Gerne bestätigen wir uns gegenseitig in Umfragen, das Gute tun und das Böse lassen zu wollen. Gerne üben wir verbal Verzicht, besonders dann, wenn es darum geht, die Zerstörung der Umwelt stoppen oder all denen helfen zu wollen, denen es schlechter geht als uns. Dennoch scheint kaum jemand von uns in der Lage zu sein, der Sogwirkung zu entkommen, die Billigangebote ausüben.
Dabei braucht es nicht allzu viel Fantasie, herauszufinden, wie es denn sein kann, dass die Taxifahrt zum Flughafen heutzutage oftmals teurer ist als der Flug selbst. Stellenabbau, Niedriglöhne und die großzügige Umlage der Umweltkosten auf die Allgemeinheit machen es möglich.
Um preiswertes auch in Zukunft günstig einkaufen zu können, ruft die planmäßige Bespitzelung von Mitarbeitern kaum Empörung hervor. Auch die Verweigerung allgemein üblicher Rechte wird stillschweigend in Kauf genommen, um weiterhin zu Ladenpreisen einkaufen gehen zu können, die den Produzenten nicht nur das allerletzte abverlangen, sondern auch eine umweltgerechte Produktion in vielen Fällen weitgehend verunmöglichen.
Die Schändung von Menschenrechten finden wir entsetzlich. Auf in China produzierte Waren wollen wir allerdings allenfalls verzichten, wenn wieder einmal Schwermetalle in Kinderspielzeug nachgewiesen werden. Nur wenig unterscheidet uns also von den Strategen in den Chefetagen der Multinationals. Auch dort werden letztendlich nur Preise verglichen und im Regelfall Entscheidungen zu Gunsten des günstigsten Angebots gefällt.
Wehe aber, die Einschläge nähern sich unserer Haustür. Der Aufschrei war groß, als Anfang des Jahres mit der Schließung des Nokiawerkes in Bochum nach BenQ und Motorola der letzte Mobiltelephonhersteller Deutschland verließ und damit innerhalb weniger Monate über 10 000 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers eilte damals umgehend nach Bochum, entrüstete sich, versprach den versammelten Mitarbeitern Hilfe und geißelte den Nokia-Konzern als „Subventionsheuschrecke“.
Letztendlich unterscheidet uns allerdings nur die Höhe des Einsatzes von den Konzernlenkern international tätiger Großkonzerne, denen wir Stellenabbau und Sozialdumping vorwerfen. Schließlich drücken wir durch unser Konsumverhalten die Preise, bis als Produktionsstandort nur noch Billiglohnländer in Frage kommen. Anders als noch vor wenigen Jahren befürchtet, sind es nicht die Ausländer im Inland, die uns die Arbeit wegnehmen, sondern die Ausländer im Ausland.
Ohne Billigboom hätte es aber wahrscheinlich den Bioboom nie gegeben
Tim jacobsen
Es ist ein leichtes, die Industriepolitik der Bushadministration zu kritisieren. Allerdings sind es nicht die USA, sondern die privaten Haushalte, die in ihrer Gesamtheit in den letzten Jahren die größten Steigerungsraten beim Energieverbrauch aufweisen. Es ist ja auch nur zu einfach. Wenn uns kalt wird, schalten wir die Heizung ein und abends bleiben nur die wenigsten Zimmer dunkel. Steigen dann die Energiepreise, kommt beinahe augenblicklich eine breite Protestfront zustande, die nicht einmal vor politischen Gegensätzen Halt macht.
Fast scheint es, als ob wir das Gegenteil tun von dem, was wir zu wollen vorgeben. Seit zwei Jahren können Österreichs Konsumenten zwischen Milchprodukten aus konventioneller, ökologischer und einer so genannten fairen Produktion wählen. Von einem Erfolgsmodell zu sprechen, hieße die Realität auf den Kopf zu stellen. In Deutschland verlor im selben Zeitraum die Bio-Rakete deutlich an Fahrt. Das im letzten Halbjahr verzeichnete Ausgabenplus im Frischebereich entspricht beispielsweise nur noch in etwa der allgemeinen Preissteigerung in diesem Marktsegment.
In demselben Maße, in dem über die Jahre hinweg unser Bewusstsein für weltweite Ungerechtigkeit und die Grenzen des Wachstums wuchs, wurde es schwieriger, den Verführungen der Billiganbieter zu entkommen. Ohne Billigboom hätte es aber wahrscheinlich den Bioboom nie gegeben. Das an der einen Stelle ausgegebene muss schließlich anderenorts eingespart werden. Heutzutage wird wie beim Metzger eingekauft: neben dem Billigsten, darf es immer auch ein bisschen vom ökologisch sinnvollsten gewürzt mit einer Prise vom Besten sein.
In einer perfekten Welt gäbe es keinen Anlass, über die Höhe angemessener Erzeugerpreise zu diskutieren. Da die Welt allerdings nicht so perfekt ist und Nachhaltigkeit, Fairness und Gerechtigkeit allenfalls erstrebenswerte Ideale darstellen, bleibt als einziger Ausweg, die Kaufentscheidung emotional aufzuladen. Sollen sich die Portmonees an der Gemüsetheke weiter öffnen, wird das keine rationelle Entscheidung der Konsumenten sein. Was wir brauchen, sind professionelle Marketingkonzepte, die sowohl Konsumenten als auch die Entscheider in den Einkaufsgremien der Supermärkte ansprechen. Zu argumentieren, dass die Preise zu niedrig sind, überzeugt nur diejenigen, die das sowieso schon immer gewusst haben.
Tim Jacobsen
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