"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Autor: juetim (Seite 16 von 17)

Seit dem erfolgreichen Abbruch einer wissenschaftlichen Karriere lebt und arbeitet Tim Jacobsen gemeinsam mit Frau, Familie, Goldfischen und Katze in Bonn

Entscheidungen treffen, flexibel bleiben

Gibt es auf Youtube einen Film über das was Sie machen? Wissen Sie, womit Sie Ihren Mitarbeitern eine Freude bereiten können? Und wann haben Sie sich zum letzten Mal mit dem Abnehmer eines Ihrer Produkte unterhalten?

Unzusammenhängend wie diese Fragen auf den ersten Blick auch erscheinen mögen, sind sie allesamt Teil eines Fragenkataloges, der am Ende eines von der niederländischen Rabobank initiierten Projektes namens `De wereld van Jip´ stand. Was aber hat nun diese niederländische Kunstperson Jip mit Ihnen zu tun? Um es kurz zu machen: eigentlich alles. Auch Jip lebt in einer Welt, die niemals stillsteht.

Anders als bei seinem Urgroßvater Cor endet Jips Welt nicht am eigenen Betriebstor. Anders als noch sein Großvater Kees dient er nicht seine ganze Ware der Versteigerung an. Und anders als sein Vater, sucht er sein Glück nicht in einer Gruppe Gleichgesinnter. Als Jip 2013 den Betrieb übernimmt, bestimmen Trends und Hypes in viel größerem Umfang das Einkaufsverhalten als heutzutage. Jips Abkehr von der Kostpreisstrategie, wie sie noch sein Vater durchaus erfolgreich verfolgte, ist dabei auch eine Antwort auf die Verschiebungen im weltweiten Marktgeflecht, die sich im ersten Jahrzehnt des 21ten Jahrhunderts abzuzeichnen begannen.

Jips Antwort auf die unternehmerischen Herausforderungen der Zukunft ist dabei nur eine von vielen möglichen Antworten auf die Frage aller Fragen: „wie verändert sich die Welt und was hat das für Auswirkungen auf mich und meinen Betrieb?“

Indirekt profitieren konnte Jip von den Auswirkungen der Globalisierung. Je näher all das kommt, was fernab passiert, umso mehr suchen die Menschen nach Sicherheiten, die sie glauben in dem zu finden, was aus ihrer Nähe stammt. Regionale Produkte mit einem erkennbaren Absender können dabei ihren emotionalen Mehrwert ausspielen.

Was kann man noch glauben, wenn jeder alles über das Internet verbreiten kann? Und was bleibt übrig von Intimsphäre, wenn jeder Einkauf genauestens analysiert wird? Dieselbe Technik hilft aber auch dabei, positive Botschaften zu verbreiten. Und die Menschen wollen keine anonymen Produkte mehr, sondern ein gutes Gefühl, eine schöne Geschichte.

„Wie verändert sich die Welt und was hat das für Auswirkungen auf mich und meinen Betrieb?“

Jip

In dem Maße, in dem die Gesellschaft pluriformer, multikultureller und diverser wird, nimmt die Suche nach Identität und Herkunft zu. Öffentliche Trauerveranstaltungen beim Tod berühmter Persönlichkeiten, Schleier und Kopftuch im öffentlichen Raum und die ausschweifenden Feiern bei Siegen der eigenen Nationalmannschaft verdeutlichen dies. Wo jetzt noch der Fokus auf uniformen Qualitäten liegt, werden in wenigen Jahren Unterscheidbarkeit, Authentizität, Ehrlichkeit über den Erfolg von Produkten entscheiden. Das Massenprodukt wird nicht verschwinden, aber seine Bedeutung wird abnehmen.

Die genannten Beispiele sind Bausteine, aus denen die Zukunft aufgebaut sein könnte. Was fehlt, ist der Zement, um diese Bausteine zusammenzufügen. Die eigentliche Herausforderung liegt also darin, an den einzelnen Fragmenten vorbeizuschauen. Dann wird ein größeres Ganzes sichtbar.

Bisher sind Neuerungen im Gartenbau hauptsächlich technischer Art. Diese führen im Regelfall zu einer Verringerung der Produktionskosten. Snackgemüse, die Wiederentdeckung verlorengegangen geglaubter Kulturen oder die Entstaubung vergessen geglaubter Obst- und Gemüsesorten sind Beispiele für neue Ideen, die vielleicht ihren Teil dazu beitragen, Kostenreduktion als Allheilmittel abzulösen. Der Billigste zu sein wäre dann nicht mehr das Alleinseligmachende. Die Rechnung geht allerdings nur auf, wenn Mehrwert beim Konsumenten dann auch etwas anderes bedeutet als günstige Preise.

Starre Produktionsketten werden in ein paar Jahren wahrscheinlich ihre beste Zeit hinter sich haben. Sie machen Platz für flexible, dynamische Formen der Zusammenarbeit. Während in starren Produktionsketten jeder eine genau definierte Funktion zu erfüllen hat, haben nun ständig wechselnde Partner miteinander zu tun.

Die Lebensdauer von Produkten wird kurz sein und die Anforderungen an den Umweltschutz und die korrekte Beantwortung sozialer Fragestellungen groß. Ethische und soziale Verantwortbarkeit werden Lebensmittelsicherheit und Umweltbewusstsein als Leuchttürme in der Konsumwelt ablösen. Die Begriffe Wasserverbrauch, Food und Flower miles werden sich mit Bedeutung füllen.

In diesem Spannungsfeld wird es für die Unternehmer unerlässlich sein, den eigenen Standpunkt zu bestimmen und Position zu beziehen. Jeder Unternehmer wird dabei die Rolle suchen, die am Besten zu ihm passt. Dem einen passt die Rolle als so genannter Innovator. Ein anderer wird sein Glück in der Massenproduktion suchen. Die Entscheidung für eine bestimmte Betriebsgröße wird zukünftig stärker in Langzeitstrategien eingebunden sein. Groß wird dabei nicht unbedingt gut, genauso wenig, wie klein nicht unbedingt schlecht sein wird.

Entscheidend wird aber sein, dass Unternehmer bewusst wählen, Entscheidungen treffen, und dabei trotzdem flexibel bleiben.

Tim Jacobsen

Macht der Unlogik

Die Sorge der Investoren vor einem weiteren Abrutschen der Weltwirtschaft ließ die Ölpreise Mitte Oktober auf ihren niedrigsten Stand seit 13 Monaten fallen. Mit deutlich unter 75 US$ lag der Preis für diesen in 159 l-Einheiten gehandelten Energieträger unter der Hälfte des noch im Sommer dieses Jahres herrschenden Rekordpreises von fast 150 US$. Aber auch 75 US$ sind viel, zu mindest verglichen mit den Preisen von vor fünf Jahren. 2003 wurden die Erdölfässer noch für weniger als 30 US$ gehandelt. Trotz einer Verdreifachung des Preises innerhalb von fünf Jahren gilt Öl im Augenblick gerade als billig.

Würde er nicht hehre Ziele verfolgen, müsste man Dan Ariely als Schwindler bezeichnen. Er verteilt beispielsweise Vitamin-C-Tabletten an Versuchspersonen und behauptet, es handle sich dabei um ein sehr wirksames neues Schmerzmittel. Die Ergebnisse dieser Schwindeleien rechtfertigen diese auf den ersten Blick ethisch kaum vertretbaren Handlungen. Das vermeintliche Schmerzmittel lindert tatsächlich den Schmerz der Probanden. Der Versuch mit den Vitamin-C-Tabletten bringt aber nicht nur die an sich wenig neue Erkenntnis, dass Placebos eine positive Wirkung auf die Gesundheit der Patienten haben können. Ariely fügte diesem Experiment, auch eine ökonomisch bedeutsame Variante hinzu:

Die Versuchspersonen bekamen nicht nur Vitamin C als Schmerzmittel aufgeschwatzt, es wurden ihnen auch unterschiedliche Preise suggeriert. Je teurer das Vitamin-C-Schmerzmittel war, umso stärker linderte es den Schmerz der Versuchspersonen. Mit anderen Worten: Je teurer etwas ist, umso besser ist es in unserer Erwartung, und umso besser ist es auch in unserer Wahrnehmung – obwohl der Preis nicht notwendigerweise immer etwas mit der Qualität des Produktes zu tun hat.

Ariely ist einer der Gründerväter einer neuen Forschungsrichtung, die das mechanistische Menschenbild der Ökonomie mit Erkenntnissen der Psychologie verbindet. Die dabei erzielten Ergebnisse belegen, dass wir Menschen eben doch keine rationalen kalten Rechenmaschinen sind und nur wenig mit dem vielen Wirtschaftstheorien zugrunde liegenden Menschenbild des Homo Oeconomicus gemein haben. In Wirklichkeit, so Ariely, verhalten wir uns im Alltag, im Beruf und in der Liebe hochgradig irrational.

„Je teurer etwas ist, umso besser ist es in unserer Erwartung, und umso besser ist es auch in unserer Wahrnehmung“

Dan Ariely

So irrational sogar, dass diese Irrationalität vorhersehbar ist. Ariely zufolge begehen wir nicht nur immer die gleichen Fehler, sondern machen sie auch immer und immer wieder, ohne viel daraus zu lernen. Einer Gruppe von amerikanischen Studenten präsentierte Ariely mehrere Weinflaschen, einen Trackball, eine Tastatur mit Maus, ein Buch und eine Pralinenschachtel und fragte sie, wie viel sie jeweils dafür bezahlen würden. Vor Abgabe der Gebote mussten die Probanden die letzten beiden Nummern ihrer Sozialversicherungsnummer notieren und bei jedem Produkt angeben, ob sie diesen Betrag in Dollar dafür ausgeben würden.

Nur welcher vernünftige Mensch lässt sich nun von den letzten beiden Zahlen seiner Sozialversicherungsnummer beeinflussen? Das verblüffende Ergebnis: fast jeder. Die Studenten mit den höchsten Endziffern gaben signifikant höhere Gebote ab als diejenigen mit niedrigen Endziffern. Solange Kaufentscheidungen durch willkürliche Einflüsse manipuliert werden können, argumentiert Ariely, dürfe man sich nicht darauf verlassen, dass das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage automatisch zu Marktpreisen führe, die den größten Nutzen für alle Beteiligten widerspiegelten – wie es die traditionelle Wirtschaftstheorie voraussagt.

Eindrucksvoll sind auch die Experimente, mit denen er zeigt, wie sehr sexuelle Erregung Kaufentscheidungen beeinflussen kann. Nach dem Betrachten von Fotos attraktiver Frauen waren Männer durchgängig bereit, beispielsweise deutlich mehr Geld für Geschenke auszugeben. Der Mensch neige in emotional aufgeladenen Zuständen eben zu falschen Entscheidungen, folgert Ariely. Niemand, so seine beruhigende Botschaft, sei allerdings der Macht der Unlogik hilflos ausgeliefert. Wer wachsam ist und begreife, wann und wo er sich irrational entscheide, dem könne es gelingen, vorhersehbar irrationales Handeln zu vermeiden.

Die Finanzkrise und die abflauende Weltwirtschaft haben den Ölpreis in den vergangenen dreieinhalb Monaten stetig fallen lassen. Weder die Tropenstürme Gustav und Ike und die damit verbundene erhebliche Einschränkung der Ölförderung im Golf von Mexiko noch die Rettungsmaßnahmen für die Finanzbranche konnten diesem Preisverfall Einhalt gebieten. Wie sich der Ölpreis in Zukunft weiter entwickeln wird, ist eine gute Frage, auf die es keine seriöse Antwort gibt. Schließlich gerät die Öl verbrauchende Wirtschaft erst jetzt gerade ins Schlingern.

Tim Jacobsen

Schlechte Preise, gute Preise

Gerne bestätigen wir uns gegenseitig in Umfragen, das Gute tun und das Böse lassen zu wollen. Gerne üben wir verbal Verzicht, besonders dann, wenn es darum geht, die Zerstörung der Umwelt stoppen oder all denen helfen zu wollen, denen es schlechter geht als uns. Dennoch scheint kaum jemand von uns in der Lage zu sein, der Sogwirkung zu entkommen, die Billigangebote ausüben.

Dabei braucht es nicht allzu viel Fantasie, herauszufinden, wie es denn sein kann, dass die Taxifahrt zum Flughafen heutzutage oftmals teurer ist als der Flug selbst. Stellenabbau, Niedriglöhne und die großzügige Umlage der Umweltkosten auf die Allgemeinheit machen es möglich.

Um preiswertes auch in Zukunft günstig einkaufen zu können, ruft die planmäßige Bespitzelung von Mitarbeitern kaum Empörung hervor. Auch die Verweigerung allgemein üblicher Rechte wird stillschweigend in Kauf genommen, um weiterhin zu Ladenpreisen einkaufen gehen zu können, die den Produzenten nicht nur das allerletzte abverlangen, sondern auch eine umweltgerechte Produktion in vielen Fällen weitgehend verunmöglichen.

Die Schändung von Menschenrechten finden wir entsetzlich. Auf in China produzierte Waren wollen wir allerdings allenfalls verzichten, wenn wieder einmal Schwermetalle in Kinderspielzeug nachgewiesen werden. Nur wenig unterscheidet uns also von den Strategen in den Chefetagen der Multinationals. Auch dort werden letztendlich nur Preise verglichen und im Regelfall Entscheidungen zu Gunsten des günstigsten Angebots gefällt.

Wehe aber, die Einschläge nähern sich unserer Haustür. Der Aufschrei war groß, als Anfang des Jahres mit der Schließung des Nokiawerkes in Bochum nach BenQ und Motorola der letzte Mobiltelephonhersteller Deutschland verließ und damit innerhalb weniger Monate über 10 000 Menschen ihren Arbeitsplatz verloren. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers eilte damals umgehend nach Bochum, entrüstete sich, versprach den versammelten Mitarbeitern Hilfe und geißelte den Nokia-Konzern als „Subventionsheuschrecke“.

Letztendlich unterscheidet uns allerdings nur die Höhe des Einsatzes von den Konzernlenkern international tätiger Großkonzerne, denen wir Stellenabbau und Sozialdumping vorwerfen. Schließlich drücken wir durch unser Konsumverhalten die Preise, bis als Produktionsstandort nur noch Billiglohnländer in Frage kommen. Anders als noch vor wenigen Jahren befürchtet, sind es nicht die Ausländer im Inland, die uns die Arbeit wegnehmen, sondern die Ausländer im Ausland.

Ohne Billigboom hätte es aber wahrscheinlich den Bioboom nie gegeben

Tim jacobsen

Es ist ein leichtes, die Industriepolitik der Bushadministration zu kritisieren. Allerdings sind es nicht die USA, sondern die privaten Haushalte, die in ihrer Gesamtheit in den letzten Jahren die größten Steigerungsraten beim Energieverbrauch aufweisen. Es ist ja auch nur zu einfach. Wenn uns kalt wird, schalten wir die Heizung ein und abends bleiben nur die wenigsten Zimmer dunkel. Steigen dann die Energiepreise, kommt beinahe augenblicklich eine breite Protestfront zustande, die nicht einmal vor politischen Gegensätzen Halt macht.

Fast scheint es, als ob wir das Gegenteil tun von dem, was wir zu wollen vorgeben. Seit zwei Jahren können Österreichs Konsumenten zwischen Milchprodukten aus konventioneller, ökologischer und einer so genannten fairen Produktion wählen. Von einem Erfolgsmodell zu sprechen, hieße die Realität auf den Kopf zu stellen. In Deutschland verlor im selben Zeitraum die Bio-Rakete deutlich an Fahrt. Das im letzten Halbjahr verzeichnete Ausgabenplus im Frischebereich entspricht beispielsweise nur noch in etwa der allgemeinen Preissteigerung in diesem Marktsegment.

In demselben Maße, in dem über die Jahre hinweg unser Bewusstsein für weltweite Ungerechtigkeit und die Grenzen des Wachstums wuchs, wurde es schwieriger, den Verführungen der Billiganbieter zu entkommen. Ohne Billigboom hätte es aber wahrscheinlich den Bioboom nie gegeben. Das an der einen Stelle ausgegebene muss schließlich anderenorts eingespart werden. Heutzutage wird wie beim Metzger eingekauft: neben dem Billigsten, darf es immer auch ein bisschen vom ökologisch sinnvollsten gewürzt mit einer Prise vom Besten sein.

In einer perfekten Welt gäbe es keinen Anlass, über die Höhe angemessener Erzeugerpreise zu diskutieren. Da die Welt allerdings nicht so perfekt ist und Nachhaltigkeit, Fairness und Gerechtigkeit allenfalls erstrebenswerte Ideale darstellen, bleibt als einziger Ausweg, die Kaufentscheidung emotional aufzuladen. Sollen sich die Portmonees an der Gemüsetheke weiter öffnen, wird das keine rationelle Entscheidung der Konsumenten sein. Was wir brauchen, sind professionelle Marketingkonzepte, die sowohl Konsumenten als auch die Entscheider in den Einkaufsgremien der Supermärkte ansprechen. Zu argumentieren, dass die Preise zu niedrig sind, überzeugt nur diejenigen, die das sowieso schon immer gewusst haben.

Tim Jacobsen

Zukunft der Productschap Tuinbouw ungewiss

Die meisten Drehbuchautoren wären wahrscheinlich überfordert, müssten sie sich eine Geschichte ausdenken, in der eine Handvoll rebellischer Gärtner aus der nicht nur geographisch regierungsfernen Provinz Nordholland innerhalb weniger Jahre die Fundamente der umsatzstärksten aller niederländischen Productschappen, der Productschap Tuinbouw (PT), ins Wanken bringt.

Rund 40 % ihres Budgets von zuletzt über 70 Mio. € steckt die öffentlich-rechtliche PT jährlich in generische Marketingmaßnahmen. Und genau an diesem Punkt setzt die Kritik an: Finanziert wird die PT nämlich über ein feingestaffeltes Abgabensystem, dem diesseits der Legalität nicht zu entkommen ist. Betriebe, die jährlich mehr als 200 000 € Abgaben an die PT entrichten, sind keine Seltenheit.

Nicht unbedingt ein Wunder, dass sich da so mancher Betriebsinhaber denkt, es wäre besser, das Marketing selbst in die Hand zu nehmen. Immerhin würde dies erlauben, genau zu den Zeiten auf den Märkten tätig zu werden, die dann auch tatsächlich von Interesse sind.

Das Bloemenbureau Holland (BBH) als einer der Nutznießer dieser Aufwendungen für Gemeinschaftsmarketing argumentiert, dass nur in Ländern, in denen die Niederlande mehr als 50 % Marktanteil haben, entsprechende Werbemaßnahmen durchgeführt würden. Und da Blumen ja keine Markenartikel seien, wäre dem BBH zufolge kollektive Reklame ganz besonders vonnöten: Schließlich müsse man die wahre Konkurrenz für Blumen ja in den Bereichen Schokolade und Parfum suchen und nicht bei Blumen aus anderen Ländern.

Worauf die Kritiker dann wiederum auf die Rolle der Niederlande als Drehscheibe des Handels mit Gartenbauprodukten verweisen. Deswegen könne man die 50 % Hürde wahrscheinlich nur in den seltensten Fällen mit Gartenbauprodukten überspringen, die auch tatsächlich aus den Niederlanden stammen. Und wenn man dann noch Schokolade und Parfums dazu rechne, komme man nie und nimmer über die 50 %-Marke.

Generische Reklame für Produkte zu machen, von denen über die Hälfte nicht aus den Niederlanden stammen, sei wenig sinnvoll, solange dafür nur die niederländischen Produzenten bezahlen, lautet ein in der Auseinandersetzung immer wiederkehrendes Motiv.

Hauptinitiator der Kritik ist die so genannte Nieuwe Vrije Agrarische Federatie (NVAF). Ihr Vorsitzender Clemens Fischer und dessen Mitstreiter verstanden es, die öffentliche Diskussion über die Zukunft des Productschap-Wesens durch großen persönlichen Einsatz, geschickte Medienarbeit und spektakuläre Aktionen in Gang zu setzen – und zu halten.

Dabei wurde nicht nur mit scharfen Worten geschossen: Das Gebäude der Productschap Tuinbouw in Zoetermeer (NL) wurde Ende Januar 2005 besetzt – von Sympathisanten, wie NVAF meldete, um jede Verantwortung für diese Aktion von sich weisen zu können. Der Hauptsitz des Kontrollorgans der Productschappen wurde am 8. März 2005 von der Außenwelt abgeschlossen und seine Zugänge besetzt. Auslöser für diese Aktion war eine am selben Tag stattfindende Parlamentsdebatte über die Zukunft der Productschappen.

Hauptinitiator der Kritik ist die so genannte Nieuwe Vrije Agrarische Federatie

Tim Jacobsen

Vorläufig letzter Höhepunkt der Auseinandersetzung um das Wohl und Wehe der Productschap Tuinbouw war eine Mitte April dieses Jahres äußerst kontrovers geführte Debatte im niederländischen Parlament, die deutlich machte, dass die althergebrachte Pro-Productschap-Mehrheit des Parlaments bröckelt und zukünftige Abstimmungen keine reine Formsache mehr sein werden.

Seit ihrer Gründung im Jahre 2004 stellen die Wortführer der NVAF in regelmäßigen Abständen die Legitimität des Vertretungsanspruchs des niederländischen Bauernverbandes LTO mit dem Verweis darauf in Frage, dass weniger als die Hälfte der agrarischen Unternehmer Mitglied in dieser berufsständischen Vertretung seien.

Mehr als auf den ersten Blick deutlich wird, zielt dieses Argument auch in Richtung Productschap: Da aus der Productschap selbst nicht ausgetreten werden kann, ist neben der Totalverweigerung der Entrichtung der parafiskalischen Abgaben der Austritt aus der LTO die einzige Möglichkeit, Unmut zu äußern.

Noch in diesem Jahr will das niederländische Parlament über die Zukunft auch der Productschap Tuinbouw entscheiden. Der Ausgang dieses Verfahrens gilt als weitgehend offen. Obwohl die kritischen Stimmen rein rechnerisch in der Mehrheit sind, wird wahrscheinlich am Ende der Abstimmung ein Kompromiss stehen. Dieser könnte zu einer weiteren Demokratisierung dieser in vielen Dingen im Verborgenen operierenden Organisation führen.

Tim Jacobsen

Hinter dem Hügel ist noch nicht über den Berg

Als Griechenland im Jahr 1981 der Europäischen Gemeinschaft beitrat, wurde dies begleitet von Befürchtungen, ein Kollaps der Sozialsysteme in den reicheren Ländern Europas stünde unmittelbar bevor. Aber selbst als Portugal und Spanien im Jahr 1986 der EG beitraten, kam es weder zu massiven Völkerwanderungen, noch geriet unser Sozialsystem übermaßen unter Druck. Untersuchungen der Fremdarbeiterströme vom 2. Weltkrieg bis in die 1980er Jahre zeigten, dass während der wirtschaftliche Abstand zwischen den armen und reichen Ländern Europas über die Jahre hinweg ungefähr gleich blieb, die Wanderbewegungen von anderen Faktoren als Gehaltsunterschieden allein abhängig waren.

Das Beispiel Italien zeigt, dass die große Emigrationswelle zwischen den Jahren 1960 und 1970 nicht in eine Periode des wirtschaftlichen Abschwungs fiel, sondern in die Zeit der Industrialisierung Italiens. Auch Spaniens Emigrationswelle zwischen den Jahren 1960 und 1974 fiel in einen Zeitraum, in dem Spanien die größten Wachstumsraten Europas verzeichnete. Ähnliches gilt für Portugal in den 1970ern und Griechenland in den 1960ern. Der Wunsch, zur Einkommensmaximierung der eigenen Heimat den Rücken zu kehren scheint also mit steigendem Wohlstand zuzunehmen – wahrscheinlich auch, weil Haushalte dadurch überhaupt erst finanziell in die Lage versetzt werden, über Emigration nachzudenken.

Im Laufe der wirtschaftlichen Weiterentwicklung der Herkunftsländer scheint es dann jedoch stets minder verlockend, das eigene Land zu verlassen. Dies ist nicht weiter verwunderlich: Die Arbeitsmarktsituation im Herkunftsland entspannt sich, politische und gesellschaftliche Strukturen gewinnen an Stabilität und nicht zuletzt steigt mit den Pro-Kopf-Einkommen auch die gefühlte Lebensqualität. Ab einem Pro-Kopfjahreseinkommen von $ 3500 scheint der Anreiz, wegzugehen, deutlich abzunehmen und unter 30 % kaufkraftbereinigtem Lohnunterschied zwischen Herkunfts- und Bestimmungsland macht sich kaum mehr jemand auf die Reise.

Der Wunsch, zur Einkommensmaximierung der eigenen Heimat den Rücken zu kehren scheint also mit steigendem Wohlstand zuzunehmen

Tim Jacobsen

Auch das Beispiel EU-Osterweiterung zeigt, dass es bei starkem wirtschaftlichem Wachstum und institutionellen Verbesserungen trotz hoher Lohnunterschiede nicht zwangsläufig zu Migrations-schüben kommt. Nicht unterbewertet werden sollten in diesem Zusammenhang die Maßnahmen, die die Europäische Union den Beitrittsländern vor ihrer Aufnahme in die europäische Gemeinschaft abverlangt. Mittel des Strukturfonds helfen zudem beim Aufbau der Binnenwirtschaft, was wiederum den Inlandskonsum erhöht, ausländisches Kapital anzieht, die Nachfrage nach Arbeitskräften steigert und vor allem auch zukünftiges Wachstum verheißt.

Deshalb kann auch die bei uns gegenwärtig geführte Diskussion allenfalls Symptome lindern, die Ursache für das zunehmende Missverhältnis zwischen dem Angebot und der Nachfrage nach Saisonarbeitskräften kann sie nicht aus der Welt schaffen.

Aber auch wenn die viel diskutierten Freizügigkeitsregelungen die Konkurrenz unter den Bestimmungsländern noch zusätzlich verschärft haben, besitzen die deutschen Gärtner dennoch im Buhlen um osteuropäische Saisonarbeitskräfte einen Wettbewerbsvorteil, wie die Entwicklung Portugals beweist:

Zum Zeitpunkt des EG-Beitritts Portugals betrug das dortige kaufkraftbereinigte Pro-Kopfbruttosozialprodukt die Hälfte dessen Deutschlands. Mit zunehmendem Wohlstand zeigte es sich, dass permanente Auswanderung im Laufe der Jahre von so genannter zirkulärer Migration ersetzt wurde. Portugiesen verließen ihr Land also nur mehr für überschaubare Zeiträume, um anderswo für mehr Geld zu arbeiten. Und obwohl in den letzten Jahrzehnten das Reisen stets günstiger wurde, zog es die Menschen mehr und mehr in geographische und kulturelle Nähe zu ihrem Heimatland.

Tim Jacobsen

Der Anfang vom Ende?

Kaum jemand merkte, als die deutschen Erdölvorkommen vor über 30 Jahren ihren Förderhöhepunkt erreichten. Schließlich war Öl zu dieser Zeit auf dem Weltmarkt keineswegs Mangelware. Erst die politisch motivierte Drosselung der Erdölfördermengen Anfang der Siebziger Jahre gab einen Eindruck davon, wie eine Welt ohne Erdöl aussehen könnte. Während gegen Ende des Ölembargos die Förderhähne einfach wieder weiter aufgedreht wurden und heute allenfalls noch die Sommerzeit an die durch die gestiegenen Ölpreise ausgelöste Wirtschaftskrise erinnert, könnte uns schon bald eine Ölkrise drohen, die nicht nur an vier Sonntagen den Verkehr zum Erliegen bringen wird.

Es liegt in der Natur endlicher Vorräte, dass diese zwangsläufig irgendwann zur Neige gehen. Unter Experten findet sich dann auch niemand, der bezweifelt, dass es nach Überschreiten des so genannten Peak Oils im Zuge fallender Fördermengen bei unverändert starker Nachfrage zu massiven Preiserhöhungen kommen wird. Die einzig diskussionswürdige Frage scheint zu sein, wann dies der Fall sein wird. Manche prognostizieren das Erreichen der maximalen Erdölfördermenge für das Jahr 2010; andere vermuten, sie wurde 2007 bereits erreicht. Aufgrund der derzeit relativ unsicheren Datenlage und einer Vielzahl von Einflussfaktoren geologischer und wirtschaftlicher Natur wird das globale Überschreiten des Ölfördermaximums erst Jahre nach dessen Eintreten mit Sicherheit festgestellt werden können.

Stark steigende Preise an den Rohstoffbörsen machen deutlich, dass wir nicht nur beim Öl den Gürtel sehr schnell sehr viel enger schnallen müssen

Tim Jacobsen

Im Deutschland der siebziger Jahre beendete der Anstieg des Ölpreises von drei auf fünf Dollar pro Barrel die goldenen Jahre des Wirtschaftswunders. Da Erdöl in einer schier unglaublichen Vielzahl von Stoffen vorkommt und in allen Bereichen des modernen Lebens direkt oder indirekt eingesetzt wird, lassen sich sehr schwer genaue Prognosen erstellen, wo sich die Verknappung von Erdöl in welcher Form bemerkbar machen wird. Durch die Abhängigkeit der Landwirtschaft vom Öl ist es allerdings mehr als wahrscheinlich, dass es zu einer Situation kommen wird, in der nicht nur wirtschaftliche Probleme auftreten, sondern sich auch die Hungerproblematik drastisch verschärfen wird.

Seit der so genannten Grünen Revolution stieg die weltweite Getreideproduktion um mehr als das Zweieinhalbfache, ohne dass sich die Anbaufläche wesentlich verändert hätte. Dies ist größtenteils auf den Einsatz fossiler Energieträger in Form von Düngemitteln, Pestiziden, dieselbetriebener Bewässerung sowie motorisierter Landwirtschaft zurückzuführen.

Synthetische Düngemittel werden seit Beginn des 20. Jahrhunderts zur Produktionssteigerung eingesetzt. Ihre Herstellung verbraucht große Mengen an Energie. So benötigen die USA jährlich allein für die Düngemittelherstellung ungefähr 100 Mio. Barrel Öl, also mehr als die weltweite Tagesproduktion. Deutschland verbraucht jährlich etwa 30 Mio. Barrel Öl zur Herstellung von Düngemitteln. Ähnliches gilt für Pflanzenschutzmittel. Durch anhaltend billiges Öl entstand zudem über die Jahre ein System der Nahrungsmittelverteilung über weite Strecken, das in einer Zeit teuren Öls nicht mehr funktionieren wird.

Hervorgerufen durch eine beispiellose Produktionssteigerung auf der Basis von billigem Öl war die Ära des Erdöls bisher von kontinuierlicher Landflucht begleitet. Während um 1800 75 % der deutschen Bevölkerung von der Landwirtschaft lebten, nahm dieser Prozentsatz bis zum Jahr 2006 auf unter 3 % ab. Es ist wenig wahrscheinlich, dass ein solch kleiner Bevölkerungsanteil in der Zukunft in der Lage sein wird, ohne den Einsatz billigen Öls für ausreichend Nahrung zu sorgen. Neben dem Aspekt schwindender Energiemengen für die Getreideproduktion wird sich für die Ärmsten der Armen zudem besonders der zunehmende Anbau von so genannten Treibstoffpflanzen negativ auswirken.

Es bedarf schon eines gewissen Zynismus, dieser unausweislich scheinenden Entwicklung noch etwas Positives abgewinnen zu wollen. Wenn allerdings nicht mehr Öl gefördert werden kann, kann auch nicht mehr Öl verbrannt werden. Und wenn nicht mehr Öl verbrannt werden kann, kann auch der CO2-Gehalt der Luft aufgrund des Verbrauchs fossiler Ressourcen nicht mehr überproportional ansteigen. Wäre es dann nicht besser, die Mittel, die jetzt in die Risikobewertung des Szenarios Klimawandel gesteckt werden, für die Bewältigung eines der großen Probleme der Zukunft zu verwenden? Schließlich ist Erdöl nur der Anfang. Stark steigende Preise an den Rohstoffbörsen machen deutlich, dass wir nicht nur beim Öl den Gürtel sehr schnell sehr viel enger schnallen müssen.

Tim Jacobsen

Wer hätte geahnt, dass Gift so lecker ist?

Hätte die amtliche schwedische Lebensmittelüberwachungsbehörde Livsmedelsverket Ende April 2002 lediglich gemeldet, dass es ihr dank einer neuartigen Nachweismethode gelang, die chemische Verbindung Acrylamid in Lebensmitteln nachzuweisen, hätte das wahrscheinlich außer in Wissenschaftskreisen erst einmal niemand weiter bekümmert. Da die Behörde jedoch die Öffentlichkeit direkt über das Auffinden einer als potentiell krebserregend eingestuften Substanz in Pommes frites, Knäckebrot, Kartoffelchips, Cornflakes und Kaffeepulver informierte, schlug die Meldung große Wellen.

Selbst die Berichterstattung in den seriöseren deutschen Tageszeitungen konnte sich dem Rummel um die Kohlenstoff-Stickstoffverbindung nicht entziehen. Schlagzeilen wie „Acrylamid in Lebensmitteln: Schlimmer als Nitrofen- und Hormonskandal“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beispielsweise machten Verbraucher glauben, dass in heimischen Friteusen der Tod lauere.

Obwohl die schwedische Warnmeldung zu diesem Zeitpunkt wissenschaftlich weder untermauert noch widerlegt werden konnte, sah sich die Politik unter Zugzwang gesetzt. Da es keine Grundlage für die Festlegung eines Grenzwertes gab, erfand das damals unter grüner Federführung stehende Verbraucherschutzministerium kurzerhand eine „Signalwert“ genannte Messgröße. Dazu wurden die verschiedenen Lebensmittel in Warengruppen eingeteilt. In diesen Warengruppen wurden dann die 10 % der am stärksten mit Acrylamid belasteten Produkte ermittelt. Das am wenigsten belastete Produkt dieser stark belasteten Produktgruppe galt fortan als Messlatte, an der sich die Lebensmittelproduzenten orientieren sollten.

Umfragen zeigten, dass knapp ein Jahr nach der schwedischen Sensationsmeldung den Deutschen das Acrylamid bereits wieder ziemlich egal war. Dies schlug sich auch in der Berichterstattung nieder. Während die Frankfurter Allgemeine Zeitung Anfang 2003 noch „Bundesinstitut: Keine Entwarnung bei Acrylamid“ titelte, versuchte sie sich im Herbst 2004 mit „Ist die Bratwurst gesünder als ihr Ruf“ an einer Ehrenrettung des Genusses. Im November 2004 brach sie mit einem „Kekse und Kirchen“ überschriebenen Artikel endgültig mit der auflagensteigernden Acrylamid-Sensationshascherei.

Zu diesem Zeitpunk machte gerade der Vorwurf von „Foodwatch“-Aktivisten die Runde, die Bundesregierung gefährde wegen ihres Nicht-Handelns im Bezug auf Acrylamid vorsätzlich die Gesundheit der Bevölkerung. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte diese Vorwürfe publikumswirksam aufgegriffen und warnte seine Leser zur besten Vorweihnachtszeit, dass „gerade die Naschereien zu den Festtagen den Deutschen gefährlich werden könnten“.

„Ist die Bratwurst gesünder als ihr Ruf?“

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Bereits damals war jedem, der sich für das Thema interessierte, klar, dass eine gänzlich acrylamidfreie Ernährung technisch kaum möglich ist, will man nicht gänzlich auf die Erhitzung von Lebensmitteln verzichten. Der Autor von „Kekse und Kirchen“ versuchte dann auch gar nicht, in der Sache selbst zu argumentieren.

Um den Medienzirkus um das Acrylamid zu entlarven, bemühte er eine Meldung, die er einer im gleichen Zeitraum erschienenen Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Der Focus“ entnahm. Demnach sei wegen der Abgase der brennenden Kerzen die Luft in Kirchen „stark mit krebserregenden Substanzen belastet“. Schadstoffbelastungen „wie an einer täglich von 45 000 Autos befahrenen Straße“ herrschten „oft“ in Kirchen.

Ob und wie stark Risiken in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, hängt oftmals von Umständen ab, die mit dem mutmaßlichen Risiko selbst nicht unbedingt in Einklang stehen müssen. Auch nach 2002 konnte kein zusätzliches Krebsrisiko durch den Verzehr acrylamid-haltiger Lebensmittel nachgewiesen werden. Genauso wenig allerdings, wie es bisher gelang, ein solches gänzlich auszuschließen.

Die amtlichen Signalwerte haben sich in den letzten fünf Jahren kaum verändert. Nach wie vor gibt es Beobachtungswerte, die deutlich über den Signalwerten liegen. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass in einem hochsensiblen Bereich wie der Produktion von Nahrungsmitteln Kleines große Wellen schlagen kann.

Tim Jacobsen

Vom Regen in die Traufe: Schreckgespenst Arbeitskräftemangel

Weitaus nachhaltiger als durch nicht beerntete Erdbeerfelder oder ins Laub geschossene Spargeläcker könnte der deutsche Gartenbau in nicht allzu ferner Zukunft durch einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften Schaden erleiden. Sinkende Ausbildungszahlen im grünen Bereich setzten einen Teufelskreislauf in Gang, in Folge dessen Bildungseinrichtungen für den Gartenbau geschlossen wurden, was wiederum dazu führte, dass jungen Leuten die Wahl gärtnerischer Berufe zusätzlich unattraktiv erschien. In manchen Bereichen übersteigt heute bereits die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften das Angebot deutlich.

Der fortschreitende Strukturwandel im Gartenbau und die technische Weiterentwicklung tun ihr Übriges dazu, die Nachfrage nach hochqualifiziertem Personal weiter ansteigen zu lassen. Dabei geht es nicht unbedingt nur um Arbeitskräfte mit gärtnerischem Hintergrund. Allerdings steht der Gartenbau mit anderen Wirtschaftsbereichen in Konkurrenz um die klügsten Köpfe und hat dabei nicht immer das beste Blatt auf der Hand. Es tut dringend Not, in der Selbstdarstellung des Gartenbaus die Dynamik des Sektors deutlich voran zu stellen. Nur wenn die Anziehungskraft des Gartenbaus als Arbeitgeber zunimmt, kann die Abwärtsspirale durch Arbeitskräftemangel gestoppt werden.

Weitergehende Mechanisierung wird schwere Arbeiten zwar vereinfachen, der Kampf um Arbeitskräfte wird aber auch im Niedriglohnbereich mit deutlich schärferen Waffen gefochten werden

Tim Jacobsen

Gründe für Flächenausweitung oder Produktionsintensivierung gibt es viele. Die Folgen dieser Entwicklung sind jedoch stets die Gleichen. Arbeitsprozesse werden schwerer durchschaubar, Personalführung und innerbetriebliche Organisation nehmen einen größeren Stellenwert ein. Mitarbeiter spezialisieren sich, Aufgaben werden verteilt. Mit den gestiegenen Ansprüchen wächst auch die Verantwortung jedes Einzelnen. Der Fort- und Weiterbildung von Mitarbeitern sollte deshalb gerade vor dem Hintergrund rückläufiger Ausbildungszahlen mehr Platz eingeräumt werden.

Dies sollte nicht zuletzt auch aus Eigennutz des Unternehmers geschehen. Schließlich wird der formalen Qualifikation der Mitarbeiter im Rahmen von Qualitätszertifizierungsprozessen wie QS, QS-GAP, Eurep Gap oder BRC eine besondere Bedeutung zugemessen. Erstaunlicherweise nehmen deutsche Arbeitnehmer im europaweiten Vergleich Weiterbildungsmaßnahmen nur in äußerst geringem Ausmaß in Anspruch.

Die demographische Entwicklung wiederum trägt bereits heute spürbar dazu bei, dass die Mitarbeiter in den Betrieben im Schnitt älter werden. Mit dem Ausscheiden altgedienter Mitarbeiter aus den Betrieben in Zukunft wird auch ein Großteil des zuvor vorhandenen Wissens verloren gehen. Es ist dringend an der Zeit, Strukturen zu etablieren, die diesen Erfahrungsschatz sichern. Dies kann nur über die frühzeitige Einbindung junger Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse funktionieren. Die verstärkte Bindung von Mitarbeitern an die Unternehmen sollte deshalb höchste Priorität besitzen.

Ein wichtiger Teil der unternehmerischen Tätigkeit ist die Personalführung. Konsequenz im Anleiten von Mitarbeitern sorgt dafür, dass jeder seinen Fähigkeiten entsprechend beschäftigt wird. Der Selektion und dem Anwerben von Mitarbeitern wird in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit zukommen. In größeren Betrieben liegt die Leitung bereits heute oftmals in Händen von Managern, die teilweise weit entfernt vom Produktionsprozess stehen. In diesen Betrieben wird der Produktionsfaktor Arbeit weniger als Kostenpunkt gesehen, sondern als strategische Gestaltungsmöglichkeit.

Um in Zukunft als Betrieb konkurrenzfähig zu bleiben und gleichzeitig ein attraktiver Arbeitgeber zu sein, werden neben Rahmenbedingungen wie der Lohnstruktur und Arbeitszeitmodellen auch soziale Aspekte und nicht zuletzt die Arbeitsumstände eine wichtige Rolle spielen. Der Kommunikation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerseite wird in Zukunft ebenfalls mehr Platz eingeräumt werden. Der Typ Boss, der alles kann und alles in der Hand hat, ist angesichts vielfältigster Anforderungen heutzutage ein nicht mehr zeitgemäßes Auslaufmodell.

Der Anteil der Lohnkosten an den Produktionskosten ist von Kultur zu Kultur und von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Über den ganzen Gartenbau hinweg betragen sie durchschnittlich ein Drittel. Daran wird sich auch in Zukunft voraussichtlich wenig ändern. Weitergehende Mechanisierung wird schwere Arbeiten zwar vereinfachen, der Kampf um Arbeitskräfte wird aber auch im Niedriglohnbereich mit deutlich schärferen Waffen gefochten werden. Patentrezepte dafür gibt es keine. Einmal in Gedanken die Seiten zu wechseln, könnte aber den Unterschied ausmachen.

Tim Jacobsen

Wir haben alle Chancen, die Herausforderungen für unser Land zu lösen

Ziffern alleine erzählen meistens nicht die ganze Geschichte: wer beispielsweise liest, dass die Niederlande nach Brasilien der größte Nettoexporteur von Agrarprodukten sind, kommt schnell auf den Gedanken, dass dies den europäischen Exportsubventionen für Milch, Getreide und Zucker zu verdanken wäre. Schließlich hat sich in vielen Köpfen die Idee festgesetzt, dass die europäische Agrarwirtschaft nur dank einer mehr oder weniger großzügigen Brüsseler Subventionspolitik überleben könne.

In Wahrheit wird der weitaus größte Teil der niederländischen Agrarexporte mit Produkten erwirtschaftet, die überhaupt nicht in Anmerkung für Subventionen kommen. Kaum jemand wird vermuten, dass niederländische Unternehmen beispielsweise die Exportmärkte für Kokosöl (68 %), Cashewnüsse (64 %), Kakaobutter (55 %) und –puder (54 %) dominieren. Schon vorstellbarer ist, dass Muscheln mit 51 % Weltexportmarktanteil zu den 15 stärksten Exportprodukten der Niederlande zählen. Niemanden überraschen wird die Tatsache, dass niederländische Schnittblumenexporte in einer Größenordnung von knapp 3 Mrd. € einen Exportmarktanteil von 84 % erreichen. Ähnlich stellt sich die Situation bei Blumenzwiebeln dar.

Bereits heute hat jeder dritte LKW, der auf den Straßen unseres westlichen Nachbarlandes unterwegs ist, Agrarprodukte geladen

Tim Jacobsen

Obwohl in Europa die staatlichen Ausgaben für Landwirtschaft nur 0,5 % des gesamteuropäischen Bruttosozialproduktes und damit weniger als ein Hundertstel der Summe aller Staatsausgaben ausmachen, sind die Zahlungen aus Brüssel mit Sicherheit aber auch keine vernachlässigbare Größe.

Stellt man den Anteil Subventionen, den einzelne Länder aus dem Gesamttopf erhalten, dem Anteil der einzelnen Länder am gesamteuropäischen Produktionswert gegenüber, fällt auf, dass das als Agrarsubventionsempfänger verschriene Italien zwar 13,1 % der gesamteuropäischen Subventionen für den Agrarbereich bezieht, allerdings auch 15,2 % des gesamteuropäischen Agrarproduktionswertes erwirtschaftet.

Bei Frankreich hält sich der Anteil Subventionen mit dem Anteil Produktionswert noch genau die Waage (12,6 %), bei Spanien (13,7 % zu 13,1 %) genauso wie bei Deutschland (15,7 % zu 14,5 %) dreht sich das Zünglein allerdings bereits in Richtung Subvention. Einziger deutlicher Ausreißer bei diesem innereuropäischen Vergleich sind mit einem Verhältnis von 7 % zu 2,6 % die Niederländer.

Die Niederlande, immerhin eines der am dichtesten besiedelten Länder der Welt, erzielten im Jahr 2005 allein mit Agrarprodukten einen Exportüberschuss in Höhe von 22,6 Mrd. €. Während der Flächenstaat Deutschland Nettoimporteur von Agrarprodukten ist, werden in den Niederlanden fast drei Viertel des Außenhandelssaldos in Höhe von 31,5 Mrd. € mit Agrarprodukten bestritten.

Obwohl von dieser Entwicklung auch Bereiche fernab der Landwirtschaft profitieren, sind dem Wachstum der Bedeutung der Niederlande als Drehscheibe des internationalen Handels mit Agrarprodukten allerdings Grenzen gesetzt: Bereits heute hat jeder dritte LKW, der auf den Straßen unseres westlichen Nachbarlandes unterwegs ist, Agrarprodukte geladen.

Tim Jacobsen

Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los

Wohl kaum ein niederländischer Unterglasgärtner konnte die Sylvesternacht des Jahres 2001 unbeschwert genießen. Zu ungewiss war zu dieser Zeit, wie sich die Liberalisierung des Energiemarktes auf den Erdgaspreis auswirken würde. Ähnlich ängstlich blicken derzeit viele deutsche Obst- und Gemüsebauern in die Zukunft – fraglich scheint, ob in Zukunft noch jemand da sein wird, der die Arbeit auf den Feldern erledigen will.

„Mittlerweile geht es sogar soweit, dass versucht wird, den Eindruck zu erwecken, die Senkung des Energieverbrauchs im niederländischen Unterglasgartenbau sei eine Sache von nationalem Interesse“

Arie Oskam

Gefühlte 40 % niedriger waren bis zum Neujahrstag 2002 die Energiekosten jenseits des orangefarbenen Schlagbaums. Spuren dieser Subventionspolitik sind fünf Jahre später noch allerorts anzutreffen. Viele Betriebe produzieren mit relativ altertümlicher, wenig umweltfreundlicher Technik Massenprodukte wie Tomaten, Paprika und Gurken.

Dies führte zu der eigentlich paradoxen Situation, dass viele Unterglasgärtner in den Niederlanden keinen Spielraum für Investitionen sehen, obwohl Sektorvertreter in regelmäßigen Abständen Rekordergebnisse vermelden.

Kein Wunder, dass auch in den Niederlanden seit einiger Zeit die Rufe nach unterstützenden Maßnahmen von Seiten des Staates immer lauter werden. Der niederländische Agrarökonom Professor Arie Oskam kann darüber jedoch nur den Kopf schütteln: „Mittlerweile geht es sogar soweit, dass versucht wird, den Eindruck zu erwecken, die Senkung des Energieverbrauchs im niederländischen Unterglasgartenbau sei eine Sache von nationalem Interesse“.

Den wahren Schuldigen für die auch seiner Meinung nach durchaus beklagenswerte Situation, in der sich der Gartenbausektor derzeit befindet, hat Oskam just in der jahrelangen Sonderstellung des Gartenbaus ausgemacht. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sei es doch grober Unfug gewesen, die Herstellung von Exportprodukten über günstige Energiepreise zu subventionieren.

In den Jahren, in denen der Produktionsfaktor Energie im Überfluss verfügbar war, wurde die Chance verspielt, den Sektor marktwirtschaftlich zu orientieren, so Oskam. Es gelang weder, ein bestimmtes Preisniveau zu etablieren, noch das Produktspektrum zukunftsträchtig auszurichten.

Ein Mangel an Arbeitskräften in Sektoren wie der Landwirtschaft und dem Hotel- und Gaststättenbereich führte Ende der Achtziger Jahre trotz allgemein hoher Arbeitslosigkeit in Deutschland zu einer Lockerung des 1973 in Kraft getretenen Anwerbestopps für ausländische Arbeitnehmer. Bilateral vereinbarte Beschäftigungsmöglichkeiten für Angehörige ehemaliger Ostblockstaaten hatten zum Ziel, diese Staaten bei der marktwirtschaftlichen Umgestaltung ihrer Wirtschaftssysteme zu unterstützen.

In der Landwirtschaft und dem Gartenbau konnten ab 1991 ausländische Saisonarbeitskräfte für maximal drei Monate pro Kalenderjahr zur Überbrückung eines vorübergehenden Arbeitskräftebedarfs eingesetzt werden.

Von dieser Möglichkeit wurde in Folge stärker Gebrauch gemacht, als manchem Politiker lieb war. So kam es, dass 1997 erstmals Eckpunkte für die Zulassung von Saisonarbeitnehmer festgeschrieben wurden. Die betroffenen Betriebe konnten fortan nur noch 85 % der Anzahl der 1996 als Saisonarbeitskräfte tätigen Osteuropäer beschäftigen.

Aufgrund von Ausnahmeregelungen, die bei Betriebsumstrukturierungen und –erweiterungen zum Tragen kamen, stiegen in den Folgejahren die Vermittlungszahlen noch einmal deutlich an. Die mit der Einschränkung eigentlich beabsichtigte Entlastung des einheimischen Arbeitsmarktes blieb aus – bereits damals war unzumutbar ein Argument, das sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer ins Feld führten.

Da die offizielle Statistik nicht die Anzahl tatsächlich erfolgter Grenzübertritte ausweist, sondern lediglich Vermittlungszahlen auf Jahresbasis aufführt, übersteigt die Anzahl von Niedriglohnbeschäftigungsverhältnissen in diesem Zeitraum sehr wahrscheinlich die offiziell genannten 350 000 bei weitem.

Während in Deutschland in den letzten fünf Jahren die Anbaufläche von arbeitsintensiven Kulturen wie Erdbeeren und Spargel stark ausgeweitet wurde, konnten im selben Zeitraum Betriebe in unseren Nachbarländern Frankreich, Belgien, Niederlande und Dänemark nur sehr eingeschränkt auf Saisonarbeitskräfte aus Niedriglohnländern zurückgreifen.

Unternehmerisch zu handeln bedeutet, günstige Wettbewerbsfaktoren zum eigenen Vorteil zu nutzen. Unternehmerisch zu handeln bedeutet allerdings auch, rechtzeitig die Weichen neu zu stellen.

Die schärfsten Kritiker einer Modernisierung des niederländischen Unterglasgartenbaus mit Hilfe von Steuergeldern sind unter den Betriebsinhabern zu finden, die aus eigenem Antrieb erfolgreich den Sprung in die Zeit nach der Liberalisierung des Energiemarktes geschafft haben.

Tim Jacobsen

« Ältere Beiträge Neuere Beiträge »