"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Autor: juetim (Seite 11 von 17)

Seit dem erfolgreichen Abbruch einer wissenschaftlichen Karriere lebt und arbeitet Tim Jacobsen gemeinsam mit Frau, Familie, Goldfischen und Katze in Bonn

AHA

Die Corona-Regeln sind ein Flickenteppich. Und während manche wie Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans ein einheitliches Vorgehen wenn schon nicht Europa-, dann zumindest bundesweit fordern, sprechen sich andere wie Partei- und Amtskollege Rainer Haselhoff gegen starre Regeln aus. Wie so oft, scheint auch in diesem Fall der Mittelweg die beste Lösung: Ein einheitliches Vorgehen sowohl innerhalb Deutschlands als auch in der EU, gepaart mit strengeren Maßnahmen, wenn es das Infektionsgeschehen notwendig macht.

Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, warum das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht EU-weit geregelt wird, genauso wie für Feste und Veranstaltungen standardisierte Vorgaben gelten sollten, die sich für jedermann nachvollziehbar an der Zahl der Neuinfektionen in der jeweiligen Region orientieren. Auch müssen Quarantänemaßnahmen und Testauflagen für Reisende einer klaren Logik folgen, sonst führen sie zu einer frustrierenden Verwirrung bei den Betroffenen. Eines ist klar: Wer beim Regelwerk nicht (mehr) durchblickt, ist eher geneigt, es nicht zu befolgen.

Klar ist auch: Obwohl sich die Vorhersagen der Epidemiologen in so manchem Detail unterscheiden, scheinen zwei Tatsachen unstrittig: das Virus Sars-Cov-2, das Covid-19 verursacht, wird uns auch weiterhin erhalten bleiben. Gleichzeitig wird der Erfolg in der Pandemiebekämpfung maßgeblich auch vom Erfolg der Präventionsmaßnahmen abhängen. Und da scheint einiges in die richtige Richtung in Bewegung gekommen zu sein: die weitgehende Einhaltung der von der Bundesregierung proklamierten AHA-Regeln scheint tatsächlich dazu zu führen, dass allen Lockerungen zum Trotz der Anstieg an Neuinfektionen nicht die prognostizierten Steigerungsraten erreicht.

Eines ist klar: Wer beim Regelwerk nicht (mehr) durchblickt, ist eher geneigt, es nicht zu befolgen

Tim Jacobsen

Im siebten Monat seit Ausbruch der Pandemie in Deutschland ist dies immerhin ein kleiner Lichtschimmer am Horizont, auch wenn höchstwahrscheinlich noch ein sehr langer Weg vor uns liegt. Abkürzen ließe sich dieser nur, wenn je nach Schätzung zwischen 55 und 80 % der Bevölkerung immun gegen das Virus wären, sei es nun aufgrund einer Infektion oder eines Impfstoffs. Aber auch wenn wir von diesen Zahlen noch meilenweit entfernt sind, haben wir es mit „Abstand, Hygiene, Alltagsmasken“ ein zumindest kleines bisschen auch selbst in der Hand, ob die 500 Krankenhausbetten in Messehalle 26 zumindest perspektivisch wieder Platz machen können für eine Grüne Woche mit Publikumsverkehr.

Tim Jacobsen

Wir sind Präsident

Gar nicht so einfach: Selbst Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verwechselte kurz vor ihrer Wahl ins höchste EU-Amt Europäischen Rat und Rat der Europäischen Union und erntete dafür jede Menge Spott. Damit nicht genug, gibt es auch noch den Europarat, der aber ist eine eigenständige Organisation, die mit der EU nichts zu tun hat. Der Europäische Rat hingegen ist das Gremium der Staats- und Regierungschefs, das die ganz großen Linien vorgibt. Der Rat der Europäischen Union sind dann eine Stufe kleiner all die Ministerräte, in denen Gesetzgebung verhandelt und die Politik von 27 Ländern koordiniert wird.

Und da es um EU-Institutionen geht, werden die Verwirrmöglichkeiten weitestgehend ausgeschöpft: Neben einer alle sechs Monate wechselnden EU-Ratspräsidentschaft gibt es seit dem Vertrag von Lissabon auch noch die ständige Präsidentschaft. War Angela Merkel bei ihrem erstem EU-Ratsvorsitz im Jahr 2007 noch `die´ unangefochtene Gipfelhoheit, hat der Europäische Rat nun einen eigenen Ratspräsidenten, auf Donald Tusk folgte zuletzt Charles Michel. Dennoch ist es nicht vermessen, zu behaupten, dass Angela Merkel seit dem 1. Juli 2020 mit dem Vorsitz im Rat der Europäischen Union gewissermaßen die Geschäftsführung Europas innehat. Ein bisschen erinnert das Ganze an eine Hauseigentümergemeinschaft. Jedes halbe Jahr hat ein anderer die Aufgabe, die Arbeiten am und im Haus abzustimmen. Einer will neue Fenster, der andere einen Pool im Garten. Diese Interessen müssen zusammengeführt werden – das beinhält die Ratspräsidentschaft im wesentlichen.

Auch 2007 war die Situation nicht einfach: der mühsam ausgearbeitete Verfassungsvertrag wurde in den Niederlanden und Frankreich abgelehnt und auch vor dreizehn Jahren rätselte die Europäische Union, wie es weitergehen solle. Zwar wurde auch damals in Brüssel schon lange nicht mehr über Gurkenkrümmung diskutiert; von den Krisen, die in den folgenden Jahren die Fundamente Europas erschütterten, fehlte allerdings noch jede Spur: Banken, Finanzen, Griechenland, Euro, Migration, Brexit – das gemeinsame europäische Haus wurde wackeliger und wackeliger. Und als wäre das alles noch nicht Herausforderung genug, erschütterte das Coronavirus die Grundfeste Europas: den Binnenmarkt. 470 Mio. Verbraucher, rein rechnerisch der weltgrößte Markt und dann das: LKW-Staus an den Grenzen, die Unterbrechung von Liefer- und Produktionsketten.

Die Pandemie hat offengelegt, wie fragil das europäische Projekt noch ist

Tim Jacobsen

Gleichzeitig schnürte Deutschland ein Hilfspaket, das die Maßnahmen aller anderen europäischen Länder deutlich in den Schatten stellte. War früher die Rede davon, Deutschland müsse konjunkturell zulegen, um die anderen mitzuziehen, wird jetzt befürchtet, dass es seine Kraft nutzt, um als Klassenprimus aus der Krise zu kommen und dabei alle anderen endgültig abzuhängen. Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conti bat die Deutschen zur besten Sendezeit um Hilfe und auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte in einem offenen Brief `gemeinsam verbürgte Corona-Anleihen´. Die Appelle blieben nicht ungehört, Angela Merkel erklärte unlängst im deutschen Bundestag: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Europäische Union auseinanderdriftet.“

Die wichtigste Aufgabe dabei wird sein, alle 27 Staaten ähnlich stark aus der Corona-Krise kommen zu lassen. Es sind riesige Erwartungen, die auf uns als stärkster Volkswirtschaft ruhen: Wenn es Deutschland als Ratspräsident nicht schafft, die Wirtschaft mit und nach Corona anzukurbeln, wer dann? Am 18. Mai stellten Merkel und Macron ihren gemeinsamen Plan für den europäischen Wiederaufbaufonds vor: 500 Milliarden Euro, die über gemeinsame Schulden finanziert werden sollen. Europa profitiert dabei von der deutschen Kreditwürdigkeit. Manche sehen in Merkels Zustimmung zur Idee, die EU erstmals in großem Stil Schulden aufnehmen zu lassen, eine Parallele zur Entscheidung Helmut Kohls, der Euroeinführung zuzustimmen.

Unstrittig eine Wende, nachdem Deutschland sich zuvor der gemeinsamen Bankenrettung entzogen und bei der Unterstützung Griechenlands zumindest gezögert hatte. Ein Fonds zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit bekam so hohe Zugangshürden, dass das Geld so gut wie ungenutzt blieb – und nun also ein klares Bekenntnis zum Euro und zu Europa. Ob dies der Einstieg sein wird zu einer neuen europäischen Haushaltsfinanzierung, wird die Zukunft zeigen. Der Länderfinanzausgleich sichert ähnliche Lebensverhältnisse in allen Ländern. Die EU könnte ein ähnliches Instrument brauchen, will man die Fliehkräfte wieder einfangen. Die innereuropäischen Unterschiede sind groß: Pro Kopf erwirtschaftet Dänemark 53 000 Euro, die Griechen 17 000 Euro. In Irland sind es 70 000 Euro, in Bulgarien nicht einmal 9000 Euro, in Deutschland 41 000 Euro und in Spanien 26 000 Euro. In Griechenland und Spanien ist fast jeder Fünfte ohne Job, in Frankreich jeder Elfte. Griechenland ist mit 177 % des Bruttoinlandsprodukts verschuldet, vor Corona lag Deutschland unter 60 %.

Vor ziemlich genau 70 Jahren präsentierte Robert Schuman die Idee Jean Monnets im französischen Parlament, die gesamte französisch-deutsche Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Behörde unterzuordnen. Der so genannte Schuman-Plan führte zum Friedensprojekt Europa – wer miteinander Handel treibt, die nationalen Wirtschaften verwebt und Wohlstand schafft, wird sich nicht bekriegen, so kalkulierten die Gründerväter der EU nach dem Zweiten Weltkrieg.

Tim Jacobsen

(K)ein Ende in Sicht?

Mitte Mai riss die Anzahl der weltweit offiziell an Covid-19 Infizierten die Fünf-Millionenmarke, gleichzeitig beweist Julia Klöckners Ende Mai abgehaltene „Videokonferenz mit dem Handel und Erzeugern zu Schwerpunktthemen der Lebensmittelkette“, dass auch die Diskussion um die Implementierung der UTP-Richtlinie keineswegs ausgestanden ist, die Welt sich zudem weiterdreht und in Zukunft noch dazu alles irgendwie gleich, aber doch irgendwie auch anders sein wird. Für die einen ein Schreckgespenst, für die anderen eine Verheißung: Wir werden also weiter die Dinge diskutieren, die wir schon immer diskutiert haben, nur vielleicht eben auf eine andere Weise.

Manche werden zudem auf den Geschmack gekommen sein und ihre Arbeitsleistung anders als zuvor erbringen – und den Corona-Pandemie-bedingten erfolgreichen Kaltstart in moderne Arbeitszeitmodelle weiter für sich nutzen wollen. Im Großen und Ganzen werden die vergangenen Wochen also vielen wie ein schlechter Traum mit einem irgendwie guten Ende vorkommen. Zwar hatte auch Deutschland eine erhebliche Anzahl Covid-19-Toter zu beklagen, Bilder wie die des Leichen transportierenden Militärkonvois in Norditalien oder die eilig ausgehobener Massengräber in Nord- und Südamerika blieben uns aber erspart.

Und während Corona noch lange nicht abgefrühstückt ist, nimmt die Diskussion, ob uns 2020 den dritten Jahrhundertsommer in Folge bescheren wird, langsam Fahrt auf

Tim Jacobsen

Das macht alles einigermaßen schwer begreifbar: wenn sich nun doch die Zahl der Neuinfektionen irgendwo zwischen 600 und 700 eingependelt hat, warum sollte ich dann nicht die Wiedereröffnung meiner Stammkneipe gebührend feiern oder in vertrauter Weise gemeinsam den Herren, unseren Hirten preisen dürfen? Die Beispiele Leer und Frankfurt zeigen, dass das dann eben doch etwas zu kurz durch die Kurve gedacht ist. In unserer weitgehend linear denkenden Welt ein Anschauungsbeispiel dafür, was exponentiell bedeutet –eines allerdings, auf das wir gerne verzichtet hätten. Dazu kommen dann noch Aussagen wie die von Boris Palmer, denen zwar insgeheim beigepflichtet wird, die in der Öffentlichkeit aber entrüstet bestritten werden, plus der zunehmend wieder an Fahrt aufnehmende Kampf um die Kanzlerkandidatur in der Union. Nach Frankreich werden keine Pakete transportiert, die Handtaschengröße übersteigen und in Thüringen und Sachsen dürfen die Menschen ihren Corona-Maßnahmenkatalog bald selbst bestimmen.

Fußballbundesliga und Lufthansa werden Talkshow-rauf-und-runter diskutiert, Biergärten öffnen und nach mittlerweile 11 Wochen, an denen der Küchentisch Redaktionsbüro, Mensa und Klassenzimmer war, wünscht sich so mancher Elter, dass Franziska Giffey eine furchteinflößendere Stimme hätte: Unsere Grundschule beispielsweise ließ sich bis nach den Osterferien Zeit, bevor den Jüngsten eine Nachricht seiner Lehrerin ereilte. Aber auch in den weiterführenden Klassen seiner älteren Geschwister wirkt es, von einigen Ausnahmen abgesehen, als hätte sich das Lehrerkollegium darauf verständigt, Beamtenmikado zu spielen: verloren hat der, der sich zuerst bewegt. Es gibt so viele Gründe, etwas nicht zu machen, technische Probleme hier, ein anderes Wehwehchen da und fertig ist die selbstgestrickte Erklärung, warum beruhigt die Hände im Schoss liegen bleiben dürfen.

Anders dagegen unsere Gärtnerinnen und Gärtner: noch ist nicht ganz sicher, ob der Saisonverlauf den auf Kante genähten Betrieben einmal mehr in die Karten gespielt hat oder doch eher solide gestrickte Geschäftsmodelle belohnt wurden, eines scheint sich jedoch abzuzeichnen: der Gartenbau hat als Ganzes noch einmal das Schlimmste verhindert – und dies aus eigener Kraft. Etwas zugespitzt formuliert: Statt den Gartenbautag abzusagen, hätte vielmehr die Gelegenheit genutzt werden müssen, sich als Berufsstand auch einmal gebührend selbst zu feiern. Wenig Grund zu feiern hatten in diesem Frühjahr dagegen die Alten und Kranken. Lobby-los wie die Jüngeren und Jüngsten der Gesellschaft, können wahrscheinlich nur diejenigen, die eine solche Situation in normaleren Zeiten hinter sich gebracht haben, zumindest in Ansätzen nachvollziehen, was es wohl heißen mag, just in einer Phase des Lebens, in denen jedes Mal das letzte Mal gewesen sein kann, auf persönlichen Kontakt verzichten zu müssen.

Sicherstes Anzeichen dafür, dass wir die Corona-Krise überstanden haben, wird sein, wenn in den Ein-Euro-Läden Platz freigeräumt wird für Masken im Zehnerpack zum Sonderpreis. Ob das der Fall sein wird, bevor der heiß ersehnte Impfstoff auf den Markt kommt oder ob Sars-Cov-2 und Konsorten gar unsere gerade erst durch die Einschränkungen bewusst gewordene Freiheit in alle Ewigkeit beschneiden werden, vermag zum heutigen Zeitpunkt niemand zu sagen – genauso wenig, wie derzeit irgendjemand etwas zu den Spätfolgen einer Covid-19-Erkrankung sagen kann.

Daran zu glauben, dass die WHO und Bill Gates nach der Weltherrschaft greifen oder Donald Trump die Corona-Krise nutzt, um im Schutz des Lockdowns gefolterte Kinder aus unterirdischen Laboratorien zu befreien, steht jedem frei. Ich persönlich glaube, dass etwas mehr Abstand im Alltag, der Verzicht auf Urlaub in fernen Ländern, die Aussetzung von Festen und anderen Feierlichkeiten, das Tragen von Masken und das Selbststudium von Kochbüchern ein geringer Preis dafür sind, Schulen und Kindergärten noch vor den Herbstferien wieder mit Leben zu füllen, Kinos, Theater und Konzertsäle aufzusperren sowie liebgewonnene Menschen ohne schlechtes Gewissen in den Arm nehmen zu dürfen.

Tim Jacobsen

Jetzt sind Macher gefragt

In dem Maße, in dem wir alle zunehmend in unsere eigenen vier Wände zurückgeworfen werden, lassen sich die in den letzten Wochen in etwa verdoppelten Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel nicht länger durch Bevorratungskäufe erklären als vielmehr durch den erhöhten Lebensmittelbedarf durch Privathaushalte, die nicht länger mittags in Kantinen oder Mensen verpflegt werden und trotzdem gerne eine warme Mahlzeit am Tag hätten.

Und während Kartoffeln im Frühjahr 2020 sogar ein gutes Stück günstiger sind als im letzten Jahr, könnten die Frischgemüsepreise demnächst zu einem regelrechten Höhenflug ansetzen: Spanische Ware ist knapp, nicht nur, weil auch auf der iberischen Halbinsel Erntehelfer fehlen, sondern auch, weil die behördlicherseits verhängten Auflagen dort vergleichsweise rigide ausfallen und die logistischen Herausforderungen kaum zu bewältigen sind.

Allen Initiativen, die derzeit versuchen, den Arbeitskräftebedarf auf den Feldern bei uns mit Hilfe der einheimischen Bevölkerung oder Chartermaschinen zu decken, sei gutes Gelingen gewünscht – genauso wie, dass die gelockerte Regelgebung für Saisonarbeitskräfte die gewünschte Wirkung zeigt. Unser Selbstversorgungsgrad bei Obst und Gemüse von rund 40 % legt die Vermutung nahe, dass die Preishausse dann auch eine Zeit anhalten könnte.

Lieber Küchentisch: Du bist jetzt auch zweite, sechste und neunte Klasse, Redaktionsbüro und Kantine

Tim Jacobsen

Dass die vielerorts angelegten Pasta- und Mehllager Lust auf Abwechslung mit Geschmack machen, beweist die nicht nur Ramadan-bedingt stark gestiegene Nachfrage nach Speisezwiebeln. Auch die weiteren Aussichten für Kartoffeln und maschinenfähiges Gemüse wie Möhren oder Zwiebeln stimmen positiv. Weniger gut sind die Aussichten für unsere britischen Freunde.

Eine Landwirtschaftspolitik, die auf Importe nicht nur als Lückenfüller sondern als strukturellen Bestandteil des Warenangebots setzt, zeigt nun ihre Tücken: Lebensmitteleinzelhändler begannen Mitte März mit der Rationierung ihrer Warenabgabe. Bei einem so genannten Food trade gap in Höhe von jährlich 25 Mrd. £ grenzt die No-deal-Entscheidung im Lichte der Versorgungssicherheit nahezu an Selbstverstümmelung.

Ob im Zuge dieser Entwicklungen die Subventionen für landwirtschaftliche Betriebe tatsächlich wie von der britischen Regierung beschlossen und von den Betroffenen vielleicht etwas gar zu stoisch hingenommen gestrichen werden, wird die Zukunft zeigen. Keinesfalls zurückhaltend zeigte sich dieser Tage Land schafft Verbindung:

In Wildwestmanier in einem offenen Brief der EU-Kommissionspräsidentin zu drohen, die Lebensmittelproduktion Deutschlandweit drosseln zu wollen, wenn nicht vorerst alles beim Alten bleibt, wird nicht nur beim Verbraucher schlecht ankommen, sondern auch mühsam geöffnete Türen in Richtung Politik wieder verschließen. Es wäre eine böse Unterstellung, zu vermuten, dass auch Dirk Andresens 1300 ha angesichts von 1500 Säuen an ihre Grenzen kommen und er schon allein deshalb ein ganz eigenes Interesse an einer Verhinderung der Novellierung der Düngeverordnung hat.

Auch wenn die Corona-Pandemie fraglos zeigt, wie fragil unser globalisiertes Wirtschaftssystem ist und viele derzeit die großen ökonomischen Leitlinien hinterfragen, wird es auch eine Zeit nach Corona geben – es bleibt zu hoffen, dass der Aufruf, Maß zu halten auch die Rückkehr in die Normalität überlebt.

Tim Jacobsen

Mindest- und Höchstpreise

Die Berliner Immobilienmogule hätten zu Jahresbeginn 2020 wahrscheinlich gerne mit den deutschen Landwirten tauschen: während die Mieten in unserer Hauptstadt bis 2025 auf dem Stand von 2019 eingefroren wurden, sollen die Preise für Lebensmittel steigen. Tatsächlich gibt es auch kein Land in Europa, in dem prozentual mehr Geld vom Haushaltseinkommen für Wohnen ausgegeben wird als in Deutschland und nur wenige Länder, in denen noch weniger für Nahrungsmittel ausgegeben wird. Auch wenn Mentalitäts- und Einkommensunterschiede innerhalb Europas hierbei eine große Rolle spielen, lautet die Losung nicht erst seit dem `Lebensmittelgipfel´ Anfang Februar: Preise hoch!

Während Julia Klöckner das mit „Tierwohl kostet Geld, das kann nicht die Bauernfamilie alleine stemmen“ noch etwas verklausuliert formuliert, fordert die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen direkt Mindestpreise für Lebensmittel. Dass im derzeitigen politischen Klima kaum etwas unmöglich scheint, zeigen die Beispiele Fahrverbote, Bahn günstiger, Kurzstreckenflüge teurer. Was aber ist geschehen, dass den Märkten ihre Funktionsfähigkeit abgesprochen wird? Wahrscheinlich steckt schierer Opportunismus hinter dem Ganzen: Diese Eingriffe kosten nicht die Welt und praktischer Weise befindet sich sowieso gerade viel Geld in den öffentlichen Taschen.

Als gelungenes Beispiel für die Wirksamkeit staatlicher Eingriffe wird in der öffentlichen Diskussion immer wieder das Erfolgsrezept Mindestlohn angeführt. Da aber niemand weiß, wie alles ohne die Einführung von zuletzt 9,35 € in der Stunde gekommen wäre, kann munter in alle Richtungen argumentiert werden. Natürlich können sich Märkte auch täuschen; die Kernfrage dabei lautet: Werden berechtigte Interessen ignoriert? Angeführt werden dann in letzter Zeit immer die Beispiele Tierwohl und Klimaschutz. Insgesamt 3,6 Mrd. € im Jahr soll es kosten, deutschlandweit zumindest Stufe zwei in Klöckners Tierwohllabel zu erreichen.

Viel Geld, das irgendwoher kommen muss. Und obwohl sich der Handel bei Obst und Gemüse nicht zu schade dafür ist, die Daumenschrauben fest anzuziehen, zeigen im Bereich tierischer Produkte selbst die von „wir lieben Lebensmittel“ keinerlei Ambitionen, auf Lockvogelpreise verzichten zu wollen – ganz im Gegenteil. Und da der Politik der Wille abhandengekommen zu sein scheint, auch einmal unpopuläre Entscheidungen zu treffen, soll die Anhebung der Standards mit einer Steuer finanziert werden: 40 ct pro kg Fleisch und Wurst könnten bald fällig werden, bei Käse und Butter 15 ct und für Milch und

Eier immerhin noch 2 ct. Aber führt das nicht in eine vollkommen falsche Richtung? Kann nicht der Gärtner, der den grüneren Daumen und seine Kulturen im Griff hat, billiger produzieren als der Kollege, der nie den passenden Zeitpunkt erwischt? Hat nicht der, der die Vorteile der Präzisionslandwirtschaft nutzen kann, höhere Erträge, weniger Ausschuss und geringere Produktions- sowie Umweltkosten als der, der im Sinne eines „viel hilft viel“ großflächig denkt?

Eine andere gegenwärtig kursierende Idee lautet, das Kartellamt prüfen zu lassen, ob an irgendeinem Punkt der Verarbeitungskette die Preise niedriger liegen als die typischen Herstellungskosten. Diese sollen wiederum von einer wissenschaftlichen Kommission ermittelt werden; die Idee dahinter ist, dass auskömmlichere Preise eine kleinteiligere Landwirtschaft fördern könnten. Dabei wird allerdings der Faktor Mensch außen vor gelassen: Unternehmerisch denkende Landwirte und Gärtner werden die höheren Preise als zusätzlichen Anreiz sehen, möglichst schnell zu wachsen.

„Der Staat war noch nie ein guter Unternehmer“

Lorenz (Lonne) Jacobsen

Das Beispiel Textilwirtschaft zeigt, dass höhere Preise nicht zwangsläufig zu höheren Produktionsstandards führen. Die Buchpreisbindung wiederum hat wahrscheinlich wohl so manchen Buchverkauf, aber nicht den Amazonsiegeszug verhindert. Dass es im städtischen Bereich mehr Apotheken als Friseure und Bäcker zusammen gibt, hat mit der Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente zu tun. Volkswirtschaftlich günstiger wären staatlich geförderte Abgabestellen in dünn besiedelten Räumen zur Sicherung der ländlichen Medikamentenversorgung.

Es ist gerade schick, Missstände wie Umweltverschmutzung und Zugverspätungen dem Kampfbegriff Neoliberalismus in die Schuhe zu schieben – gepaart mit der Kritik an einem zunehmenden Rückzug des Staates aus dem Gemeinwesen. Aber lässt sich eine solche übermäßige Marktgläubigkeit auch tatsächlich belegen? Es gibt Kennzahlen wie die Staatsquote und den die ökonomischen Freiheit messenden Fraser Index – und diese weisen das Gegenteil aus. Messbar ist auch, dass das Vertrauen in die Problemlösungskraft der Märkte zunehmend verloren geht. In Umfragen unterstreichen immer mehr Menschen, dass Sozialismus eigentlich eine gute Idee ist, die nur schlecht ausgeführt wurde.

Dabei ist die Verfehlung der Klimaziele doch gerade eine Folge davon, dass deutliche Preissignale fehlen: Zwar haben jetzt auch wir Deutschen mittlerweile einen CO2-Preis, der zumindest der Erwähnung wert ist, gleichzeitig wird dieser durch so viele ergänzende Eingriffe ad absurdum geführt, dass CO2 letztendlich nicht da eingespart wird, wo dies am günstigsten möglich wäre und sich stattdessen die Windräder munter weiter drehen. Die Geschichte zeigt, dass sich Wohlstand und Umweltschutz nur in marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften einstellen und klar, die Korrektur von Marktversagen ist eine zentrale staatliche Aufgabe –  genau diese Abkehr vom Marktradikalismus aber verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff Neoliberalismus, der in Fortschreibung dann zu der unser Land prägenden sozialen Marktwirtschaft führte.

Tim Jacobsen

Wie könnt Ihr es wagen?

Selbst wenn die umstrittene Gerichtsentscheidung des Berliner Landgerichts noch ein juristisches Nachspiel mit immer noch ungewissem Ausgang hat, so war das erstinstanzliche Scheitern Renate Künasts einmal mehr Wasser auf die Mühlen derjenigen, die denken, dass im Internet so gut wie alles erlaubt ist. Auch Greta Thunberg geriet ziemlich schnell in unruhiges Fahrwasser, metaphorisch und wortwörtlich. So waren sich auch Teile der deutschen Politprominenz nicht zu schade dafür, Thunberg das Recht absprechen zu wollen, auf dem Klimagipfel der Vereinten Nationen sprechen zu dürfen, wenn sie nicht zuvor wenigstens den Atlantik Moses-gleich, barfuß und ohne nass zu werden durchqueren würde.

Die Unsicherheit des Establishments im Umgang mit den Forderungen der Fridays for Future-Bewegung zeigt sich dabei quer durch alle politische Lager. Lässt sich Christian Lindners Äußerung, der Klimaschutz sei eine Sache für Profis, nur als einen weiteren Schritt in Richtung politische Bedeutungslosigkeit deuten, bewies Peter Altmaier im Frühjahr zumindest den Mut, mit den protestierenden jungen Menschen Kontakt aufnehmen zu wollen. Ganz ungewollt schuf er dabei einen großen Fernsehmoment, als er vor laufender Kamera mit den Worten „Das war echt ´ne Scheißidee“ wahrscheinlich auch die Neubesetzung des Postens seines persönlichen Referentens einforderte.

Dabei hatte das Ganze doch eigentlich eine Menge Vorlauf. Und damit sind nicht nur die eineinhalb Jahre seit den ersten Schultagen nach den Sommerferien 2018 gemeint, als Thunberg erstmals, statt zur Schule zu gehen, mit einem Plakat und der Aufschrift „Skolstrejk för klimatet“ vor dem schwedischen Parlament ausharrte. Der erste Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change datiert aus dem Jahr 1990 und dient als Basis für die Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen.

Vier Folgeberichte und eine Reihe von Sonderberichten wie unlängst der zu Klimawandel und Landsystemen bilden so gut wie alle in der Klimaforschung möglichen Positionen ab. Als im Jahr 1995 in Berlin die erste UN-Klimakonferenz stattfand, war Lindner übrigens genauso alt wie Thunberg heutzutage ist. Anfang Dezember stand die mittlerweile 25. UN-Klimakonferenz an. Von der ganzen Problematik überrascht zu sein oder wie unsere Kanzlerin Angela Merkel einen Weckruf nötig zu haben, klingt ein bisschen nach Donald Trump, der Thunbergs Auftritt auf dem UN-Klimagipfel in New York mit den Worten kommentierte, dass sie doch wie ein nettes Mädchen wirke, auf das glücklicherweise eine hoffnungsvolle Zukunft warte.

Zeit zu handeln“ hieß das Motto der 25. UN-Klimakonferenz. Herausgekommen ist dabei herzlich wenig

Tim Jacobsen

Als Thunberg gemeinsam mit 15 Kinder aus der ganzen Welt Ende September beim UN-Kinderrechtsausschuss eine Individualbeschwerde gegen Argentinien, Brasilien, Frankreich, die Türkei und Deutschland als die sowohl historisch als auch aktuell größten Emittenten von Treibhausgasen einlegte, hielt Merkel, ganz Physikerin, mit dem technischen Fortschritt, der uns retten wird, dagegen und ihr französischer Kollege Emanuel Macron entschuldigte seine Tatenlosigkeit mit dem Verweis auf diejenigen, die es Klima-mäßig noch viel schlimmer treiben. Natürlich ist Politik nicht schwarz und weiß, was aber zu denken gibt, ist, dass die Politik auf dieses Thema keine Antwort zu finden scheint.

Die allgemeine Kommentierung des unlängst zumindest in Teilen beschlossenen Klimapakets in den Medien lässt sich mit einem „die große Koalition traut sich und den Bürgern nicht mehr viel zu“ zusammenfassen; gleichzeitig rückt das Erreichen der Klimaziele bis zum Jahr 2030 in immer weitere Ferne. Im Jahr 2030 wird Merkel ihren 76. Geburtstag feiern, Trump seinen 84. und Thunberg wird dann gerade 27 Jahre alt sein. Bei den Protesten der Fridays for Future-Bewegung geht es immer auch darum, dass diejenigen, die zukünftig die Folgen der heute getroffenen Entscheidungen zu tragen haben, nicht diejenigen sind, die heute die Entscheidungen treffen.

Klar, war das bei den Rockern, Hippies, 68ern, Punkern und Ravern auch nicht viel anders. Aber während die einen ein patriarchalisch geprägtes Geschlechterbild vorleben wollten, die anderen freie Liebe predigten, die dritten gerne mehr Bürgerrechte für alle haben wollten, während die nächsten fanden, dass Provokation für sich genommen als Ziel ja auch schon vollkommen ausreicht und die Technoszene das expressive rauschartige Tanzen als glückseligmachend empfahl, liegt die Problemlage bei der Fridays for Future-Bewegung anders: es geht ihnen nicht um ein wie-dann-auch-besseres Leben; nein: für die jungen Menschen geht es gewissermaßen um Leben und Tod. Besser als alles andere verdeutlichen das die Zahlen: mit Anbeginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert stieg der Meeresspiegel um zwei Zentimeter, im 19. Jahrhundert dann schon um sechs Zentimeter, im 20. Jahrhundert schließlich um 19 cm, Tendenz weiter steigend.

Die Auswirkungen der schmelzenden Polkappen auf den Anstieg des Meeresspiegels wurden übrigens erstmals in dem letztes Jahr erschienenen Sonderbericht über die Ozeane und die Kryosphäre in einem sich wandelnden Klima thematisiert. Ein kleines Beispiel dafür, dass wir eigentlich alle in Thunbergs „How dare you“ einstimmen müssten: Wenn der bis zu 3000 m dicke grönländische Eisschild abzuschmelzen beginnt, sackt er zwangsläufig ab in tiefere, wärmere Höhenlagen und schmilzt dann unaufhaltsam noch schneller. Davor könnte allerdings noch die Westantarktis ihren Kipppunkt erreichen. Die Schmelzwasserströme werden voraussichtlich erst in der Meeresspiegelanstiegsprognose im Rahmen des nächsten Sachstandsberichts des IPCC eingepreist. Dann soll es auch nicht mehr um Zentimeter gehen, sondern wird mit Metern gerechnet werden.

Tim Jacobsen

Glück haben Sie doch jeden Tag!

Es gab mal eine Zeit, in der Italien mehr war als nur ein Land, das die Flugzeit in den fernen Osten unnötig verlängert. Eine Zeit, in der die Vorfreude auf den Sommerurlaub spätestens mit dem Ostereisuchen einsetzte. Eine Zeit, in der die Autos, die sich über den Brenner quälten, weder Sitzgurte noch Klimaanlage hatten – man aber mit etwas Glück irgendwann im Rauschen des Lautsprechers ein leises „Una festa sui prati“ erkennen konnte und wusste, dass es nicht mehr lange dauert. Einmal am Ziel angekommen, fiel dann sofort alle Last von einem ab und lediglich der Dreizeiler beim Postkartenschreiben erinnerte daran, dass auch dieser Urlaub unweigerlich sein Ende finden wird.

Frägt man heutzutage Bekannte, wohin die Reise gehen soll, lautet die Antwort oft, dass der eigentliche Urlaub ja erst noch komme. Mit permanenter Erreichbarkeit und der großen Schaubühne soziale Medien ist im Urlaub einfach nur am Strand zu liegen naturgemäß megaout, wird aber vielleicht irgendwann wieder megain im Rahmen einer wie auch immer gearteten Challenge. Versucht man einfach nur, sich mit mehreren Leuten gleichzeitig zu verabreden, sieht die Lage nicht viel besser aus – als müsste immer mindestens einer sich ein Notausstiegstürchen offenhalten, um nicht durch allzu viel Verbindlichkeit womöglich etwas noch Bedeutsameres zu verpassen.

Die Kühlschränke sind voll, und man kann sich kaum eine noch absurdere Kaffeespezialität ausdenken, die es dann nicht doch schon irgendwo tatsächlich auch gibt; das Gleiche gilt übrigens auch für Diätpläne. Wir können in den Supermarkt gehen, und die meisten von uns könnten tatsächlich dahin zu Fuß gehen, da wir sehr viele Supermärkte haben, und können jahrein jahraus nahezu dasselbe Sortiment kaufen. Konnte der Cameriere meiner Jugend am Strand von Marina di Massa noch mit Physalisdeko für Aufsehen sorgen, gibt es heute eigentlich nichts mehr, was es nicht auch sonst überall gibt. Superausgefeilte Logistik sorgt dafür, dass es auch im von aus gesehen hinterletzten Winkel der Erde noch niederländische Zwiebeln zu kaufen gibt. Die gute Nachricht dabei ist, dass sie auch gekauft werden, was gleichbedeutend damit ist, dass zwar nicht unbedingt überall der Wohlstand ausgebrochen ist, sich dennoch aber viel mehr Menschen als je zuvor überhaupt ab und an eine Speisezwiebel leisten können.

 Wo sind nur die unbeschwerten Sommer von damals hin?

Tim Jacobsen

Und während wir darüber nachdenken, ob sich die Coffee-to-go-Becherflut mit Pfand, Verboten oder vielleicht freiwilligen Selbstverpflichtungen in den Griff bekommen lässt, leben von etwas mehr als 110 Mrd. überhaupt jemals geborenen Menschen knapp 8 Mrd. derzeit gemeinsam mit Ihnen und mir auf diesem Planeten. Gleichzeitig dürfen zwar nur fünf Länder offiziell Nuklearwaffen besitzen, gleichwohl haben auch Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea Atombomben im Waffenschrank und neben dem offensichtlichen Kandidaten Iran stehen auch Ägypten, Saudi-Arabien und Syrien im Verdacht, derartige Waffensysteme zu entwickeln.

Angst macht aber auch die rasante Verbreitung ansteckender Krankheiten, wie die Beispiele Schweine- und Vogelgrippe zeigen – wobei interessanterweise die schlimmste Pandemie, die derzeit im Umlauf ist und für jährlich 3 Mio. Aidstote sorgt, angesichts der guten medizinischen Versorgung hierzulande mehr oder weniger in Vergessenheit geraten ist. Auch der Schreck von 2007, als Deutschland vergleichsweise glimpflich aus der Weltwirtschaftskrise herauskam, steckt vielen Menschen noch in den Knochen, genauso wie die Angst vor bewaffneten Konflikten oder dem internationalen Terrorismus. Und auch wenn es auf der Erde schon immer Klimaschwankungen gegeben hat, so sind die Extremwetterereignisse dieses Frühsommers doch auch Anzeichen dafür, dass wir vielleicht besser früher mit dem CO2-Sparen anfangen hätten sollen und wir wohl oder übel dabei sind, sehenden Auges mit Vollgas ins Verderben zu rasen.

Größtes Problem weltweit ist und bleibt aber – Speisezwiebel hin oder her – Armut einhergehend mit Mangel an Nahrung und Trinkwasser. Der Hinweis darauf, dass alle fünf Sekunden ein Kind unter zehn Jahren verhungert und 80 % der Krankheiten und Todesfälle in Entwicklungsländern mit verschmutztem Wasser zusammenhängen, ist zwar auf jeder Grillparty der Stimmungskiller schlechthin – gleichwohl öffnet diese Erkenntnis einem aber auch das Herz für ein Gefühl der Dankbarkeit und Demut. Es ist ein bisschen wie erst krank werden zu müssen, um zu wissen, was gesund sein bedeutet.

Es gibt so viele Gründe, Dinge nicht zu machen, Verabredungen aus dem Weg zu gehen oder sich in den Verlockungen der virtuellen Welt zu verirren. Dennoch kommt man im Leben unweigerlich an den Punkt, an dem einem bewusst wird, dass einem für all das, was man noch so vorhat, wohl oder übel allmählich die Zeit ausgeht. Deshalb sollte das Motto spätestens dieses Sommers auch lauten: legen Sie das Telefon zur Seite, stellen Sie Getränke kalt, treffen Sie sich mit Freunden und vergessen Sie dabei vor allem das Lachen nicht. Feiern Sie, was es zu feiern gibt, denn Dinge nicht zu feiern, macht sie mit Sicherheit auch nicht besser. Packen Sie das Zelt und die Familie ein – und fahren Sie über Ihren ganz eigenen Brennerpass – selbst wenn es nur für einen Nachmittag ist. Von ganzem Herzen wünsche ich Ihnen dabei viel Freude!

Tim Jacobsen

Wählen gehen ist erste Bürgerpflicht

Zugegeben: im Europäischen Parlament sind die Spielregeln etwas anders als wir das so aus dem Deutschen Bundestag gewohnt sind. Der wohl auffälligste Unterschied ist, dass das Europaparlament anders als Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung kein direktes Initiativrecht besitzt. Auch fehlt im Europaparlament der klassische Gegensatz zwischen Regierung und Opposition: In der laufenden Legislaturperiode verteilen sich 730 Abgeordnete auf acht heterogene Fraktionen, dazu kommen noch 21 fraktionslose Abgeordnete. Mit EVP und S&D vereinen derzeit lediglich die beiden größten Fraktionen noch eine Mehrheit auf sich, was auch angesichts dessen, dass das Abstimmungsverhalten oftmals weniger von Fraktionsdisziplin als von nationalen Befindlichkeiten geprägt ist, zwangsläufig dazu führt, dass Beschlüsse des Parlaments auf fraktionsübergreifenden Kompromissen beruhen.

Mit 24 ständigen Ausschüssen hat der Bundestag mit seinen 709 Mandaten sogar noch einen Ausschuss mehr als das EU-Parlament. In den Ausschüssen werden die Gesetzentwürfe des jeweiligen Bereichs erörtert, auf EU-Ebene kommen dabei noch die sog. Berichterstatter ins Spiel, die sich federführend für den gesamten Ausschuss mit dem betreffenden Kommissionsvorschlag auseinandersetzen. Über die Gesetzesvorschläge wird dann im Parlament beraten. Anschließend ist auf EU-Ebene der Ministerrat gefragt. Stimmt dieser zu, gilt das Gesetz als erlassen. Verweigern die Mitgliedsstaaten ihre Zustimmung, geht der Vorschlag zurück ins Parlament. Reißen alle Stricke, wird ein Vermittlungsausschuss eingesetzt. Im Bundestag ist das nicht viel anders.

Anders als in Berlin finden auf EU-Ebene Parlament, Ministerrat und Europäische Kommission allerdings in letzter Zeit immer häufiger zu einem sog. Trilog zusammen. Mag sich diese Abkürzung der politischen Willensbildung in Krisenzeiten bewährt haben, wird sie von Kritikern durchaus als problematisch angesehen, da sie zu einer faktischen Entmachtung von Parlament, Kommission und Ministerrat führen kann. Hoch in der Kritik stehen auch die Bezüge der Abgeordneten: Mit monatlich 9780 € kommen die Bundestagsabgeordneten allerdings sogar noch etwas besser weg als die EU-Parlamentarier mit ihren 9753 €. In Berlin kommt eine steuerfreie Kostenpauschale in Höhe von 4418 € dazu, auf EU-Ebene gibt es 4416 €. Oftmals bekrittelt wird auch die Reisetätigkeit der EU-Abgeordneten: für zwölf viertägige Plenartagungen kommen die Parlamentarier aus dem belgischen Brüssel jährlich ins französische Straßburg. Allerdings hat auch dieser Kompromiss mit dem Bonn-Berlingesetz ein deutsches Spiegelbild.

Wer keine Muße hat, sich im Kleinklein von Parteiprogrammen aufzureiben, dem sei der Wahl-O-Mat-App der Bundeszentrale für politische Bildung empfohlen. Daneben kursiert auch ein sog. Agrar-O-Mat im Netz

Tim Jacobsen

Dass die Europawahl keineswegs eine Kampfabstimmung für oder gegen Europa ist, auch wenn das von so manchem ansonsten eher staatstragend auftretenden Politiker derzeit so suggeriert wird, wird zu Beginn der kommenden Legislaturperiode deutlich werden, wenn das Parlament auf Vorschlag der Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten den neuen EU-Kommissionspräsidenten küren wird. Da bei uns zwar die Grünen den Wahlprognosen zufolge erstmals bei einer nationalen Wahl die Sozialdemokraten überflügeln könnten, die Union allerdings auch im nächsten EU-Parlament wieder die größte Gruppe stellen wird, wird es dabei wohl auf den Niederbayern Manfred Weber hinauslaufen. Aller Voraussicht nach wird Weber wegen des Erstarkens der politischen Ränder neben den Sozialdemokraten allerdings noch einen zweiten Partner brauchen.

Erstmals im Parlament vertreten werden Abgeordnete der Bewegung des französischen Präsidenten sein. „En marche“ und das „Rassemblement National“ von Marine Le Pen liefern sich derzeit ein Kopf-an-Kopf-Rennen und haben sowohl Konservative als auch Sozialisten in die Bedeutungslosigkeit verbannt. In Italien liegen mit der „Lega“ und den „Fünf Sternen“ ebenfalls zwei populistische Parteien sowohl aus dem rechten als auch linken Spektrum vorne. Wählen die Briten Ende Mai tatsächlich noch mit, wonach es derzeit aussieht, könnte paradoxerweise die neue Brexitpartei von Nigel Farage dort die meisten Stimmen auf sich versammeln. Auch in Polen haben die Nationalkonservativen in den Umfragen alle anderen abgehängt. Spannend ist das polnische Stimmungsbild insbesondere auch, da dort innerhalb des nächsten Jahres Parlaments- und Präsidentschaftswahlen stattfinden und der amtierende EU-Ratspräsident Donald Tusk sich wieder stärker in seiner Heimat einbringen möchte. Womit dann mit dem EU-Ratspräsidenten, dem EU-Parlamentspräsidium sowie den Ausschussvorsitzenden, dem Vorsitz der EU-Kommission, dem Posten des EU-Außenbeauftragten und dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank alle wichtigen Personalentscheidungen auf EU-Ebene in den kommenden Monaten anstehen werden.

Bange muss einem nicht sein, dass die ausgewiesenen Europaskeptiker, -gegner und –kritiker bei der anstehenden Aufgabenverteilung ab dem 2. Juli bevorzugt berücksichtigt werden würden. Auch wenn sie ihren Stimmanteil weiter ausbauen, werden sie von eigenen Mehrheiten weit entfernt sein. Und so werden dann letztendlich die Ergebnisse der Europawahl im Europa-üblichen Geschlechter- und Regionenproporz bei der Besetzung der europäischen Spitzenämter die Schlüsselrolle spielen, weshalb dann eigentlich auch am 26. Mai kein Weg am Wahllokal vorbeiführen sollte.

Tim Jacobsen

Wer hat´s erfunden?

Wenn Wirtschaftsminister Peter Altmaier das deutsche Handynetz „total peinlich“ findet und „auf Fahrten nicht mehr mit ausländischen Ministerkollegen verbunden werden will“, weil es ihm total peinlich ist, wenn er dann drei-, viermal neu anrufen muss, weil er jedes Mal wieder rausfliegt, dann könnte man dies als überkandidelte Randnotiz aus der Berliner Blasenwelt abtun, stünde in Wahrheit nicht sehr viel auf dem Spiel: Wir sind, leider viel zu still und heimlich, dabei, den Anschluss zu verlieren – und was uns fehlt, ist jemand, der über das kleinklein des politischen Alltags hinaus eine Idee hat, wie es weitergehen könnte mit unserem Land.

Da auch der LTE genannte gegenwärtige Standard nicht überall durchgängig verfügbar ist, begann bspw. der Landmaschinenhersteller Claas, Sendemasten auf eigene Faust aufzustellen

Tim Jacobsen

Als Alfred Escher vor ziemlich genau 200 Jahren am 19. Februar in Zürich das Licht der Welt erblickte, waren in der Schweiz Hungersnöte fast schon an der Tagesordnung; Hunderttausende von Eidgenossen verließen ihr Land in der Hoffnung, anderswo ein besseres Leben zu finden. Dass die Schweiz heutzutage zu den reichsten, innovativsten und wettbewerbsfähigsten Nationen überhaupt zählt, hat sie maßgeblich Eschers Erfolgsformel zu verdanken. Und die hat von ihrer Gültigkeit bis zum heutigen Tag nichts verloren: ohne Bildung und Forschung geht es nicht, genauso wenig wie ohne Banken, die mit ihrer Kreditvergabe Wachstum überhaupt erst ermöglichen. Und dann braucht es noch Unternehmerinnen und Unternehmer, die mit Mut und Ideen Neues schaffen und, nicht zu vergessen, eine gute Infrastruktur.

Das heute ETH genannte Polytechnikum, die Swiss Life, die Swiss Re und die Credit Suisse sind alle Zeugen jener Zeit. Auch die Schweiz selbst wurde mit der Bundesverfassung von 1848 in gewisser Weise nochmals neu gegründet, womit der Weg frei war für die Schaffung gesamtschweizerischer Infrastruktur. Escher erkannte, dass die eisenbahntechnische Erschließung maßgeblichen Anteil am Anschluss an die Moderne haben würde. War das Schweitzer Schienennetz Mitte des 19. Jahrhunderts noch mickrige 23 km lang, schossen nach der Entscheidung, Bahnen und Schienennetz fortan privatwirtschaftlich zu betreiben, die Eisenbahngesellschaften wie Pilze aus dem Boden.

Streckennetz- und Linienführungsplanung führten zu Rivalität zwischen Nachbardörfern und –kantonen und schon bald war die Schweiz das europäische Land mit dem dichtesten Schienennetz. Die Fuhrhalterei verlor zwar deutlich an Bedeutung, dem Jobwunder der Baustellen tat dies jedoch keinen Abbruch. Fachwissen war gefragt und mit der Realisierung einer gesamtschweizerischen Hochschule konnte der Nachfrage nach Ingenieuren, Mathematikern und Physikern entsprochen werden – ihr legendärer Ruf zog und zieht auch heute noch die Schlausten der Schlauen an: Nestlé, Maggi, Brown Boveri und viele andere weltweit tätige Unternehmen gäbe es ohne diesen so genannten Braingain nicht.

Ein Großteil der Schweizer Bankenlandschaft beruht auf dem Streben Eschers, sich nicht zu abhängig vom Ausland zu machen: Die Credit Suisse als Hausbank der Bähnlebauer war gleichzeitig Geburtshelfer anderer ruhmreicher Schweizer Finanzinstitutionen. Und auch die wohl wichtigste Nord-Süd-Verbindung, den 1872 in Angriff genommenen Gotthardttunnel, gäbe es ohne Escher nicht: aus der Sackgasse Alpenrepublik wurde damit die Drehscheibe Schweiz, die zusammen mit dem 1914 eröffneten Panamakanal Teilstück eines direkten Verkehrsweg rund um die Erde ist. In gewisser Weise schuf die Eisenbahn die moderne Schweiz und damit neben dem Forschungs- auch den Finanz- und Werkplatz, ganz zu schweigen vom Tourismusland Schweiz.

Die Züge sind auch heutzutage noch immer vergleichsweise zuverlässig und pünktlich unterwegs. Dennoch gibt es auch in der Schweiz Menschen, die sich wundern, dass in Tschechiens Zügen durchgängig WLAN verfügbar oder in den Niederlanden eine aufladbare Fahrkarte für das ganze Land gültig ist. Und bei uns? Dass ausgerechnet die Bundesforschungsministerin 5G nicht an jeder Milchkanne für notwendig hält, ist ein herber Schlag ins Kontor derjenigen, die wie unsere Staatsministerin für Digitalisierung gerne jede Ackerfurche vernetzen wollen oder wie unsere Landwirtschaftsministerin Vernetzung von der Ackerfurche in die Cloud auf den Teller des Verbrauchers und ins Dorfgemeinschaftshaus fordern.

Zählt man die Mehrausgaben der großen Koalition für staatlicherseits finanzierte Arbeitsplätze, Rentenpakete, Kinder- und Baukindergeld zusammen, kommt man schnell auf Beträge in zweistelliger Milliardenhöhe, pro Jahr wohlbemerkt. Mit dem Gesetzentwurf „Starke Familien“ legte die Regierung dann unlängst sogar noch einmal nach: insgesamt werden damit jährlich zusätzlich 700 Mio. € bemüht. Daneben wirken die Ausgaben für den ach so wichtigen Breitbandausbau und den Aufbruch ins digitale Zeitalter wie klitzekleine Kleckerbeträge und ob das viele Geld tatsächlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt oder genau das Gegenteil zementiert, sei dahingestellt.

Bis zum 25. Januar konnten Zulassungsanträge zur Auktion der neuen Mobilfunkfrequenzen gestellt werden. Die Bundesnetzagentur verlangt bis Ende 2022 die Versorgung aller Bundesautobahnen, der wichtigsten Bundesstraßen und Schienenwege sowie von mindestens 98 % der Haushalte je Bundesland mit einer Übertragungsrate von mindestens 100 Megabit. Bis Ende 2024 haben die Betreiber Zeit, dies auf alle übrigen Bundesstraßen auszuweiten, wobei die Übertragungstechnik nicht festgelegt ist und dies dann wenigstens zu einem Ausbau des Reichweiten-stärkeren LTE-Netzes führen könnte. Was angesichts der Versorgungsauflage, die sich nicht auf Fläche sondern auf Anzahl Haushalte bezieht, bleibt, ist das Problem der weißen Flecken im ländlichen Raum. Und die Frage, ob denn nicht etwas mehr Wettbewerb dem Mobilfunkmarkt gut getan hätte? Auch wenn der Bund als Anteilhalter an einem der maßgeblich beteiligten Unternehmen da natürlich etwas in der Zwickmühle steckt, was dann allerdings wiederum erklären könnte, warum man bei uns vergleichsweise wenig Datenvolumen für verhältnismäßig deftige Preise bekommt.

Tim Jacobsen

Kampf der Titanen, David und Goliath sind auch dabei

Vor gut einem Jahr begannen in den Supermarktregalen der in der Allianz Agecore zusammengeschlossenen Filialisten allmählich die Nestléprodukte auszugehen: Um ein bisschen mehr von den Profiten zu erhalten, die Weltkonzerne wie Nestlé ihrer Ansicht nach auch mit den Leistungen der Händler verdienen, hatten sechs mittelständisch geprägte Handelsgruppen erst eine Allianz geschmiedet, um danach geeint den Konditionenstreit anzugehen. Mit „unser Anspruch ist es, Ihnen alle Produkte nicht nur in bester Qualität sondern auch zu einem attraktiven Preis-Leistungsverhältnis anzubieten. Leider konnten wir in diesem Punkt mit Nestlé bislang keine Einigung erzielen“ hatte Edeka bei seinen Kunden um Verständnis für die Auslistung geworben und auf Alternativen aus dem Eigenmarkensortiment verwiesen. Auf der Jahrestagung der genossenschaftlich organisierten Einzelhändler ließ die Edeka-Führung im Juni keine Zweifel daran aufkommen, dass sich die harte Tour gelohnt habe und so ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, dass mittlerweile auch die britische Tesco ihre Einkaufsaktivitäten mit der französischen Carrefour gebündelt hat.

Im Rahmen der regelmäßigen Preisverhandlungen zwischen Händlern und Herstellern sind vorübergehende Auslistungen von Produkten überhaupt nichts Ungewöhnliches. Auch die Hersteller stoppen mitunter ihre Lieferungen. So mussten Kunden der Supermarktkette Real im Sommer 2015 zeitweise vergeblich nach einigen durchaus populären Produkten suchen. Anfang September sagte nun wiederum Kaufland Unilever den Kampf an. Mehr als 10 % Preisaufschlag soll der niederländisch-britische Multi ganz lapidar mit allgemeinen Kostensteigerungen begründet haben – was dem zentralen Leistungsversprechen des zur Schwarz-Gruppe gehörenden Einzelhändlers widersprach, nämlich dem Kunden den „besten Preis“ bieten zu können – und das wohlbemerkt als Vollsortimenter. Wie schnell die ganze Preisdiskussion zum Eigentor werden kann, zeigte im Sommer allerdings Edekas Montagsknüller: Hähnchenschenkel für eineinhalb Euro das Kilo und dann noch von der Initiative Tierwohl abgesegnet stießen nicht nur in den sozialen Netzwerken so manchem sauer auf. Auch der Slogan „Die Zeit ist reif: für Erdbeeren“, mit dem die schweizerische Migros ihre Importerdbeeren zu einem Zeitpunkt bewarb, als die meisten Eidgenossen noch vollauf damit beschäftigt waren, ihre Skiabfahrtskünste zu verbessern, kam nicht gut an.

Der Handel die Bösen ist zu kurz durch die Kurve gedacht

Tim Jacobsen

Natürlich ist es keine originäre Aufgabe des Handels, für den Verbleib der Wertschöpfung in der Region, Saisonalität oder die Einhaltung von Produktionsstandards zu sorgen. Nur wird Eigenwerbung wie das Migros´sche „Aus der Region. Für die Region“ dann schnell zum Hähnchenschenkelmontagsknülleraufreger. Vielleicht aber auch nur theoretisch. Denn von ein bisschen Datenverkehr im Internet abgesehen, scheint es dem Verbraucher im Großen und Ganzen doch zu genügen, wenn ein paar Aufsteller an der Ladentheke davon zeugen, dass auch in der Region selbst Nahrungsmittel produziert werden. Und damit stellt sich zwangsläufig die Frage, ob der Rettungsanker Regionalität denn auch hält. Zumal sich ja sogar eine Nestlé mit Umsätzen von zuletzt 90 Mrd. sfr scheinbar von einer Edeka mit ihren 50 Mrd. € Umsatz in die Knie zwingen lässt. Wie soll dann eine im Vergleich dazu zwangsläufig immer kleine Genossenschaft oder gar der einsame Krauter ums Eck gegen den Handel anstinken können?

Doch halt: Anfang 2017 musste in Großbritannien die Abgabe von Gemüse trotz astronomischer Preise rationiert werden und was haben uns unlängst die Salatgurken gelehrt? Die Menge macht´s – und zwar auch den Preis. Schützenhilfe soll es zudem von der Europäischen Kommission geben: in einer Task Force wird derzeit unlauteren Handelspraktiken hinterhergespürt. Als größtes Problem wird der auch in der Asymmetrie der Handelsbeziehung begründete so genannte Angstfaktor auf Produzentenseite gesehen. Aber ist denn nicht eigentlich und sowieso der Kunde und damit der Verbraucher König? Als Walmart vor drei Jahren bekanntgab, in seinen US-Filialen keine Sturmgewehre mehr verkaufen zu wollen, war das keineswegs die Reaktion des Handelsgigantens auf Columbine und Co., sondern ausschließlich der gesunkenen Nachfrage geschuldet. Es wurden dann auch keine Pflüge aus den Maschinenkarabinern geschmiedet, sie mussten lediglich für Jagdgewehr und Schrotflinte Platz machen. Nur den Verbraucher in die Pflicht zu nehmen greift dann allerdings auch wieder zu kurz: Wenn sich der Montagsknüller einmal im Kopf festgesetzt hat, ist es zwangsläufig schwierig, am Dienstag wieder zur Normalität zurück zu kehren.

Tim Jacobsen

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