Eine leise Vorahnung, dass der Vorstoß der Europäischen Kommission, bis Ende 2013 einen Weg hin zu einem „einfacheren, robusteren und effizienteren MwSt.-System“ zu finden noch so manche Fallstricke bergen wird, beschleicht einen spätestens beim Blick auf den Kassenzettel der Feiertagseinkäufe: Für die französische Gänseleber, den Apfel vom Bodensee und die Garnelen aus dem arktischen Ozean wird der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent berechnet; für Erdbeeren in Marmeladenform und den Birnensaft vom Direktvermarkter ums Eck sind hingegen volle 19 % fällig.

Kein Wunder, dass auch der Bundesrechnungshof dem gesunden Menschenverstand beipflichtet und der Bundesregierung im Jahr 2010 mit auf den Weg gab: „Der Katalog der begünstigten Gegenstände ist unübersichtlich und teilweise widersprüchlich. … Bei einer Reihe von Gegenständen ist zudem nicht zu begründen, warum der ermäßigte Steuersatz gewährt wird. Teilweise mutet die Abgrenzung willkürlich an.“

Die Bundesregierung nahm sich seinerzeit der Aufgabe an und setzte, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Kommission ein, „die sich mit … dem Katalog der ermäßigten Mehrwertsteuersätze“ befassen sollte. Neben einer nicht gerade überraschenden Meinungsvielfalt in der Koalition führten die Machtverhältnisse im Bundesrat im weiteren Verlauf dazu, dass das noch im Februar 2011 vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle lauthals als „Flurbereinigung bei den Steuersätzen“ postulierte Projekt bereits im Laufe des darauf folgenden Sommers still und heimlich wieder in den Schubladen verschwand. Glück im Unglück, möchte man meinen angesichts von Vorschlägen, die nicht weniger als eine Abschaffung aller Vergünstigungen einhergehend mit einer Senkung des regulären Steuersatzes forderten. Zudem es ja auch wenig wahrscheinlich scheint, dass die Bundesregierung mit ähnlich gearteten Slogans in den Wahlkampf ziehen könnte.

„Flurbereinigung bei den Steuersätzen“

Forderung von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle

Allerdings kann bis zum 22. September 2013 noch viel passieren und das schlimmstmögliche Szenario wäre dann auch vielleicht gar nicht einmal ein weitreichender Meinungsumschwung im Wahlvolk, sondern ein Abflauen der derzeit insbesondere den Deutschen günstig gewogenen Konjunktur: Unbarmherzig würde dies die Schieflage des Bundeshaushaltes entlarven und unweigerlich Kaskaden von Vorschlägen zur Stopfung der größten Haushaltslöcher in Gang setzen. „Schäubles Liste“, die passend zum Weihnachtsfest ihren Weg in das Nachrichtenmagazin Der Spiegel fand, gibt einen Vorgeschmack auf das, was uns möglicherweise erwartet.

Zwar würde aus dem dann einsetzenden Hauen und Stechen nicht unbedingt die Berufssparte mit der schlüssigsten Argumentation als Sieger hervorgehen, gleichwohl hätte der Zierpflanzenbau eine Reihe schlüssiger Argumente auf seiner Seite. Wurde bisher immer das mittlerweile schon etwas angestaubte Beispiel Frankreich herangezogen, steht nun mit den Absatzentwicklungen in den Krisenländern Südeuropas hochaktuelles Zahlenmaterial zur Verfügung.

So wurde beispielsweise in Spanien im September letzten Jahres der Mehrwertsteuersatz für Blumen dem Regelsatz angeglichen, was im Folgemonat zu einem Umsatzrückgang von rund 15 % führte. Einen Nettoumsatzrückgang in ähnlicher Größenordnung hatten die französischen Kollegen erlebt, nachdem der Gesetzgeber dort im Jahr 1991 die Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für Zierpflanzenprodukte strich. Zwar stieg der Bruttoumsatz im Folgejahr leicht an, ob das vermehrte Steueraufkommen jedoch die Entlassung von weit mehr 10 000 Mitarbeitern kompensieren konnte, wird von Fachleuten zu mindest in Zweifel gezogen.

Schließlich sprechen die Zahlen, wie sie beispielsweise die Agrarökonomen des niederländischen LEI errechnet haben, für sich. Würden in allen EU-Ländern die ermäßigten Mehrwertsteuersätze für Zierpflanzenprodukte den regulären Sätzen angeglichen, hätte dies im europäischen Einzelhandel einen Umsatzrückgang von 3,5 Mrd. € zur Folge. Der europäische Großhandel müsste rund 2,7 Mrd. € kompensieren, auf Produktionsebene kämen noch einmal Umsatzverluste in Höhe von 1,7 Mrd. € hinzu.

Knapp 29 000 Arbeitsplätze gingen dadurch in der Produktion verloren, im Handel kämen noch einmal knapp 31 000 verlorene Arbeitsplätze dazu. Und nicht nur in Europa würde dieser Kahlschlag seine Spuren hinterlassen: Die afrikanischen Schnittblumenexporteure hängen beispielsweise nahezu vollständig vom europäischen Binnenkonsum ab.

Die Frist, bis zu der EU-Kommissar Algirdas Šemeta Vorschläge zur Reform des Mehrwertsteuersystems für die Ausarbeitung seines Rechtsvorschlags berücksichtigen wollte, lief am 3. Januar 2013 weitgehend unbemerkt ab. Ein Schicksal, das er mit seinem Kommissionskollegen Dacian Cioloş teilt: Als dieser die Bürgerinnen und Bürger Europas aufforderte, Vorschläge zur Gestaltung der zukünftigen gemeinsamen Agrarpolitik zu machen, kam er gerade mal auf 5 000 Einsendungen.

Tim Jacobsen