Zwar waren deutlich mehr Mitglieder zum Landesjägertag nach Neuss gekommen, als dies noch bei der Corona-geschwächten 2022er Ausgabe in Dortmund der Fall war. Klar dreistellig ist die Anzahl der Anwesenden am 3. Juni dann auch mit Sicherheit gewesen, die angepeilte 1000er Marke wurde wie allerdings schon beim letzten Treffen vor Corona-Zeiten deutlich verpasst.
Der stellvertretende Bürgermeister sowie der Landrat des Kreises Neuss waren noch recht einfach zu begrüßen, schwieriger wurde es dann mit der stellvertretenden Vorsitzenden und den –mitgliedern des Ausschusses mit dem sehr langen Namen, der die Begrüßung der Ehrengäste des Landesjägertags zum einen etwas gar in die Länge zog, zum anderen in der Anmoderation für den einen und anderen Sprachstolperer sorgte. Honni soit, qui mal y pense, wurde in der ganzen AULNV-Begeisterung dann auch noch fast RLV-Präsident vergessen, immerhin nach Geerlings und Petrauschke Grußwort-Sprecher Nummer drei.
Bernhard Conzen, als Jäger, Landwirt und langjähriges RLV-Mitglied in vielerlei Hinsicht selbst betroffen von den Anfang Juni in Neuss diskutierten Herausforderungen, konnte gewissermaßen schon allein von Amts wegen deutlich fundierter Stellung beziehen als seine beiden Vorredner, die sich mehr oder weniger auf die Betonung der Schönheiten ihrer Heimat beschränkten. Der RLV-Präsident schlug einen weiten Bogen vom konstruktiv geprägten Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Jagd hin zu einer zumindest in Teilen „empörungsbereiten Gesellschaft“ und war schnell beim Jahr 2018, dem Jahr, in dem in NRW erste Wolfsindividuen standorttreu wurden.
Aufmerksamen LZ-Lesern wird nicht entgangen sein, wie sich die Konfliktsituation seither verschärft hat. Angesichts dessen, dass mangels Entnahmemanagements wie bspw. in Frankreich die Freilandhaltung in betroffenen Regionen in ihrer Gesamtheit bedroht ist, forderte Conzen einmal mehr eine kritische Überprüfung unseres Umgangs mit dem größten Raubtier aus der Familie der Hunde. Auch die Präsidentin des Landesjagdverbands NRW kam um das Thema Wolf nicht umhin. Die gemeinsamen Interessen von RLV und LJV wurden dabei mehr als deutlich.
Nicole Heitzig erinnerte in ihren jagdpolitischen Ausführungen am Beispiel der Kitzretter aber auch an die „Rendite“, die die Jägerinnen und Jäger der Gesellschaft zurückgeben würden und ermahnte die Anwesenden, dass „wie wir jagen und auftreten“ maßgeblich über die gesellschaftliche Akzeptanz der Jagd entscheiden würde. Nach Funktionsträgern, Präsident und Präsidentin kam dann die in NRW auch für die Jagd zuständige Ministerin ans Wort und brachte, gewissermaßen als Dank für diese „Rendite“ ihre Wertschätzung gegenüber den Leistungen der Jägerinnen und Jäger zum Ausdruck.
Silke Gorißen appellierte an die Jägerschaft, bei der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe einer nachhaltigen Wiederbewaldung und dem Aufbau klimastabiler Wälder nicht nachzulassen. Forst und Jagd seien dabei Partner, „Wild und Wald“ gleichrangig. Die Wiederbewaldung und die Schaffung klimaresilienter Wälder bezeichnete die Ministerin als „eine der größten Herausforderungen unserer Zeit“. Zugleich versprach Gorißen den Jägern Planungssicherheit. Sie verwies darauf, dass keine Novelle des Landesjagdgesetzes geplant sei. Was die Afrikanische Schweinepest angehe, sei man in NRW für den Ernstfall gut vorbereitet und in Sachen Digitalisierung der Verwaltung kündigte Gorißen an, dass die Jagdscheinverlängerung und die Jagdstreckenerfassung zunehmend online erfolgen sollen.
Im Hinblick auf den Einsatz technischer Innovationen und die Ausweitung der Jagdzeiten für Reh- und Schwarzwild appellierte die Ministerin an einen verantwortungsvollen mit den neuen Möglichkeiten. Denn auch Gorißen konnte keine Entwarnung geben: Jägerinnen und Jäger stünden nun einmal unter besonderer Beobachtung der Gesellschaft. Was den Wolf angehe, seien kurzfristig keine Lösungen zu erwarten und werde sich das Problem eher noch verschärfen. Es bestünde zwar ein Austausch mit dem für den Wolf in der Landesregierung zuständigen Umwelt-Ressort, die Ansichten seien aber zu unterschiedlich für schnelle Fortschritte. Fast wünschte man sich, dass unser ebenfalls jagdlich aktiver Landesvater ja mal ein Machtwort sprechen könnte.
Traditionell werden auf dem Landesjägertag auch eine Reihe von Preisen und Auszeichnungen verliehen: Den Biotophegepreis 2023 der Wildtier- und Biotopschutz-Stiftung NRW konnte der Hegering Agger-Sieg in der Kreisjägerschaft Rhein-Sieg für das Projekt „Bestandserhalt und Renaturierung eines Heidemoor-Gagelstrauchbiotops“ einheimsen. Den Lernort Natur-Preis 2023 erhielt die Kreisjägerschaft Bottrop für das Projekt “Natur on Tour”.
Nach der Mittagspause betonte Deutschlands wahrscheinlich einziger Dozent für Wildökologie und Jagdwirtschaft in seinem Vortrag zum Thema „Wald und Wild“, dass der derzeitige Fokus bei der Wiederbewaldung viel zu sehr auf die Wilddichte gerichtet sei. Doch der Ansatz „je mehr ich jage, desto weniger Schäden habe ich“, funktioniere nicht, so Sven Herzog. Sein Appell: „Großflächig denken – kleinflächig jagen“ und empfahl, die Schwerpunktbejagung als Konzept im Waldbau zu integrieren.
Bei Kalamitätsflächen sollte es weniger als Risiko sondern als Chance erachtet werden, auf einem Teil der Fläche „Wildnis“ zuzulassen. „Und warum nicht auf weiteren 5 % der Fläche eine Wildacker einsäen?“ Reiche die Lebensraumkapazität aus und würden trotzdem Schäden auftreten, sei dies ein Zeichen für einen falschen Umgang mit der Wildart. Herzog zufolge sei bspw. Sommerschäle beim Rotwild zu 90 % ein Indiz für falsche Bejagung. Jagdstrategien gelte es dabei stets mit anderen Planungen, insbesondere forstlichen, abzustimmen.
Tim Jacobsen
Schreibe einen Kommentar