So wenig, wie das Anfang September in der ARD-Reportage Fakt-Exklusiv gezeigte Fallbeispiel Missstände in der biologischen Fleischproduktion widerspiegelt, so wenig repräsentativ waren auch die mehreren hunderttausend Tonnen fälschlicherweise als Bioware vermarkteten Agrarprodukte, die zu Jahresbeginn für Aufruhr sorgten.

Während im ersten Fall die Aufregung über die mecklenburgisch-vorpommerschen Schweine schnell vergessen ließ, dass sich Ställe rechnen müssen und auch Bioproduzenten angesichts der allgemeinen Zahlungsbereitschaft keine Streichelzoos betreiben können, zeigte das zweite Beispiel, dass, wo immer es Geld zu verdienen gibt, stets auch ein Anreiz zum Betrug gegeben ist – wobei der Anreiz naturgemäß umso größer ist, je weniger involviert man selbst ist: Verliere ich mit der Lizenz zur Bioproduktion gleichzeitig meine Geschäftsgrundlage, liegt die Hemmschwelle höher als wenn ich heute mit gefälschten Bioprodukten handle, morgen mit irgendeiner anderen Art von Plagiat.

In die Hände spielte den Biofälschern der hohe Importanteil: Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland das Biomarktvolumen rund doppelt so schnell gestiegen ist wie die Anbaufläche, was zwangsläufig dazu führte, dass in vielen Produktfällen Regionalität nicht gegeben sein kann. Rund die Hälfte der Biomöhren und –äpfel werden importiert, bei den -tomaten sind es sogar mehr als vier Fünftel.

In die Hände spielte den Exporteuren aus dem Süden mit Sicherheit auch das Wirrwarr an Siegeln: so wurde das vor zehn Jahren eingeführte grünweißschwarze Sechseck mit dem Schriftzug „Bio nach EG-Öko-Verordnung“ im Jahr 2010 um das EU-Bio-Logo mit seinen 12 weißen Sternen, die ein stilisiertes Blatt auf grünem Grund formen, ergänzt. Beide Siegel nehmen sich im Grunde nicht viel – mit dem Unterschied, dass bei Importware nicht Ilse Aigners Ministerium sondern die Kontrollbehörde des jeweiligen Herkunftslandes für die Einhaltung der Spielregeln bürgt.

Niemand bestreitet, dass es zwischen Bio- und konventioneller Produktion jede Menge klarer Unterschiede gibt: Inzwischen ist allgemein bekannt, dass in der Bioproduktion weder chemischer Pflanzenschutz noch Kunstdünger oder Gentechnik zum Einsatz kommen und auch gegen die Verwendung des nicht nur in Biokreisen vielgeschmähten Glutamats gibt es mehr als nur Vorbehalte.

Am Beispiel Geschmacksverstärker lässt sich dann auch veranschaulichen, warum die Diskussion für oder wider `Bio´ oft in einen Glaubenskrieg umschlägt. Zwar darf in der Weiterverarbeitung von Biolebensmitteln keines der Salze mit den wenig aussagekräftigen Bezeichnungen E 621 – 625 verwendet werden, die Zugabe von Hefeextrakt ist aber sehr wohl erlaubt – und in diesen Extrakten steckt dann wiederum jede Menge Glutamat.

„`Bio´ nur wenig gesünder“

Publikumspresse

Dass sich angesichts dieser oft kleinen aber feinen Unterschiede auch Kommunikationsprofis gar nicht so leicht tun, die Bio-Spreu vom Weizen zu trennen, zeigt die in den letzten Wochen auf so gut wie allen Kanälen geführte Diskussion über die Ergebnisse einer Studie, in der wieder einmal der Frage nachgegangen worden war, ob Biokost gesünder ist als konventionelle Ware. Der Hauptunterschied zu all den Vorgängerstudien, die `Bio´ seit jeher begleiten, ist, dass dieses Mal noch mehr Studien aus einem noch längeren Zeitraum als jemals zuvor miteinander verrechnet wurden.

Das ernüchternde Ergebnis: kaum Produktunterschiede bei den so genannten inneren Werten. Der Gehalt an Phenolen und Phosphor lag in den Bio-Varianten zwar etwas höher; allerdings scheint, was den Polyphenolgehalt angeht, Kaffeetrinken die zielführendere Alternative und auch die Bedrohung durch Phosphormangel ist in unseren Breiten überschaubar. Ebenfalls wenig überraschend wurden in der Metastudie relevante Unterschiede festgestellt, was Rückstände angeht. Allerdings wird die Bedeutung dieses Befundes mit dem Hinweis darauf relativiert, dass die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln keine alarmierenden Größenordnungen erreichen, beide Varianten also im absolut sicheren Bereich liegen.

In der Lesart der Publikumspresse führte das zu Schlagzeilen wie „`Bio´ nur wenig gesünder“ und wurde je nach Glaubensrichtung als so genanntes Bio-bashing oder das Ende des Bio-Marketinghypes interpretiert. Wollte man der Sache tatsächlich auf den Grund gehen, müsste man die Frage zu beantworten versuchen, wie sich Bio- im Vergleich zu konventioneller Kost langfristig gesundheitlich bemerkbar macht. Dies scheint jedoch fast unmöglich, denkt man an weitere Einflussfaktoren wie Bewegung, Bildung, Einkommen oder Lebensstil. Diskutiert man die Studie mit Ernährungsfachleuten, wird schnell klar, dass die Fragestellung eigentlich auch ganz anders lauten sollte: Spielt denn nicht weniger die Herstellungsmethode sondern vielmehr die Auswahl der Lebensmittel die entscheidende Rolle? Und da zeigen Gemüse, Vollkorn- und ballaststoffreiche Kost kombiniert mit allenfalls moderatem Fleischkonsum signifikant lebensverlängernde Wirkung.

Tim Jacobsen