Wenn in einer Delikatess-Schinken-Bockwurst nicht ausgeschlossen werden kann, „dass sich in einzelnen Verpackungen ein vergleichbares Produkt mit Käse befindet“, so klingt das erst einmal nicht unbedingt lebensbedrohlich – zumindest, solange man nicht empfindlich auf Milch, Milchbestandteile oder Senf reagiert und eben gerade dabei ist, genau eine solche Wurst zu verzehren.

Schlimmer wäre mit Sicherheit, in einen der Pilze der Gattung Amanita zu beißen, die in den Frischen-Steinpilzen-in-Papierkörben-zu-400g versteckt sein könnten, da Knollenblätterpilze aus gutem Grund traditionell eher nicht zum Verzehr empfohlen werden. Auch auf die gesundheitsgefährdenden Bakterien mit dem Namen E. coli und dem Stx1-Gen, die in einem Roquefort-Blauschimmelkäse gefunden wurden, verzichtet man wohl lieber freiwillig.

Das war es dann aber für den Monat Oktober auch schon mit offiziellen Warnmeldungen im Sinne des § 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches. Weitere Erzeugnisse, von denen „eine Gefährdung für die Sicherheit und Gesundheit ausgeht oder ausgegangen ist“ oder die als „nicht gesundheitsschädlich, aber zum Verzehr ungeeignet“ klassifiziert hätten werden können, hatten in den letzten vier Wochen weder die Bundesländer noch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) ausfindig machen können.

Von dem von Greenpeace gefundenen `Gifteinsatz von der Blüte bis zum Apfel´ sowie den `Pestizid-Cocktails in deutschen Äpfeln´ haben die Behörden entweder nichts mitbekommen oder einen ähnlich kühlen Kopf bewahrt wie die Kollegen von Spiegel Online, die Mitte Juni die Veröffentlichung von `Der bittere Beigeschmack der europäischen Apfelproduktion´ mit der Überschrift kommentierten: `Greenpeace über Pestizide – Viel Drama um fast nichts´.

Was war passiert? Im April 2015 ließ Greenpeace 49 Bodenproben konventionell bewirtschafteter Apfelplantagen aus zwölf europäischen Ländern analysieren und fand in 64 der 85 Proben Rückstände, darunter auch die Aufregerwirkstoffe Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT), Carbendazim, Imidacloprid sowie Fluquinazol. Die im alten Land gefundenen 0,184 mg DDT pro Kilogramm Boden lagen dann allerdings um mehr als das 200-fache unter dem Grenzwert, wie er beispielsweise für Kinderspielflächen gilt. „Nachteilige Auswirkungen … nicht zu erwarten“, bzw. „… unkritisch …“ lauteten dann auch die Kommentare des BVL zu den gefundenen Rückstandsmengen.

Im weiteren Saisonverlauf nahm Greenpeace dann Blüten-, Blatt- und Fruchtproben und fand heraus, dass im Obstbau Pflanzenschutzmittel verwendet werden, und dass gegen Ende der Saison weniger häufig als zur Hauptwachstumszeit gespritzt wird. Für diese Mitte Oktober veröffentlichten Erkenntnisse hätte es allerdings keine aufwändige Analytik gebraucht, ein Blick in Ulrich Sachwehs `Der Gärtner´ wäre vollkommen ausreichend gewesen.

Ungesund ist letztendlich nur der Apfel, der aufgrund irreführender Berichterstattung nicht gegessen wird

Tim Jacobsen

Eine Woche später dann der nächste Streich: in 90 von 109 untersuchten Äpfeln aus konventioneller Produktion konnten Pflanzenschutzmittelrückstände nachgewiesen werden. Zum Leidwesen nicht nur des Industrieverbandes Agrar, der das Ganze mit „Greenpeace-Kampagne grenzt an Verbrauchertäuschung“ kommentierte, machte sich von den Kollegen der Publikumspresse keiner die Mühe, die Pressemitteilung von Greenpeace über den dritten Absatz hinaus zu lesen. Dort steht schließlich explizit, dass die Analyseergebnisse nicht bedeuten, „dass der Konsum der Äpfel direkt und akut gefährdend für Konsumenten ist. Hierfür sind die nachgewiesenen Belastungen zu niedrig.“

Im Kampf um Leser konnte aber weder der Stern mit „Deutsche Äpfel sind voller Pestizide“ noch die Frankfurter Rundschau mit einer Eins-zu-eins-Übernahme „Pestizid-Cocktails in deutschen Äpfeln“ einem möglichst reißerischen Aufmacher widerstehen. Den vorläufigen Höhepunkt der Kampagne markierten am 24.10.2015 Greenpeace-Aktivisten, die in mehreren deutschen Städten vor den Filialen verschiedener Supermarktketten mit dem Slogan „Pestizide schaden der Artenvielfalt“ beim Verbraucher aber wohl eher für Verwirrung statt für Aufklärung sorgten.

Dass der Pflanzenschutz keineswegs still und heimlich dabei ist, sich zu einem der großen Greenpeace-Themen zu mausern, lässt sich auch daran ablesen, dass sich im bisherigen Jahresverlauf jede zehnte der über 100 Greenpeace-Presseerklärungen daran abmüht. Fast wünscht man sich zurück in die Zeit der Atommeiler, die als klares Feindbild bei dem in Hamburg ansässigen Verein für Spenden satt sorgten.

Gewisse Parallelen sind dann auch nicht abzustreiten, genauso wie ein Leben ohne Elektrizität kaum mehr vorstellbar ist, ist die regelmäßige Kalorienzufuhr eine unserer wichtigsten Überlebensstrategien. Und genauso wie das Thema Energieerzeugung für den Laien nicht einfach zu ergründen ist, dient die gesamte Lebensmittelproduktion aus Greenpeace-Sicht anscheinend nur dazu, die eigenen Kunden systematisch zu vergiften.

Und das ist der eigentliche Aufreger an der Geschichte: ungesund ist letztendlich nur der Apfel, der aufgrund irreführender Berichterstattung nicht gegessen wird.

Tim Jacobsen