"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: Corona (Seite 1 von 3)

Aufklärung, die Spaß macht

Zurück von weggewesen: auch bei den Kollegen einmal über den Kanal begann im letzten Jahr nach mehrmaligem Coronawinter- und -sommerschlaf wieder die Veranstaltungssaison. Einigermaßen bezeichnend, dass sich die Mund- und Nasenbedeckungen bis zum Wiedereinstieg in den öffentlichen Nahverkehr diesseits der Passkontrolle eine Pause verdient hatten, aber geschenkt: England im Spätherbst wie eine andere Welt, die Kathedralen strahlten im Dunklen um die Wette, Schlittschuhbahnen luden zur vorweihnachtlichen Ausfuhr und der Sieg der englischen Nationalelf über die Vereinigten-Königsreichs-Kollegen aus Wales wurde – public viewing at its best – ein- und ausgehend gefeiert.

Nachdenklicher stimmte, was auf der Onion and Carrot Conference (OCC) diskutiert wurde. Und damit sind nicht die Ausführungen des aus Missouri stammenden Präsidenten der US-amerikanischen National Onion Association gemeint, der in der Biden Administration den Grund für alles Übel auf der Welt sah und seinen europäischen Berufskollegen riet, doch einfach nicht zu verkaufen, wenn die Preise nicht stimmen. Erinnerte Greg Yielding mit markigen Sprüchen und Cowboyhut an die Karikatur eines Westernhelden, erfüllte David Exwood die Erwartungen an die Rede eines Bauernverbandsvizepräsidenten – wobei Häme angesichts des selbsteingebrockten Brexits mit Sicherheit fehl am Platz ist.

Nachhaltigkeit der Inflationsbekämpfung zu opfern und mit noch mehr Saisonarbeitskräften aus Nepal und Indonesien Arbeitsmarktlücken stopfen, hört sich zwar nach einem Plan an, aber einem vielleicht eher kurzsichtigen. Steilvorlage für Emeritus Tim Lang, der gemeinhin als einer der klügsten Köpfe Englands gilt. Und auf einmal waren die Probleme unserer mit Linksverkehr gesegneten Berufskollegen auch unsere: Ohne Importe geht es auch in England nicht, hüben wie drüben führt falsche Ernährung zu Riesenkosten für die Gesundheitssysteme und konzentriert sich die Marktmacht im Lebensmitteleinzelhandel auf eine Handvoll anerkannt profitorientierter Unternehmen.

Und da die Engländer uns normalerweise einen Schritt voraus sind, wird auch in Deutschland die Lücke zwischen der Lebenserwartung privilegierter und weniger privilegierter Bevölkerungsschichten größer werden. Die nie erreichten mindestens Fünf am Tag werden zukünftig noch mehr zu einem Luxusproblem werden und auch bei uns zeigt sich: Die Tafeln sind nicht die Antwort und können das Problem auch nicht lösen. Die Politik ist gefragt, Lang wünschte sich einen 1943er Hot Springs Moment – auch wenn eigentlich in den letzten knapp achtzig Jahren genug Zeit gewesen wäre, der seinerzeit im Rahmen der UN Conference on Food and Agriculture aufgestellten Forderung nach einer „ausreichenden und angemessenen Versorgung eines jeden Menschen mit Nahrung“ nachzukommen.

Die 2008er Wirtschaftskrise und vieler ihrer Nachfahren und Vorläufer lassen grüßen

Tim JAcobsen

Wie verzwickt das Problem ist, zeigt Langs Vergleich inflationsbereinigter Konsumentenpreise: Möhren waren 2019 halb so teuer wie 1988, Zwiebeln um die Hälfte billiger. Das Preispendel schlug zwar in den Folgejahren in die Gegenrichtung aus und spätestens mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine wurde dann auch dem letzten klar, dass die Preise gewissermaßen durch die Decke gehen. Die Chance, folgerichtig die Erzeugerpreise neu zu tarieren, wurde jedoch verpasst, auch 2022 ließen sich Zwiebel und Möhren im Handel finden, die den Preisaufschwung seit 2019 irgendwie nicht mitbekommen hatten.

Die Antwort des LEHs lautete nämlich allgemeinhin, dass die Inflation „im Schulterschluss mit den Produzenten“ bekämpft werden müsse. Etwas, das Ged Futter dann eher als „auf den Schultern der Produzenten“ interpretierte. Der ehemalige Chefeinkäufer ist Experte für unlautere Wettbewerbspraktiken im Vereinigten Königreich und konnte jedem und jeder nur raten: Augen auf bei der Geschäftspartnerwahl. Es seien zwar unruhige Zeiten, doch – und da zeichnete sich dann auch endlich einmal eine lang erwartete gute Nachricht ab – werde die abnehmende Hand angesichts abnehmender Warenverfügbarkeit zukünftig weniger Spielraum haben und auf zuverlässige Partner angewiesen sein.

Damit ist allerdings noch nicht das Problem gelöst, dass in Krisenzeiten der Obst- und Gemüseverzehr leidet und das besonders in weniger begüterten Bevölkerungsschichten: mehr als ein Viertel aller Haushalte mit Kindern mussten in England in den letzten Monaten Mahlzeiten ausfallen lassen. Davon betroffen waren mehr als 4 Mio. Kinder. Knapp 10 Mio. Erwachsene mussten in den letzten Monaten auf die eine und andere Mahlzeit verzichten. Die Hälfte der Haushalte mit moderat bis niedrigen Einkommen machte Abstriche an den Obst- und Gemüsetheken, was zu einem Rückgang der Verkäufe um knapp ein Zehntel im Vergleich zur Prä-Covid-Zeit führte.

Schulgärten, wie von Joe Mann während der OCC angeregt, werden allerfrühestens mittelfristig für Veränderung sorgen. Deutlich schneller könnte es dann mit Simply Veg gehen, dem neuesten Streich des IPA Effectiveness-Preisträgers Dan Parker. Anders als noch in der ebenfalls sehr sehenswerten „Eat them to defeat them“-Kampagne hilft Veg Power dieses Mal dabei, mit Hilfe von simplyveg.org.uk preiswert und geschmack-voll die Klippen der „Permakrise“ ernährungstechnisch zu umschiffen. Wobei weder ausgewogen oder gesund noch regional oder saisonal im Vordergrund stehen, es klammheimlich aber dann doch tun.

Parker hatte sieben Jahre Vorlauf, die komplett privat finanzierte Kampagne rund zu bekommen. Zeit, die uns fehlt. Mit nur einem Bruchteil der einen Milliarde Euro, die als Anschubfinanzierung zur Förderung des Umbaus der Tierhaltung eingeplant sind, könnte hier Großes geschaffen werden.

Tim Jacobsen

Die Welt dreht sich weiter

Nachdem im Frühjahr erst die Gasspeicherfüllstandsanzeige den Inzidenzwert als Gradmesser für das Wohlbefinden unserer Gesellschaft abgelöst hatte, rückte das Infektionsgeschehen zuletzt wieder stärker in den Fokus, um dann letztendlich mit der staatlich verordneten Aufgabe einer planmäßigen Erhebung des Pandemiegeschehens im Aufmerksamkeitsgeheische wieder in die zweite Reihe verbannt zu werden. Der ungewohnte Anblick von Militärgerät auf deutschen Autobahnen und die vielen Kennzeichen, bei denen die blaugelben Fahnen keinen Sympathieausdruck sondern Nationalzugehörigkeit bedeuten, machten aber auch Menschen, die sonst in der Zeitung mit den großen Buchstaben allenfalls die Badenixen zur Kenntnis nehmen, unmissverständlich klar, dass derzeit streng genommen kein Stein auf dem Stein bleibt, in der Ukraine wortwörtlich und bei uns im übertragenen Sinne.

Gut, dass es Veranstaltungen wie die des FAZ-Kongresses gibt, die bei der Einordnung des Weltgeschehens im Kleinen wie im Großen helfen: Da ging es dann um Fragen wie die, ob städtische Bühnen noch zeitgemäß sind – was eifrig bejaht wurde – und die, ob es für den automobilisierten Individualverkehr eine Zukunft gibt – was mit Hilfe eines evolutions-ähnlichen Erklärungskonstruktes ebenfalls Zustimmung fand. Die Diskussion, wem der Platz im öffentlichen Raum eigentlich gehört, war dann nicht weit weg, was fast zwangsläufig die Überlegung nahelegte: Muss der eigentlich so aussehen? Schnell wurde klar, dass Bürgerbeteiligung kein Garant für städtebauliche Ästhetik sein kann und auch sonst eher mit Vorsicht genossen werden sollte.

Demografischem Wandel und Fachkräftemangel könnte mit Hilfe besserer beruflicher Orientierung begegnet werden und auch an dieser Stelle wurde deutlich, dass das eine zu tun immer auch dazu führt, das andere lassen zu müssen. Zufällig kehrte auch noch just am Tag des Kongresses der Mann aus dem Weltall zurück, der über Monate hinweg wohl Deutschlands exklusivsten Arbeitsplatz innehatte. Matthias Maurer hat die in letzter Zeit spürbare Weltraumeuphorie zwar nicht begründet, diente aber als Zielscheibe derer, die gerne das Weltraumforschungsgeld zur Lösung irdischer Probleme investiert sehen würden. Einmal mehr wurden Bedenken damit entkräftet, dass in der Diskussion von Details schnell der Blick aufs das bedeutsamere Große und Ganze verloren gehe.

Zu Beginn des Kongresses zugeschaltet war EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, nach Maurer vielleicht die Nummer zwei der exklusivsten Arbeitsplätze, die Deutschland zu vergeben hat. Bleibt zu hoffen, dass der markige Spruch von den Autokraten dieser Welt, die wissen müssten, dass die Demokratien ihre Werte verteidigen, nicht mit der Zeit an Eindeutigkeit verliert. Bundesbankpräsident Joachim Nagel versprach, dass wir mittelfristig bei zwei Prozent Inflation herauskommen könnten und verwies darauf, dass es in der Geschichte noch nie Phasen gegeben hätte, die für die Geldpolitik einfach gewesen wären. Anders als die Währungsunionsbegeisterung Nagels dann der Tipp zur Geldpolitik im familiären Bereich von Kolumnist Volker Looman: Ein gemeinsames Konto für gemeinsame Aufgaben und darüber hinaus jede und jeder für sich selbst.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, betonte, dass unser politisches und rechtliches System während der Pandemie zu keinem Zeitpunkt in Gefahr war. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, mahnte bereits im Mai, dass die Zahlen im Winter wieder deutlich ansteigen werden. Die gute Nachricht dabei war, dass viele Menschen vollständig geimpft sind, die schlechte, dass noch zahlreiche Menschen an der Pandemie sterben werden – und neben den Ungeimpften hauptsächlich Menschen mit einem schlappen Immunsystem die Leidtragenden sein werden. Auch das Gutachten des Corona-Sachverständigenrats zur Coronapolitik der vergangenen Jahre ziemlich genau acht Wochen später wird daran wenig ändern.

Tim Jacobsen

Die weiteren Aussichten: schwierig

Machte die Coronapandemie aus gut 83 Mio. Fussballtrainern ebenso viele Virologen, mutet die Ukrainekrise derzeit an wie ein Crashkurs in Agrarökonomie. Allzu schwierig scheint das Ganze ja nicht zu sein: wird den Fischern der Schiffsdiesel zu teuer, bleiben sie – wie gerade geschieht – im Hafen und warten auf bessere Zeiten. Wird den Mästern das Futter zu teuer, wird einfach nicht aufgestallt und können die Gärtner die Heizkosten nicht mehr bezahlen, bleiben die Gewächshäuser leer. Mit dieser Wette auf die Zukunft lässt sich zwar kurzfristig verhindern, dass mit den Verkaufserlösen nicht einmal mehr die Gestehungskosten gedeckt werden, mittelfristig stehen jedoch Liefer- und Abnahmeverpflichtungen im Weg und langfristig könnten sich Abnehmer neue Bezugsquellen suchen. Eine Wette mit ungewissem Ausgang also, zumal die Gemeinkosten wie das Vorhalten der Produktionsinfrastruktur stets weiter auflaufen. Im Ackerbau ist das Ganze dann noch ein bisschen komplizierter, da im Spätsommer nur geerntet werden kann, was spätestens im Frühjahr ausgesät wurde.

Leere Mehl- und Speiseölregale in den Supermärkten implizieren mit ihrem ungewohnten Anblick die Frage, ob denn die Lebensmittelversorgung hierzulande eigentlich grundsätzlich sichergestellt ist. Die Studienlage hierzu ist zwar eher dünn, in ihrer Aussage aber eindeutig: Im Jahr 2008 bestand der europäische Ernährungssektor einen Stresstest, den das niederländische Landwirtschaftsministerium durchführen ließ: Es konnte kein Szenario simuliert werden, das die Lebensmittelversorgung in Europa grundsätzlich in Bedrängnis gebracht hätte. Neben ausreichend innereuropäischen Produktionskapazitäten wurde Europa auch genug Kaufkraft attestiert, notfalls auf dem Weltmarkt einkaufen zu können. Als erfolgreich bewältigte Krisen wurde neben der Trockenheit des Jahres 2003 auch die Katastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 angeführt. Lediglich der Wegfall von Soja könnte die Fleischindustrie in Bedrängnis bringen.

Eine Studie des niederländischen Landwirtschaftsthinktanks LEI mit dem vielsagenden Titel „Price and prejudice: why are food prices so high?“ kam 2012 im Wesentlichen zu einem ähnlichen Schluss. Zwar könnte im Krisenfall der ökonomische Schaden hoch sein, eine echte Gefahr stellt er jedoch nicht dar. Drei Jahre später kommen die Autoren eines Foodsecure Working Paper zu dem Schluss, dass grundsätzlich selbst im Katastrophenfall im reichen Europa niemand verhungern müsse, wenn auch ärmere Bevölkerungsschichten im Fall der Fälle „nicht immer genug Geld für eine gesunde und abwechslungsreiche Diät haben werden“. Nach 2015 wird die Studienlage zum Thema Lebensmittelsicherheit dann äußerst dünn, es gibt aber kaum einen Grund dafür, zu denken, dass sich die Lage 2022 grundsätzlich von der sieben Jahre zuvor unterscheidet. Selbst die Covid-Pandemie als letzte große Herausforderung für den Lebensmittelsektor hat, anders als befürchtet, keine allzu große Spuren hinterlassen.

Der Langzeittrend für Agrarrohstoffpreise belegt ab dem Allzeitpreishoch Mitte der Siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts stetig sinkende Preise. Lediglich in den Jahren 2007 und 2008 stiegen die Preise für Zucker, Getreide, Ölsaaten und Milchprodukte leicht an, eine Folge schlechter Bevorratung, Störungen auf der Angebotsseite, sehr hohen Brennstoffpreisen und der zunehmenden Biospritproduktion. 2009 fielen die Preise erst auf ihr altes Niveau zurück, stiegen 2010 und 2011 dann aber wieder an, auch hier eine Folge schlechter Ernten, geringer Vorräte und der Tank- oder Tellerdiskussion. Auch im Schatten der Covid-Pandemie zogen die Preise wieder leicht an, was sich relativ einfach erklären lässt: Die Preise für Rohöl kennen seit April 2020 nur eine Richtung, und zwar die nach oben, genauso wie die Preise für Gas.

Seit spätestens Januar 2021 gilt das auch für Kunstdünger. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat diese Entwicklung noch einmal beschleunigt, seit der Ankündigung Russlands, keine Düngemittel mehr exportieren zu wollen, spielen die Preise aufgrund der fast schon Markt beherrschenden Position Russlands verrückt. Welche Auswirkungen die hohen Düngemittelpreise tatsächlich haben werden, lässt sich Ende Februar noch nicht absehen. Experten gehen davon aus, dass die Versorgung unserer Landwirte für die nun beginnende Saison weitgehend sichergestellt ist, spannend wird es dann im nächsten Jahr, empfindliche Preiserhöhungen scheinen unvermeidlich. Auf Konsumentenebene sind diese Preissteigerungen derzeit noch kaum zu spüren, auch auf der Ebene der verarbeitenden Industrie sind diese Preissteigerungen noch nicht angekommen, erst mit einiger Verzögerung werden diese dann beim Endverbraucher ankommen.

Die große Volatilität der Preise für landwirtschaftliche Produkte beweist, dass die Märkte nur selten im Gleichgewicht sind und leicht aus der Balance gebracht werden können. Kleine Fehlmengen können genauso wie geringe Überschüsse für enorme Preiseffekte sorgen. Dies ist auch eine Folge der zwangsläufig relativ stabilen Nachfrage nach Nahrungsmitteln und sich der aufgrund der Vorlaufzeiten jeweils nur mit einiger Verzögerung anpassenden Angebotsmengen – zwischen Aussaat und Ernte steht nun einmal die Wachstumsperiode. Nicht vergessen werden sollte auch, dass Regionen wie Europa oder die nordamerikanische Freihandelszone mit dem Handel innerhalb ihrer Regionen für Ausgleich sorgen können, Länder wie Bangladesch oder Nigeria jedoch auf Importe angewiesen sind. FAOSTAT-Daten zeigen, dass der Anteil der Ukraine an der weltweiten Getreideproduktion mit rund 2 % relativ gesehen überschaubar ist. Ein Wegfall dieser Getreidemengen muss also nicht zwangsläufig eine Katastrophe bedeuten. Dennoch reagieren die Märkte mit großen Aufschlägen, Hamsterkäufe und generelle Unruhe im Markt spielen dabei eine Rolle.

Agrarökonomen messen mit den Stocks-to-use ratios die Höhe des Verschleppungsbestands für eine bestimmte Ware als Prozentsatz der Gesamtnutzung oder etwas anschaulicher ausgedrückt: das Mengenverhältnis von Vorräten zu Jahresverbrauchsmengen. In den Preisrallyes der Jahre 2007 und 2008 lagen diese bei Getreide und Mais zwischen 15 und 18 %. 20 % wird unter Ökonomen als Minimumwert für eine Pufferwirkung von Vorräten auf die Preisbildung angesehen. Für Futtergetreide liegt die Stocks-to-use ratio FAO-Zahlen zufolge derzeit bei 23 %, für Weizen bei 37 %. Eigentlich sollte es also für Preispanik keinen Grund geben. Exportbeschränkungen, wie sie Argentinien, Serbien, Indonesien und der EU-Mitgliedsstaat Ungarn zuletzt verkündet haben, sorgen in der allgemein aufgeheizten Stimmung allerdings für weitere Unruhe. Nur eines scheint derzeit sicher: hohe Preise werden zu Produktionsanpassung führen, auch 2009 und 2012 sanken die Getreidepreise wieder.

Eurostat-Zahlen belegen, dass wir Europäer im Großen und Ganzen Selbstversorger sind, mit kleinen Einschränkungen bei tropischen Früchten, Kaffee, Tee und den Ölsaaten, zu denen auch Soja gezählt wird – sowie den natürlichen Fetten und Ölen, wozu das Palmöl gerechnet wird. Selbst wenn nun also manche Produkte wie Sonnenblumenöl auch in Europa knapp werden, stellt dies auf Verbraucherebene keine unmittelbare Bedrohung dar, da grundsätzlich vielerlei Alternativen zu diesen Produkten verfügbar sind. Anders die Lage in der Tiermast: Sonnenblumen sind eine wichtige Eiweißquelle in Futtermitteln. Zur bedarfsgerechten Fütterung gehören neben Mais, Raps, Rübensamen, Roggen und Sonnenblumenkernen auch Protein-Hochkonzentrate wie Sojapresskuchen. Fehlen diese, können Mittelproteine wie Erbsen diese nicht ersetzen. Zwar ließen sich auch die seit Beginn der Ukrainekrise ausbleibenden Futtermittelexporte aus der Ukraine mit Hilfe des Weltmarkts substituieren, der Teufel steckt dabei allerdings im Detail.

Rückstandshöchstmengen und die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, die in der EU nicht zugelassen sind, erschweren die Substitution der Futtermittel aus der Ukraine. Produktspezifikationen wie frei von genetisch veränderten Organismen machen insbesondere den Öko-Landwirten das Leben zusätzlich schwer, die gerade erst eingeführte vollständige Biofütterung könnte ein Ding der Unmöglichkeit werden. Auch den Abschied vom Palmöl möchte eigentlich niemand rückgängig machen, genauso wenig wie das Abholzen der Regenwälder zum Anbau von Soja befürworten. Die Diskussion um die Aufrechterhaltung von Standards in Kriegszeiten wird ähnlich spannend werden wie die um die Fort- oder Aussetzung der Reformbestrebungen unserer Gemeinsamen Agrarpolitik. Es scheint kaum vorstellbar, dass sich die Ziele des Green Deals wie die Reduktion der Aufwandmengen von Pflanzenschutzmitteln um die Hälfte oder die Reduktion des Einsatzes synthetischer Dünger um ein Fünftel in irgendeiner Form bis zum Jahr 2030 verwirklichen lassen.

Schließlich gibt es ja nicht nur uns Europäer auf diesem Planeten, die, mehr oder weniger reich, auf jeden Fall auf soziale Sicherungsnetze bauen können. Die Preise für Rohstoffe, Energie und Düngemittel werden weiter steigen, der Wegfall der ukrainischen Exporte wird die Versorgungslage in Ländern wie Ägypten, der Türkei, Indonesien, Bangladesch, Nigeria und Jemen weiter unter Druck setzen. Zumal die Getreideernte in den USA und Kanada nicht den Erwartungen entsprach, Argentinien zur Inflationsbekämpfung Exportbeschränkungen einführte und in Australien logistische Probleme den Export behindern. Anfang März wurden in Duisburg mit einem gemeinsamen Spatenstich offiziell die Bauarbeiten zur Errichtung des größten Hinterlandfrachtterminals Europas eingeleitet. In den Duisburg Gateway Terminals sollen ab 2023 wöchentlich mehr als 100 Güterzüge aus China abgefertigt werden und dafür sorgen, dass Ost und West näher zusammen wachsen. Die Zugstrecke ist seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 unterbrochen.

Tim Jacobsen

Der große Wurf blieb aus – aber lieber einen kleinen als gar keinen

Es ist zum Mäusemelken: wurde mit Corona mehr als offensichtlich, dass das Konzept Innenstädte irgendwie dringend sanierungsbedürftig ist, gab es gewissermaßen als Antwort auf nicht gestellte Fragen ein Finanzpaket zur Betonierung des Fußgängerzonensta­tusquos. Beweisen Starkregenereignisse mit ihren verheerenden Folgen, dass irgendwie irgendetwas getan werden muss, um die Folgen des Klimawandels vielleicht doch noch etwas angenehmer zu gestalten, scheint die einzig politisch zündende Idee, mit Hilfe von Elektroautos den Verkehrsinfarkt in die Zukunft retten zu wol­len. Will sich die CDU personell erneuern, melden sich ausschließ­lich Kandidaten, die selbst in ihrer Jugend höchstwahrscheinlich nicht unbedingt einen Flair von Erneuerung und Aufbruch verbrei­tet haben. Moppert dann die CSU, dass Bayern nicht äquivalent zu seinem Stimmanteil in der Regierung vertreten ist, geht einem auf einmal Andreas Scheuer nicht mehr aus dem Kopf.

So wirkt dann das „Mehr Fortschritt wagen“ der Ampelkoalition zumindest ein kleines bisschen wie ein Befreiungsschlag. Wahr­scheinlich stand bei so manchem Journalistenkollegen auf dem Weihnachtswunschzettel, zumindest einmal im Leben eine Frage von Olaf Scholz mit einem knappen Ja oder Nein beantwortet zu bekommen; im ganzen Nebelkerzendickicht ist aber die insge­samt geräuschlose Regierungsbildung eine Leistung, die auf einen eher problemlösungsorientierten Ansatz unseres neuen Kanzlers verweist. Dass dann im ganzen Hin und Her keiner der als Schreckgespenster an die Wand gemalten Kandidaten das Rennen um das Bundeslandwirtschaftsministerium machte, sondern ausgerechnet der sich selbst mit „anatolischer Schwa­be“ charakterisierende Cem Özdemir, ging in Zeiten, in denen ungestraft mit Fackeln an Wohnhäusern von Politikern aufmar­schiert wird, dann schon fast unter.

Bei bisher jeder Erhöhung des Mindestlohns wurde nicht mehr oder weniger als der Untergang des Abendlandes befürchtet – ganz so schlimm ist es dann Gottseidank bei allen sechs bisherigen Erhöhungsrunden nicht gekommen. Natürlich ist der Sprung von 9,82 € auf 12 statt der geplanten 10,45 € im zweiten Halbjahr 2022 eine Hausnummer. Und auch wenn diesbezüglich noch nichts beschlossen ist, wird sich die SPD die Butter nicht mehr vom Brot nehmen lassen.

Ganz ausverhandelt ist auch von der Leyens Green Deal nicht. Und da wird es streng genommen dann um einiges fitzeliger, schließlich steht mit Farm to Fork mittel- und langfristig deutlich mehr als „nur“ ein abermals erhöhter Lohnkostenanteil, so schmerzlich im Einzel- und ärgerlich in jedem Fall der auch sein mag, ins Haus. Der Green Deal könnte ans Eingemachte gehen.

Und da könnten sich angesichts amtlich verordneter Flächenstilllegungen und dem Aus vieler Pflanzenschutzmittel hierzulan­de sowie sich häufender Wetterkapriolen allerorten, der Importpolitik Chinas, der Biotreibstoffstrategie Nordamerikas und den Exportrestriktionen Russlands ganz neue Allianzen zwischen Verbraucher und Landwirten bilden: steigt die Inflation infolge gestiegener Lebensmittelpreise in heute kaum vorstellbare Grö­ßenordnungen, wird sich schnell die Frage stellen, wie viel Umweltschutz wir als Gesellschaft wollen und wie viel Umweltschutz wir auch dem nicht so wohlhabendem Rest der Welt gegenüber ethisch und moralisch verantworten können.

Wir machen aus technologischem auch gesellschaftlichen Fortschritt … wo Fortschritt entsteht, muss er auch gelebt werden


Aus den Seiten 15 und 22 des Koalitionsvertrags des Bündnisses für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit

Und spätestens dann wäre der Realo vom Bündnis 90/die Grünen als ausgewiesener Brückenbauer in seinem Element und könnte vielleicht sogar die in sein Boot holen, denen es nicht staatsmännisch genug erscheint, als Minister mit dem Fahrrad die Ernennungsurkunde beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue abzuholen um den Stau der Panzerlimousinen zu umfahren. In die Höhle des Löwen gesprungen ist auch Prof. Dr. Karl Wilhelm Lauterbach. Und kämpft seitdem mindestens an zwei Fronten: zum einen gegen das Virus in all seinen Varianten, zum anderen gegen so genannte virale Inhalte: Untersuchungen zeigten, dass dem Anstieg des medizinisch messbaren pandemi­schen Geschehens jeweils ein Anstieg der Verbreitung von Infor­mationen aus zweifelhaften Quellen vorausging.

Einziger Lichtblick der Mitte März 2021 im Fachjournal Cell veröffentlichten „Conversations“ war, dass mit zunehmend schlim­mer Lage dann die Vernunft wieder einzusetzen scheint und eher klassische Nachrichtenquellen wieder mehr in den Fokus rücken. Das ist leicht erklärbar, schließlich lässt sich die Pandemie sinnvol­ler Weise nur leugnen, solange niemand aus dem Freundes- und Familienkreis schwer daran erkrankt – auch wenn es Fälle geben soll, in denen Menschen selbst über ihr Ableben auf der Intensiv­station hinaus ihrer Überzeugung treugeblieben sind. Leicht erklä­ren lässt sich auch, warum sich Menschen zweifelhaften Informa­tionsquellen zuwenden: Ängste lassen sich abbauen, indem Insti­tutionen als Sündenböcke verunglimpft werden, gleichzeitig scheint es menschlich, zu denken, dass es andere eher als einen selbst erwischt und am Allereinfachsten kompensieren lässt sich Hilflosigkeit mit dem Glauben an Heilsversprechen.

In der gleichen Ausgabe von Cell gab es übrigens auch „Neue Ansätze für die Impfstoffentwicklung“, einen Beitrag zu „Antiviralen Mitteln mit gemeinsamen Angriffszielen gegen hochpathogene Viren“, etwas zu „Biokraftstoffen für eine nachhaltige Zukunft“ und einen Artikel über „Genom-Engineering für die Verbesserung von Nutzpflanzen und die Landwirtschaft der Zukunft“. Soll noch einer sagen, dass Wissenschaft das Problem und nicht die Lösung ist.

Stimmungskiller Black Friday

Mit „meet onsite again“ macht Ende November die Messe Berlin noch Appetit auf ihr für Anfang Februar 2022 geplantes Paradepferd Fruit Logistica. Das heiß ersehnte „Face-to-Face“ bringt natürlich so seine Tücken mit sich, und so häufen sich die Pressemitteilungen der Messeveranstalter, in denen, wenn nicht sowieso gleich zur ultima ratio – der Absage – gegriffen wird, zumindest die Zugangsbeschränkungen in immer engerer Taktung verschärft werden.

Gepaart mit Inzidenzen in vor einem Jahr noch unvorstellbaren Höhen und einer Hospitalisierungsrate, die derzeit ebenfalls nur eine Richtung kennt, scheint zumindest eine Reiserücktrittsversicherung für den Fall der Fälle dringend angeraten. Es wird wahrscheinlich nicht ohne ein kleines Wunder gehen, sollen die geplanten Großveranstaltungen in Essen, Berlin und Friedrichshafen tatsächlich anschließen an die superpositiven Messeerfahrungen, die viele von uns zuletzt noch in Aalsmeer, Visselhövede oder Karlsruhe machen durften.

War es früher nur vor Gericht und auf hoher See, dass einem zumindest im Sprichwort die Kontrolle über das eigene Wohl und Wehe von größeren Mächten aus der Hand genommen wurde, sind es nun die Infektionszahlen, die einen Großteil unseres Miteinanders quasi fernsteuern. Ein Blick in die Krankenhäuser genügt, um einen die Alternativlosigkeit möglicher Absagen klaglos akzeptieren zu lassen. Lassen Sie uns dennoch auf das Beste hoffen!

Wenn einer eine Reise tut …

Mit dem Fahrrad auf dem Weg von Regensburg an die Südspitze des Gardasees müssen nicht nur einige Alpenpässe bezwungen werden, mindestens genauso herausfordernd ist es, die jeweils geltende Coronaregelgebung zu befolgen:

Lautet das Kommando beim ersten Zwischenstopp diesseits der deutsch-österreichischen Grenze sowohl in der Gastronomie als auch im Hotel noch „Halt, erst Maske und Zertifikat oder ich schieße“, wird es hinter dem Achensee dann deutlich entspannter.

Nach mittlerweile mehr als achtzehn Monaten fühlt es sich zwar etwas seltsam an, ohne Maske im Hotel oder auch im Restaurant unterwegs zu sein, die Gewöhnung setzt in Erinnerung an vergangene Zeiten aber verlässlich und schnell wieder ein.

Etwas, was dem leidigen Einmalhandschuhzwang am Frühstücksbuffet etwas weiter nördlich hoffentlich nie vergönnt sein wird. Da zeigt wohl jede und jeder gern das Impfzertifikat.

Südtirol dann mit Maske unter der Nase, keinen Handschuhen  und Zertifikatfreiheit. Einmal über den großen Berg in der Lombardei rutschen die Masken tiefer, Zertifikate interessieren immer noch nicht, dafür wird das Frühstück in staatstragender Strenge zwangsserviert, ein paar Kilometer weiter südlich mahnt dann wiederum nur noch ein Schild an der Wand die Verwendung nicht vorhandener Einweghandschuhe an und Buffet ist wieder Buffet.

Gänzlich entspannt dann das südliche Norditalien: Maske halbhoch und fast schon als lässiges Modeaccessoire, und nicht einmal für den Pool braucht es einen Erlaubnisschein. Mehr Europa der Regionen lässt sich in sechs Tagen nicht erleben.

Tim Jacobsen

And Now for Something Completely Different

Die Zutaten sind eher unspektakulär: vier Lehrer in der Mitte ihres Lebens samt kriselnder und vergangener Ehen sowie der ewigen Sinnfrage. Statt Lehrerbashing oder billigem Klamauk macht Thomas Vinterberg daraus allerdings einen Film, der einen bedauern lässt, nicht fließend dänisch verstehen zu können. Auch wenn „Der Rausch“ weder die kleinen noch die großen Katastrophen des Lebens ausspart: mehr Lebensfreude gab es auf der großen Leinwand lange nicht mehr zu sehen.

Tim Jacobsen

War da was?

Ja, liebe Kinder, es gab einmal eine Zeit, da haben sich nicht alle hinter Masken versteckt. Das war ungefähr genau zu derselben Zeit, als zu wenig Abstand zwar als unangenehm, aber nicht als möglicherweise Tod-bringend empfunden wurde.

Es hat im letzten Jahr nicht lange gedauert, bis Zugangsbeschränkungen für Supermärkte der Normalzustand geworden waren und Restaurantbesuche etwas, das bald nur noch Kindheitserinnerungen glich.

Die Bilder von den ersten deutschen Touristen, die Mitte Juni letzten Jahres nach drei Monaten faktischer Nichterreichbarkeit wieder auf der Baleareninsel Mallorca landen durften, erinnerten in ihrer Emotionalität beinahe an die deutschdeutsche Grenzöffnung.

Fast schien es, als ob am Flughafen abgetastet zu werden, möglicherweise auf dem Weg dahin im Stau zu stehen um dann supergestresst den allerletzten Platz im Parkhaus zu ergattern, natürlich halb zugeparkt vom Nachbarauto, genau das Leben gewesen war, dass wir mit sofortiger Wirkung gerne genau so wieder haben wollten.

Neben den Beklatschten und dann nur in Einzelfällen zusätzlich entlohnten gab es in der Pandemie auch die, die sich schön einrichteten in der Bequemlichkeit des Homeoffices. Sorgten im Frühjahr 2020 in Videokonferenzen hereinplatzende Kinder oder plötzlich auftauchende Boxershorts noch für Klickzahlen auf Youtube, lösten ein Jahr später entsprechende Videoclips selbst bei den Betroffenen allenfalls noch Gähnreiz aus.

Die gute Nachricht: mittlerweile gibt es so gut wie keine Totalverweigerer mehr, was Onlinekommunikationsmöglichkeiten angeht. Was das für die Zukunft bedeutet, kann allerdings nur die Zukunft zeigen.

So teilte sich die Gesellschaft in die, die länger schlafen konnten, da ihnen ja jede Menge Pendelei erspart blieb, und die, deren Schichten im Krankenhaus stets länger und länger wurden – oder deren Zustellbüschen immer tiefer und tiefer in den Stoßdämpfern hing.

Die Jogginghosenfraktion sorgte in Kooperation mit den Zustellbrigaden dafür, dass Amazon letztes Jahr seinen Gewinn gegenüber dem Vorjahr verdoppeln konnte. Mindestens vierfach war wahrscheinlich die Freude bei Jeff Bezos: die rekordverdächtigen 5,2 Mrd. US$ musste er erstmals nicht mit einem Ehepartner teilen.

Rekordverdächtig auch die Anzahl der Häufigkeit des Abrufs von Fehlinformationen im Internet: rund 3,8 Mrd.-mal soll 2020 auf so genannte Fake News geklickt worden sein. Seiten, die im Internet einen Zusammenhang zwischen dem Mobilfunkstandard 5G und Covid-19 herstellen, scheinen besonders beliebt gewesen zu sein. Da ist es fast schon eine Randnotiz, dass Facebook weltweit mittlerweile 1,8 Mrd. Nutzer zählt.

Verrückte Zeiten

Tim Jacobsen

Kinofilme, die es nicht ins Kino geschafft haben, da niemand ins Kino durfte, laufen auf den einschlägigen Streamingplattformen, die wiederum auch Rekordgeschäftsergebnisse verbuchen konnten. Hightechfitnessgeräte ermöglichen ein betreutes Training, das dem im echten Studio kaum nachstehen muss, ohne das Haus verlassen zu müssen.

Mahlzeitpakete schenken das Glücksgefühl gelungener Gerichte, ohne dafür Einkaufslisten schreiben oder Kochbücher studieren zu müssen. Die entsprechenden Anbieter verzeichnen naturgemäß ebenfalls Rekordumsätze und werden in den entsprechenden Statistiken über Absatzwege mittlerweile wie selbstverständlich neben den traditionellen Lebensmitteleinzelhändlern aufgeführt.

Und so ist die spannende Frage, wohin unsere gemeinsame Reise denn gehen wird: zwar sind wir zweifelsohne soziale Wesen, die sich in Gemeinschaft am wohlsten fühlen. Aber wir sind auch Gewohnheitstiere, die sich nur schwer aus dem Trott bringen lassen: stabile vier Fünftel befürworten in Umfragen einen entschlossenen Kampf gegen den Klimawandel. Die Umsatzzahlen der deutschen Autoindustrie erreichten Ende Mai aber bereits wieder das Niveau der Vorcoronazeit.

Mit mittlerweile mehr als 1 Mrd. Euro bewerten Investoren ein Berliner Startup namens Gorillas. Hinter dem einer Primatengattung aus der Familie der Menschenaffen entlehnten Namen verbirgt sich ein so genannter Liefer-Supermarkt. Fahrradkuriere liefern Lebensmittel, die die Kunden per App bestellen. Die Auswahl ist zwar nicht so groß wie in klassischen Supermärkten, für den täglichen Bedarf reicht es jedoch allemal. Preislich liegt das Angebot nur wenig über dem Niveau der stationären Konkurrenten wie Rewe und Edeka.

Auf den Produktpreis wird eine Liefergebühr von 1,80 € aufgeschlagen. Umgerechnet in Mindestlohn wären das zehn Minuten vom Verlassen des eigenen Hauses bis zum Einräumen des Kühlschranks. Es könnte also durchaus sein, dass einige doch noch etwas länger brauchen, bis sie wieder außerhalb der eigenen vier Wände anzutreffen sind. Zehn Minuten soll auch die Lieferzeit von der Bestellung bis zur Haustür betragen.

Tim Jacobsen

Erfurt: immer eine Reise wert (und in diesem Jahr ganz besonders)

Spätestens mit der „Allgemeinen deutschen Ausstellung von Produkten des Gartenbaus und der Landwirtschaft“ hat Erfurt seinen Ruf als Blumenstadt zementiert. Agaven, Tabak und Ananas waren vor knapp 150 Jahren ähnlich exotisch wie Blumenkohl und Brunnenkresse wiederum 150 Jahre zuvor. Hätte Gartenpionier Christian Reichart als Spross einer reichen Erfurter Familie nicht vor 300 Jahren mit dem Anbau von Kreuzblütlern experimentiert, hätte es nicht nur sein 1753 erschienenes Hauptwerk „Land- und Gartenschatz“ nicht gegeben, auch die älteste Kakteengärtnerei der Welt hätte sich wahrscheinlich nicht so lange auf dem Markt halten können und weder Brunnenkresse noch Blumenkohl wären jemals typisch Erfurter Erzeugnisse geworden.

So gibt es eine ganze Menge zu feiern, wenn in diesem Jahr die Bundesgartenschau gewissermaßen wieder an ihren Geburtsort zurückkehrt. Zwar ist die Feierlaune pandemiebedingt noch etwas verhalten, die Frühlingsblüher haben dennoch in bravouröser Weise ihren Job erledigt und Platz gemacht für den Sommerflor auf den beiden Hauptstandorten ega-Park und Petersberg samt dem mit Aufzug erreichbaren Panoramablick über die Erfurter Altstadt. Ein Besuch des neuerrichteten Danakils, eines Gewächshauses, das karge Wüsten- mit üppiger Dschungellandschaft kontrastiert, verkürzt derweil das Warten auf die Wiedereröffnung des Gartenbaumuseums. Tagesaktuelle Informationen zu Öffnungs- und Schließzeiten lassen sich unter www.buga2021.de abrufen.

Tim Jacobsen

Gärtner. Der Zukunft gewachsen

Fast wie im richtigen Leben: nach einem Hoffnung-machenden Start und der allgegenwärtigen „wir schaffen das“-Euphorie des letzten Frühjahrs kam mit dem Sommer 2020 eine Phase der Verdrängung – alles schien im Griff und die Pandemie fern. Spätestens mit dem Jahreswechsel kippte das Ganze, eine allgemeine Gereiztheit ersetzte Zuversicht. Statt sich über jede Impfung zu freuen, wurde jede Impfung kritisch hinterfragt. Statt Pragmatismus vorherrschen zu lassen, wanderten Impfdosen in den Papierkorb.

Anders als bei Kinderlähmung, die in unseren Breiten als besiegt gilt, wird es den Experten zufolge im Fall von Corona auf ein sogenanntes pandemisches Gleichgewicht hinauslaufen: die Bedrohungslage wird ein Stück weit Normalität werden. Und so war dann auch jede Anstrengung, die jetzt und in den letzten Monaten unternommen wurde, keinesfalls vergeben – sondern wird der Weg in die Zukunft sein. Und in dieser werden die Desinfektionsspender vielleicht nicht mehr ganz so prominent platziert sein, aus den Auflagenkatalogen der Zertifizierer werden sie mit Sicherheit aber nicht wieder verschwinden.

Es ist zu vermuten, dass auch die Auflagen für die Unterbringung von Saisonarbeitskräften und die vielen Verschärfungen der Arbeitsalltagsorganisation nicht wieder gelockert, sondern vielmehr auch ein Stück weit Normalität werden. Und so hätte das Hängen und Würgen der letzten Monate letztendlich doch noch zumindest etwas Gutes gehabt: ein Stück krisenfester geworden ist es zwar noch zu früh, einer strahlenden Zukunft entgegen zu blicken; Grund dafür, sich über die Morgenröte am Horizont freuen zu dürfen gibt es jedoch allemal.

Tim Jacobsen

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