Zwei Dinge vorab: niemand wird in Deutschland gezwungen, Erdbeeren oder Spargel zu produzieren. Auch ein eventuell vorhandener elterlicher Betrieb bringt für die nachfolgende Generation keine Übernahmezwangsläufigkeit mit sich. So gesehen spielen die Menschen, um die es im folgenden Text gehen wird, dieses Spiel im Prinzip freiwillig mit. Aber leider geht es nicht ohne ein „im Prinzip“ an dieser Stelle. Im Laufe der Jahre haben sich nicht nur die Bezugsgrößen stark verändert, die steigenden Umsätze brachten auch neue Abhängigkeiten mit sich.
Wir Verbraucher haben es selbst in der Hand
Tim Jacobsen
Ein bisschen waren es die wilden Nachwendejahre, die den Ball ins Rollen brachten. Auf einmal gab es auf auch im Wohlstands-verwöhnten Westen Deutschlands wieder genug Menschen, die bereit waren, für relativ wenig Geld im wahrsten Sinne des Wortes den Buckel krumm zu machen. Dies führte im Gartenbau genauso wie in vielen anderen Bereichen dazu, dass sich vollkommen neue Geschäftsmodelle etablierten. Das ganze Bündelgemüse gehört zu den Senkrechtstartern dieser Zeit, auch der fast kometenhafte Anstieg der Anbauflächen für Erdbeeren und Spargel sind ein Erbe des Endes des Kalten Krieges.
Mit den Anbauflächen stiegen die Erntemengen und irgendwann musste es zwangsläufig an einen Punkt kommen, ab dem sich mit „normal“ kaum mehr Geld verdienen ließ. Es wurde aufgerüstet; die über weite Strecken des 20. Jahrhunderts gültige Regel, dass erst nach dem letzten Spargel der erste Erdbeerkuchen auf den Tisch kommt, hatte da schon längst ausgedient. War beim Spargel Folienabdeckung bald ein Muss, wurden daraus schnell perfekt klimatisierte Minitunnel, auf Wunsch Abwärme-beheizt.
Auch bei den Erdbeeren war das Stroh zwischen den Reihen nur der Schritt dahin, Erdbeeren in praktischer Pflückaugenhöhe in einer Art Regenrinne unter Plastikbedachung zu kultivieren. Vorläufig letzter Höhepunkt ist die Kultur von Erdbeeren auf Steinwolle in Gewächshäusern mit Firsthöhen von sechs Metern oder mehr. So mancher Unterglastomatenanbauer mit dadurch quasi offiziell ausgewiesener Angst vor der nächsten Energiekostenrechnung geht diesen Weg – auch wenn es in diesen Fällen kaum um Gewinnmaximierung gehen kann, sondern höchstwahrscheinlich eher um Verlustminimierung.
Gleichzeitig ist eine ganze Industrie rund um den Anbau dieser Kulturen entstanden. Die Klärung der Frage, ob denn letztendlich nicht auch deshalb immer mehr produziert werden muss, um sich all die Hilfsmittel, die dies ermöglichen, überhaupt leisten zu können, ähnelt dem Henne-Ei Problem, spielt aber im Sinne von immer mehr verfügbarer Ware auch keine große Rolle. Der Lebensmitteleinzelhandel fand das prima, schließlich ist an einem Schälchen Erdbeeren deutlich mehr verdient als an einem Sack Kartoffeln.
Die Verbraucher fanden das auch gut, die Wirtschaftskrisen fanden woanders statt und Sahneerdbeeren zauberten auch in den letzten Hinterhof noch ein kleines bisschen Wimbledonflair. Dass sich in Deutschland mit Bleichspargel, einem Produkt, das in gar nicht wenigen europäischen Ländern kulinarisch und auch sonst überhaupt eigentlich keine Rolle spielt, Geld verdienen lässt, sprach sich schnell herum.
Italien, Griechenland und Spanien waren nur die Vorreiter einer Entwicklung, die mit Hilfe von Technologie, zumindest fragwürdiger Nachhaltigkeit und billigen Arbeitskräften Spargel aus Südamerika zur Weihnachtszeit zu Preisen in den Kühltheken liegen lässt, der von einheimischer Ware selbst zu Zeiten größtem Angebotsüberhangs selten unterschritten wird. Dass die Ware dann nicht wie im einfachsten Fall gewissermaßen vom Acker direkt im Kochtopf landet, sondern weiter gereist ist, als viele es von uns jemals tun werden, spielt in der Dauerverfügbarkeit von so gut wie allem keine Rolle.
Saisoneröffnungen und Spargelköniginnen schlagen sich zwar einigermaßen wacker, geht es darum, den Erntestart und damit den Beginn der einheimischen Spargelsaison zu verkünden – in der Flut und Fülle an Informationen, die tagtäglich auf den Verbraucher prasseln, bleiben sie letztendlich aber eher Randnotizen, zumal Pandemie-bedingt die letzten beiden Jahre der große Bohei ausbleiben musste.
Ganz ohne Startsignal müssen seit jeher die Erdbeerproduzenten auskommen. Das führt dann angesichts des mittlerweile ganzjährigen Erdbeerangebots auch im ansonsten eher schlecht sortierten Discount dazu, dass die Verbraucher den Überblick verlieren. Zumal dann ja auch ab und an Erdbeeren des Typs Kohlrabi, die sonst eher mit südländischen Herkünften in Verbindung gebracht werden, als deutsche Ware deklariert in der Kühltheke liegen.
Als relativ einfache Unterscheidungsgröße bleibt der Preis. Man muss kein Psychologe sein, um zu verstehen, dass sich bei dauerhaft zum Knaller-, Knüller- oder Aktionspreis von unter zwei Euro beworbenen Erdbeerschälchen vielleicht auch unbewusst eine Preisschwelle in den Verbraucherköpfen festsetzt.
Man muss andererseits auch weder Agronom noch Betriebswirt sein, um zu verstehen, dass bei diesen Preisen nicht nur kaum jemand etwas verdienen kann, sondern dass bei der Produktion dann auch Abstriche gemacht werden müssen – und schon landet man schnell wieder beim Thema Nachhaltigkeit. Mittlerweile sind die Schlagwörter Doñana, Huelva sowie die prekäre Arbeitssituation vieler Migranten im Süden Europas auch in den deutschen Medien angekommen.
Die Platzhirsche im Beerengeschäft ficht das wenig an: stellen sich die Chilenen quer, wandert der Blaubeeranbau eben nach Peru ab. Geht in Marokko das Wasser aus und steigen die Arbeitslöhne für die Himbeerpflücke, ist Südafrika global gesehen auch nicht viel weiter entfernt. Und dann sind da ja auch noch wir Deutschen mit unseren eher dunklen und kalten Wintern. Bis wir produktionstechnisch aus dem Winterschlaf erwachen, sind die Kühltheken gut bestückt mit Ware aus Ländern, in denen es wenig später dann schon fast zu warm wird, um überhaupt noch vor die Tür zu gehen.
Wenn dann die Importware keinen Platz macht für einheimische Produkte, dann haben unsere Bauern ein Problem. Das gilt für Spargel und Erdbeeren genauso wie für Zwiebeln und Möhren. Bei den Zwiebeln müssen erst die Neuseeländer verkauft sein, bevor die frisch geerntete deutsche Ware ins Regal kommt, bei den Möhren helfen Spanier und Italiener, die möhrenlose Zeit in Deutschland zu überbrücken.
Dass das Ganze so ist, merkt man eigentlich erst, wenn es einmal hakt: Zu Beginn der Pandemie gab es ein kurzes Innehalten angesichts von Lieferketten, die auf einmal eben nicht mehr geräuschlos im Hintergrund für scheinbar nie versiegenden Warenfluss sorgten. Der Bauer vor Ort wurde zum Helden hochstilisiert, der uns alle mit seinem persönlichen Einsatz vor dem schon morgen drohenden Hungertod bewahrt.
Ähnliches war Jahre zuvor während der EHEC-Krise passiert, als die Verbraucher dem Produzenten ums Eck auf einmal einen deutlichen Vertrauensvorschuss einräumten. Der Effekt war derselbe: Abhofverkauf und Direktvermarktung boomten, jeder dachte, dass die Botschaft nun endlich und für alle Zeit beim Verbraucher angekommen ist und sich niemand mehr um das Wachstum von bio und regional Sorgen machen müsse. Politisch gewünschte Ziele wurden erreicht, ohne dass das Landwirtschaftsministerium dabei seine Hände im Spiel gehabt hätte.
Vielleicht ging zuletzt in all der Resilienz-Euphorie, letztendlich auch Covid-19 Versorgungs-technisch abgewettert zu haben, dann etwas unter, dass die Energiepreise nach einem historischen Tiefpunkt zu Beginn der Pandemie langsam aber stetig in die andere Richtung ausschlugen. Auch der drohende Mindestlohn aus dem Bundestagswahlkampf trug vielleicht dazu bei, dass die Kostensteigerung bei den Produktionsmitteln lange Zeit kaum ein Thema war, grundsätzlich lief ja alles.
Ein jähes Erwachen gab es, als die ersten Düngemittelproduzenten die Ammoniakproduktion einstellten, da diese angesichts der hohen Gaspreise wirtschaftlich nicht mehr darstellbar war. Als wäre das alles nur ein Warnschuss gewesen, machte der russische Präsident am 24. Februar 2022 Ernst und ließ sein Militär in die Ukraine einmarschieren. Die daraus resultierende Unsicherheit setzte wiederum eine Preisrallye in Gang, die schnell auch an den Zapfsäulen ankam und wiederum eine Reihe anderer Entwicklungen in Gang setzte.
Etwas überspitzt formuliert, lässt sich folgendes Zwischenergebnis festhalten: Beim traditionellen Samstagstriathlon, der aus Autowaschen, Volltanken und dem Spargeleinkauf an der Direktvermarkterbude besteht, blieb den willigen Zahlern erst an der Tankstellenkasse die Luft und dann beim Abhofverkäufer die Kunden weg. Unzählbar sind die Memes in den sozialen Medien, die das Thema zum Luxusgut gewordene Mobilität behandeln, schaler Beigeschmack ist, dass dann eben auch für andere, vermeintlich echte Luxusgüter das Budget fehlt.
Aber auch andere Verkaufskanäle flutschten nicht wie gewohnt. Im klassischen Lebensmitteleinzelhandel zeigte und zeigt die für unsere Bauern ungünstige Positionierung deutscher neben ausländischer Ware unmissverständlich den Preisunterschied auf. Dies ist besonders ärgerlich, da ja auch nicht weiter erläutert wird, warum das so ist, bzw. warum das streng genommen auch so sein muss. Schließlich kann in vielen anderen Ländern nun einmal deutlich günstiger produziert werden als in Deutschland. Das liegt hauptsächlich, aber nicht nur am hohen Lohnniveau hierzulande.
Ähnlich wie das ukrainische Getreide, das in Silos darauf wartet, endlich verschifft zu werden, hatten die Bauern nach einem temperaturbedingt mengenmäßig eher überschaubaren Saisoneinstieg mit den steigenden Temperaturen auf einmal die Kühlungen voll. Klar, dass dadurch dann das bestenfalls partnerschaftliche Miteinander zwischen Produzenten und Handel etwas unter Spannung gerät.
Über den Großhandel floss zwar Ware ab, nur lässt sich das delikate Preisgefüge aus Nachfrage und Angebot gerade bei diesem Absatzweg schon mit geringen Fehlmengen leicht unter Druck setzen. Folge davon war, dass landauf, landab zum Saisoneinstieg über astronomisch hohe, im weiteren Verlauf dann über äußerst niedrige Spargelpreise berichtet wurde, was dann in beiden Fällen auf das Kaufverhalten der Verbraucher hatte.
Es ist müßig, darüber zu diskutieren, ob der viel zitierte Buhmann Lebensmitteleinzelhandel tatsächlich gezielt Ware bei den Produzenten auflaufen lässt, um so den Preisdruck zu erhöhen. Denn eines ist klar: Der einzige Ausweg aus der Preiskrise wäre eine Verknappung des Angebots. Was eine solche Verknappung bewirken kann, lässt sich derzeit am Preis für Sonnenblumenöl beobachten.
Nur lässt sich eine Angebotsreduktion nicht einfach bewerkstelligen. Es liegt nun einmal in der Natur des Menschen, oft das eine zu sagen und das andere zu tun. Das beginnt bei der Kaufentscheidung für oder gegen regional und hört bei „produzieren wir doch alle einmal weniger“ nicht auf. Dazu kommen dann noch Lieferverträge, die relativ großzügig bemessene Strafzahlungen für diejenigen vorsehen, die das Liefermengenziel verfehlen. Dies trägt in Konsequenz ebenfalls dazu bei, dass mehr Spargel und Erdbeeren auf dem Markt sind, als für einen auskömmlichen Preis gut wäre.
Das bringt uns wieder an den Anfang unseres kleinen Ausflugs in die Spargel- und Erdbeerwelt. Ähnlich wie die Landwirtschaft im Großen im Frühjahr nicht auf einmal umschwenken konnte auf Produkte, bei denen sich abzeichnete, dass sie demnächst Mangelware sein könnten, lassen sich auch Spargeläcker und Erdbeerproduktionsflächen nicht einfach so umnützen. Die Kapitalintensität des Geschäfts mit Spargel und Erdbeeren ist enorm: Ware muss fließen, um auf der anderen Seite den Geldstrom nicht versiegen zu lassen.
Und das macht letztendlich jede individuelle Kaufentscheidung auch zu einer politischen Entscheidung. Wollen wir Wertschöpfung auch jenseits der deutschen Industriezentren ermöglichen? Wollen wir unsere Kulturlandschaft als solche erhalten? Wollen wir Produkte, die unter vertretbaren und kontrollierten Bedingungen erzeugt werden? Wollen wir die Weichen stellen in Richtung nachhaltig statt billig – oder sind das nur Lippenbekenntnisse? Angesichts der geopolitischen Großwetterlage darf dann auch die Frage nicht fehlen: Wie abhängig vom Ausland wollen wir sein?
Tim Jacobsen
Danke für den guten Artikel!
Gut beschrieben, der Landwirt in der „Schraubzwinge“ von Handel und Verbraucher einerseits sowie irrlichternder Politik andererseits. Was dem Einen die Erdbeeren, der Spargel , die Heidelbeeren sind dem anderen die Ferkel und Mastschweine.
Am Ende sind alle Menschen in den ländlichen Räumen die großen Verlierer.