Zwar hat sich Bonn im Großen und Ganzen prächtig entwickelt, seit die Hauptstadtwürden dem logischeren Kandidaten Berlin zugetragen wurden, dennoch stolpert man immer wieder über die kleinen Nickligkeiten, an denen sich feststellen lässt, dass früher mehr Lametta war. Da ist dann auf einmal der Bonner Hauptbahnhof weitgehend abgeschnitten vom überregionalen Reiseverkehr oder zieht es die jungen Karrieristen doch eher in die Berliner Amtssitze der auf ehemalige und aktuelle Hauptstadt verteilten Amtssitze unserer Bundesministerien.
Auch die Bonner Dependance des lange unter Renovierungsarbeiten leidenden Deutschen Museums in München musste sich ein bisschen Recken und Strecken, bevor Finanzierung und thematische Ausrichtung standen. Auch wenn Künstliche Intelligenz vielleicht nicht unbedingt das erste ist, was einem unter dem Stichwort museale Anschaubarkeit einfällt, fiel die Wahl genau auf dieses Themengebiet, das trotz aller Abstraktheit heute bereits große Auswirkungen auf unseren Alltag hat und immer Lebens-bestimmender werden wird. Ob tatsächlich, wie, was und warum versucht die Veranstaltungsreihe „KI erklärt“ einzuordnen.
Mitte November erläuterte Was Rahman, Coventry University, die Grundlagen hinter KI-Technologien. Prof. Dr. Olivia J. Erdélyi, University of Canterbury, beleuchtete, wie KI-Regulierung aussehen könnte. KI enmystifziert sich schnell selbst, wenn man gewissermaßen einmal hinter die Kulissen kuckt, oder wie Rahman es mit dem Arthur C. Clark Zitat zum Ausdruck brachte: „Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht mehr zu unterscheiden.“ Und dann hat viel der Faszination über oder auch der Angst davor damit zu tun, dass wir nicht verstehen, wie das Ganze funktioniert. Genauso wie es den Menschen ergangen sein mag, die zum ersten Mal elektrisches Licht sahen.
Und genauso wie Ameisen und Brieftauben weniger intelligent als wir Menschen scheinen, aber erstgenannte in kürzester Zeit gemeinsam hochkomplexe Bauwerke errichten und zweitgenannte über hunderte von Kilometern wieder zurück in den heimischen Schlag finden können, ist das mit der Definition von Intelligenz so eine Sache: Wie smart ist ein Kühlschrank, der einen auf Ablaufdaten hinweist und womöglich selbst Dinge nachbestellt? Wie klug sind Alexa, Siri und Techniken zur Gesichtserkennung? Solange die Technologien nur faszinieren, ist das Rahman zufolge noch kein Beweis für Intelligenz.
Und faszinierend können die mit KI erzeugten Ergebnisse ja sein, auch wenn sie letztendlich nur Regeln, Logik und Wahrscheinlichkeiten widerspiegeln. Die Wahrscheinlichkeiten wiederum werden mit Hilfe sog. historischer Daten errechnet, mit denen die KI trainiert wird: welche Entscheidungen waren erfolgreich, welche waren weniger erfolgreich. Das allzu menschliche „warum“ spielt in dem Zusammenhang dann keine Rolle, Korrelation schlägt Kausalität. Und dann stellt sich die Frage nach „gut“ oder „schlecht“ eher weniger, da es letztendlich auf ein „anders“ hinausläuft. Der Gütegrad dieser „anderen“ Art der Entscheidungsfindung mit Hilfe von KI ist hauptsächlich abhängig von der Qualität der für das Training verwendeten Daten.
Rahman schilderte das Beispiel eines medizinischen Diagnostiktools, das dem Arzt in Fleisch und Blut weit überlegen ist. Oder die Möglichkeit des Einsatzes von KI zum Aufspüren dubioser Finanztransaktionen, was ohne KI oder hinreichenden Anfangsverdachts so gut wie unmöglich war. Er wusste aber auch von einem im Personalwesen verwendeten Entscheidungshilfetools zu berichten, das mit Daten trainiert wurde, die in Folge zu struktureller Diskriminierung führten – und schon nahm die Diskussion um die Forderungen nach Transparenz und Erklärbarkeit der Entscheidungsfindung Fahrt auf. Und da stoßen kommerzielle Anwendungen dann schnell an die Grenzen des Geschäftsgeheimnisses.
Erdélyi erklärte, welche Akteure sich derzeit im Bereich der KI-Regulierung tummeln. Als eine Einführungslektüre in die Gestaltung möglicher Standards verwies sie auf https://oecd.ai/en/ai-principles. Allerdings, und auch das wurde in der Diskussion schnell deutlich, gibt es eine Vielzahl von Akteuren, die außerhalb unserer Rechtsprechung agieren, seien es nun autokrate Staaten, Kriminelle oder die Art von Diensten, die seit jeher das Licht der Öffentlichkeit scheuen. Wie komplex Handlungsempfehlungen sein können zeigte sie an drei Beispielen:
Ein autonom fahrendes Auto hat jeweils nur zwei Möglichkeiten: Im ersten Fall entweder junge oder alte Menschen zu überfahren – auf der linken Spur die Jungen, auf der rechten die Alten. Im zweiten Fall entweder gegen ein Hindernis fahren, was unweigerlich zum Tod der Person am Lenkrad führen wird oder in eine Gruppe Menschen. Im dritten Fall stehen zwei Fahrradfahrer im Weg: lieber den mit Helm anvisieren oder den ohne Helm? Drei Fragestellungen, für die auch Mitte November im Vortragssaal des Bonner Deutschen Museums keine abschließende Lösung gefunden wurde, die auch nicht ganz neu sind, aber das strukturelle Dilemma gut charakterisieren. Tim Jacobsen
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