"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: BMEL

Beruf Gärtner. Der Zukunft gewachsen

Die Älteren unter uns können sich noch erinnern: am ersten Tag des Jahres 2000 drohte der Weltuntergang, weil überfleißige Programmierer übersehen hatten, dass mitunter ja auch einmal ein Jahrtausendwechsel anstehen könnte. Danach entwickelte sich das Jahr 2030 zum neuen Sehnsuchtsziel und so verabschiedeten die Vereinten Nationen noch im Jahr 2015 eine Agenda 2030, wohlwissend oder besser hoffend, dass in 15 Jahren eine Menge passieren kann.

Zur Halbzeit Richtung 2030 war das Fazit dann allerdings mehr als ernüchternd: angesichts von Kriegen, Pandemien, der Erderwärmung und einem augenscheinlich viel zu oft fehlenden politischem Willen werden wir wohl keines der darin formulierten 17 Ziele auch nur annähernd erreichen.

Dringend Zeit für eine neue Messlatte und da wir uns ja gerade mit Riesenschritten in Richtung stille Zeit und dem dazu gehörenden „wünsch Dir was“ begeben, wollen wir uns einmal in das fern klingende, in Wahrheit aber auch nur 300 Ausgaben des Gartenbau-Profis entfernte Jahr 2050 begeben. Steilvorlage könnte das „Maßnahmenpaket Zukunft“ sein, dass „der Gartenbau“ gewissermaßen als erledigte Hausaufgabe im Frühjahr 2024 „der Politik“ überreichte.

Allerdings krankt das Maßnahmenpaket, wie schon der Zukunftskongress zwei Jahre zuvor, daran, dass die Zukunft selbst darin etwas zu kurz kommt. Zugegebenermaßen ist das mit der Zukunft und wie sie aussehen wird, ja auch so eine Sache. So wie wir heute Gewächshäuser aus den1980er Jahren zuweilen belächeln, werden wir im Jahr 2050 wahrscheinlich auf Produktionsstätten schauen, die heute den Stand der Technik markieren. „Aus einer anderen Zeit“, „am falschen Fleck“ und überhaupt „von Innovation kaum was zu sehen“, könnte unser Urteil dann lauten.

Wobei es auch 2050 noch diejenigen geben wird, die das ganze moderne Zeug verteufeln und einfach nur in Ruhe ihr Ding machen wollen, genauso wie es auch diejenigen geben wird, denen alles gar nicht schnell genug gehen kann und die gedanklich schon wieder ein Vierteljahrhundert weiter sind.

Und natürlich ahnten auch die Dinosaurier nicht, dass ausgerechnet ein Asteroideneinschlag ihrer Vorherrschaft ein Ende bereiten könnte – genauso wenig war Ende Oktober der Wahlausgang in den USA absehbar oder hätte vorweihnachtlicher Frieden die Brandherde des Nahen Ostens, des Ostchinesischen Meers, in Myanmar, Ost- und Westafrika oder der Ukraine gelöscht.

Dennoch könnte es durchaus so sein, dass sich der Produktionsgartenbau bis 2050 in eine wahrhaft nachhaltige Richtung entwickelt. Dies sowohl was die finanziellen Aussichten als auch was die heute bereits vielfach diskutierten Nachhaltigkeitsaspekte wie Klimaresilienz und dem Anforderungskatalog des in Zukunft noch deutlich wichtiger werdenden Prädikats „gut für Mensch und Umwelt“ angeht.

Anzeichen hierfür sind im hier und jetzt bereits erkennbar: Nahrungsmittelskandale werden auch in Zukunft nicht ausbleiben und das Insektensterben wird über kurz oder lang zu einer deutlichen Abnahme von Wildvögelpopulationen führen – zwei der Entwicklungen, die zu einem endgültigen Gesinnungswandel weg von „Geiz ist geil“ beitragen könnten. Eher aktivistisch veranlagte Grundbesitzer könnten (wie bspw. bereits in Dänemark zu beobachten ist) zunehmend strikte Bedingungen an die Art der Bodennutzung stellen.

Produzenten und Konsumenten nähern sich nach Jahren der Entfremdung wieder an, ihr Schulterschluss sorgt dafür, dass die Gesetze des Marktes ein Stück weit ausgehebelt werden. Auch wenn Energie in Zukunft tatsächlich ohne Preiskärtchen verfügbar sein könnte, wird die Konkurrenz in den klassischen Handelskanälen nicht unbedingt kleiner, da die heutzutage noch aus produktionstechnischer etwas rückständigen Standorte aufholen werden.

Angesichts strengerer Regelauslegung zugunsten von Umwelt und Klima werden Flächenausweitungen eher ein Geschäftsmodell der Vergangenheit sein und Formen der solidarischen Landwirtschaft eher der Regelfall werden. Gleichzeitig könnte es aus einer ganz anderen Ecke zu einem Nachfrageschub kommen:

Wenn Prävention immer wichtiger wird und die Gesundheits-Apps Burger verbieten, steigt zwangsläufig der Obst- und Gemüseverbrauch. Ähnlich wie schon beim CO2-Fußabdruck wird das True Cost Accounting bei Nahrungsmitteln gang und gäbe. Block Chain-Technologie sorgt für Transparenz; Zucker, Alkohol und all die anderen schönen Dinge werden schlimmer besteuert als Zigaretten heutzutage.

Mit diesem Geld wird ein Gesundheitsfonds eingerichtet, der dann wiederum die Folgen des übermäßigen Konsums allem Ungesundens kostenmäßig auffängt. Big Data sorgt für individualisierte Diätpläne und eine Vielzahl strategischer und organisatorischer Allianzen sorgt dafür, dass die Unterschiede zwischen Eigentümer, Stakeholder, Produzent und Konsument verschwimmen, genauso wie die zwischen Gartenbau, Tierhaltung und Ackerbau, der Anzucht von Algen, Pilzen und Insekten.

Technologischer Fortschritt sorgt für die Wiedergewinnung von Nährstoffen, Durchbrüche in der Gentechnik optimieren die Fotosynthese. Bodengebundene Produktionsverfahren gibt es kaum noch und dann haben wir es ja noch gar nicht darüber gehabt, welchen Einfluss Künstliche Intelligenz in Kombination mit Robotik und Prozessautomatisierung auf unser Leben in 25 Jahren haben könnten.

Tim Jacobsen

Wie alles mit allem zusammenhängt

Man könnte meinen, es liegt ein Fluch auf dem Zwiebelforum: nach der Erstausgabe 2014 ging es mehr oder weniger direkt vom Bonner GSI an die russische Riviera zu den Olympischen Winterspielen, die wiederum nur den Deckmantel für die Annektion der Krimhalbinsel darstellten. Womit nun leider auch der Krieg in der Ostukraine ziemlich genau sein Zehnjähriges hat.

2018 sorgte Orkantief Friederike passend zum Veranstaltungsbeginn in Peine für Verwüstung und Chaos in Deutschland. 2020 ging es ins Haus am Weinberg nach St. Martin – dort gab es einen der letzten spektakulären Sonnenaufgänge zu sehen, bevor es dann für uns alle „ab in den Lockdown“ hieß.

Aus dem Zweijahresrhythmus wurde kurzerhand ein Vierjahresrhythmus. 2024 war dann zwar die von Rukwied ausgerufene Wut-Woche gerade passend zu Veranstaltungsbeginn zu Ende gegangen, als wollte der Wettergott das Ganze aber nicht auf sich sitzen lassen, schüttelte Frau Holle, was vom Himmel ging und sorgte im wenig Winter-erprobten Rheinland für garantiert-nicht-Genehmigungs-pflichtige Entschleunigung.

Grund genug, ein bisschen wütend zu sein, hätten wir eigentlich alle: Stiftung Warentest rechnet vor, dass der CO2-Steueranteil an Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas zu Jahresbeginn um rund 50 % gestiegen ist. Von dem im Koalitionsvertrag angekündigten „sozialen Kompensationsmechanismus“ fehlt jedoch jede Spur, interessanter Weise genauso wie von einem Aufschrei in der Bevölkerung.

Die OECD attestiert der deutschen Durchschnittsfamilie die zweithöchste Abgabenlast aller OECD-Staaten. Nicht verwunderlich, sollten die Haushaltsdaten dann auch eigentlich gar nicht so schlecht sein, und liegen relativ zur Wirtschaftsleistung dann auch tatsächlich deutlich über denjenigen vom letzten Vorpandemiejahr. Wohin das ganze liebe Geld versickert, lässt sich je nach politischer Gesinnung unterschiedlich interpretieren und ausschlachten.

In all dem Gehupe und dem ganzen Trubel der zweiten Januarwoche ist nicht nur ein bundesweiter dreitägiger Bahnstreik komplett untergegangen, sondern auch, dass nicht nur Landwirte Leidtragende der Sparbeschlüsse waren, die von einem unzurecht zum Buhmann gemachten Bundesverfassungsgericht angeordnet wurden. Auch das Strompreispaket, das die Reduzierung der Stromsteuer für das gesamte produzierende Gewerbe auf das europarechtlich zulässige Mindestmaß bedeutet hätte, fiel dem Rotstift zum Opfer.

Die Verdoppelung der Netzengelte macht bei Haushaltskunden ein paar Dutzend Euro aus, bei industriellen Mittelständlern sind das schnell ein paar Hunderttausend Euro. Auch Gießereien und Verzinker, Kunststoff-, Metall- und Stahlverarbeiter stehen im Wettbewerb mit Unternehmen aus Ländern, in denen nicht nur der Strompreis deutlich niedriger ist. Höfesterben heißt im Rest der Wirtschaft Konkurs und Privatinsolvenz.

Hier eine leerstehende Werkhalle, dort die eine und andere Stellenstreichung werden Zeugnis davon ablegen, dass zumindest im Fall der Strompreise der Markt funktioniert hat: das auch durch den Atomausstieg verknappte Angebot führte und führt zu steigenden Preisen. Davon nicht ganz losgelöst sollte die Diskussion sein, ob der Netzausbau genauso wie der Ausbau der Erneuerbaren wirklich über den Strompreis finanziert werden muss.

Die DZ Bank prognostizierte Anfang Januar einen Rückgang der Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland von derzeit 256 000 auf 100 000 im Jahr 2040. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch 1,8 Mio. Bauernhöfe, im Jahr 1960 zählte das damalige Bundesgebiet rund 1,5 Mio. landwirtschaftliche Betriebe. Bis 1980 halbierte sich diese Zahl, in den folgenden 20 Jahren sank sie noch einmal um fast die Hälfte auf rund 450 000 im Jahr 2000 – und das trotz fünf neuer Bundesländer. Gab es zu Beginn von Angela Merkels Regierungszeit noch knapp 400 000 landwirtschaftliche Betriebe waren es 2021 nur noch gut 260 000.

Ob letztendlich die Kluft zwischen Stadt und Land im Laufe der „Woche der Wut“ etwas kleiner geworden ist, wird sich zeigen müssen. Zu oft schon hätten diejenigen, die diesen Winter wieder einmal am Straßenrand Beifall klatschten, die Gelegenheit gehabt, im Alltag auf die Jagd nach dem ultimativen Supermarktschnäppchen zu verzichten und durch ihr Konsumverhalten Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen.

Was auf jeden Fall im Gedächtnis bleiben wird, ist eine erneute Verrohung des Debattentons: neben „ohne Bauern gibt es keinen Jungbäuerinnenkalender“ gab es eben auch die Anschuldigung unseres Bauernpräsidenten, im Berliner Regierungsviertel habe noch nie jemand geschwitzt oder gearbeitet. Und schon baumelten die Ampeln an Galgen.

Tim Jacobsen

Hoffnung in Sicht?

In den letzten Wochen gab es manchmal Tage, da habe ich mir beim zu Bett gehen gedacht: Eigentlich ganz gut, dass heute wieder einmal keiner eine Atombombe gezündet hat. So richtig Spaß macht das alles nicht mehr und da passt dann ganz gut zum allgemeinen Stimmungsbild, dass der allerletzte Coronaschreck Höllenhund heißt.

Zwar schreitet die Legalisierung von Marihuana mit Riesenschritten voran, ob das dann aber helfen wird, die Energiepreis-heiß-gelaufenen Gemüter zu kühlen, bleibt fraglich und so doppel-wummst Bazooka-Kanzler Scholz munter vor sich hin. Ähnlich wie beim Tankrabatt und dem Neuneuroticket geht die Bundesregierung irgendwie davon aus, dass wir irgendwann einmal wieder eingelassen werden ins Energiepreisparadies.

Fluktuationen an den Energiemärkten gab es zwar schon immer und wird es sicherlich auch in Zukunft geben, Prognosen, die eine Wiederannäherung an das Preisniveau vor dem 24.02.2022 vorhersagen, haben allerdings einen dermaßen hohen Seltenheitswert, dass sie begierig von den Medien aufgegriffen werden, da in der allgemeinen Aufregung auf alles geklickt wird, was nur ein Fünkchen Hoffnung verspricht.

Aber auch unsere zukünftigen Handelspartner sind nicht ohne und können rechnen. Ist dann der Oktober eigentlich viel zu warm, stauen sich die Schiffe an den LNG-Terminals und auf einmal sind zwar die Erdgaspreise sogar negativ, aber die Krise noch lange nicht vorbei.

Derweil wachsen die Schuldenberge und der Schatten, der auf zukünftige Generationen fällt, wird länger und länger. Und sollten 20 °C plus Anfang November eigentlich Alarmsignal genug sein, braucht es Sekundenkleber, befahrene Straßen, Tomatensuppe, Kartoffelbrei und Gemäldegalerien, um auf das eigentliche Drama, das sich gar nicht so im Verborgenen abspielt, aufmerksam zu machen.

Ein Teil des Hamburger Hafens geht an China; auch Schröder wischte seinerzeit ministerielle Bedenken beiseite und trug wesentlich zur jetzigen misslichen Lage bei. Parteikollegin Esken löscht ihr Twitterprofil, da ihr die missliebige Kommentierung zu viel wurde.

Noch einmal 192100 Schuss Munition, zwei Überwasserdrohnen, vier Panzerhaubitzen und zwei Mehrfachraketenwerfer gingen in der vorletzten Oktoberwoche an die Ukraine und selbst wenn der Vergleich hinken mag: Im September 2022 wurden weltweit allein rund 192700 Personenkraftwagen der Marke Mercedes-Benz verkauft, das macht mehr als 6400 Autos am Tag.

An der Antwort auf die Frage, wie das nun alles weitergehen soll, zerbrechen sich gerade so einige den Kopf: Steinmeier stimmte Deutschland zuletzt auf „raue Jahre“ ein, die Friedensdividende sei aufgebraucht – neben der unilateralen Abrüstung Deutschlands meinte er damit wahrscheinlich auch die Jahr für Jahr zuverlässig erzielten Exportrekordüberschüsse, die wir neben dem deutschen Ingenieursgeist vor allem auch Putins Billigenergie zu verdanken hatten.

Blenden wir einmal kurzfristige Effekte aus, die im Einzelfall tragische Schicksale mit sich bringen werden, gehen Agrarökonomen im Allgemeinen davon aus, dass der Einfluss des Krieges in der Ukraine auf das Wohl und Wehe der Landwirtschaft hierzulande überschaubar bleibt. Dies liegt vor allem daran, dass Agrarexporte weitgehend von den Sanktionen ausgenommen sind, der Welthandel also auch zukünftig Preisausschläge abpuffern wird und wir zudem kaum abhängig von ukrainischen Agrarexporten sind.

Der viel diskutierte Anbau von Ackerkulturen auf Stilllegungsflächen wird nach Ansicht der Experten alles andere als Kriegs-entscheidend sein – dies liegt nicht zuletzt aber auch in der Natur der Sache, da diese Flächen ja auch nicht umsonst stillgelegt wurden. Ob die EU-Hilfsfonds über kurzfristige Entlastung hinaus auch mittelfristig Wirkung zeigen, ist derzeit noch nicht abschätzbar. Wissenschaftlich belegbar ist dagegen ein mittelfristiges Einpendeln der Energiepreise auf etwa 20 % über dem Preisniveau vor der russischen Ukraineinvasion.

Und da gilt es dann doch einmal etwas genauer hinzuhören, schließlich steigen nicht nur die Diesel-, Benzin-, Gas- und Strompreise. Dünger, Agrarchemie und eigentlich so gut wie alles andere wird teurer. Allerdings werden den Analysten zufolge auch die Preise für Agrarprodukte und Nahrungsmittel steigen, was zum einen auf Produzentenseite zwar den Preisanstieg auffangen könnte, zum anderen aber über die Preisinflation bei Nahrungsmitteln dann negative Effekte auf die Wirtschaftsdaten haben wird.

Spannend wird sein, zu sehen welche Auswirkungen die EU-weit wenig einheitlichen Energiepreisbremsen auf den Ernährungssektor und damit auch den Gartenbau in den jeweiligen Ländern haben werden. Die Niederländer beispielsweise haben zumindest bisher relativ konsequent den Kurs verfolgt, über Preissignale Anreize zum Energiesparen setzen und zum Umstieg auf alternative Energiequellen animieren zu wollen. Wie lange der frischgebackene Agrarminister dort dem Druck standhält bleibt abzuwarten.

Verfahrener dann die Situation bei uns. So gut wie alle W-Fragen scheinen unbeantwortet, was das die drei Wohltaten-und-Entlastungspakete der Bundesregierung in Bezug auf den Gartenbau angeht: Wenn Topfbasilikum im Gewächshaus subventioniert werden soll, warum dann nicht auch Schnittrosen unter Glas? Der derzeit noch im Bundeslandwirtschaftsministerium tätige potentielle Nachfolger Kretschmanns bleibt, wie zuletzt auch beim Zukunftskongress in Berlin, in seinen Aussagen mehr als nur vage.

Vielleicht hat er aber auch nur die uns nachfolgenden Generationen im Blick. Das wäre ehrenhaft – nur sagen sollte er es halt dann auch.

Tim Jacobsen

Beginnt die Zukunft heute, ist sie schon da oder war sie vielleicht gestern?

Will man sich vor Augen führen, wie lange es her ist, dass ministeriell orchestriert das erste Mal in die Zukunft des deutschen Gartenbaus geschaut wurde, musste zuallererst Steinmeier Merkel im Kanzlerduell unterliegen, bevor wenige Tage und Meter vom Fernsehstudio entfernt dann die Erstausgabe des Zukunftskongresses Gartenbau stattfinden konnte.

Adlershof hatte den Vorteil, über Schönefeld seinerzeit zumindest noch direkt an die große weite Welt angeschlossen zu sein.

Die SPD ließ nicht locker und verfrühstückte vier Jahre später im Jahr 2013 Steinbrück an die Amtsinhaberin, auch dieses Mal begleitet von einem Zukunftskongress Gartenbau. Damals kam gerade Graphic Recording wieder aus der Mode und so wurden die Inhalte zumindest fast zeitgemäß in Wandgemälden festgehalten.

Nur neun Tage trennten Merkel am 8. Dezember 2021 von der 5869 Tage umfassenden Rekordkanzlerschaft Kohls. Wer 2013 in Tiefschlaf gefallen war, verpasste also in den Folgejahren nicht allzu viel, weder in der Politik noch im Profifußball. Der Amtsinhaberinnenbonus war und blieb lange Zeit Trumpf, die Ergebnisse des 2013er-Zukunftskongresses wurden in einer 85 seitigen –strategie festgehalten.

Ohne Duell, Flughafen und direktem Merkelbezug hatte Adlershof dann wohl seinen Reiz verloren und für die in wenigen Wochen aus dem Boden gestampfte 2022er-Drittauflage des Zukunftskongresses wurde mit der Heilig-Geist-Kapelle, einem der ältesten Gebäude Berlins, eine etwas zentralere Location gefunden.

Für den Minister, der sogar zur Vereidigung bei erstaunlicherweise wiederum Steinmeier mit dem Fahrrad gekommen war, wären die zwei Kilometer vom Dienstsitz in der Wilhelmstraße wahrscheinlich ein Klacks gewesen. Da aber am 18. Oktober 2022 das Agriculture and Fisheries Council tagte, konnte er nicht selbst kommen, sondern schickte eine Videobotschaft.

Etwas, das seine CSU-Vorgängerin 2013 ähnlich handhabte. Nur fingen damit für ihn gerade wegen des ganz-ohne-da-zu-seins die Probleme in gewisser Weise erst an: Eine überlebensgroße schwäbelnde Projektion an genau der Stelle, wo sich über viele Jahrhunderte das Altarbild befunden haben muss, war in ihrer Außenwirkung zumindest etwas befremdlich. Und was im Radio „versendet sich“ heißt, war einer der ersten thematischen Stolpersteine der Veranstaltung.

Die Frage „wer wen und wieso unterschätzt“ vergallopierte sich eingangs des über weite Strecken gar-nicht-so Zukunftskongresses zusehends, gleichzeitig wurde unliebsamen Vertretern anderer Meinungen mit Referenzen an die dunkelsten Jahre Deutschlands lautstark die Ablehnung gegeigt. Immerhin sorgte der einzige Praktiker auf dem Vormittagspodium für mehrere im Titel der Veranstaltung ja versprochene Licht- und vor allem Ausblicke.

Das karge Mittagsmahl war wahrscheinlich eine Referenz an frühere klösterliche Riten und wer dann tatsächlich passgenau zu den Parallelforen aus einem neun Jahre und fünf Wochen begonnenen Tiefschlaf aufgewacht wäre, hätte sich sofort zurecht gefunden.

Zwar ist das Graphic Recording 2022 etwas farbloser als dies noch 2013 live im Adlershof und für alle Ewigkeit auf den Seiten 67, 71 und 73 im Tagungsband der Fall war. Zurückhaltung bei der Farbsättigung ist aber tatsächlich gerade sehr modern.

Die diskutierten Probleme hätten aktueller kaum sein können und waren doch nahezu identisch mit denen der beiden Vorgängerveranstaltungen. Natürlich sind Flüssiggastanker im Vergleich zu Branchen wie dem Gartenbau Schnellboote, etwas weniger in die gleiche Richtung hätte der Veranstaltung jedoch gutgetan.

Mehr noch, etwas weniger herumdoktern im zunehmend verzweifelteren Versuch, mit möglichst wenig Aufwand den Status Quo beibehalten zu können, hätte vielleicht tatsächlich zu zukunftstauglicheren Ideen geführt.

Auch die vorgestellten Leuchtturmprojekte hatten und haben zwar mit Sicherheit Strahlkraft, zum Teil strahlen sie aber eben auch schon sehr lange.

Und da wirkt dann das Renaming des 2013er Mottos  „Die Zukunft beginnt jetzt“ in ein „Die Zukunft ist heute“ vielleicht im Nachhinein wie die Selbsterkenntnis, dass irgendetwas nicht ganz richtig sein kann, wenn die 2013er Zukunft heute eigentlich schon Vergangenheit sein müsste, aber noch immer im Futur diskutiert wird.

Der Status Quo ist die wahrscheinlich unwahrscheinlichste Option, die wir zukünftig haben werden. Die Diskussion, was denn jetzt eigentlich passieren soll, versandete in der Moderation und wieder einmal bewahrheitete sich, dass viel diskutiert werden kann, was aber davon überbleibt, einzig und allein die Protokollantin bestimmt.

Aus der Pokermine des ranghöchsten Ministeriumsvertreters ließ sich zumindest nicht ablesen, dass ihm die Existenznöte der Gärtnerinnen und Gärtner besonders nahegehen würden.

Tim Jacobsen