In dem Maße, in dem wir alle zunehmend in unsere eigenen vier Wände zurückgeworfen werden, lassen sich die in den letzten Wochen in etwa verdoppelten Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel nicht länger durch Bevorratungskäufe erklären als vielmehr durch den erhöhten Lebensmittelbedarf durch Privathaushalte, die nicht länger mittags in Kantinen oder Mensen verpflegt werden und trotzdem gerne eine warme Mahlzeit am Tag hätten.

Und während Kartoffeln im Frühjahr 2020 sogar ein gutes Stück günstiger sind als im letzten Jahr, könnten die Frischgemüsepreise demnächst zu einem regelrechten Höhenflug ansetzen: Spanische Ware ist knapp, nicht nur, weil auch auf der iberischen Halbinsel Erntehelfer fehlen, sondern auch, weil die behördlicherseits verhängten Auflagen dort vergleichsweise rigide ausfallen und die logistischen Herausforderungen kaum zu bewältigen sind.

Allen Initiativen, die derzeit versuchen, den Arbeitskräftebedarf auf den Feldern bei uns mit Hilfe der einheimischen Bevölkerung oder Chartermaschinen zu decken, sei gutes Gelingen gewünscht – genauso wie, dass die gelockerte Regelgebung für Saisonarbeitskräfte die gewünschte Wirkung zeigt. Unser Selbstversorgungsgrad bei Obst und Gemüse von rund 40 % legt die Vermutung nahe, dass die Preishausse dann auch eine Zeit anhalten könnte.

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Tim Jacobsen

Dass die vielerorts angelegten Pasta- und Mehllager Lust auf Abwechslung mit Geschmack machen, beweist die nicht nur Ramadan-bedingt stark gestiegene Nachfrage nach Speisezwiebeln. Auch die weiteren Aussichten für Kartoffeln und maschinenfähiges Gemüse wie Möhren oder Zwiebeln stimmen positiv. Weniger gut sind die Aussichten für unsere britischen Freunde.

Eine Landwirtschaftspolitik, die auf Importe nicht nur als Lückenfüller sondern als strukturellen Bestandteil des Warenangebots setzt, zeigt nun ihre Tücken: Lebensmitteleinzelhändler begannen Mitte März mit der Rationierung ihrer Warenabgabe. Bei einem so genannten Food trade gap in Höhe von jährlich 25 Mrd. £ grenzt die No-deal-Entscheidung im Lichte der Versorgungssicherheit nahezu an Selbstverstümmelung.

Ob im Zuge dieser Entwicklungen die Subventionen für landwirtschaftliche Betriebe tatsächlich wie von der britischen Regierung beschlossen und von den Betroffenen vielleicht etwas gar zu stoisch hingenommen gestrichen werden, wird die Zukunft zeigen. Keinesfalls zurückhaltend zeigte sich dieser Tage Land schafft Verbindung:

In Wildwestmanier in einem offenen Brief der EU-Kommissionspräsidentin zu drohen, die Lebensmittelproduktion Deutschlandweit drosseln zu wollen, wenn nicht vorerst alles beim Alten bleibt, wird nicht nur beim Verbraucher schlecht ankommen, sondern auch mühsam geöffnete Türen in Richtung Politik wieder verschließen. Es wäre eine böse Unterstellung, zu vermuten, dass auch Dirk Andresens 1300 ha angesichts von 1500 Säuen an ihre Grenzen kommen und er schon allein deshalb ein ganz eigenes Interesse an einer Verhinderung der Novellierung der Düngeverordnung hat.

Auch wenn die Corona-Pandemie fraglos zeigt, wie fragil unser globalisiertes Wirtschaftssystem ist und viele derzeit die großen ökonomischen Leitlinien hinterfragen, wird es auch eine Zeit nach Corona geben – es bleibt zu hoffen, dass der Aufruf, Maß zu halten auch die Rückkehr in die Normalität überlebt.

Tim Jacobsen