Die meisten Drehbuchautoren wären wahrscheinlich überfordert, müssten sie sich eine Geschichte ausdenken, in der eine Handvoll rebellischer Gärtner aus der nicht nur geographisch regierungsfernen Provinz Nordholland innerhalb weniger Jahre die Fundamente der umsatzstärksten aller niederländischen Productschappen, der Productschap Tuinbouw (PT), ins Wanken bringt.
Rund 40 % ihres Budgets von zuletzt über 70 Mio. € steckt die öffentlich-rechtliche PT jährlich in generische Marketingmaßnahmen. Und genau an diesem Punkt setzt die Kritik an: Finanziert wird die PT nämlich über ein feingestaffeltes Abgabensystem, dem diesseits der Legalität nicht zu entkommen ist. Betriebe, die jährlich mehr als 200 000 € Abgaben an die PT entrichten, sind keine Seltenheit.
Nicht unbedingt ein Wunder, dass sich da so mancher Betriebsinhaber denkt, es wäre besser, das Marketing selbst in die Hand zu nehmen. Immerhin würde dies erlauben, genau zu den Zeiten auf den Märkten tätig zu werden, die dann auch tatsächlich von Interesse sind.
Das Bloemenbureau Holland (BBH) als einer der Nutznießer dieser Aufwendungen für Gemeinschaftsmarketing argumentiert, dass nur in Ländern, in denen die Niederlande mehr als 50 % Marktanteil haben, entsprechende Werbemaßnahmen durchgeführt würden. Und da Blumen ja keine Markenartikel seien, wäre dem BBH zufolge kollektive Reklame ganz besonders vonnöten: Schließlich müsse man die wahre Konkurrenz für Blumen ja in den Bereichen Schokolade und Parfum suchen und nicht bei Blumen aus anderen Ländern.
Worauf die Kritiker dann wiederum auf die Rolle der Niederlande als Drehscheibe des Handels mit Gartenbauprodukten verweisen. Deswegen könne man die 50 % Hürde wahrscheinlich nur in den seltensten Fällen mit Gartenbauprodukten überspringen, die auch tatsächlich aus den Niederlanden stammen. Und wenn man dann noch Schokolade und Parfums dazu rechne, komme man nie und nimmer über die 50 %-Marke.
Generische Reklame für Produkte zu machen, von denen über die Hälfte nicht aus den Niederlanden stammen, sei wenig sinnvoll, solange dafür nur die niederländischen Produzenten bezahlen, lautet ein in der Auseinandersetzung immer wiederkehrendes Motiv.
Hauptinitiator der Kritik ist die so genannte Nieuwe Vrije Agrarische Federatie (NVAF). Ihr Vorsitzender Clemens Fischer und dessen Mitstreiter verstanden es, die öffentliche Diskussion über die Zukunft des Productschap-Wesens durch großen persönlichen Einsatz, geschickte Medienarbeit und spektakuläre Aktionen in Gang zu setzen – und zu halten.
Dabei wurde nicht nur mit scharfen Worten geschossen: Das Gebäude der Productschap Tuinbouw in Zoetermeer (NL) wurde Ende Januar 2005 besetzt – von Sympathisanten, wie NVAF meldete, um jede Verantwortung für diese Aktion von sich weisen zu können. Der Hauptsitz des Kontrollorgans der Productschappen wurde am 8. März 2005 von der Außenwelt abgeschlossen und seine Zugänge besetzt. Auslöser für diese Aktion war eine am selben Tag stattfindende Parlamentsdebatte über die Zukunft der Productschappen.
Hauptinitiator der Kritik ist die so genannte Nieuwe Vrije Agrarische Federatie
Tim Jacobsen
Vorläufig letzter Höhepunkt der Auseinandersetzung um das Wohl und Wehe der Productschap Tuinbouw war eine Mitte April dieses Jahres äußerst kontrovers geführte Debatte im niederländischen Parlament, die deutlich machte, dass die althergebrachte Pro-Productschap-Mehrheit des Parlaments bröckelt und zukünftige Abstimmungen keine reine Formsache mehr sein werden.
Seit ihrer Gründung im Jahre 2004 stellen die Wortführer der NVAF in regelmäßigen Abständen die Legitimität des Vertretungsanspruchs des niederländischen Bauernverbandes LTO mit dem Verweis darauf in Frage, dass weniger als die Hälfte der agrarischen Unternehmer Mitglied in dieser berufsständischen Vertretung seien.
Mehr als auf den ersten Blick deutlich wird, zielt dieses Argument auch in Richtung Productschap: Da aus der Productschap selbst nicht ausgetreten werden kann, ist neben der Totalverweigerung der Entrichtung der parafiskalischen Abgaben der Austritt aus der LTO die einzige Möglichkeit, Unmut zu äußern.
Noch in diesem Jahr will das niederländische Parlament über die Zukunft auch der Productschap Tuinbouw entscheiden. Der Ausgang dieses Verfahrens gilt als weitgehend offen. Obwohl die kritischen Stimmen rein rechnerisch in der Mehrheit sind, wird wahrscheinlich am Ende der Abstimmung ein Kompromiss stehen. Dieser könnte zu einer weiteren Demokratisierung dieser in vielen Dingen im Verborgenen operierenden Organisation führen.
Tim Jacobsen
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