"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Autor: juetim (Seite 14 von 17)

Seit dem erfolgreichen Abbruch einer wissenschaftlichen Karriere lebt und arbeitet Tim Jacobsen gemeinsam mit Frau, Familie, Goldfischen und Katze in Bonn

Turbulente Tage in Essen

Es wurde im Nachgang viel darüber spekuliert, ob die 1,3 Mio. stimmberechtigten Bürger am 9.11.2013 tatsächlich die Frage „Sind Sie dafür, dass sich die Landeshauptstadt München zusammen mit der Marktgemeinde Garmisch-Partenkirchen und den Landkreisen Berchtesgadener Land und Traunstein um die Olympischen und Paralympischen Winterspiele 2022 bewirbt?“ beantworteten oder ob vielmehr die Machenschaften des IOCs zur Abstimmung standen.

Letztendlich genügten rund 200 000 Stimmen, den Traum von `Olympia dahoam´ platzen zu lassen. Ein Umstand, der Franz Beckenbauer dazu verleitete, ein etwas großzügigeres Demokratieverständnis zu offenbaren: „Ich bin mir nicht sicher, ob man zukünftig immer das Volk befragen sollte. Früher hat es auch ohne Bürgerentscheide Großereignisse gegeben. Die Gegner sind eben immer aktiver. Die gehen alle zur Wahl hin und nehmen noch ihre Großmutter mit.“

Kaiserliche Gedanken könnten am Abend des 19. Januars auch den Unterzeichnern der Charta „Pro Messe Essen“ durch die Köpfe gegangen sein: Bei einer Wahlbeteiligung von 28,8 % votierten 66 000 Essener Bürgerinnen und Bürger gegen die so genannte Ertüchtigung der Messe Essen. Paradoxerweise musste in Essen die Frage „Sind Sie dafür, dass der Beschluss des Rates der Stadt Essen vom 17.7.2013 über den Neubau der Messe für 123 Mio. € aufgehoben wird und die Messe-Aufsichtsratsmitglieder verpflichtet werden, die Neubauplanung abzulehnen?“ bejaht werden, um dagegen sein zu können.

Am Ende genügten 1 000 Stimmen Vorsprung, um die 123 Mio. € teuren Messemodernisierungspläne (wenn schon nicht zu begraben, so doch zumindest) erst einmal auf sehr kaltes Eis zu legen. Als im Juli 2013 der Essener Rat beschloss, die Messe rundzuerneuern, stimmte mit SPD, CDU, FDP und EBB noch eine äußerst breite bürgerliche Mehrheit für die Messepläne. Rund 16 000 fristgerecht abgelieferte Unterschriften setzten Ende Oktober den Wahlkampf in Gang.

Und da standen dann auf einmal dem verkürzt auf Schlagzeilen schwer vermittelbaren internationalen Messegeschäft unzählige, Tag für Tag erfahrbare Schlaglöcher sowie unterfinanzierte Kindertagesstätten gegenüber. Leichte Beute also für die Ertüchtigungsplangegner, die genüsslich an die „Beinahe-Pleite vor zwei Jahren“ sowie „millionenschwere jährliche Zuwendungen“ erinnerten und die Modernisierungspläne in eine Reihe mit Stuttgart 21, Elbphilharmonie und Hauptstadtflughafen stellten.

Mit dem Ergebnis des Bürgerentscheides wurde aber nicht nur die Arbeit von sechs Jahren Vorbereitungszeit zunichte gemacht und finanzielle Aufwendungen in Millionenhöhe handstreichartig entwertet; es ist nicht auszuschließen, dass weitere Messeveranstalter angesichts des vorläufigen Modernisierungs-Aus´ den Lockrufen konkurrierender Messegelände erliegen und somit den Standort Essen weiter schwächen könnten.

Solange keine Waffengleichheit unter den Messebetreibern herrscht, wird das Wettrüsten kein Ende nehmen

Tim JAcobsen

Womit niemandem geholfen wäre, schließlich hatte der Versuch, am finanztechnisch großen Rad zu drehen, Anfang des Jahrtausends wie in vielen anderen Kommunen zwar kurzfristig für Liquidität gesorgt, einhergehend mit dem so genannten Cross-Border-Leasing waren allerdings auch Verpflichtungen eingegangen worden, die weitreichender kaum hätten sein können: Knapp zwanzig Jahre muss der Messebetrieb in Essen noch aufrechterhalten werden, andernfalls drohen Strafzahlungen in einer Höhe, die den Weiterbetrieb bis 2032 als deutlich günstigere Option erscheinen lassen.

Auch wenn bei den Messebetreibern in Essen eine Woche nach Bekanntgabe des Ergebnisses des Bürgerentscheids noch deutlich zu spüren war, dass mit einem anderen Abstimmungsergebnis gerechnet worden ist, fehlte zum IPM-Auftakt von Schockstarre jede Spur. Ganz im Gegenteil: bis Ende März gaben die politischen Entscheidungsträger aller im Essener Rat vertretenen Fraktionen Ende Januar der Geschäftsführung der Messe Essen Zeit, Lösungsvorschläge zu erarbeiten, wie sich die Positionierung Essens als Place of Events für die Zukunft sichern lässt.

Ob das Ganze dann Ertüchtigung heißen wird oder vielleicht schlicht Modernisierung, weiß heute noch niemand mit Sicherheit zu sagen. Das Einzige, das zweifelsfrei feststeht, ist, dass der zunichte gemachte finanzielle und personelle Aufwand in der Durchführung der Baumaßnahme wohl am besten aufgehoben gewesen wäre. Schließlich stand in Essen am 19.1.2014 ja nicht die auch über unsere Landesgrenzen hinaus weit verbreitete Praxis, defizitäre Messegesellschaften mit öffentlichen Geldern am Leben zu erhalten, zur Abstimmung. Und auch wenn einem dies als Steuerzahler sauer aufstößt: Solange keine Waffengleichheit unter den Messebetreibern herrscht, wird das Wettrüsten kein Ende nehmen.

Tim Jacobsen

Zukunft 2.0

„Nicht schon wieder“ wird sich so mancher wohl gedacht haben, als in den Medien über Wochen hinweg kaum ein anderes Thema diskutiert wurde als die Frage, wer wohl bei der auch offiziell Kanzlerduell genannten Fernsehdiskussion zwischen der Amtsinhaberin und ihrem Herausforderer besser abschneiden wird. Auch Wochen später steht eigentlich nur eines fest: wahlentscheidend werden die 90 Minuten wohl nicht gewesen sein. Wie schon 2005 und 2009 wurde auch dieses Jahr live aus den Studios in Berlin Adlershof gesendet. Und wie auch 2009 fand dieses Jahr in sowohl zeitlicher als auch räumlicher Nähe zum Kanzlerduell ein Zukunftskongress Gartenbau statt. War das Ziel 2009 noch der Gartenbau 2020, sollten 2013 bereits Visionen für die Zeit bis 2030 entwickelt werden.

Um es kurz zu machen: in zumindest dieser Hinsicht verfehlten die Organisatoren das Klassenziel. Was ihnen jedoch sehr wohl gelang, und dafür gebührt ihnen zu Recht vollstes Lob und bester Dank, ist, mit dem so genannten Bericht der Forschergruppe zum Zukunftskongress Gartenbau die bisher umfassendste Zusammenstellung der Rahmenbedingungen und zukünftigen Herausforderungen des deutschen Gartenbausektors vorgelegt zu haben – selbst wenn, wie in Berlin bemängelt wurde, für die gärtnerische Praxis durchaus relevante „Details“ wie etwa das Streitthema Pflanzenschutz nicht ausreichend berücksichtigt wurden.

Zwei Jahre Vorbereitungszeit waren dem Bericht vorausgegangen. Zwei Jahre, in denen in Umfragen, einem Internetportal, diversen Workshops und weiteren Treffen der „Forschungsbegleitenden Arbeitsgruppe“ Antworten auf die Leitfrage gesucht wurden, welche Szenarien für die zukünftige Entwicklung des Gartenbaus vorstellbar sind.

Zukunftskongress 2.0: Wissenschaftlich fundiert hellsehen

Tim Jacobsen

Diese Diskussion fand jedoch leider nicht den breiten Widerhall, den man ihr gerne gewünscht hätte: kaum jemand verirrte sich in das Diskussionsportal im Internet; auch die Expertentreffen fanden abgeschieden genug statt, um bei der eigentlich auf den Bericht der Forschergruppe aufbauenden Diskussion im Rahmen des Zukunftskongresses in Berlin dann in vielen Punkten doch wieder bei null beginnen zu müssen. Auch, da sich nicht alle Teilnehmer im Vorfeld intensiv genug mit der Diskussionsgrundlage auseinandersetzten.

So glich die Diskussion in vielerlei Hinsicht dem Kanzlerduell: Eine häufig unmoderierte Aneinanderreihung hauptsächlich gegenwartsbezogener Aussagen. Vielleicht war ja einfach nur das Themenspektrum eine Nummer zu groß geraten – schließlich sollte kein Zukunfts-Aspekt unbeachtet bleiben. Vielleicht fehlten aber auch die Jungen, über deren Zukunft ja eigentlich diskutiert werden sollte. Vielleicht mangelte es aber auch nur an einer für eine solche Diskussion eigentlich benötigten Gesprächskultur: So lange jeder Aussage droht, schubladenartig als zu banal oder emotional aufgeladen disqualifiziert zu werden, kann wohl keine Diskussion mit visionärem Anspruch aufkommen.

So wurde am Ende viel über die geringe Attraktivität der grünen Branche als Arbeitgeber oder das für Produzenten oftmals unbefriedigende Leistungs-/Preisverhältnis geredet. Wobei sich die sprichwörtliche Katze dann natürlich schnell in den Schwanz beißt: können die Löhne nicht steigen, da die Produktpreise so niedrig liegen und könnte vielleicht nicht doch generische Werbung all diesen Problemen den Garaus machen? Diskussionen also, für die es nicht unbedingt einen zweiten Zukunftskongress gebraucht hätte. Obwohl der Vorschlag, Warenmengen künstlich dadurch zu verknappen, indem das so genannte dritte Drittel der Betriebe von der Produktion ausgeschlossen wird, durchaus etwas Visionäres hatte – nur vielleicht nicht ganz zur Gegenwart passte.

Dass es dem Gartenbausektor angesichts der zukünftigen Herausforderungen nicht bang sein muss, betonte Ilse Aigner in ihrer Videobotschaft eingangs der zweitägigen Veranstaltung. Die Initiatorin der „Zukunftsstrategie Gartenbau“ ließ keine Zweifel daran aufkommen, dass der gärtnerische Berufsstand dank seiner ausgeprägten Innovationsfreude und hohen Einsatzbereitschaft in der Lage sein wird, die Zukunft zu meistern. Es lässt sich vorzüglich darüber spekulieren, wie die Diskussionen verlaufen wären, hätte mit einer größeren Anzahl von Unternehmern tatsächlich ein repräsentatives Spiegelbild des Berufsstandes im Publikum gesessen.

Tim Jacobsen

Geld oder Leben – Moral und Märkte

Wer bei Ökonomen zuallererst an Schlippsträger denkt, wird beim Leiter des Bonner Econlab Schwierigkeiten haben, zu erraten, welchem Beruf Prof. Dr. Armin Falk nachgeht. Wahrscheinlich ist es aber genau dieses gewisse Etwas, das Falk in die Lage versetzt, mit dem Ergebnis seiner Experimente weltweit für Aufsehen und –regung zu sorgen. Jüngster Streich des Shootings Stars unter den deutschen Wirtschaftswissenschaftlern waren die Mitte Mai im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichten Erkenntnisse darüber, wie Marktzusammenhänge moralische Grundsätze aushebeln können. Falks Ausgangshypothese war dabei, dass das Agieren auf Märkten einen Abstand zwischen uns und den Folgen unserer Entscheidungen schafft, der uns letztendlich zu unmoralischem Handeln verführt.

Konkret stellte Falk gemeinsam mit seiner Magdeburger Kollegin Prof. Dr. Nora Szech den knapp 800 Teilnehmern des Experimentes im Sommer letzten Jahres die Frage, ob ihnen das Überleben einer Labormaus oder ein kleiner Geldbetrag lieber wäre. Unterschiedliche Versuchsanordnungen sollten dabei klären, ob der Marktmechanismus unmoralisches Verhalten fördert. Ein Teil der Probanden konnte sich individuell zwischen 10 € oder dem Leben einer Maus entscheiden; der Rest wurde in Käufer und Verkäufer aufgeteilt. Jedem Verkäufer wurde eine Maus, jedem Käufer 20 € in die Hand gedrückt. In der bilateralen Versuchsanordnung trafen jeweils ein Käufer sowie ein Verkäufer aufeinander, in der multilateralen Versuchsgruppe standen sieben Käufern neun Verkäufer gegenüber.

Käufern und Verkäufern war dabei freigestellt, ob sie überhaupt am Handel teilnehmen wollten. Ging der Verkäufer jedoch auf das Angebot eines Käufers ein, wurden die 20 € aufgeteilt und die Maus getötet (ein Schicksal, das die Labormäuse sowieso erwartet hätte). Gehandelt wurde anonym über ein zu diesem Zweck in der Bonner Beethovenhalle installiertes Computernetzwerk. Im Rahmen der Einführung bekamen die Teilnehmer ein Video zu sehen, in dem eine Maus vergast wird, langsam an Atemnot stirbt und nach zehn Minuten aus dem Käfig entfernt wird.

Auf sich allein gestellt, entschied sich mehr als die Hälfte der Teilnehmer für das Leben der Maus und gegen die 10 €. Aus den bilateralen Verhandlungen ging dann nur noch ungefähr ein Viertel der Mäuse als Sieger hervor und unter Marktbedingungen mit mehreren Teilnehmern stellte dann lediglich ein gutes Fünftel der Teilnehmer das Leben der Maus über die Aussicht auf den Geldgewinn – selbst wenn dieser unter den verschärften Marktbedingungen im Laufe von zehn Spielrunden sogar noch einmal um knapp zwei Euro auf 4,50 € sank – und damit ein Wert erreicht wurde, der in der individuellen Abfrage noch für so gut wie unmöglich gehalten wurde.

Gekauft wird, was billig ist

tim Jacobsen

Für Falk und Szech bewahrheitet sich damit, dass allein das Vorhandensein von Märkten zur Erosion moralischer Standards führen kann. Sie erklären das damit, dass, sobald man nicht mehr auf sich allein gestellt ist, gemäß dem Sprichwort `geteilte Schuld ist halbe Schuld´ die Schuldfrage entwertet werde, zum anderen impliziere die Handelbarkeit eines Gutes gewisse moralische Standards, die im weiteren Verlauf ohne viel Zutun in eine Abwärtsspirale geraten können. Keinesfalls unterschätzt werden sollte Falk und Szech zufolge auch, dass die Fokussierung auf das bestmögliche Handelsergebnis dazu führen kann, dass moralische Grundsätze in den Hintergrund rücken.

Die Autoren vergleichen das Ergebnis ihres Experiments mit der Alltagssituation vieler Verbraucher in Deutschland. Zwar gäbe es beispielsweise niemanden, der öffentlich für Kinderarbeit eintritt; und natürlich wüssten die meisten Konsumenten Bescheid über die teilweise erbärmlichen Arbeitsbedingungen in fernöstlichen Sweatshops – da aber diese Bedingungen für uns nur wenig direkte Bewandtnis haben, gelten sie nicht viel. Gekauft wird, was billig ist. Die beiden Wissenschaftler sind sich dann auch sicher, dass Moralappelle wenig Abhilfe schaffen können – ähnlich wie den Verbrauchern auf Schnäppchenjagd hätten den Teilnehmern der Studie die Folgen ihres Handelns jederzeit bewusst sein können.

Ob das unmoralische Verhalten nun tatsächlich den Marktmechanismen oder vielleicht doch auch zumindest ein bisschen der Gruppendynamik geschuldet ist, wie von manchem Kritiker angemerkt wurde, bleibt letztendlich eine pur akademische Diskussion. Schließlich zeigt das Experiment auf schlichte und dennoch aufsehenerregende Weise, dass es der Markt den Menschen einfach macht, moralische Bedenken auf die Seite zu schieben. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass es möglich ist, den eigenen moralischen Standards treu zu bleiben – immerhin verweigerte ein Teil der Probanden standhaft, am munteren Handelstreiben mit dem für die Mäuse tödlichem Ausgang teilzunehmen. Und nicht zuletzt ist mit dem Experiment auch der Beweis erbracht, dass es sich lohnt, aus der Anonymität der Masse hervorzutreten und den persönlichen Kontakt mit der eigenen Kundschaft zu suchen.

Tim Jacobsen

Mehr als nur Smalltalk: das Wetter

Jede Menge bislang weithin unbekannter Rekorde wurden dieses Jahr bereits auf mehr oder weniger publikumswirksame Weise gebrochen – wovon im 68. Lebensjahr ältester Meistertrainer Deutschlands zu werden einer der eher skurrilen Art ist. Während sich bei der Honorierung der Lebensleistung Jupp Heynckes´ auch ansonsten eher unversöhnliche Fanlager auf einen gemeinsamen Nenner einigen können, splittert sich die Stimmungslage beim Stichwort Tripel in die jeweiligen Vereinsfarben auf.

Um im Miteinander möglichen Stolpersteinen aus dem Weg zu gehen, empfiehlt es sich dann, gar nicht erst mit Fußball zu beginnen, sondern es beim Wetter zu halten. Denn bei diesem Thema sind sich garantiert alle einig: Schließlich haben sich auch mit Erreichen des meteorologischen Sommerbeginns wohl nur wenige Haushalte getraut, die Heizung auf Sommerbetrieb zu stellen – geschweige denn, dass die Heizungssteuerung von selbst merken hätte können, dass wir uns in Riesenschritten Mittsommernacht nähern.

Es war nass, es war kalt, es war dunkel und es war lange nass und kalt und dunkel. Ob nun allerdings im Mai nur das eineinhalb oder doch das Dreifache der sonst üblichen Regenmenge vom Himmel fiel – ein Fall für die Statistiken. Und war der März eigentlich wirklich der kälteste März jemals – welche Rolle spielt das eigentlich? Wie viel man auf statistische Wetterdaten geben kann, lässt sich am wetterkapriolenreichen April ablesen: ein paar fast schon sommerliche Tage zwischendurch genügten, um den April im Mittel sogar über den langjährigen Durchschnitt zu heben und damit elegant zu kaschieren, dass es an Weihnachten fast überall in Deutschland wärmer war als zu Ostern.

Keine Schuld trifft die Meteorologen. Fast wünschte man sich manchmal, dass ihre Prognosen fehlerbehafteter wären. Aber wahrscheinlich sind die derzeit vorherrschenden Wetterlagen schlichtweg zu einfach zu interpretieren, als dass man sich diesbezüglich große Hoffnungen machen könnte. Anscheinend reichen für unsere derzeitigen Tiefausläufer die 1,3 Billiarden Rechenschritte (immerhin eine Zahl mit 15 Nullen) vollkommen aus, mit denen der Computer des Deutschen Wetterdienstes unseren meteorologischen Tagesablauf abbildet.

Keine Schuld trifft die Meteorologen. Fast wünschte man sich manchmal, dass ihre Prognosen fehlerbehafteter wären

Tim JAocobsen

Wenn es allerdings so wäre, dass der Wetterbericht das Wetter und nicht das Wetter den Wetterbericht beeinflussen würde, hätten wir ganz gute Karten. Schließlich muss trotz aller Rechenpower der so genannte Meteorologe vom Dienst vor Herausgabe des Wetterberichts jeweils selbst Hand anlegen, um aus den von den Computern anhand leicht unterschiedlicher Ausgangsdaten errechneten Prognosen die wahrscheinlichste auszusuchen. Ähneln sich die Simulationsergebnisse, sind die Vorhersagen logischerweise aussagekräftiger als bei instabilen Verhältnissen.

Liegt der Meteorologe in seiner Vorhersage dann mehr als 4,5 K neben den später tatsächlich erreichten Temperaturen, wird dies als grober Fehler bewertet; bei weniger als 2,5 K Abweichung wertet der Wetterdienst die Prognose als gute Vorhersage. Bei den zweitägigen Vorhersagen der Tagesmitteltemperatur kommen die Wetterfrösche mittlerweile auf eine durchschnittliche Abweichung von nur 1,3 K, erst ab der sechstägigen Prognose wird im Mittel die 2,5 K Hürde gerissen.

Grundsätzlich sind die Wetterverhältnisse im Sommer im Vergleich zu den Wintermonaten etwas stabiler, was die Aussagekraft der Vorhersagen in diesem Zeitraum erhöht – die Übergangszeiten sind dagegen mit vergleichsweise hohen Fehlerquoten behaftet. Da die Physik, die hinter Bewölkung und Niederschlag steckt, ungleich komplexer ist als die von Druck und Wind, lässt sich Niederschlag nur schwer prognostizieren. Noch schwieriger ist es, kleinräumige Prozesse wie Windböen oder Gewitter vorherzusehen, da diese relativ leicht durch das Gitterraster des Wettermodells rutschen können.

Wie Dr. Michael Barbulescu auf dem diesjährigen Möhrenforum erläuterte, gibt es keinen Anlass, der Wettervorhersage für die nächsten drei Tage zu misstrauen, auch wenn sie regional durchaus um bis zu einem halben Tag zeitlich daneben liegen kann. Und auch auf den bis zu zehn Tage in die Zukunft weisenden Wettertrend könne man sich durchaus verlassen. Er empfahl, neben den Modellen der Wetterdienste auch die Möglichkeiten zu nutzen, die regional ansässige Wetterstationen oftmals über das Internet frei zugänglich bieten.

So lässt sich dann auch ausgiebig Zeit im Internet damit verbringen, diejenige Prognose zu finden, die am ehesten zu den eigenen Wunschvorstellungen passt, in der Hoffnung, einen kleinen meteorologischen Vorteil für sich nutzen können. Wie dieses Frühjahr allerdings beweist, können knappe Angebotsmengen, die auf eine ebenfalls zurückhaltende Nachfrage treffen, den Marktberichterstattern zufolge zu einem Preisgefüge führen, mit dem sich leben lässt, auch wenn die Erlössituation im Gemüsebau auch dieses Jahr sicher wieder nicht zu Rekordmeldungen führen wird.

Was bleiben wird, ist die Erinnerung an den an Herausforderungen wohl kaum zu überbietenden Einstieg in die Freilandsaison 2013. Und dafür gibt es keinen Eintrag ins Guinnessbuch, so verdient er auch wäre.

Tim Jacobsen

Erfolgsgeschichte Bio?

Zum Nürnberger Bio-Branchentreff jagt mit fast schon erstaunlicher Regelmäßigkeit ein Rekord den anderen – so auch dieses Mal: Wie Mitte Februar zu erfahren war, erreichte der weltweite Umsatz mit Biolebensmitteln zuletzt noch nie dagewesene 62,9 Mrd. US$, immerhin ein Plus von knapp 7 % gegenüber dem Vorjahr.

Von den 21,5 Mrd. €, die dabei in Europa mit Biolebensmitteln umgesetzt werden, entfällt knapp ein Drittel auf Deutschland. Das heißt aber nicht, das wir auch diejenigen wären, die Pro-Kopf am meisten für Biolebensmittel ausgeben würden: Die Verbraucher in unseren Nachbarländern Schweiz und Dänemark kommen auf rund doppelt soviel.

Zwar wurden die unter Bundeskanzler Gerhard Schröder für Deutschland geforderten 20 % Bio-Flächenanteil im Jahr 2010 außer auf den Falklandinseln und im Fürstentum Lichtenstein nirgendwo erreicht, ganz abgekommen von diesem Ziel ist aber auch die Regierung Merkel nicht. Im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht stehen die 20 % noch immer als Zielmarke, wenn auch ohne Jahresangabe. Schriebe sich der Trend der letzten Jahrzehnte fort, sollte diese auch irgendwann erreicht werden – schließlich hat sich seit 1990 die Biofläche in Deutschland verzwölffacht, während sich gleichzeitig die Anzahl Biobetriebe versiebenfachte.

Hinter diesen Erfolgsziffern versteckt sich aber auch eine andere Zahl, wie aus einer Ende Februar veröffentlichten Studie des Thünen-Institutes in Braunschweig hervorgeht. So stellten zwischen 2003 und 2010 zwar 7 500 konventionelle Betriebe auf Bio um, im gleichen Zeitraum kehrten jedoch auch 3 000 Biobauern der Ökolandwirtschaft den Rücken – auf fünfzehn neue Biobetriebe kamen also sechs Betriebe, die just in diesem Geschäftsmodell keine Zukunft mehr sahen.

Und obwohl es im Sinne der nachhaltigen Förderung des Bioanbaus schon immer interessant gewesen wäre, nicht nur der Frage nachzugehen, warum Betriebsleiter auf Bio umstellen, schien es angesichts der Erfolgsmeldungen allerorten bisher kaum jemanden so richtig zu interessieren, warum gar nicht so wenige von diesem Weg auch wieder abkommen.

Einem Autorenteam um Dr. Jürn Sanders gelang es nun, diese Informationslücke zu schließen: Nicht weiter verwunderlich, spielen bei der Rückumstellung oft mehrere Faktoren eine Rolle. Kleinere Betriebe führen Dokumentationspflichten und Kontrollen als unverhältnismäßig an. Auch die gefühlte Praxisferne so mancher Ökorichtlinie ließ Produzenten in der Vergangenheit am eingeschlagenen Weg zweifeln.

Nicht weiter verwunderlich, spielen bei der Rückumstellung oft mehrere Faktoren eine Rolle. Kleinere Betriebe führen Dokumentationspflichten und Kontrollen als unverhältnismäßig an. Auch die gefühlte Praxisferne so mancher Ökorichtlinie ließ Produzenten in der Vergangenheit am eingeschlagenen Weg zweifeln. Zentral stand bei vielen Befragten jedoch die wirtschaftliche Situation ihres Betriebes

Dr. Jürn Sanders

Zentral stand bei vielen Befragten jedoch die wirtschaftliche Situation ihres Betriebes. Neben einem insgesamt zu niedrigen Einkommen waren dies häufig Vermarktungsprobleme, gekürzte Ökoprämien oder zu geringe Preisunterschiede zwischen konventioneller und Bioware. Dass der ökonomische Druck allerdings kein Bio-Spezifikum ist, beweist, wenn auch ungewollt, die Bild-Schlagzeile `Jetzt Betrug mit Bio-Eiern!´ vom 25. Februar – schließlich wurde im Sinne der Skandal-Maximierung geflissentlich übersehen, dass Ende Februar weit mehr konventionelle als Bio-Betriebe Gegenstand der behördlichen Untersuchungen waren.

Die Studie bestreitet nicht, dass es wohl auch immer Rückumsteller geben wird. Ihre Autoren weisen aber unmissverständlich darauf hin, dass die Anzahl Rückumsteller deutlich abnehmen könnte, könnten sich die Betriebe auf eine stimmige und vor allem konstante Förderpolitik verlassen. Dazu gehört dann beispielsweise, dass die einzelnen Bundesländer auf Sonderwege verzichten sollten. Auch sollten sich Agrarpolitik und andere Politikbereiche nicht widersprechen.

So können Landwirte seit geraumer Zeit ein Vielfaches verdienen, wenn sie Biogasanlagen statt ökologischem Landbau betreiben. Nicht zuletzt verspricht das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit seiner zwanzig Jahre umfassenden Förderzusage auch finanziell etwas mehr Nachhaltigkeit, als wenn Bio-Prämien im einen Jahr um ein paar Euros steigen, um bei der nächsten Gelegenheit wieder zum Spielball politischer Interessen zu werden.

Es scheint kaum vorstellbar, dass dies- oder jenseits der kommenden Bundestagswahl jemand am Erneuerbaren-Energien-Gesetz rütteln könnte – selbst wenn trotz historisch niedriger Preise an der Strombörse derzeit die Rechnungen der Versorger dank EEG-Umlage so üppig wie nie zuvor ausfallen: Zu groß ist der Kreis an Profiteuren, die sich dank staatlich garantierter Traumrenditen beruhigt zurücklehnen und wahrscheinlich selten darüber nachdenken, welchen Unfug es darstellt, wenn sie an wind- oder sonnenreichen Tagen Geld dafür bekommen, keinen Strom einzuspeisen und wenn wir für unseren teuer produzierten Ökostrom sogar Aufpreis bezahlen, um ihn im Ausland loszuwerden.

Tim Jacobsen

Ungeheuer Mehrwertsteuer – droht neues Ungemach?

Eine leise Vorahnung, dass der Vorstoß der Europäischen Kommission, bis Ende 2013 einen Weg hin zu einem „einfacheren, robusteren und effizienteren MwSt.-System“ zu finden noch so manche Fallstricke bergen wird, beschleicht einen spätestens beim Blick auf den Kassenzettel der Feiertagseinkäufe: Für die französische Gänseleber, den Apfel vom Bodensee und die Garnelen aus dem arktischen Ozean wird der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent berechnet; für Erdbeeren in Marmeladenform und den Birnensaft vom Direktvermarkter ums Eck sind hingegen volle 19 % fällig.

Kein Wunder, dass auch der Bundesrechnungshof dem gesunden Menschenverstand beipflichtet und der Bundesregierung im Jahr 2010 mit auf den Weg gab: „Der Katalog der begünstigten Gegenstände ist unübersichtlich und teilweise widersprüchlich. … Bei einer Reihe von Gegenständen ist zudem nicht zu begründen, warum der ermäßigte Steuersatz gewährt wird. Teilweise mutet die Abgrenzung willkürlich an.“

Die Bundesregierung nahm sich seinerzeit der Aufgabe an und setzte, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Kommission ein, „die sich mit … dem Katalog der ermäßigten Mehrwertsteuersätze“ befassen sollte. Neben einer nicht gerade überraschenden Meinungsvielfalt in der Koalition führten die Machtverhältnisse im Bundesrat im weiteren Verlauf dazu, dass das noch im Februar 2011 vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle lauthals als „Flurbereinigung bei den Steuersätzen“ postulierte Projekt bereits im Laufe des darauf folgenden Sommers still und heimlich wieder in den Schubladen verschwand. Glück im Unglück, möchte man meinen angesichts von Vorschlägen, die nicht weniger als eine Abschaffung aller Vergünstigungen einhergehend mit einer Senkung des regulären Steuersatzes forderten. Zudem es ja auch wenig wahrscheinlich scheint, dass die Bundesregierung mit ähnlich gearteten Slogans in den Wahlkampf ziehen könnte.

„Flurbereinigung bei den Steuersätzen“

Forderung von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle

Allerdings kann bis zum 22. September 2013 noch viel passieren und das schlimmstmögliche Szenario wäre dann auch vielleicht gar nicht einmal ein weitreichender Meinungsumschwung im Wahlvolk, sondern ein Abflauen der derzeit insbesondere den Deutschen günstig gewogenen Konjunktur: Unbarmherzig würde dies die Schieflage des Bundeshaushaltes entlarven und unweigerlich Kaskaden von Vorschlägen zur Stopfung der größten Haushaltslöcher in Gang setzen. „Schäubles Liste“, die passend zum Weihnachtsfest ihren Weg in das Nachrichtenmagazin Der Spiegel fand, gibt einen Vorgeschmack auf das, was uns möglicherweise erwartet.

Zwar würde aus dem dann einsetzenden Hauen und Stechen nicht unbedingt die Berufssparte mit der schlüssigsten Argumentation als Sieger hervorgehen, gleichwohl hätte der Zierpflanzenbau eine Reihe schlüssiger Argumente auf seiner Seite. Wurde bisher immer das mittlerweile schon etwas angestaubte Beispiel Frankreich herangezogen, steht nun mit den Absatzentwicklungen in den Krisenländern Südeuropas hochaktuelles Zahlenmaterial zur Verfügung.

So wurde beispielsweise in Spanien im September letzten Jahres der Mehrwertsteuersatz für Blumen dem Regelsatz angeglichen, was im Folgemonat zu einem Umsatzrückgang von rund 15 % führte. Einen Nettoumsatzrückgang in ähnlicher Größenordnung hatten die französischen Kollegen erlebt, nachdem der Gesetzgeber dort im Jahr 1991 die Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für Zierpflanzenprodukte strich. Zwar stieg der Bruttoumsatz im Folgejahr leicht an, ob das vermehrte Steueraufkommen jedoch die Entlassung von weit mehr 10 000 Mitarbeitern kompensieren konnte, wird von Fachleuten zu mindest in Zweifel gezogen.

Schließlich sprechen die Zahlen, wie sie beispielsweise die Agrarökonomen des niederländischen LEI errechnet haben, für sich. Würden in allen EU-Ländern die ermäßigten Mehrwertsteuersätze für Zierpflanzenprodukte den regulären Sätzen angeglichen, hätte dies im europäischen Einzelhandel einen Umsatzrückgang von 3,5 Mrd. € zur Folge. Der europäische Großhandel müsste rund 2,7 Mrd. € kompensieren, auf Produktionsebene kämen noch einmal Umsatzverluste in Höhe von 1,7 Mrd. € hinzu.

Knapp 29 000 Arbeitsplätze gingen dadurch in der Produktion verloren, im Handel kämen noch einmal knapp 31 000 verlorene Arbeitsplätze dazu. Und nicht nur in Europa würde dieser Kahlschlag seine Spuren hinterlassen: Die afrikanischen Schnittblumenexporteure hängen beispielsweise nahezu vollständig vom europäischen Binnenkonsum ab.

Die Frist, bis zu der EU-Kommissar Algirdas Šemeta Vorschläge zur Reform des Mehrwertsteuersystems für die Ausarbeitung seines Rechtsvorschlags berücksichtigen wollte, lief am 3. Januar 2013 weitgehend unbemerkt ab. Ein Schicksal, das er mit seinem Kommissionskollegen Dacian Cioloş teilt: Als dieser die Bürgerinnen und Bürger Europas aufforderte, Vorschläge zur Gestaltung der zukünftigen gemeinsamen Agrarpolitik zu machen, kam er gerade mal auf 5 000 Einsendungen.

Tim Jacobsen

`Bio´ in aller Munde

So wenig, wie das Anfang September in der ARD-Reportage Fakt-Exklusiv gezeigte Fallbeispiel Missstände in der biologischen Fleischproduktion widerspiegelt, so wenig repräsentativ waren auch die mehreren hunderttausend Tonnen fälschlicherweise als Bioware vermarkteten Agrarprodukte, die zu Jahresbeginn für Aufruhr sorgten.

Während im ersten Fall die Aufregung über die mecklenburgisch-vorpommerschen Schweine schnell vergessen ließ, dass sich Ställe rechnen müssen und auch Bioproduzenten angesichts der allgemeinen Zahlungsbereitschaft keine Streichelzoos betreiben können, zeigte das zweite Beispiel, dass, wo immer es Geld zu verdienen gibt, stets auch ein Anreiz zum Betrug gegeben ist – wobei der Anreiz naturgemäß umso größer ist, je weniger involviert man selbst ist: Verliere ich mit der Lizenz zur Bioproduktion gleichzeitig meine Geschäftsgrundlage, liegt die Hemmschwelle höher als wenn ich heute mit gefälschten Bioprodukten handle, morgen mit irgendeiner anderen Art von Plagiat.

In die Hände spielte den Biofälschern der hohe Importanteil: Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland das Biomarktvolumen rund doppelt so schnell gestiegen ist wie die Anbaufläche, was zwangsläufig dazu führte, dass in vielen Produktfällen Regionalität nicht gegeben sein kann. Rund die Hälfte der Biomöhren und –äpfel werden importiert, bei den -tomaten sind es sogar mehr als vier Fünftel.

In die Hände spielte den Exporteuren aus dem Süden mit Sicherheit auch das Wirrwarr an Siegeln: so wurde das vor zehn Jahren eingeführte grünweißschwarze Sechseck mit dem Schriftzug „Bio nach EG-Öko-Verordnung“ im Jahr 2010 um das EU-Bio-Logo mit seinen 12 weißen Sternen, die ein stilisiertes Blatt auf grünem Grund formen, ergänzt. Beide Siegel nehmen sich im Grunde nicht viel – mit dem Unterschied, dass bei Importware nicht Ilse Aigners Ministerium sondern die Kontrollbehörde des jeweiligen Herkunftslandes für die Einhaltung der Spielregeln bürgt.

Niemand bestreitet, dass es zwischen Bio- und konventioneller Produktion jede Menge klarer Unterschiede gibt: Inzwischen ist allgemein bekannt, dass in der Bioproduktion weder chemischer Pflanzenschutz noch Kunstdünger oder Gentechnik zum Einsatz kommen und auch gegen die Verwendung des nicht nur in Biokreisen vielgeschmähten Glutamats gibt es mehr als nur Vorbehalte.

Am Beispiel Geschmacksverstärker lässt sich dann auch veranschaulichen, warum die Diskussion für oder wider `Bio´ oft in einen Glaubenskrieg umschlägt. Zwar darf in der Weiterverarbeitung von Biolebensmitteln keines der Salze mit den wenig aussagekräftigen Bezeichnungen E 621 – 625 verwendet werden, die Zugabe von Hefeextrakt ist aber sehr wohl erlaubt – und in diesen Extrakten steckt dann wiederum jede Menge Glutamat.

„`Bio´ nur wenig gesünder“

Publikumspresse

Dass sich angesichts dieser oft kleinen aber feinen Unterschiede auch Kommunikationsprofis gar nicht so leicht tun, die Bio-Spreu vom Weizen zu trennen, zeigt die in den letzten Wochen auf so gut wie allen Kanälen geführte Diskussion über die Ergebnisse einer Studie, in der wieder einmal der Frage nachgegangen worden war, ob Biokost gesünder ist als konventionelle Ware. Der Hauptunterschied zu all den Vorgängerstudien, die `Bio´ seit jeher begleiten, ist, dass dieses Mal noch mehr Studien aus einem noch längeren Zeitraum als jemals zuvor miteinander verrechnet wurden.

Das ernüchternde Ergebnis: kaum Produktunterschiede bei den so genannten inneren Werten. Der Gehalt an Phenolen und Phosphor lag in den Bio-Varianten zwar etwas höher; allerdings scheint, was den Polyphenolgehalt angeht, Kaffeetrinken die zielführendere Alternative und auch die Bedrohung durch Phosphormangel ist in unseren Breiten überschaubar. Ebenfalls wenig überraschend wurden in der Metastudie relevante Unterschiede festgestellt, was Rückstände angeht. Allerdings wird die Bedeutung dieses Befundes mit dem Hinweis darauf relativiert, dass die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln keine alarmierenden Größenordnungen erreichen, beide Varianten also im absolut sicheren Bereich liegen.

In der Lesart der Publikumspresse führte das zu Schlagzeilen wie „`Bio´ nur wenig gesünder“ und wurde je nach Glaubensrichtung als so genanntes Bio-bashing oder das Ende des Bio-Marketinghypes interpretiert. Wollte man der Sache tatsächlich auf den Grund gehen, müsste man die Frage zu beantworten versuchen, wie sich Bio- im Vergleich zu konventioneller Kost langfristig gesundheitlich bemerkbar macht. Dies scheint jedoch fast unmöglich, denkt man an weitere Einflussfaktoren wie Bewegung, Bildung, Einkommen oder Lebensstil. Diskutiert man die Studie mit Ernährungsfachleuten, wird schnell klar, dass die Fragestellung eigentlich auch ganz anders lauten sollte: Spielt denn nicht weniger die Herstellungsmethode sondern vielmehr die Auswahl der Lebensmittel die entscheidende Rolle? Und da zeigen Gemüse, Vollkorn- und ballaststoffreiche Kost kombiniert mit allenfalls moderatem Fleischkonsum signifikant lebensverlängernde Wirkung.

Tim Jacobsen

Die weiteren Aussichten: Heiter bis wolkig

Rob Baan ist schwer zu fassen: sobald man glaubt, jetzt müsste doch eigentlich der Moment gekommen sein, an dem er kurz innehält, verblüfft er sofort mit neuen Aktivitäten. Kurz nach Fertigstellung seines Gewächshausneubaus, der im Verbinder endlich einmal genug Platz für zumindest die spektakulärsten Auszeichnungen der letzten Jahre bietet, ging 24Kitchen on air, ein von ihm initiierter Fernsehsender, der Frischprodukte und ihre Verwendung zum Thema hat.

Vorläufig letzter Streich Baans war sein Auftritt bei TED x Binnenplein, der nicht nur den niederländischen Thronfolger und seine Frau begeistern konnte. Baan machte dabei auf das Missverhältnis aufmerksam, dass Schokoladenriegelfabrikanten ihre Produkte mit dem Energiegehalt bewerben können, die gesundheitsfördernde Wirkung von Brokkoli beispielsweise jedoch verschwiegen werden muss. Baan forderte dazu auf, dass, anders als bisher, nicht Gesundheitsrisiken und Krankheiten, sondern die positiven Auswirkungen gesunder Ernährung im öffentlichen Fokus stehen sollten. Sichtbares Zeichen könnte die Einrichtung eines Ministeriums für Ernährung und Gesundheit sein.

Vorläufig letzter Streich Baans war sein Auftritt bei TED x Binnenplein, der nicht nur den niederländischen Thronfolger und seine Frau begeistern konnte

Tim Jacobsen

Wenige Tage zuvor hatte Dr. Andreas Brügger vom Deutschen Fruchthandelsverband beim Deutschen Obst- und Gemüsekongress in Düsseldorf Zahlen präsentiert, die belegten, dass in Deutschland sowohl bei der Einkaufsmenge pro Haushalt als auch beim Pro-Kopf-Verbrauch von Obst und Gemüse die Trendlinien rückläufig sind und wir uns von der empfohlenen Verzehrsmenge weiter denn je entfernen.

Dies, obwohl Obst und Gemüse zu den Favoriten des Handels zählen, wie Helmut Hübsch vom Nürnberger Marktforschungsunternehmen GfK zuvor erläutert hatte. Nicht nur liegen Obst- und Gemüse fast gleichauf mit dem Spitzenreiter Molkereiprodukte, was ihren Anteil bei den so genannten Frische-Warengruppe-Artikeln mit großer Kaufhäufigkeit (FMCG) angeht.

Nimmt man neudeutsch Shoppertraffic als Maßstab, lag die Warengruppe Obst und Gemüse letztes Jahr sogar an erster Stelle. Im Frühjahr 2011 machte die Consumer Index für Obst und Gemüse genannte Kennzahl in den Monaten Januar bis April Hübsch zufolge selbst mit positiven Veränderungsraten sowohl gegenüber dem Vorjahr als auch gegenüber der Gesamtentwicklung für die Fast Moving Consumer Goods auf sich aufmerksam.

Die wenigen Wochen zwischen den Bildschlagzeilen „Lebensgefährlicher Erreger infiziert 20 Menschen!“ und „EHEC: Ist jetzt alles vorbei?“ genügten dann allerdings, die Absatzmengen bei Gurken, Tomaten, Salaten und Blattgemüsen von Woche 20 auf Woche 22 teilweise deutlich mehr als nur zu halbieren. Während sich bei Strauchtomaten beispielsweise dann die Situation ab Woche 26 deutlich entspannte, erreichte der Gurkenmarkt erst Ende August wieder das Niveau der vorangegangen Jahre. Salate und Blattgemüse kamen im von Hübsch präsentierten ConsumerScan Ende Juli wieder in den Bereich der Kennzahlen des langjährigen Mittels.

Interessant wird es, wenn man die monatlichen Durchschnittstemperaturen mit denen des langjährigen Mittels vergleicht und diesen Kurven dann wiederum die Abverkaufsentwicklung gegenüberstellt. Hübsch zeigte die Auswirkungen des im langjährigen Vergleich deutlich zu kühlen Monats Mai 2010 auf die Absatzentwicklung bei Erdbeeren und Spargel, die der vergleichsweise warme Juni im selben Jahr dann wiederum teilweise wettmachen konnte und verglich diese Entwicklungen mit den letztjährigen Wetterdaten. Ein vergleichsweise warmes Frühjahr führte 2011 dazu, dass die Abverkaufsentwicklung bei Erdbeeren im Mai 2011 knapp das Doppelte der Tonnage aus dem Jahr zuvor ergab.

Die Salate starteten im April 2010 mit einer im Vergleich zu 2011 rund 10 % niedrigeren Tonnage in die Frühjahrssaison. Ein Temperatursturz deutlich unter das langjährige Mittel führte im Mai 2010 wiederum zu einem Rückgang des Abverkaufs, ein Trend der sich im vergleichsweise warmen Juni fortsetzte und erst mit den hochsommerlichen Temperaturen im Juli 2010 wieder umkehrte. 2011 starteten die Salate bei salatfreundlichen Klimabedingungen, von April bis Juni kommt es Hübsch zufolge zu einer Halbierung des Absatzes. Im Juli 2011 wiederum, als die Temperaturen anders als im Jahr zuvor unter das langjährige Mittel fallen, kommt es zu einer Umkehr des Trends – im August schließlich stabilisiert sich der Absatz auf dem Niveau des Vorjahres.

Zu kämpfen hatten im letzten Jahr auch die traditionellen Sommerprofiteure in den Getränkemärkten und an den Frischfleischtheken, die zwischendurch Absatzrückgänge von 14 bzw. 30 % verzeichnen mussten. Aber ähnlich wie sich die letztes Frühjahr zwischendurch sprunghaft angestiegene Beliebtheit des Fachhandels als Einkaufsstätte für Obst und Gemüse wieder nivelliert hat, gleicht sich auch der bio-Kf-Index wieder den Zahlen des Vorjahres an.

Zum einen sind das gute Nachrichten, da es zeigt, dass die Gedanken der Konsumenten schnell wieder mit anderen Dingen beschäftigt sind und sich auch Extreme relativ schnell wieder einpendeln. Zum anderen beweist es einmal mehr, wie abhängig wir vom Wetter und anderen Variablen sind, auf die wir kaum Einfluss haben – genauso wenig wie auf das Konsumklima, das sich zwar seit Anfang 2010 stetig stabilisiert hat, die konsumfreundlichen Rahmendaten aber unter den gegenwärtigen Voraussetzungen jederzeit ein jähes Ende finden können.

Tim Jacobsen

Ein Blick in die Kristallkugel: Szenarien für die zukünftige Entwicklung des Gartenbaus

Gäbe es jemanden, der vorhersehen könnte, welche Entwicklung die Wirtschaft im Großen wie im Kleinen demnächst nehmen wird, würde diese Person sicher einen Teufel tun und das an die große Glocke hängen. So bleibt uns armen, nicht zum Hellsehen befähigten Normalsterblichen dann auch nur das Skizzieren wahrscheinlich anmutender Szenarien, um besser vorbereitet zu sein auf das, was da kommen mag.

In einer unlängst im Rahmen der Floriade vorgestellten Publikation mit dem Titel IN2030 entwickelten Ökonomen der Rabobank Szenarien für die zukünftige Entwicklung des Gartenbaus, die mal düsterer, mal freudvoller stimmen. An der Benennung der Szenarien, die analog zum Lauf der Jahreszeiten erfolgte, lässt sich bereits erahnen, was uns erwartet, falls bis zum Jahr 2030 tatsächlich alles so kommen sollte:

An der Benennung der Szenarien, die analog zum Lauf der Jahreszeiten erfolgte, lässt sich bereits erahnen, was uns erwartet

im Rahmen der Floriade vorgestellte Publikation mit dem Titel IN2030

– Optimismus wohin man guckt, die ökonomischen Vorzeichen auf Wachstum – mit einem Wort: `Sommer´. Alles, was sich der Gartenbau im Jahr 2012 vorgenommen hat, wurde bis 2030 erreicht: Verschiedene Absatzorganisationen wurden gegründet, die Massenproduktion nahm zugunsten teuer bezahlter Spezialitäten ab und auch, was Nachhaltigkeit angeht, hat sich einiges verbessert. Nur der technologische Fortschritt stellt sich langsamer als erhofft ein. Die größten Geschäftserfolge verbuchen diejenigen, die gemeinsam mit Berufskollegen innovative Produkte und Konzepte auf den Markt bringen: Anstatt über den Preis konkurrieren sie über den Mehrwert.

– Missgunst und Protektionismus bestimmen dagegen das Szenario `Herbst´. Die Macht im europäischen Gartenbau liegt in der Hand einiger weniger Unternehmen, die ihre Position im Kampf um Produktionsfaktoren wie Energie und natürliche Ressourcen ausnutzen. Aufgrund geopolitischer Spannungen sind die internationalen Warenströme weitgehend versiegt. Obst, Gemüse und Schnittblumen finden als Regionalprodukte starken Absatz. Die großen Gartenbaubetriebe überleben Preissenkungsrunden und Naturkatastrophen nicht zuletzt dank ihres Zugangs zu Marktinformation, neuen Technologien und Kapital. Der Rest der Betriebe sucht sein Heil in Kreativität und Flexibilität.

– `Winter´ ist eine Welt ohne nennenswertes ökonomisches Wachstum. Regulierungswut, Protektionismus, hohe Inflationsraten und Rohstoffpreise führen zu Stillstand. Viele Möglichkeiten bleiben aus einem Mangel an Entschlussfreudigkeit und fehlender Bereitschaft zur Kooperation ungenutzt. Strukturkonservatismus hat sich breit gemacht – in ihrer Angst vor Risiken setzen die Gartenbaubetriebe einseitig auf alte Rezepte wie die Senkung der Gestehungskosten. Aus Mangel an Innovationskraft geht die gartenbaulich genutzte Fläche stets mehr zurück. Konzepte wie Local-for-local finden großen Anklang.

– Turbulent, nachhaltig und international präsentiert sich dagegen `Frühling´. Veränderungen am laufenden Band sorgen stets wieder für Überraschungsmomente und verhelfen vielen Ideen zum Wachstum. Sowohl die großen Produktionsbetriebe als auch die kleinen Spezialisten stürzen sich auf allerlei Nischen- und Premiumprodukte. Flexible Mitarbeiter sorgen für die richtigen Beziehungen und wissen, an welchen Knöpfen gedreht werden muss, um erfolgreich zu sein. Gefragt sind aber auch Spezialisten, die ihr Fach vollkommen unter Kontrolle haben, sei es nun Kulturführung, Verkauf oder Personalmanagement. Häufig arbeiten sie für verschiedene Auftraggeber und können dadurch ihr Wissen stets erweitern.

Egal, in welche Richtung das ökonomische Pendel auch ausschlagen wird – klar ist, dass es ein paar einfache Schritte gibt, die bei der Bewältigung dieser Herausforderungen helfen:

– Viele Gärtner beklagen, dass die geschäftlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie sich bewegen, stets unvorhersehbarer werden. Diesem Tatbestand lässt sich nur mit erhöhter eigener Flexibilität begegnen. Hilfreich dabei kann es beispielsweise sein, Mitarbeiter mit einem ganz anderen als dem eigenen Hintergrund zu beschäftigen, Vortragsveranstaltungen hauptsächlich für den intensiven Meinungsaustausch mit den Berufskollegen zu nutzen und innerbetrieblich für eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu sorgen. Regelmäßige Gespräche mit Lieferanten und den Abnehmern der Ware sollten genauso zur Betriebskultur gehören wie die Kontaktaufnahme mit dem Endkunden.

– Veränderungen sollten aufmerksam studiert werden und in erfolgreiche nächste Schritte übersetzt werden. Das erfordert auf Seiten des Managements jedoch einen guten Überblick und ein breites Wissen. Dabei müssen vielleicht auch einmal die gewohnten Pfade verlassen werden – alles ist möglich; was es braucht sind Träume, Intuition und Durchsetzungsvermögen. Wer sich das selbst nicht zutraut, kann professionelle Hilfe zu Rate ziehen.

– Wenn sich abzeichnet, dass geringe Margen ein Kennzeichen des eigenen geschäftlichen Umfelds sind, sollte das Gewinnstreben im Vordergrund stehen. Eine Möglichkeit kann beispielsweise sein, den Betrieb zu vergrößern oder zu verkleinern, um ihn der für die jeweiligen Strukturen optimalen Größe anzupassen. Stellt sich die Gewinnsituation dann noch immer unzufriedenstellend dar, muss das Ruder umgeworfen werden. Produktionsverlagerung, die Umstellung auf Exklusivsorten oder neue Produkt-Marktkombinationen können neben einer kompletten Neuorientierung mögliche Wege sein.

– Auch ein Zuviel an Flexibilität kann hinderlich sein. Diese Betriebe könnte dann beispielsweise ein verstärktes Risikomanagement weiter nach vorne bringen. Das zeitweise Aufgeben von Flexibilität kann zu Kosteneinsparungen führen. Die Einführung von Innovationen und die Entwicklung neuer Markt-Produktkombinationen kosten nun einmal zwangsläufig Geld und bringen das Risiko des Scheiterns mit sich. In einem Umfeld, in dem vieles vorhersehbar erscheint und sich nur weniges weiter entwickelt, sollten Experimente gut bedacht werden.

Die Welt steht nicht still – genauso wenig wie der Gartenbau. Den eigenen Standort zu bestimmen, und die eigenen Ziele auf ihre Umsetzbarkeit hin zu überprüfen, ist dann auch keine einmalige Sache. Flexibel zu bleiben und regelmäßig die richtigen Schlüsse zu ziehen, könnte der Schlüssel zum Erfolg sein – egal, welches Szenario bis zum Jahr 2030 Wirklichkeit wird.

Tim Jacobsen

Quo vadis Gemeinsame Agrarpolitik

In Brüssel ist nach der Reform vor der Reform – und das durchaus wortwörtlich. Falls also der Zeitrahmen für die nötigen Debatten im Europäischen Rat und Parlament tatsächlich eingehalten würde, es bis Ende 2013 zu einer Verabschiedung der verschiedenen Verordnungen und Durchführungsbestimmungen käme und die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) Anfang 2014 in Kraft treten könnte, dann hätten sich die ersten Kommissionsbeamten bereits schon wieder Gedanken gemacht für die Zeit nach 2020. Noch scheint es aber mehr als fraglich, ob in den nächsten Monaten tatsächlich Einigkeit erzielt werden kann – wie so oft scheiden sich die Geister an der Frage, wer denn wessen Rechnung bezahlen soll. Angesichts der europäischen Finanzmalaise scheinen derzeit zu mindest die Nettozahler der EU – eine Rangliste, die Deutschland traditionell anführt – äußerst unwillig, Zugeständnisse zu machen.

Dabei hatte die inhaltliche Diskussion eigentlich vielversprechend einvernehmlich begonnen; hatte doch EU-Agrarkommissar Dacian Cioloş alle Bürger Europas – insgesamt also rund 500 Mio. Menschen verteilt auf 27 Länder – aufgefordert, ihre Meinung zur Gestaltung der GAP nach 2013 zu äußern. Der Rücklauf war recht überschaubar – in 5 000 Einsendungen wurde im Großen und Ganzen für eine Fortführung des Status Quo plädiert. Etwas anders fielen dann die Reformvorschläge aus, die Cioloş Mitte Oktober letzten Jahres präsentierte und die deutlich mehr Gewicht auf Nachhaltigkeit im strikt ökologischen Sinne legten. Neben der immer noch schwelenden Budgetdiskussion rückte damit auch die inhaltliche Gestaltung der Reform wieder verstärkt in den Vordergrund.

Dabei lassen sich diese beiden Diskussionen nur schwer voneinander trennen, auch wenn es auf den ersten Blick überrascht, dass zuerst ein Budget festgelegt, und danach über die Verwendung der Mittel entschieden wird – schließlich geht am Samstagmorgen auch niemand zum Bäcker, um eine bestimmte Summe auszugeben, sondern im weitaus häufigeren Fall, um eine bestimmte Anzahl Brötchen zu kaufen. So lässt sich die Finanzierung der GAP vielleicht eher mit dem Bau eines Eigenheims vergleichen: ausgehend vom zur Verfügung stehenden Budget sollen möglichst viele Wünsche berücksichtigt werden – nur dass die Interessen sehr vieler Bauherren gleichzeitig berücksichtigt werden müssen. Dies beginnt mit den Regierungschefs, die bei ihren vierteljährlichen Ratstreffen die groben Linien vorgeben, setzt sich auf der Ebene der Fachminister fort und endet beim Europäischen Parlament, das seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ein gewichtiges Wort mitzureden hat.

Wie unterschiedlich die Ansichten innerhalb der Ministerien eines föderal organisierten Landes wie Deutschland dann sein können, zeigt der Vergleich dieser Vorschläge mit Forderungen, denen beispielsweise sogar die von Cioloş vorgeschlagene pauschalisierte Flächenstilllegung nicht weit genug geht.

Tim JAcobsen

Nicht einfacher wird es dadurch, dass die Interessenlage im Parlament ähnlich heterogen ist wie die vielschichtigen Vorstellungen und Wünsche der diversen Lobbyorganisationen, die sich schon lange in Position gebracht haben und versuchen, die Ausgestaltung der zukünftigen GAP in ihrem Sinne zu beeinflussen. Zusätzlich verwirrend ist, dass sich die politischen Parteien im Europaparlament zu Fraktionen zusammengeschlossen haben und der deutsche Standpunkt innerhalb der jeweiligen Fraktion zwar mit Sicherheit ein gewichtiger, aber eben nur einer von vielen ist.

Deutlich einfacher hat es da Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner, die im Prinzip den 2009 multilateral vereinbarten Wiener Grundsätzen treu bleiben möchte, die eine Weiterentwicklung der derzeitigen GAP auch über das Jahr 2014 hinaus vorsehen. Wie unterschiedlich die Ansichten innerhalb der Ministerien eines föderal organisierten Landes wie Deutschland dann sein können, zeigt der Vergleich dieser Vorschläge mit Forderungen, denen beispielsweise sogar die von Cioloş vorgeschlagene pauschalisierte Flächenstilllegung nicht weit genug geht.

Und dann versuchen noch jede Menge so genannter Nichtregierungsorganisationen der Reform ihren Stempel aufzudrücken – wobei auch dort das Kompromisse schmieden täglich Handwerk ist. Schließlich ist die Stimme des Deutschen Bauernverbandes beispielsweise zwar ein weithin gehörtes Schwergewicht; soll aber unter dem Dach von COPA ein gemeinsamer europäischer Standpunkt gefunden werden, müssen zwangsläufig jedes der 60 Vollmitglieder sowie die 36 Partnerorganisationen Abstriche machen.

Umso bedeutender ist es dann, dass COPA-COGECA Mitte Februar in einer gemeinsamen Resolution zum Schluss kommen, dass die Kommission `bedauerlicherweise´ die Gelegenheit verpasst hat, mit der anstehenden GAP-Reform `die wirtschaftliche Rolle der Landwirte und ihrer Genossenschaften zu verstärken´. Scharf kritisiert werden insbesondere die Vorschläge `zum obligatorischen Greening´. Diese werden COPA-COGECA zufolge `die Fähigkeit des Agrarnahrungsmittelsektors, in wettbewerbsfähiger und effizienter Weise zu wirtschaften und nachhaltiges Wachstum hervorzubringen, in Wirklichkeit nur untergraben´.

Interessant an dem ganzen Entscheidungsprozess ist aber auch, dass sich am Ende dieses vielschichtigen hin und her Rat und Parlament auf Vorschläge der Kommission einigen müssen – und dann mit den Mitgliedern des Ausschusses Landwirtschaft und den Ratsmitgliedern letztendlich 45 Ausschussmitglieder gemeinsam mit 27 Fachministern Entscheidungen treffen, die Auswirkungen auf rund 500 Mio. Menschen haben werden.

Tim Jacobsen

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