Die Berliner Immobilienmogule hätten zu Jahresbeginn 2020 wahrscheinlich gerne mit den deutschen Landwirten tauschen: während die Mieten in unserer Hauptstadt bis 2025 auf dem Stand von 2019 eingefroren wurden, sollen die Preise für Lebensmittel steigen. Tatsächlich gibt es auch kein Land in Europa, in dem prozentual mehr Geld vom Haushaltseinkommen für Wohnen ausgegeben wird als in Deutschland und nur wenige Länder, in denen noch weniger für Nahrungsmittel ausgegeben wird. Auch wenn Mentalitäts- und Einkommensunterschiede innerhalb Europas hierbei eine große Rolle spielen, lautet die Losung nicht erst seit dem `Lebensmittelgipfel´ Anfang Februar: Preise hoch!
Während Julia Klöckner das mit „Tierwohl kostet Geld, das kann nicht die Bauernfamilie alleine stemmen“ noch etwas verklausuliert formuliert, fordert die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen direkt Mindestpreise für Lebensmittel. Dass im derzeitigen politischen Klima kaum etwas unmöglich scheint, zeigen die Beispiele Fahrverbote, Bahn günstiger, Kurzstreckenflüge teurer. Was aber ist geschehen, dass den Märkten ihre Funktionsfähigkeit abgesprochen wird? Wahrscheinlich steckt schierer Opportunismus hinter dem Ganzen: Diese Eingriffe kosten nicht die Welt und praktischer Weise befindet sich sowieso gerade viel Geld in den öffentlichen Taschen.
Als gelungenes Beispiel für die Wirksamkeit staatlicher Eingriffe wird in der öffentlichen Diskussion immer wieder das Erfolgsrezept Mindestlohn angeführt. Da aber niemand weiß, wie alles ohne die Einführung von zuletzt 9,35 € in der Stunde gekommen wäre, kann munter in alle Richtungen argumentiert werden. Natürlich können sich Märkte auch täuschen; die Kernfrage dabei lautet: Werden berechtigte Interessen ignoriert? Angeführt werden dann in letzter Zeit immer die Beispiele Tierwohl und Klimaschutz. Insgesamt 3,6 Mrd. € im Jahr soll es kosten, deutschlandweit zumindest Stufe zwei in Klöckners Tierwohllabel zu erreichen.
Viel Geld, das irgendwoher kommen muss. Und obwohl sich der Handel bei Obst und Gemüse nicht zu schade dafür ist, die Daumenschrauben fest anzuziehen, zeigen im Bereich tierischer Produkte selbst die von „wir lieben Lebensmittel“ keinerlei Ambitionen, auf Lockvogelpreise verzichten zu wollen – ganz im Gegenteil. Und da der Politik der Wille abhandengekommen zu sein scheint, auch einmal unpopuläre Entscheidungen zu treffen, soll die Anhebung der Standards mit einer Steuer finanziert werden: 40 ct pro kg Fleisch und Wurst könnten bald fällig werden, bei Käse und Butter 15 ct und für Milch und
Eier immerhin noch 2 ct. Aber führt das nicht in eine vollkommen falsche Richtung? Kann nicht der Gärtner, der den grüneren Daumen und seine Kulturen im Griff hat, billiger produzieren als der Kollege, der nie den passenden Zeitpunkt erwischt? Hat nicht der, der die Vorteile der Präzisionslandwirtschaft nutzen kann, höhere Erträge, weniger Ausschuss und geringere Produktions- sowie Umweltkosten als der, der im Sinne eines „viel hilft viel“ großflächig denkt?
Eine andere gegenwärtig kursierende Idee lautet, das Kartellamt prüfen zu lassen, ob an irgendeinem Punkt der Verarbeitungskette die Preise niedriger liegen als die typischen Herstellungskosten. Diese sollen wiederum von einer wissenschaftlichen Kommission ermittelt werden; die Idee dahinter ist, dass auskömmlichere Preise eine kleinteiligere Landwirtschaft fördern könnten. Dabei wird allerdings der Faktor Mensch außen vor gelassen: Unternehmerisch denkende Landwirte und Gärtner werden die höheren Preise als zusätzlichen Anreiz sehen, möglichst schnell zu wachsen.
„Der Staat war noch nie ein guter Unternehmer“
Lorenz (Lonne) Jacobsen
Das Beispiel Textilwirtschaft zeigt, dass höhere Preise nicht zwangsläufig zu höheren Produktionsstandards führen. Die Buchpreisbindung wiederum hat wahrscheinlich wohl so manchen Buchverkauf, aber nicht den Amazonsiegeszug verhindert. Dass es im städtischen Bereich mehr Apotheken als Friseure und Bäcker zusammen gibt, hat mit der Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente zu tun. Volkswirtschaftlich günstiger wären staatlich geförderte Abgabestellen in dünn besiedelten Räumen zur Sicherung der ländlichen Medikamentenversorgung.
Es ist gerade schick, Missstände wie Umweltverschmutzung und Zugverspätungen dem Kampfbegriff Neoliberalismus in die Schuhe zu schieben – gepaart mit der Kritik an einem zunehmenden Rückzug des Staates aus dem Gemeinwesen. Aber lässt sich eine solche übermäßige Marktgläubigkeit auch tatsächlich belegen? Es gibt Kennzahlen wie die Staatsquote und den die ökonomischen Freiheit messenden Fraser Index – und diese weisen das Gegenteil aus. Messbar ist auch, dass das Vertrauen in die Problemlösungskraft der Märkte zunehmend verloren geht. In Umfragen unterstreichen immer mehr Menschen, dass Sozialismus eigentlich eine gute Idee ist, die nur schlecht ausgeführt wurde.
Dabei ist die Verfehlung der Klimaziele doch gerade eine Folge davon, dass deutliche Preissignale fehlen: Zwar haben jetzt auch wir Deutschen mittlerweile einen CO2-Preis, der zumindest der Erwähnung wert ist, gleichzeitig wird dieser durch so viele ergänzende Eingriffe ad absurdum geführt, dass CO2 letztendlich nicht da eingespart wird, wo dies am günstigsten möglich wäre und sich stattdessen die Windräder munter weiter drehen. Die Geschichte zeigt, dass sich Wohlstand und Umweltschutz nur in marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften einstellen und klar, die Korrektur von Marktversagen ist eine zentrale staatliche Aufgabe – genau diese Abkehr vom Marktradikalismus aber verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff Neoliberalismus, der in Fortschreibung dann zu der unser Land prägenden sozialen Marktwirtschaft führte.
Tim Jacobsen
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