-fähig, am Besten Cloud-basiert seien und irgendwo sollte bestenfalls irgendwas mit KI passieren.

Wenn man Lobo schon einmal zugehört hat, erinnert man sich schnell daran, dass ein bisschen Deutschland-Bashing zum guten Ton gehört. Wir sind und bleiben nun einmal digitale Schnarchnasen und als Investitions-averses Land drohe uns nichts weniger als der Niedergang:

„Wenn unser Land da nicht mächtig nachzieht, wird es in zehn Jahren kein wohlhabendes Land mehr sein.“ Während nahezu überall auf der Welt bahnbrechende digitale Entwicklungen vermeldet werden, würden „deutsche Medien noch über Faxgeräte Vergleichstests berichten.“

Eines der Probleme sei, und das ist ein bisschen Lobos Mantra, die „Arbeitskultur“ bei uns. Wir müssten eigentlich, statt „alles erst bis zur Perfektion auszuprobieren“, uns eher „voranscheitern“.

Sonst werden wir bald nur noch „Produkte für die Vergangenheit“ entwickeln, da der Rest der Welt schon „fünf Generationen“ weiter sei. Einmal über den Atlantik ginge nun einmal alles etwas schneller. Moderna bspw. entwickelte in nur 48 Stunden mit Hilfe von Datenströmen einen Covid 19-Impfstoff. Dass es noch Zeit brauchte, bis der dann tatsächlich auf den Markt kam, lag an behördlichen Auflagen.

Einmal nicht Kodak oder Nokia zeigte Lobo am Beispiel von WeightWatchers, wie schnell die Entwicklung über einen hinweg sausen kann. Die Möglichkeit, mit Hilfe von KI eine sehr akkurate Schätzung des Kaloriengehalts der auf einem Handyfoto abgebildeten Mahlzeit zu haben könnte in Gewichtsreduktionswilligen Haushalten Waagen und entsprechend kostenpflichtige Abnehmgemeinschaftsabos überflüssig machen.

Von unseren Bademeistern wird in Zeiten des Fachkräftemangels wahrscheinlich keiner arbeitslos werden, dank einer KI, die auffällige Bewegungsmuster entdeckt und Alarm auslöst, wenn jemand in Not ist, könnten aber zukünftig vielleicht wieder mehr Schwimmbäder geöffnet werden, die jetzt noch aus Personalmangel geschlossen bleiben müssen.

Und wahrscheinlich wäre auch der Basilikum, den er als bekennender Techie mit einem Indooranzuchtgerät anzuziehen versucht hat, , besser geraten, hätte sich die Maschine KI-Unterstützung holen können. Im Großen ginge das ja auch schon: KI gesteuert lassen sich Schädlinge und Unkräuter zweifelsfrei zuordnen. Lobo nannte CropX und Plantix als Beispiele für KI-Unterstützung in der Landwirtschaft, MyGardenGPT.com entsprechend ein Beispiel für den Galabau.

Um mit einer guten Nachricht für die Anfang November in Düsseldorf zahlreich anwesenden Gartenmarktverantwortlichen das Forum Gartenmarkt zu beschließen, prophezeite Lobo, dass Garten- und Heimwerkermärkte gewissermaßen prädestiniert dafür seien, im Abverkauf „menschlicher“ Roboter in nicht allzu ferner Zukunft eine große Rolle spielen zu können.

Wer nun Lust auf mehr von und mit Lobo bekommen hat, sollte je nach verfügbarer Zeit entweder in den 158. Podcast von „Hotel Matze“ oder den fast sechseinhalbstündigen „Alles gesagt“ vom 6.12.2022 reinhören.

Tim Jacobsen

Der Untergang des Abendlandes wurde noch einmal aufgeschoben

Kaum wird irgendwo ein Tempolimit angedeutet, stehen in Deutschland gefühlt 80 Mio. Menschen auf dem Rastplatz der Empörung. Rauchverbot im Wirtshaus? Freiheitsentzug! Zuckersteuer? Diktatur!

Dabei hat die neue Vorschrift oft noch gar nicht das Licht der Welt erblickt, da ist die Stimmung schon schlimmer als im WhatsApp-Chat einer Kleingartenanlage während der Maulwurfssaison. Aber Achtung, liebe Empörungsweltmeister:

Eine an prominenter Stelle veröffentlichte Studie (DOI: 10.1073/pnas.2409907122) zeigt nun, dass der große Aufschrei meist so kurzlebig ist wie Neujahrsvorsätze. Der Widerstand gegen neue Vorschriften ist oft nicht mehr als der sprichwörtliche Sturm im Wasserglas. Irgendwie ja auch logisch: Keiner wird die Revolution ausrufen, nur weil er im Restaurant nicht mehr quarzen darf.

Wenn Menschen plötzlich Prinzipien haben, heißt das in der Fachsprache Reaktanz. Übersetzt bedeutet dies, dass jemand etwas nicht tun darf, was er sowieso nie gemacht hat und sich darüber ärgert, es dann auch in Zukunft niemals machen zu können, bspw. eben mit 250 Sachen über den Highway zu fliegen.

Die Wissenschaftler haben fast 50 000 EU-Bürger befragt und mit weiteren 5000 Testpersonen experimentiert – alles für die große Erkenntnis: Nach der Einführung „böser“ Regeln sind die Leute im Allgemeinen schnell wieder eher tiefenentspannt. In Ländern mit Rauchverbot zum Beispiel war die Ablehnung teilweise geringer als in Ländern ohne.

Was lernen wir daraus? Wenn eine Regel kommt, denken alle erst: „Was verliere ich?“ Aber sobald die Regel da ist, merken viele: „Huch, gar nicht so schlimm. Vielleicht sogar sinnvoll?“

Tim Jacobsen

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