Im Alter von 22 Jahren zog Arthur Donald Gristwood in einen Krieg, der im angelsächsischen Sprachbereich später als „The Great War“ in die Geschichtsbücher einging. Es war niemand geringerer als Herbert George Wells, der Gristwood nach Ende des Ersten Weltkriegs dazu ermutigte, seine Erlebnisse literarisch zu verarbeiten. Mit dem im Jahr 1927 erschienenen „The Somme“ gab Gristwood den zeitgenössischen Kritiken zufolge knapp einer Million gefallener Soldaten des British Empires erstmals eine Stimme.
Seine Beschreibung Frankreichs als ein „verwüstetes Land, das einer Mondlandschaft gleicht: leblos, trocken und verflucht“ soll Jahre später John Ronald Reuel Tolkien, der selbst auch an der Schlacht an der Somme teilnahm, zur literarischen Ausgestaltung Mordors, des Reichs des bösen Saurons in „The Lord of the Rings“, inspiriert haben.
Es war aber nicht das Artilleriefeuer allein, das eine Schneise der Verwüstung quer durch Europa hinterließ. Es war die Übernutzung der Wälder, die wesentlich zur Entwaldung großer Landstriche beitrug – und ein bis heute sichtbares Mahnmal ist. Nach dem Ersten Weltkrieg erklärte die französische Regierung aufgrund der Vielzahl von Blindgängern und der hohen Schwermetall- und Arsenbelastung das belgisch-französische Grenzgebiet zwischen Lille und Nancy als „Zone Rouge“ für weitgehend unbewohnbar.
Es war wahrscheinlich die noch nie da gewesene Monstrosität des Ersten Weltkrieges, die dazu geführt hat, dass die damaligen Kollateralschäden an Natur und Umwelt bis heute wissenschaftlich unterbelichtet geblieben sind. Forstmonokulturen und Bombenkrater stehen im Nordosten Frankreichs allerdings auch mehr als hundert Jahre später heute noch sinnbildlich für sichtbare und unsichtbare Spuren, die „The Great War“ über das menschliche Leid hinaus hinterlassen hat.
Dass die Ukraine als Kornkammer Europas gilt, liegt an den Lössablagerungen aus der letzten Eiszeit. Trockene Sommer und kalte Winter sorgten im Lauf der Jahrtausende dafür, dass sich verhältnismäßig viel Humus im Boden anreichern konnte und sich so die für die Ukraine typischen Schwarzerdeböden entwickelten. Die jährlichen Niederschlagsmengen liegen zwischen 350 und 400 mm, die Durchschnittstemperaturen im Juli bei 20 °C – insgesamt also äußerst gute Bedingungen für die landwirtschaftliche Nutzung.
Gemeinsam mit Russland stellt die Ukraine beim für die Lebensmittelproduktion besonders wichtigen Weizen knapp ein Drittel des gesamten Weltmarktangebots – und genau diese Dominanz wird nun zum Problem. Ob die Aussaattermine für das Sommergetreide eingehalten werden können oder ob zumindest die auch im Sommer anstehende Ernte des Wintergetreides abgefahren und dann zu den Häfen am Schwarzen Meer transportiert, dort verladen und verschifft werden kann, ist mehr als ungewiss.
Was passiert, wenn Russland zukünftig tatsächlich nur noch willfährige Länder mit Getreide beliefert? Und was passiert, wenn die 32 Mio. ha Ackerland in der Ukraine mittel- oder gar langfristig aus der Produktion fallen? Von den mehr als 60 Mio. t Getreide, die in der Ukraine produziert werden, geht die Hälfte in den Export. Nur eines scheint derzeit sicher: Wie immer werden die Ärmsten der Armen die Gekniffenen sein. António Guterres´ „Wirbelsturm des Hungers“ könnte also schon bald apokalyptische Realität werden.
Tim Jacobsen
Gemeinsam mit Russland stellt die Ukraine beim für die Lebensmittelproduktion besonders wichtigen Weizen knapp ein Drittel des gesamten Weltmarktangebots – und genau diese Dominanz wird nun zum Problem
Tim Jacobsen
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