Ja, liebe Kinder, es gab einmal eine Zeit, da haben sich nicht alle hinter Masken versteckt. Das war ungefähr genau zu derselben Zeit, als zu wenig Abstand zwar als unangenehm, aber nicht als möglicherweise Tod-bringend empfunden wurde.
Es hat im letzten Jahr nicht lange gedauert, bis Zugangsbeschränkungen für Supermärkte der Normalzustand geworden waren und Restaurantbesuche etwas, das bald nur noch Kindheitserinnerungen glich.
Die Bilder von den ersten deutschen Touristen, die Mitte Juni letzten Jahres nach drei Monaten faktischer Nichterreichbarkeit wieder auf der Baleareninsel Mallorca landen durften, erinnerten in ihrer Emotionalität beinahe an die deutschdeutsche Grenzöffnung.
Fast schien es, als ob am Flughafen abgetastet zu werden, möglicherweise auf dem Weg dahin im Stau zu stehen um dann supergestresst den allerletzten Platz im Parkhaus zu ergattern, natürlich halb zugeparkt vom Nachbarauto, genau das Leben gewesen war, dass wir mit sofortiger Wirkung gerne genau so wieder haben wollten.
Neben den Beklatschten und dann nur in Einzelfällen zusätzlich entlohnten gab es in der Pandemie auch die, die sich schön einrichteten in der Bequemlichkeit des Homeoffices. Sorgten im Frühjahr 2020 in Videokonferenzen hereinplatzende Kinder oder plötzlich auftauchende Boxershorts noch für Klickzahlen auf Youtube, lösten ein Jahr später entsprechende Videoclips selbst bei den Betroffenen allenfalls noch Gähnreiz aus.
Die gute Nachricht: mittlerweile gibt es so gut wie keine Totalverweigerer mehr, was Onlinekommunikationsmöglichkeiten angeht. Was das für die Zukunft bedeutet, kann allerdings nur die Zukunft zeigen.
So teilte sich die Gesellschaft in die, die länger schlafen konnten, da ihnen ja jede Menge Pendelei erspart blieb, und die, deren Schichten im Krankenhaus stets länger und länger wurden – oder deren Zustellbüschen immer tiefer und tiefer in den Stoßdämpfern hing.
Die Jogginghosenfraktion sorgte in Kooperation mit den Zustellbrigaden dafür, dass Amazon letztes Jahr seinen Gewinn gegenüber dem Vorjahr verdoppeln konnte. Mindestens vierfach war wahrscheinlich die Freude bei Jeff Bezos: die rekordverdächtigen 5,2 Mrd. US$ musste er erstmals nicht mit einem Ehepartner teilen.
Rekordverdächtig auch die Anzahl der Häufigkeit des Abrufs von Fehlinformationen im Internet: rund 3,8 Mrd.-mal soll 2020 auf so genannte Fake News geklickt worden sein. Seiten, die im Internet einen Zusammenhang zwischen dem Mobilfunkstandard 5G und Covid-19 herstellen, scheinen besonders beliebt gewesen zu sein. Da ist es fast schon eine Randnotiz, dass Facebook weltweit mittlerweile 1,8 Mrd. Nutzer zählt.
Verrückte Zeiten
Tim Jacobsen
Kinofilme, die es nicht ins Kino geschafft haben, da niemand ins Kino durfte, laufen auf den einschlägigen Streamingplattformen, die wiederum auch Rekordgeschäftsergebnisse verbuchen konnten. Hightechfitnessgeräte ermöglichen ein betreutes Training, das dem im echten Studio kaum nachstehen muss, ohne das Haus verlassen zu müssen.
Mahlzeitpakete schenken das Glücksgefühl gelungener Gerichte, ohne dafür Einkaufslisten schreiben oder Kochbücher studieren zu müssen. Die entsprechenden Anbieter verzeichnen naturgemäß ebenfalls Rekordumsätze und werden in den entsprechenden Statistiken über Absatzwege mittlerweile wie selbstverständlich neben den traditionellen Lebensmitteleinzelhändlern aufgeführt.
Und so ist die spannende Frage, wohin unsere gemeinsame Reise denn gehen wird: zwar sind wir zweifelsohne soziale Wesen, die sich in Gemeinschaft am wohlsten fühlen. Aber wir sind auch Gewohnheitstiere, die sich nur schwer aus dem Trott bringen lassen: stabile vier Fünftel befürworten in Umfragen einen entschlossenen Kampf gegen den Klimawandel. Die Umsatzzahlen der deutschen Autoindustrie erreichten Ende Mai aber bereits wieder das Niveau der Vorcoronazeit.
Mit mittlerweile mehr als 1 Mrd. Euro bewerten Investoren ein Berliner Startup namens Gorillas. Hinter dem einer Primatengattung aus der Familie der Menschenaffen entlehnten Namen verbirgt sich ein so genannter Liefer-Supermarkt. Fahrradkuriere liefern Lebensmittel, die die Kunden per App bestellen. Die Auswahl ist zwar nicht so groß wie in klassischen Supermärkten, für den täglichen Bedarf reicht es jedoch allemal. Preislich liegt das Angebot nur wenig über dem Niveau der stationären Konkurrenten wie Rewe und Edeka.
Auf den Produktpreis wird eine Liefergebühr von 1,80 € aufgeschlagen. Umgerechnet in Mindestlohn wären das zehn Minuten vom Verlassen des eigenen Hauses bis zum Einräumen des Kühlschranks. Es könnte also durchaus sein, dass einige doch noch etwas länger brauchen, bis sie wieder außerhalb der eigenen vier Wände anzutreffen sind. Zehn Minuten soll auch die Lieferzeit von der Bestellung bis zur Haustür betragen.
Tim Jacobsen
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