Die Sorge der Investoren vor einem weiteren Abrutschen der Weltwirtschaft ließ die Ölpreise Mitte Oktober auf ihren niedrigsten Stand seit 13 Monaten fallen. Mit deutlich unter 75 US$ lag der Preis für diesen in 159 l-Einheiten gehandelten Energieträger unter der Hälfte des noch im Sommer dieses Jahres herrschenden Rekordpreises von fast 150 US$. Aber auch 75 US$ sind viel, zu mindest verglichen mit den Preisen von vor fünf Jahren. 2003 wurden die Erdölfässer noch für weniger als 30 US$ gehandelt. Trotz einer Verdreifachung des Preises innerhalb von fünf Jahren gilt Öl im Augenblick gerade als billig.
Würde er nicht hehre Ziele verfolgen, müsste man Dan Ariely als Schwindler bezeichnen. Er verteilt beispielsweise Vitamin-C-Tabletten an Versuchspersonen und behauptet, es handle sich dabei um ein sehr wirksames neues Schmerzmittel. Die Ergebnisse dieser Schwindeleien rechtfertigen diese auf den ersten Blick ethisch kaum vertretbaren Handlungen. Das vermeintliche Schmerzmittel lindert tatsächlich den Schmerz der Probanden. Der Versuch mit den Vitamin-C-Tabletten bringt aber nicht nur die an sich wenig neue Erkenntnis, dass Placebos eine positive Wirkung auf die Gesundheit der Patienten haben können. Ariely fügte diesem Experiment, auch eine ökonomisch bedeutsame Variante hinzu:
Die Versuchspersonen bekamen nicht nur Vitamin C als Schmerzmittel aufgeschwatzt, es wurden ihnen auch unterschiedliche Preise suggeriert. Je teurer das Vitamin-C-Schmerzmittel war, umso stärker linderte es den Schmerz der Versuchspersonen. Mit anderen Worten: Je teurer etwas ist, umso besser ist es in unserer Erwartung, und umso besser ist es auch in unserer Wahrnehmung – obwohl der Preis nicht notwendigerweise immer etwas mit der Qualität des Produktes zu tun hat.
Ariely ist einer der Gründerväter einer neuen Forschungsrichtung, die das mechanistische Menschenbild der Ökonomie mit Erkenntnissen der Psychologie verbindet. Die dabei erzielten Ergebnisse belegen, dass wir Menschen eben doch keine rationalen kalten Rechenmaschinen sind und nur wenig mit dem vielen Wirtschaftstheorien zugrunde liegenden Menschenbild des Homo Oeconomicus gemein haben. In Wirklichkeit, so Ariely, verhalten wir uns im Alltag, im Beruf und in der Liebe hochgradig irrational.
„Je teurer etwas ist, umso besser ist es in unserer Erwartung, und umso besser ist es auch in unserer Wahrnehmung“
Dan Ariely
So irrational sogar, dass diese Irrationalität vorhersehbar ist. Ariely zufolge begehen wir nicht nur immer die gleichen Fehler, sondern machen sie auch immer und immer wieder, ohne viel daraus zu lernen. Einer Gruppe von amerikanischen Studenten präsentierte Ariely mehrere Weinflaschen, einen Trackball, eine Tastatur mit Maus, ein Buch und eine Pralinenschachtel und fragte sie, wie viel sie jeweils dafür bezahlen würden. Vor Abgabe der Gebote mussten die Probanden die letzten beiden Nummern ihrer Sozialversicherungsnummer notieren und bei jedem Produkt angeben, ob sie diesen Betrag in Dollar dafür ausgeben würden.
Nur welcher vernünftige Mensch lässt sich nun von den letzten beiden Zahlen seiner Sozialversicherungsnummer beeinflussen? Das verblüffende Ergebnis: fast jeder. Die Studenten mit den höchsten Endziffern gaben signifikant höhere Gebote ab als diejenigen mit niedrigen Endziffern. Solange Kaufentscheidungen durch willkürliche Einflüsse manipuliert werden können, argumentiert Ariely, dürfe man sich nicht darauf verlassen, dass das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage automatisch zu Marktpreisen führe, die den größten Nutzen für alle Beteiligten widerspiegelten – wie es die traditionelle Wirtschaftstheorie voraussagt.
Eindrucksvoll sind auch die Experimente, mit denen er zeigt, wie sehr sexuelle Erregung Kaufentscheidungen beeinflussen kann. Nach dem Betrachten von Fotos attraktiver Frauen waren Männer durchgängig bereit, beispielsweise deutlich mehr Geld für Geschenke auszugeben. Der Mensch neige in emotional aufgeladenen Zuständen eben zu falschen Entscheidungen, folgert Ariely. Niemand, so seine beruhigende Botschaft, sei allerdings der Macht der Unlogik hilflos ausgeliefert. Wer wachsam ist und begreife, wann und wo er sich irrational entscheide, dem könne es gelingen, vorhersehbar irrationales Handeln zu vermeiden.
Die Finanzkrise und die abflauende Weltwirtschaft haben den Ölpreis in den vergangenen dreieinhalb Monaten stetig fallen lassen. Weder die Tropenstürme Gustav und Ike und die damit verbundene erhebliche Einschränkung der Ölförderung im Golf von Mexiko noch die Rettungsmaßnahmen für die Finanzbranche konnten diesem Preisverfall Einhalt gebieten. Wie sich der Ölpreis in Zukunft weiter entwickeln wird, ist eine gute Frage, auf die es keine seriöse Antwort gibt. Schließlich gerät die Öl verbrauchende Wirtschaft erst jetzt gerade ins Schlingern.
Tim Jacobsen
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