"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: Corona (Seite 3 von 3)

(K)ein Ende in Sicht?

Mitte Mai riss die Anzahl der weltweit offiziell an Covid-19 Infizierten die Fünf-Millionenmarke, gleichzeitig beweist Julia Klöckners Ende Mai abgehaltene „Videokonferenz mit dem Handel und Erzeugern zu Schwerpunktthemen der Lebensmittelkette“, dass auch die Diskussion um die Implementierung der UTP-Richtlinie keineswegs ausgestanden ist, die Welt sich zudem weiterdreht und in Zukunft noch dazu alles irgendwie gleich, aber doch irgendwie auch anders sein wird. Für die einen ein Schreckgespenst, für die anderen eine Verheißung: Wir werden also weiter die Dinge diskutieren, die wir schon immer diskutiert haben, nur vielleicht eben auf eine andere Weise.

Manche werden zudem auf den Geschmack gekommen sein und ihre Arbeitsleistung anders als zuvor erbringen – und den Corona-Pandemie-bedingten erfolgreichen Kaltstart in moderne Arbeitszeitmodelle weiter für sich nutzen wollen. Im Großen und Ganzen werden die vergangenen Wochen also vielen wie ein schlechter Traum mit einem irgendwie guten Ende vorkommen. Zwar hatte auch Deutschland eine erhebliche Anzahl Covid-19-Toter zu beklagen, Bilder wie die des Leichen transportierenden Militärkonvois in Norditalien oder die eilig ausgehobener Massengräber in Nord- und Südamerika blieben uns aber erspart.

Und während Corona noch lange nicht abgefrühstückt ist, nimmt die Diskussion, ob uns 2020 den dritten Jahrhundertsommer in Folge bescheren wird, langsam Fahrt auf

Tim Jacobsen

Das macht alles einigermaßen schwer begreifbar: wenn sich nun doch die Zahl der Neuinfektionen irgendwo zwischen 600 und 700 eingependelt hat, warum sollte ich dann nicht die Wiedereröffnung meiner Stammkneipe gebührend feiern oder in vertrauter Weise gemeinsam den Herren, unseren Hirten preisen dürfen? Die Beispiele Leer und Frankfurt zeigen, dass das dann eben doch etwas zu kurz durch die Kurve gedacht ist. In unserer weitgehend linear denkenden Welt ein Anschauungsbeispiel dafür, was exponentiell bedeutet –eines allerdings, auf das wir gerne verzichtet hätten. Dazu kommen dann noch Aussagen wie die von Boris Palmer, denen zwar insgeheim beigepflichtet wird, die in der Öffentlichkeit aber entrüstet bestritten werden, plus der zunehmend wieder an Fahrt aufnehmende Kampf um die Kanzlerkandidatur in der Union. Nach Frankreich werden keine Pakete transportiert, die Handtaschengröße übersteigen und in Thüringen und Sachsen dürfen die Menschen ihren Corona-Maßnahmenkatalog bald selbst bestimmen.

Fußballbundesliga und Lufthansa werden Talkshow-rauf-und-runter diskutiert, Biergärten öffnen und nach mittlerweile 11 Wochen, an denen der Küchentisch Redaktionsbüro, Mensa und Klassenzimmer war, wünscht sich so mancher Elter, dass Franziska Giffey eine furchteinflößendere Stimme hätte: Unsere Grundschule beispielsweise ließ sich bis nach den Osterferien Zeit, bevor den Jüngsten eine Nachricht seiner Lehrerin ereilte. Aber auch in den weiterführenden Klassen seiner älteren Geschwister wirkt es, von einigen Ausnahmen abgesehen, als hätte sich das Lehrerkollegium darauf verständigt, Beamtenmikado zu spielen: verloren hat der, der sich zuerst bewegt. Es gibt so viele Gründe, etwas nicht zu machen, technische Probleme hier, ein anderes Wehwehchen da und fertig ist die selbstgestrickte Erklärung, warum beruhigt die Hände im Schoss liegen bleiben dürfen.

Anders dagegen unsere Gärtnerinnen und Gärtner: noch ist nicht ganz sicher, ob der Saisonverlauf den auf Kante genähten Betrieben einmal mehr in die Karten gespielt hat oder doch eher solide gestrickte Geschäftsmodelle belohnt wurden, eines scheint sich jedoch abzuzeichnen: der Gartenbau hat als Ganzes noch einmal das Schlimmste verhindert – und dies aus eigener Kraft. Etwas zugespitzt formuliert: Statt den Gartenbautag abzusagen, hätte vielmehr die Gelegenheit genutzt werden müssen, sich als Berufsstand auch einmal gebührend selbst zu feiern. Wenig Grund zu feiern hatten in diesem Frühjahr dagegen die Alten und Kranken. Lobby-los wie die Jüngeren und Jüngsten der Gesellschaft, können wahrscheinlich nur diejenigen, die eine solche Situation in normaleren Zeiten hinter sich gebracht haben, zumindest in Ansätzen nachvollziehen, was es wohl heißen mag, just in einer Phase des Lebens, in denen jedes Mal das letzte Mal gewesen sein kann, auf persönlichen Kontakt verzichten zu müssen.

Sicherstes Anzeichen dafür, dass wir die Corona-Krise überstanden haben, wird sein, wenn in den Ein-Euro-Läden Platz freigeräumt wird für Masken im Zehnerpack zum Sonderpreis. Ob das der Fall sein wird, bevor der heiß ersehnte Impfstoff auf den Markt kommt oder ob Sars-Cov-2 und Konsorten gar unsere gerade erst durch die Einschränkungen bewusst gewordene Freiheit in alle Ewigkeit beschneiden werden, vermag zum heutigen Zeitpunkt niemand zu sagen – genauso wenig, wie derzeit irgendjemand etwas zu den Spätfolgen einer Covid-19-Erkrankung sagen kann.

Daran zu glauben, dass die WHO und Bill Gates nach der Weltherrschaft greifen oder Donald Trump die Corona-Krise nutzt, um im Schutz des Lockdowns gefolterte Kinder aus unterirdischen Laboratorien zu befreien, steht jedem frei. Ich persönlich glaube, dass etwas mehr Abstand im Alltag, der Verzicht auf Urlaub in fernen Ländern, die Aussetzung von Festen und anderen Feierlichkeiten, das Tragen von Masken und das Selbststudium von Kochbüchern ein geringer Preis dafür sind, Schulen und Kindergärten noch vor den Herbstferien wieder mit Leben zu füllen, Kinos, Theater und Konzertsäle aufzusperren sowie liebgewonnene Menschen ohne schlechtes Gewissen in den Arm nehmen zu dürfen.

Tim Jacobsen

Jetzt sind Macher gefragt

In dem Maße, in dem wir alle zunehmend in unsere eigenen vier Wände zurückgeworfen werden, lassen sich die in den letzten Wochen in etwa verdoppelten Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel nicht länger durch Bevorratungskäufe erklären als vielmehr durch den erhöhten Lebensmittelbedarf durch Privathaushalte, die nicht länger mittags in Kantinen oder Mensen verpflegt werden und trotzdem gerne eine warme Mahlzeit am Tag hätten.

Und während Kartoffeln im Frühjahr 2020 sogar ein gutes Stück günstiger sind als im letzten Jahr, könnten die Frischgemüsepreise demnächst zu einem regelrechten Höhenflug ansetzen: Spanische Ware ist knapp, nicht nur, weil auch auf der iberischen Halbinsel Erntehelfer fehlen, sondern auch, weil die behördlicherseits verhängten Auflagen dort vergleichsweise rigide ausfallen und die logistischen Herausforderungen kaum zu bewältigen sind.

Allen Initiativen, die derzeit versuchen, den Arbeitskräftebedarf auf den Feldern bei uns mit Hilfe der einheimischen Bevölkerung oder Chartermaschinen zu decken, sei gutes Gelingen gewünscht – genauso wie, dass die gelockerte Regelgebung für Saisonarbeitskräfte die gewünschte Wirkung zeigt. Unser Selbstversorgungsgrad bei Obst und Gemüse von rund 40 % legt die Vermutung nahe, dass die Preishausse dann auch eine Zeit anhalten könnte.

Lieber Küchentisch: Du bist jetzt auch zweite, sechste und neunte Klasse, Redaktionsbüro und Kantine

Tim Jacobsen

Dass die vielerorts angelegten Pasta- und Mehllager Lust auf Abwechslung mit Geschmack machen, beweist die nicht nur Ramadan-bedingt stark gestiegene Nachfrage nach Speisezwiebeln. Auch die weiteren Aussichten für Kartoffeln und maschinenfähiges Gemüse wie Möhren oder Zwiebeln stimmen positiv. Weniger gut sind die Aussichten für unsere britischen Freunde.

Eine Landwirtschaftspolitik, die auf Importe nicht nur als Lückenfüller sondern als strukturellen Bestandteil des Warenangebots setzt, zeigt nun ihre Tücken: Lebensmitteleinzelhändler begannen Mitte März mit der Rationierung ihrer Warenabgabe. Bei einem so genannten Food trade gap in Höhe von jährlich 25 Mrd. £ grenzt die No-deal-Entscheidung im Lichte der Versorgungssicherheit nahezu an Selbstverstümmelung.

Ob im Zuge dieser Entwicklungen die Subventionen für landwirtschaftliche Betriebe tatsächlich wie von der britischen Regierung beschlossen und von den Betroffenen vielleicht etwas gar zu stoisch hingenommen gestrichen werden, wird die Zukunft zeigen. Keinesfalls zurückhaltend zeigte sich dieser Tage Land schafft Verbindung:

In Wildwestmanier in einem offenen Brief der EU-Kommissionspräsidentin zu drohen, die Lebensmittelproduktion Deutschlandweit drosseln zu wollen, wenn nicht vorerst alles beim Alten bleibt, wird nicht nur beim Verbraucher schlecht ankommen, sondern auch mühsam geöffnete Türen in Richtung Politik wieder verschließen. Es wäre eine böse Unterstellung, zu vermuten, dass auch Dirk Andresens 1300 ha angesichts von 1500 Säuen an ihre Grenzen kommen und er schon allein deshalb ein ganz eigenes Interesse an einer Verhinderung der Novellierung der Düngeverordnung hat.

Auch wenn die Corona-Pandemie fraglos zeigt, wie fragil unser globalisiertes Wirtschaftssystem ist und viele derzeit die großen ökonomischen Leitlinien hinterfragen, wird es auch eine Zeit nach Corona geben – es bleibt zu hoffen, dass der Aufruf, Maß zu halten auch die Rückkehr in die Normalität überlebt.

Tim Jacobsen

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