Ist im Englischen etwas wie Kraut und Rüben, wird es schnell sehr lautmalerisch: topsy-turvy geht noch einigermaßen, higgledy-piggledy hingegen verlangt volle Konzentration, um bei der Aussprache nicht ins Schleudern zu kommen. Was aber will uns das Landwirtschaftsministerium nun mit der Kampagne „Kraut und Rüben. Gibt’s nicht für’n Appel und’n Ei“ sagen? Sind Kraut und Rüben zu teuer, als dass es sie für einen Apfel und ein Ei geben würde? Oder sind Äpfel und Eier etwa zu billig? Steht vielleicht ein Systemwechsel an und wir tauschen demnächst wieder Naturalien?
Nein, natürlich steckt viel mehr dahinter: dieser vielleicht letzte Streich Julia Klöckners soll schaffen, was all die (nein, nicht: Aldi) Kampagnen der Vergangenheit nicht vermochten: die Wertschätzung von Lebensmitteln beim Verbraucher und damit gleichzeitig die Wertschöpfung beim Erzeuger zu steigern. Denn, da ist sich unsere Landwirtschaftsministerin sicher: Die „Landwirtschaft soll noch mehr auf Klima- und Umweltschutz, auf Artenvielfalt und den Tierschutz achten“. Sie weiß aber auch: „das gibt es nicht zum Nulltarif“, denn Investitionen sind nötig: „in neue Produktionsmethoden, moderne Ställe und Technik“. Was in Klöckners Argumentation zumindest dann auch bedeutet, dass dummerweise nur die Zulieferindustrie von der gestiegenen Wertschätzung profitieren wird.
Vielleicht steckt aber auch eine ganz andere Botschaft hinter der Kampagne: die günstigen Angebote, die es für den sprichwörtlichen Apfel und das Ei zu kaufen gibt, haben etymologisch ihren Ursprung im Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage. Werden Gegenstände in großen Mengen produziert und angeboten, kosten sie meist nicht viel, zumindest so lange ein deutlicher Angebotsüberhang besteht. Soll der Preis steigen, muss entweder das Angebot verknappt oder die Nachfrage vergrößert werden. Und genau deshalb ist Klöckners Inwertsetzungsstrategie von Beginn an zum Scheitern verurteilt: Ohne das eine oder das andere oder am besten beides wird es nicht gehen.
Die von Klöckner ins Rennen geworfenen Hashtags #UnsereErnteUnserEssen #MehrWertschätzung ergeben auf Twitter keinen Treffer. So wenig Treffer sind selten
Tim Jacobsen
Seit Wochen fluten spanische Erdbeeren die Frischetheken der deutschen Supermärkte, kostet das Pfund einmal nicht 99 ct, sondern sprengt es die 1 € Schallmauer, ist es ziemlich sicher, dass der knallbunte Reduktionsaufkleber den Preis kurz vor Ladenschluss wieder zuverlässig in den zweistelligen Centbereich drückt. Auch in Spanien müssen Erdbeeren bewässert, gedüngt und gepflückt werden, auch in Spanien kostet Verpackungsmaterial Geld. Der LKW hat zwar Platz für sehr viele Erdbeeren, mit Luft und Liebe fährt aber auch der nicht.
Zu Beginn der Coronakrise gab es diesen kurzen Moment, als von vielen der Stress des Alltags abfiel und dieser Alltagstress noch nicht abgelöst worden war vom Stress, keinen gewohnten Alltag mehr zu haben. Eine kurze Zeitlang schien es, als würde gleichzeitig mit dem Virus eine Art Läuterung Einzug halten. Auch Menschen, deren Alltag sonst zwischen Aufstehen und ins Bettgehen generalstabsmäßig durchgetaktet war, schienen auf einmal große Entschleunigungsfans geworden zu sein. Das tut uns doch mal allen gut und der Umwelt sowieso, war ein Stück weit die Losung des letztjährigen Frühlings. Denn dass da irgendwas mit der Natur im Argen ist, hatte sich ja schon länger herumgesprochen.
Viele, die nicht von existentiellen Zukunftsängsten bedroht waren, nutzten die Zeit im ersten Lockdown zum Frühjahrsputz, und über all das Entrümpeln und Renovieren geriet die Begeisterung über die ungeahnten Möglichkeiten, die das Coronakrisenpaket gewissermaßen als Nebenwirkung mit sich brachte, schnell wieder in Vergessenheit. Spätestens als die Empörung über die Verhältnisse bei Tönnies im Juni letzten Jahres schneller verpufft ist als es dauert eine Bratwurst zu essen, war mehr oder weniger klar, dass wir wieder im gleichen Trott gelandet waren. Mit dem kleinen Unterschied, dass eigentlich immer noch allen klar ist, dass wir den Karren an die Wand fahren, uns aber die Ablenkungsmöglichkeiten der Vorcoronazeit fehlen, weshalb wir uns dann ja auch mit Sehnsucht die Zeit vor Corona herbeiwünschen.
Da wir aber mittlerweile auch selber nicht mehr so sind, wie wir vor Corona waren, wird es nie wieder so sein können wie es davor war – und einmal mehr zeigt sich, dass uns nur Humor durch schwierige Zeiten helfen kann. Wahrscheinlich haben noch nie so viele Leute genau um 21:00 Lust bekommen, doch noch einmal vor die Tür zu gehen und eine Runde zu drehen. Und vielleicht hat sich ja doch was geändert, vielleicht ist doch etwas von der Entschleunigung haften geblieben. Und dann wären die zum Ende der Ladenöffnungszeit noch einmal deutlich vergünstigten spanischen Erdbeeren ein Zeichen dafür, dass es eben nicht länger unbedingt das größte Schnäppchen sein muss, dass internationale Lieferketten auch angesichts noch so ausgetüftelter Lieferkettengesetzen stärker als zuvor hinterfragt werden und dass die Begeisterung für regionale und saisonale Produkte, wie sie sich im letzten Frühsommer manifestiert hatte, kein Strohfeuer war.
Tim Jacobsen
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