Die Geschichte des Nördlinger Ries´ ist für sich genommen schon äußerst spektakulär: rund 1,5 km Durchmesser soll er gehabt haben, der Himmelskörper, der sich vor gut 14 Mio. Jahren ausgerechnet in das bayerisch-schwäbische Grenzgebiet verirrte – das durch den Aufprall entstandene Binnengewässer in Bodensee-Größe hatte in den Folgejahren viel Zeit zu verlanden und prunkt heute mit besten Böden.
Die Tracht im Ries ist speziell, der Dialekt auch. Wobei der Rieser Bauernkittel von weitem bereits leicht erkennbar ist, der Dialekt eher weniger. Denn, und das wird in Aaron Lehmanns „Die letzte Sau“ schnell deutlich, Plaudertaschen sind sie eher nicht, die Bewohner des weltweit am besten erhaltenen Impaktkraters. Einen passenderen Ort hätte Lehmann dann auch kaum finden können, um dem sog. Bauernsterben ein Gesicht zu geben – und dabei weder auf die Tränendrüse zu drücken noch in Betroffenheitsgedöns zu verfallen.
„Eigentlich scho a wahnsinns Aufwand für a bissle Wurscht. Wenn man sich das amal vorstellt“
Bauer Huber
Mit grimmigem Humor wird die Geschichte eines braven und rechtschaffenen Mannes erzählt, der irgendwann merkt, dass er mit seinem kleinen Hof gegen die Großbauern nicht anstinken kann – und die Rieser Stammtischlosung „schlimmer kos nemma wera“ dem Realitätscheck leider nicht standhält:
Als der Bauer Huber eines Tages aufsteht, sein Bett zusammenbricht, die Dusche kalt bleibt, die Schubkarre einen Platten hat, die Freundin Richtung Osten verschwunden ist und die Hausbank sich wenig kooperativ zeigt und die Kreditverhandlungen zudem überschattet werden vom Ableben des Metzgers Willi, der von dem ebenfalls über ihm kreisenden Pleitegeier zum Banküberfall angestiftet wurde, werden diese kleinen und großen Schicksalsschläge noch getoppt vom Meteor, der ausgerechnet während der Bestattung von Hubers bestem Freund Willi im Huberhof einschlägt und dem Huber bis auf sein „Moped“ und die filmnamensgebende „letzte Sau“ alles nimmt bzw. alles in Bewegung setzt.
In entfernt an Karl May erinnernder landestypischer Kleidung begibt sich Huber mit der Sau im Beiwagen auf eine – seine – Reise und begegnet dabei den unterschiedlichsten Menschen: sarkastisch, anarchisch, urkomisch und todtraurig stellt „Die letzte Sau“ mit der Leichtigkeit, mit der die Handlung springt, und die in starkem Gegensatz zum sprachlichen Schwermut steht, Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt: Wer sind die Guten, wer sind die Bösen? Wer ist Opfer, wer ist Täter?
Die Angst, dass dies alles in der billigen Polemik einer Groß-Klein- bzw. Chemisch-Ökodialektik enden könnte, ist unbegründet. Denn Huber begegnet den Menschen unvoreingenommen, und auch wenn nicht viel geredet wird, wird doch viel gesagt. Zu Beginn seiner Reise trifft Huber beispielsweise. einen frischgebackenen Imker, dem man zwar nicht unbedingt zutraut, auf eigenen Füßen bis zum nächsten Ortsschild zu kommen, dessen Losung „Die Welt ist ein dunkler Ort, deshalb müssen wir Leuchtfeuer anzünden“ gleichwohl in gewisser Weise die Filmhandlung vorwegnimmt.
Diese Leuchtfeuer führen im weiteren Verlauf dann tatsächlich zu dem vom Erzähler Filmeingangs versprochenen „Märchen vom Bauern Huber und wie er ein rechtes Durcheinander gemacht hat“.
Und ob das Ganze dann in dem Ende September in die Kinos gekommenen Film noch ein gutes Ende nimmt, sei an dieser Stelle nicht verraten. Nur so viel: Mehr als jede `Wir machen frisch´, `sauber´, `zart´ oder `Dein Frühstück´-Kampagne setzt der Film in den Zuschauern etwas in Gang, etwas im Sinne eines `ist der Bauer in dem ihm abverlangten Spagat zwischen artgerecht und billig nicht vielleicht sogar die ärmste Sau von allen´?
Und auch, wenn nicht jeder den Mut aufbringt, aus dem „so gots net weida“ des Filmes direkt Konsequenzen zu ziehen, sind es die sprichwörtlichen Tropfen auf die Kraterwand, sich Gedanken über das eigene Handeln zu machen:
Was kann man beispielsweise selbst dazu beitragen, dass es den Bäcker mit den besten Brezen und den Obst- und Gemüsehändler mit dem frischesten Salat und den knackigsten Äpfeln auch morgen noch gibt? Schließlich hilft jeder kleine Tropfen oder wie Hubers Freundin Birgit am Ende des Filmes resümiert: „Mei Huber. Vorher wars o it super. I find´s jetzt besser. Isch o it super, aber besser.“
Tim Jacobsen
Fazit: „Eigentlich scho a wahnsinns Aufwand für a bissle Wurscht. Wenn man sich das amal vorstellt“
Schreibe einen Kommentar