Als wir uns im Februar 2020 zum ersten Mal Gedanken zur Viruspandemie machten, diskutierten wir auch die Mutationsgefahr, den Trade off zwischen Virulenz und Pathogenität und konnten doch nicht ahnen, dass wir ein Jahr später live, in Farbe und nicht ausgeschlossen am eigenen Leib Zeuge werden, welche Implikationen der evolutionäre Wettlauf zwischen Erreger, in diesem Fall Sars-CoV-2, und Wirt, das wären dann potentiell wir alle, mit sich bringt.
Auch wenn „britische Variante“ irreführend ist, da niemand weiß, wo diese Kombination von 17 Mutationen im Virenerbgut tatsächlich entstanden ist, so hat die Gefahr damit neben der offiziellen B1.1.7 einen eingängigen Namen bekommen. Es scheint, als ob diese Variante die bisher am weitesten verbreitete Variante verdrängt – was bei Evolutionsbiologen unter Fitnessvorteil geführt wird, bedeutet für den normalen Menschen, dass er oder sie sich leichter anstecken kann.
Und das schlägt sich dann in der Reproduktionszahl nieder, was im Umkehrschluss bedeutet, dass sich diese kaum noch unter die von Seiten der Politik geforderten Werte bringen ließe, der Kreislauf aus hohen Fallzahlen, zufällig auftretenden Mutationen sowie der evolutionären Auslese also weiter befeuert würde. Impfstoffe könnten dann paradoxerweise dazu beitragen, den Selektionsdruck zu erhöhen und dadurch an Wirksamkeit verlieren, wenn die Lage nicht schnell unter Kontrolle gerät.
„Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich einander viel verzeihen müssen“
Jens Spahn
Es ist die Frage, ob angesichts der bspw. auf www.gisaid.org anschaulich gemachten Häufung von Mutationen die bisherigen Bekämpfungsstrategien noch Gültigkeit haben können. Den Königsweg zu kennen, kann niemand behaupten. Vielleicht ist es aber so, dass, statt scheibchenweise den Lockdown zu verlängern, die Wahrheit darin liegen könnte, dass sich das Virus tatsächlich nicht wieder verabschieden wird. Und die eigentliche Frage dann lauten müsste, mit welcher Infektions- und Erkrankungsrate wir zu leben bereit sind – ähnlich wie wir bereit sind, Tote im Straßenverkehr oder an Lungenkrebs Verstorbene in Kauf zu nehmen.
Mit seiner Ende April gemachten Äußerung „wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich einander viel verzeihen müssen“ wird Jens Spahn unbezweifelt in die Pandemieannalen eingehen. Von den Coronatoten sollen in Deutschland im letzten Jahr mehr als die Hälfte Bewohner von Alten- und Pflegeheimen gewesen sein – eine Tragödie, die derzeit ihre Fortsetzung findet. Auch in den Schulen wurden die relativ unbeschwerten Sommermonate nicht dafür benutzt, sich auf die Verschärfung der Lage während der Wintermonate vorzubereiten. Wahrscheinlich hätte auch eine Analyse der Kontaktdaten der ersten Pandemiemonate mehr Hilfreiches ans Tageslicht befördert als die mittlerweile in der Versenkung verschwundene Corona App, ganz zu schweigen davon, dass wir erst gewissermaßen mit einem Jahr Verspätung begonnen haben, auf die Suche nach Mutanten zu gehen.
Bleiben Sie gesund!
Tim Jacobsen
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