In der ersten Januarhälfte dieses Jahres war es so, dass die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) streikte, das Ganze aber weitgehend in den Bauernprotesten, die ja sowieso auch das ganze Land lahmlegen sollten, unterging. Später lieferten sich dann GDL und das Bodenpersonal der Deutschen Lufthansa eine Art Wettstreit, und da wollten dann auch die Flugbegleiter nicht außen vor bleiben. Schließlich musste auch der Nahverkehr noch einmal in die Schlagzeilen und am Ende wusste niemand mehr, was noch fährt oder fliegt, von eigenen Transportmitteln einmal abgesehen, die sich dann die Straßen mit anderen Glücksrittern teilten und ganz ohne Blockade von selbst für Entschleunigung sorgten.

Die Bauernproteste gingen dann ein bisschen aus wie das Hornberger oder auf modern vielleicht eher Heilbronner Schießen; zum Glück möchte man im Rückblick meinen angesichts so mancher Parole, die wenig Lösungs-orientiert für ein eher klar unverträgliches Miteinander stand. Wer nun denkt, die bis Ende März 300 Stunden umfassende Bestreikung des Personen- und Güterverkehrs in dieser Tarifrunde sowie die fünf Warnstreiks bei der Lufthansa hätte es in dieser Form noch nie geben, liegt allerdings falsch. 2015 gilt als Spitzenstreikjahr. Vor allem durch die Arbeitskämpfe bei der Deutschen Post und dem sog. Kita-Streik fanden damals mehr als 2 Mio. Arbeitstage nicht statt.

Für das Jahr 2022 weist das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung 225 Arbeitskämpfe mit 674 000 ausgefallenen Arbeitstagen aus, deutlich mehr als die Bundesagentur für Arbeit, die allerdings selbst darauf verweist, dass bei der Verwendung ihrer Daten „die Unsicherheit und Untererfassung des Gesamtniveaus zu berücksichtigen“ seien. International sind wir, was Streiks angeht, eher Mittelfeld. In Belgien und Frankreich fielen von 2012 bis 2021 im Schnitt 96 beziehungsweise 92 Arbeitstage im Jahr je tausend Beschäftigte aus, deutlich mehr als unsere 18 Tage.

Eine Erklärung dafür ist, dass bei uns das Mittel des Arbeitskampfes eigentlich nur in Verhandlungsphasen für Tarifverträge erlaubt ist. In Frankreich hingegen darf jeder zum Streik aufrufen. Anders als in Deutschland sind bspw. auch Generalstreiks zulässig. Neu ist, dass Tarifkonflikte bei uns zuletzt schneller eskalierten. Honni soit qui mal y pense zeigen die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften in den letzten Jahren eine deutlich rückläufige Tendenz.

Das mittlere Bruttomonatsgehalt eines Lokführers liegt mit 38 Stunden Wochenarbeitszeit bei 3735 Euro, die Flugzeugabfertiger liegen nicht weitab. Knapp 10 % kürzere Arbeitszeiten und ein gutes Sechstel mehr in der Lohntüte fordert die GDL. Die Kosten durch Arbeitskämpfe für die Gesamtwirtschaft sind schwierig festzustellen. Lufthansa sieht sich 2024 durch Streiks schon mit 250 Mio. € belastet. Die Kosten für einen Tag Bahnstreik beziffert das Institut der deutschen Wirtschaft auf 100 Mio. €.

Unter den aktuellen Arbeitskämpfen leiden aber vor allem Millionen von Reisenden. Und so lässt sich den Forderungen, dass Streiken schön und gut ist, aber irgendwann eben auch ein Ende und wenn es gar nicht anders geht in Form einer Schlichtung haben muss, durchaus etwas abgewinnen. Und wahrscheinlich ist das dann immer noch mehr als der Saldo der „Woche der Wut“, die vielleicht mehr Porzellan zerschlagen hat, als unbedingt nötig gewesen wäre.

Tim Jacobsen