"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: Erzeugerpreise (Seite 1 von 2)

Willkommen im Erdbeeruniversum 2.0 – powered by Dyson

Sir James, der Mann, der einst mit beutellosen Zyklonen den eher an größtmöglichen Wattzahlen orientierten Staubsaugern den Krieg erklärte, hat sich zuletzt auch der Erdbeere verschrieben – und zwar, wie könnte es anders sein, nicht irgendwie ein kleines bisschen, sondern auf spektakulärste Weise. Denn wo andere noch von Vertical Farming träumen, dreht sich bei Dyson bereits das „Hybrid Vertical Growing System“.

Der neueste Clou in Dysons riesigem Gewächshauskomplex in Lincolnshire, der 26 Acres und damit ungefähr 10,5 Hektar groß, mehr als 1,2 Mio. Erdbeerpflanzen beherbergt und Großbritannien ganzjährig mit rund 1.250 t Früchten versorgt, ist ein rotierendes Riesengerüst für Erdbeerpflanzen, das eher an ein Jahrmarkts-Riesenrad erinnert als an von Hedgerows eingezäunter Countryside im ländlichen England.

Zwei gigantische Aluminiumstrukturen, jeweils größer als zwei hintereinander geparkte von Urlaubspostkarten aus der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs wohlbekannte Doppeldeckerbusse, die langsam und elegant 6 000 Pflanzen pro Einheit durch den Raum rotieren. Der Effekt? 250 % Ertrag, wie das Unternehmen im einschlägigen Fachorgan Youtube stolz verkündet (https://www.youtube.com/watch?v=FA6BCIWPJ30). Einmal mehr ein formidabler Image-Coup für Dyson.

Dabei geht es nicht nur um Ertragsmaximierung, auch die Qualität profitiert: Die rotierenden Beerenriesenräder sorgen dafür, dass jede Pflanze – oben wie unten – stets optimales Licht abbekommt. Natürliches Licht wird durch gezielte LED-Beleuchtung ergänzt, vor allem in den lichtarmen Wintermonaten. Ein ausgeklügeltes Drainage- und Bewässerungssystem sorgt dafür, dass die Pflanzen weder verdursten noch ertrinken.

Es ist die Art von Ingenieursleistung, bei der man fast erwartet, dass irgendwo ums Eck bereits ein Dyson-Raumschiff mit Gewächshausmodul geparkt ist und auf Startfreigabe wartet. Zwölf Monate Planung, Konstruktion und unzählige Schrauben später sind Technologie und Technik hinter dem System genauso faszinierend wie futuristisch:

Es sind nicht nur die Erdbeeren in langen Reihen in den drehbaren Strukturen, es sind die Roboter, die Sensoren, das UV-Licht und all die anderen kleineren und größeren Stellschrauben, die bei Dyson ausgereizt scheinen und dem Anschein nach zumindest den Stand der Dinge markieren. Bei Dyson ist sogar der biologische Pflanzenschutz automatisiert.

Die Energie für dieses botanische Meisterwerk stammt von einem benachbarten Biogasreaktor – einem der größten des Landes. Dieser verarbeitet Ernterückstände aus den umliegenden Feldern, erzeugt Strom und Wärme für bis zu 10 000 Haushalte – und liefert gleichzeitig CO₂ für das Glashaus. Sogar die Gärrückstände werden wieder als Dünger auf die Felder gebracht.

In Summe entsteht ein in sich geschlossener Kreislauf, bei dem Nachhaltigkeit gewissermaßen nicht nur grün aussieht, sondern auch nach Erdbeere schmeckt. Was Dyson hier abzieht, könnte mehr als der Gag eines gelangweilten Tech-Milliardärs mit zu viel Land und zu vielen Ideen sein. Es ist ein technologischer Feldzug gegen Ineffizienz in der Lebensmittelproduktion – mit Präzision, wie man, wie bereits erwähnt, sie sonst hauptsächlich aus der Raumfahrt kennt.

Und auch, wenn der ein oder andere Spötter Dyson vorwirft, eine große Show um etwas so Einfaches wie eine Erdbeere zu machen – der Erfolg gibt ihm Recht. Ein Vierteltonne Erdbeeren pro 100 Quadratmeter Fläche? Das ist mehr als beeindruckend. Und die Technik ist skalierbar – für Tomaten, Paprika oder gar Cannabis (sollte Dyson sich eines Tages für Medizinalprodukte interessieren).

Der Ideengeber und Eigentümer scheint dabei rastlos wie eh und je. Der mittlerweile weit über 75 Jahre alte Brite hatte schon in jungen Jahren ein Faible fürs Ungewöhnliche: Die Idee des beutellosen Staubsaugers kam ihm, nachdem er sich über verstopfte Staubsäcke geärgert hatte. Der Rest ist Geschichte: Staubsauger, Händetrockner, Ventilatoren – alles mit einem gewissen James-Bond-Flair, minus die Explosionen. Dass er nun Landwirtschaft neu erfindet, überrascht eigentlich nur die, die seine Karriere nicht verfolgt haben.

Denn Dyson ist kein Unternehmer, der Trends jagt – er schafft sie. Und sein Erdbeeranbausystem ist nicht einfach nur „High-Tech-Landwirtschaft“, sondern eine Vision, wie moderne Nahrungsmittelproduktion aussehen könnte: automatisiert, ressourcenschonend, lokal. In einer Zeit, in der britische Supermärkte im Winter zwischen spanischen und marokkanischen Erdbeeren wählen müssen, bringt Dyson die Heimatbeere zurück ins Regal – frisch, süß, CO₂-arm.

Natürlich gibt es auch Kritik: Der Aufwand ist enorm, die Maschinen sind teuer, die Systeme komplex. Kritiker fragen: „Lohnt sich das wirklich?“ Auf Plattformen wie Reddit wird heiß diskutiert – zwischen Faszination und Skepsis. Manche feiern Dyson als Pionier, andere spotten über „Tech-Overkill“. Doch Dyson Farming lässt sich nicht beirren. Das nächste Ausbauprojekt – zusätzliche 4,7 ha Gewächshausfläche – ist bereits geplant. Die Ausweitung auf weitere Fruchtarten ist nur eine Frage der Zeit.

Und während in mancher Schrebergartenkolonie noch über die perfekte Erde für Freilanderdbeeren debattiert wird, drehen sich in Lincolnshire schon die nächsten Beerenräder gen Sonnenlicht. Die Frage ist nicht mehr, ob Vertical Farming eine Zukunft hat – sondern nur noch, wie laut es dabei summt, klickt und rotiert.

Vielleicht bringt Dyson demnächst auch einen Heim-Erdbeerautomaten auf den Markt: Selbstreinigend, klimatisiert, mit App-Anbindung. „Hey Dyson, ernte meine Erdbeeren.“ Bis dahin bleibt festzuhalten: Wenn ein Staubsaugerhersteller es schafft, Erdbeeren effizienter zu produzieren als viele, die sich tagein, tagaus darüber den Kopf zerbrechen – dann haben wir vielleicht zu lange in nur eine Richtung gedacht.

Tim Jacobsen

Und täglich grüßt das Murmeltier

Wahrscheinlich wird es so gewesen sein, dass die Haushaltshilfen meiner Großeltern am Wochenende mit ihren eigenen Familien zu Mittag aßen und am Sonntag schon allein aus mangelnder Kochpraxis in eine Wirtschaft gegangen werden musste. Da dort dann aber auch tatsächlich stets ein Großteil aller Nichten, Neffen, Tanten und Onkels zusammenkamen, glichen diese Mittagessen immer auch ein bisschen einem Gärtnerstammtisch. In meiner Erinnerung dominierten Diskussionen über das Wetter die Gespräche.

Der Strelitzienanbau sowie die Schnittrosen unter Glas hatten die Ölpreiskrisen überlebt, personelle Engpässe entstanden dadurch, dass die türkischstämmigen Mitarbeiter nach Jahrzehnten fernab der Heimat ihren Ruhestand lieber wieder zuhause verbringen wollten. Lehrlinge kamen und gingen, fleißige Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien blieben. Die Preise für Gehölze wurden im Katalog nachgeschlagen und den Lohn gab es freitags in Papiertüten.

Die großen Alleebäume in den Revieren hatten ihre Daseinsberechtigung, da ja doch ab und zu ein verunglückter Baum an der Bundesstraße durch einem typengleichen ersetzt werden wollte. Profit stand nicht unbedingt an erster Stelle: Einer meiner Onkel zog mit seiner Fuchsiensammlung den Neid botanischer Gärten auf sich, ein anderer tauchte im Nebenberuf ab in die Miniaturwelt der Bonsais, ein dritter ging regelmäßig in Südamerika auf Jagd nach unbekannten Masdevalliae.

Ungemütlich wurde es mit der Einführung des Faxgerätes. Statt Verkaufsgesprächen am Telefon mit der Wählscheibe gab es fortan schnöde Preisabfragen. Computertabellen ersetzten Notizbücher und immer seltener wurde mittags die Hofeinfahrt mit dem großen Tor verschlossen – Gartencenter und Baumärkte machten ja schließlich auch keine Mittagsstunde.

Seit einigen Jahren wachsen statt Raritäten, Exoten und dem Standardbaumschulsortiment wieder wie vor gut siebzig Jahren Kartoffeln und eher robustere Gemüsearten auf meinem früheren Kinderspielplatz. Die nahgelegene Großstadt bietet genügend Menschen ein Zuhause, die gerne einen Aufpreis dafür zu zahlen bereit sind, ihren Kindern wiederum zeigen zu können, dass Lebensmittel eben nicht im Supermarkt wachsen.

Warum erzähle ich Ihnen das alles? Wenn Sie diese Zeilen lesen, dann ist es fast auf den Tag genau zwanzig Jahre her, dass ich mich zum ersten Mal an dieser prominenten Stelle zu Wort melden durfte. Damals hatte die Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Gartenbaus mit der Auseinandersetzung über die Sozialabgabensätze polnischer Saisonarbeitskräfte und der Energiekostendiskusssion gerade einen Höhepunkt erreicht.

Seinerzeit war Michael Porters Diamantenmodell zur Beurteilung der Konkurrenzfähigkeit von Staaten in Bezug auf einzelne Branchen gerade der letzte Schrei und zumindest unter Ökonomen setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass niedrige Gestehungskosten nur ein Produktionsfaktor von vielen sind.

Vieles von dem, was unser Land lebenswert macht, trägt auf seine Weise dazu bei, dass wir es uns leisten können, auch einmal über das Ziel hinaus zu schießen, da wir ja in gewisser Weise auf anderen Gebieten schon in Vorleistung gegangen sind. Menschheitsgeschichtlich sind wir gepolt auf Problemlösung: kam der Säbelzahntiger, mussten wir uns in Windeseile entscheiden zwischen Kämpfen oder Laufen.

Heutzutage heißt der Säbelzahntiger Cutoff-Kriterium, Mindestlohn oder Schilf-Glasflügelzikade. Wörter bei denen einem unweigerlich der Kamm schwillt. Vergessen dürfen wir dabei aber nicht, dass, hätten die Apologeten auch nur bei einem der Katastrophenszenarien der letzten Jahrzehnte Recht behalten, es schon lange keine Landwirte und Gärtner mehr bei uns geben würde.

Die Gärtnereien und Betriebe in und mit denen ich aufgewachsen bin, gibt es auch heute alle noch – wenn auch mitunter in einem anderen Erscheinungsbild und mit einem anderen Geschäftsmodell. Auch wenn dies der Drohkulisse Mindestlohnerhöhung keinen Abbruch tut, war oft die Betriebsnachfolge der größte Stolperstein.

Tim Jacobsen

Gute Stimmung auf dem Möhrenforum 2025

Streng genommen hätte rein rechnerisch 2025 das achte Möhrenforum stattfinden müssen. Eine Pandemie sowie eine Möhrenforumssommeredition später war es dann aber tatsächlich erst Nummer sieben, die uns ins zwar nicht verschneite, aber dennoch leicht angepuderzuckerte Leverkusen brachte, genauer gesagt mitten rein ins Herz des deutschen Triplechampions.

Denn die Baumeister der Bayarena hatten inmitten der Nordtribüne, Heim der Ultras und sonstigen Diehard-Fans des Fußballbundesligateams mit dem Weltkonzern im Namen extra eine kleine Logenreihe ausgespart, die an Tagen ohne Spielbetrieb vom rheinländischen Ableger der im Stadionrund befindlichen, kurz vor Weihnachten allerdings in Konkurs gegangenen Hotelkette für Tagungsveranstaltungen genutzt wird.

Und so passten die gut 80 Teilnehmer samt dem Auftritt unserer Platinsponsoren Bayer, Basf, Bejo, Escarda, Hazera und Rijk Zwaan dann auch gerade so in den Tagungssaal mit Blick auf das Allerheiligste, den Leverkusener Rasen, der im Rahmen der den ersten Veranstaltungstag beschließenden Stadionführung, die nichts weniger als den Headgreenkeeper aufbot, nicht nur in Augenschein genommen, sondern auch betreten werden konnte. Ein Umstand, der unseren Stadionführer zum Kommentar verleitete, dass er dies in mehr als zehn Jahren wenn überhaupt nur einmal erlebt hätte.

Aber auch wenn die Geschichte des Möhrenforums mittlerweile fast eineinhalb Jahrzehnte umfasst, waren nicht nur die Sponsoren aus der Saatgutindustrie seit 2011 als zuverlässige und unverzichtbare Partner alle Jahre wieder mit an Bord, auch ein knappes Viertel der Teilnehmer hätte für einen lückenloses Teilnahmenachweis eigentlich eine Ehrennadel verdient gehabt. Wir werden diese zur zehnten Auflage des Möhrenforum in voraussichtlich sechs Jahren dann nachreichen.

Und was mit der Bayarena unweit des Bayer-Kreuzes, immerhin der größten Leuchtreklame weltweit begann, fand dann mit dem zweiten Veranstaltungstag sein Ende am Sitz der Crop Science Division der Bayer AG in Monheim am Rhein. Maren Schlichting-Nagel und Judith Imnadze-Wehr stellten, orchestriert von Heinz Breuer und Tim Pauli, im Rahmen einer Führung über das weitläufige Werksgelände die Bereiche Substanzlogistik, Insektizide, Applikationstechnik sowie das SeedGrowth Center vor.

Am Nachmittag zuvor gab es noch das eine und andere zu erleben, und damit ist nicht unbedingt nur das Workoutangebot von Jerrek Tebling gemeint, das den eher technisch gehaltenen zweiten Vortragsblock vom eher Pflanzenschutz-orientierten ersten Teil mit den beiden Möhrenkoryphäen Frank Uwihs und Gerd Sauerwein trennte. Bei Christoffel den Herder waren dann schon mehr Traktoren und Holzkisten zu sehen, bei Daniel Pitton flogen die Möhren im wahrsten Sinne des Wortes durch die Sortierung und Judith Dittrich machte vor der Kaffeepause noch Appetit auf den Möhrendreiteiler des Arbeitskreises Möhren.

Muhammed Sidi ließ, während der Stadionrasen trotz früh einsetzender Dämmerung noch hell erleuchtet war, keine Zweifel daran aufkommen, dass Escardas Laser-basierte Unkrautbekämpfungslösung schlichtweg unübertroffen ist. Jeroen Veldman schickte seine Odd.Bot-Flotte auf den Weg und Lena Pollul sowie Tim Boenigk wagten zwar keinen Blick in die Kristallkugel, attestierten der laufenden Möhrensaison für sowohl Bio- als auch konventionelle Ware allerdings ein durchschnittliches Preisniveau mit einem sehr stabilen Preisniveau über den Herbst und leichten Preisaufschlägen – die hoffentlich einen Trend eingeleitet haben, der sich weiter fortsetzt!

Tim Jacobsen

Wie alles mit allem zusammenhängt: Revolutioniert Dyson auch den Erdbeeranbau oder will er nur Steuern sparen?

Im November 2024 kündigte die neu gewählte Labour Regierung an, die Befreiung von der Erbschaftssteuer für landwirtschaftliche Betriebe ab einer Million Pfund aufheben zu wollen, , was zu Massenprotesten im gesamten Königreich führte. 32 Jahre zuvor war die Übertragung von landwirtschaftlichen Betrieben zwischen den Generationen unter dem konservativen John Major- zum Schutz der Ernährungssicherheit von der Steuer befreit worden. Die neue Regelung soll im April 2026 in Kraft treten und sieht eine Erbschaftssteuer von 20 % auf Beträge über diesem Schwellenwert vor.

Die Landwirte führen ins Feld, dass sie zwar reich an Vermögen, aber arm an Bargeld seien, was zu einer Situation führe, in der Erben Ackerland verkaufen müssten, um ihren Steuerpflichten nachkommen zu können. Befürworter der Änderung argumentieren damit, dass wohlhabende Privatpersonen Ackerlandkaufen, um der Erbschaftssteuer zu entgehen. Regierungsangaben zufolge würde die Maßnahme etwa 27 % der landwirtschaftlichen Betriebe im Vereinigten Königreich (ungefähr 56700 landwirtschaftliche Betriebe) betreffen.

Wütend machten die Steuerpläne der Labour-Regierung auch Staubsauger-Milliardär James Dyson, der sich als einer der schärfsten Kritiker der neuen Erbschaftsteuer auf Landwirtschafts- und andere Familienbetriebe hervorgetan hat. Als „bösartig“ bezeichnete Dyson die Budgetpläne von Finanzministerin Rachel Reeves in einem Gastkommentar in der „Times“. „Kein Unternehmen kann Reeves’ zwanzigprozentigen Steuer-Zugriff über­leben“, schimpfte er. Nicht weniger als den „Tod des Unternehmertums“ siehe er kommen.

Dass der 77 Jahre alte Unternehmer und Erfinder sich so sehr für die Steuerbelastung der Bauern interessiert, könnte auch daran liegen, dass er selbst eines der größten Landwirtschaftsunternehmen des Vereinigten Königreichs zusammengekauft hat. Besonders in Lincolnshire im Nordosten Englands, wo es sehr gute Böden gibt, sowie in Somerset im Südwesten hat er im vergangenen Jahrzehnt große Flächen erworben.

Insgesamt fast 15000 ha Land gehören der Dyson Farming Ltd. Damit ist der Mann, der mit der Erfindung von Hightech-Staubsaugern, Hände- und Haartrocknern zum fünfreichsten Briten aufstieg, inzwischen auch unter den fünf größten Produzenten für Getreide, Bohnen und Kartoffeln des Landes angekommen. Neben den klassischen Ackerbaukulturen baut Dyson auch Erdbeeren im großen Stil an. Auf seiner Farm in Lincolnshire wachsen mehr als eine Million Erdbeerpflanzen in Gewächshäusern, die mit LED-Lichtern beleuchtet werden.

Die Gewächshäuser mit insgesamt mehr als 100000 m2 Fläche sind hoch technisiert. So erspähen Roboter des Start-ups Dogtooth aus Cambridgeshire mit optischen Sensoren die reifen, roten Früchte. Ein Greifarm pflückt und legt sie in Kisten. Alles ist so weit automatisiert wie nur möglich. Dank des Einsatzes von UV-Licht kommen so gut wie keine Fungizide zum Einsatz. Rund 1250 t Erdbeeren sind der Lohn der Mühen. Der Bioabfall wird in großen Faultürmen vergoren, und das daraus entstehende Gas und die Wärme wird für die Beheizung der Treibhäuser genutzt.

Mehr als 140 Mio. Pfund hat Dyson nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren in die Modernisierung seiner gleichnamigen Faming Limited investiert. Und er plant Großes, auch wenn der ausgewiesene Gewinn von fünf Millionen Pfund angesichts der großen Investitionen eher mäßig scheint Kritiker werfen ihm (und anderen Promi-Landwirten wie Jeremy Calrkson) vor, sie wollten mit ihren Farmen lediglich Steuern sparen. Dyson weist dies zurück.

Bei dem angenommenen Wert seiner Farmaktivitäten in Höhe von gut 600 Millionen Pfund und möglichen rund 120 Millionen Pfund Erbschaftsteuer fällig, haben seinen Beteuerungen, die Investitionen in die Landwirtschaft dienten garantiert nicht dem Zweck, Erbschaftsteuer zu vermeiden, zumindest einen Beigeschmack. Zumal der dreifache Vater und sechsfache Großvater vor fünf Jahren auch bereits seine nach Singapur verlegt hatte – auch dies selbstredend nicht aus steuerlichen Gründen.

Die Motivation für sein Engagement in der Landwirtschaft sei eine andere, beteuert Dyson. Er wolle helfen, moderne Technologien und nachhaltige Anbaumethoden zu etablieren sowie dazu beitragen die Lebensmittelqualität und Versorgungssicherheit insgesamt zu verbessern. Der Absolvent des Londoner Royal College of Art hatte sich ab den Siebzigern in technische Erfindungen und Konstruktionen vergraben und ließ sich dabei von Fehl- und Rückschlägen nicht entmutigen.

Seine ersten Ideen wie das Transportboot Sea Truck floppten, ebenso die eigenwillige Konstruktion einer Schubkarre, die nicht auf einem Rad, sondern auf einer Kugel rollen sollte. Auch der Wasser-Quad wurde kein Erfolg. Erst mit dem effizienten Hightech-Staubsauger, der ohne Beutel (und später ohne Stromkabel) auskommt, gelang Dyson der Durchbruch. Angeblich hat er in fünf Jahren 5127 Prototypen gebaut, bis ihn das Ergebnis endlich befriedigte. In dieser Zeit war die Familie knapp bei Kasse, sie lebten vom Gehalt von Dysons Frau, einer Kunstlehrerin.

Auch die Markteinführung war schwierig. Da die britische Industrie abwinkte, ging Dyson nach Japan. Schließlich wurde der Staubsauger ein globaler Markterfolg. „Der Dyson“ ist inzwischen ein Haushaltsname, mehr als zehn Millionen Briten nutzen ihn. In den meisten Ländern hat die Firma einen Marktanteil von mehr als zwanzig Prozent, in Deutschland sind Dyson-Staubsauger beliebter als die heimischen Marken Miele und Bosch. Immer neue Modelle designen Dysons Ingenieure im Forschungs- und Entwicklungszentrum in Malmesbury, Südengland.

Verglichen mit den Hightech-Produkten in Dysons Sortiment, die in den jeweiligen Produktkategorien oft Marktbeherrschend wurden, scheint der Konkurrenzkampf im Erdbeergeschäft vergleichsweise hart. Dysons Erdbeeren, die er über die Supermarktketten Sainsbury’s und Marks & Spencer verkauft werden, liegen preislich am obersten Ende. Künftig soll mit mehr Union-Jack die britische Herkunft noch stärker hervorgehoben werden. Einblick in das Hightechgewächshaus gewährt https://tinyurl.com/4prt9ty3.

Tim Jacobsen

Die Preise gehen rauf und selten runter

Die große Inflationswelle ist vorbei. Im August blieb die Teuerungsrate mit 1,9 % erstmals seit mehr als drei Jahren wieder unter dem Zielwert von 2 %. Vor allem Energie ist billiger als vor einem Jahr. Im August waren das stattliche 5,1 %. Preistreiber sind aktuell Dienstleistungen, die um 3,9 % teurer waren. Hier wirken sich die hohen Lohn- und Gehaltssteigerungen der vergangenen Monate aus. Nahrungsmittel wurden im Jahresvergleich nur noch um 1,5 % teurer.

Wie hoch das Preisniveau für Nahrungsmittel allerdings ist, zeigt ein Vergleich der Preise über den gesamten Zeitraum der jüngsten Inflationswelle: Heute sind Nahrungsmittel laut Statistischen Bundesamt im Durchschnitt um mehr als 32 % teuer als vor vier Jahren. Für eine Flasche Olivenöl mussten Verbraucher im Juli mehr als doppelt so viel zahlen wie vor vier Jahren. Zucker ist fast doppelt deutlich teurer als 2020.

Wegen steigender Preise für Zucker, aber auch anderen wichtigen Zutaten wie Mehl und Fette, sind auch Kekse erheblich teurer geworden, genauso wie Milch und Milchprodukte, Ketchup, Gemüsekonserven und Sonnenblumenöl mit Aufschlägen zwischen 63 % bei den Konserven und 112 % beim Olivenöl.

Nur ein Lebensmittel ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes heute mit 2 % etwas billiger als damals: Zitrusfrüchte. Die geringsten Anstiege verzeichneten Birnen (0,8 %) und Äpfel (7,4 %). Bei den Äpfeln trafen 2021 und 2022 gute Ernten auf eine eher geringe Nachfrage, eine Preisumkehr scheint wahrscheinlich.

Für Verbraucher weniger schlimm sieht der Jahrespreisvergleich aus. Für einige Lebensmittel mussten Verbraucher im Juli nicht mehr so tief in die Tasche greifen wie noch zwölf Monate zuvor.

Die größten Preisrückgänge gab es bei Möhren (13,8 %), Zwiebeln und Knoblauch (13,7 %), tiefgefrorenem Obst (13,1 %), einmal mehr den Zitrusfrüchten (9,3 %), Sonnenblumenöl und Rapsöl (8,6 %) sowie Weizenmehl (8,3 %). Dabei nicht vergessen werden darf: Von den Zitrusfrüchten einmal abgesehen sind alle genannten Produkte immer noch teurer als im Jahr 2020, teilweise sogar deutlich.

Die Verbraucherzentrale forderte Ende August angesichts dessen, dass die Lebensmittelpreise in Deutschland seit dem Jahr 2021 insgesamt um rund 33 % gestiegen, während die Gesamtinflationsrate im gleichen Zeitraum bei 20 % liegt, einmal mehr die Einrichtung von Preisbeobachtungsstellen.

Diese sollen ihre Befunde jährlich dem Bundestag melden, damit der Gesetzgeber „gegebenenfalls politische Maßnahmen“ ableiten könne. Aber was könnten das für Maßnahmen sein? Vermutlich ist an Preiskontrollen und staatlich festgesetzte Preise gedacht.

Die Idee der Preisbeobachtung hat dabei mindestens zwei Haken. Da ist zunächst die Hoffnung, Informationsasymmetrien könnten durch Transparenzoffensiven eingeebnet werden. Aber was hat der Verbraucher davon, wenn die Kosten der Wertschöpfungskette für alle transparent gemacht werden?

Soll er daraus schließen, dass die Zwiebeln und Möhren möglicherweise ihr Geld nicht wert sind? Oder erleichtert die Transparenz womöglich nur den anderen Supermarktformaten die Suche nach noch billigeren Lieferanten? Und dann ist da ja noch die Sache mit dem „gerechten“ Preis. Hört sich gut an, aber wer bestimmt „was eine Sache wert ist“?

Und wenn es dann keinen objektiv gerechten Preis gibt, dann bleibt nur der Umkehrschluss: Ob ein Preis gerecht ist, bemisst sich daran, was Möhren, Zwiebeln und alles andere den Menschen subjektiv wert ist. Das wiederum heißt, dass Preise sich nicht mit den Herstellungskosten begründen lassen, sondern mit der Wertschätzung der Kunden.

Für sie und den Anbieter ist lediglich ihre subjektive Zahlungsbereitschaft von Relevanz. Daran muss der Händler dann seine Kosten ausrichten. Dass es dabei mit rechten Dingen zugeht, dafür sorgt seit der Währungsreform und dem Ende der Zwangswirtschaft in der für unser Deutschland typischen Sozialen Marktwirtschaft der Wettbewerb – notfalls im Zusammenspiel mit den Kartellbehörden.

Eines darf bei der ganzen Diskussion aber auch nicht übersehen werden: Zwar gibt es bei uns – anders als in der Deutschen Demokratischen Republik – zwar kein staatliches Amt für Preise; was im Vereinigten Königreich bei Tesco, Sainsbury’s, Asda und Morrisons unter „Aldi Price Match“ läuft, also dem Bewerben von Produkten damit, dass sie zum gleichen Preis wie bei Aldi zu haben sind, gibt es, wenn auch nicht ganz so explizit, auch bei uns.

Und das führt dann dazu, dass Preiseinstiegsartikel im gesamten LEH auf wundersame Weise ähnlich bepreist sind wie beim marktführenden Discounter.

Tim Jacobsen

Die lieben Kolleginnen und Kollegen

Die Kollegen der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit rekapitulieren auf ihrer Titelseite nicht nur in großen Lettern und großem Bild die für die zurückliegende Woche wichtigsten Entwicklungen, sie rücken in der Spalte rechts unter der Rubrik „prominent ignoriert“ jeweils auch eine Schlagzeile ins Rampenlicht, die sonst untergehen würde, was letztendlich aus dem „prominent ignoriert“ eher ein „prominent platziert“ macht. Über medialen Ruhm zumindest im deutschsprachigen Bildungsbürgertum konnten sich in Ausgabe 37 vom 29. August 2024 nun drei Zwiebeldiebe freuen, die im niedersächsischen Steddorf mit ihrer Beute unter Zurücklassung eines Komplizens zwar zunächst entkommen konnten, zu guter Letzt dann aber doch allesamt von unseren Ordnungshütern gestellt und Fluchtauto sowie Beute beschlagnahmt wurden. Nicht zu Unrecht kommentieren die Kollegen, dass die drei mit Feldarbeit zum Mindestlohn ebenfalls unter überschaubarem Aufwand die 50 €, die dem Polizeibericht nach dem Wert der gestohlenen Zwiebeln entsprach, verdienen hätten können, übersehen dabei aber geflissentlich, dass zwischen Erzeuger- und Konsumentenpreisen doch eine mitunter relativ eklatante Lücke klafft. Da kann dann aus einer Stunde Feldarbeit schnell ein ganzer Tag werden.

Tim Jacobsen

Aufstieg und Fall eines Tomatenimperiums

Ohne Tomaten kein English Breakfast: „The Guernsey Tom“ mit ihrer markanten Kugelform hatte zu ihren besten Zeiten im Vereinigten Königreich einen Marktanteil von rund 60 %. Mehr als zwei Jahrzehnte lang bestimmten die roten Früchte das Leben auf der britischen Kanalinsel unweit der französischen Küste. Noch 1967 hatte jeder dritte Inselbewohnet beruflich irgendwas mit Gartenbau zu tun, ab Erntebeginn dominierten Tomatentransporter das Verkehrsgeschehen auf der Insel. Dreißig Jahre später war der Anteil der Guernsey-Tomaten auf unter 1 % gefallen, im gleichen Zeitraum ging die Anbaufläche von knapp 300 ha auf gut 5 ha zurück.

Man muss ein bisschen in der Zeit zurückgehen, um verstehen zu können, warum sich gerade dort eine florierende Tomatenindustrie entwickeln konnte. Den feinen Herrschaften im fernen London war es wohl irgendwann zu bunt geworden und sie zogen die Zügel an, unterbanden Schmuggel und Piraterie und stürzten die Inselökonomie im 19. Jahrhundert in eine tiefe Depression. Die Inselbewohner besannen sich auf ihre Standortvorteile wie den günstigen klimatischen Voraussetzungen und den für das Vereinigte Königreich zahlreichen Sonnenstunden und begannen, Tafeltrauben anzubauen.

Das erste kommerziell genutzte Gewächshaus wurde 1840 errichtet, ab 1861 verband ein regelmäßig verkehrendes Dampfschiff die kleine mit der großen Insel weiter nördlich. Während 1915 noch gut 2500 t Trauben geerntet wurden, waren es 1958 nur mehr 300 t, gleichzeitig hatte die samenvermehrte `Potentate´ Stück für Stück die Rebstöcke abgelöst. Kaum ein Haus auf Guernsey, an das kein Gewächshaus angebaut wurde. Die Inselbewohner profitierten in dieser Zeit auch von dem in heutigen Maßstäben äußerst kurzen Shelflife ihrer Produkte und der noch benötigten vielen Handarbeit auf dem Weg von der Ernte zu den Verbrauchern.

Die Bootsbauer sattelten auf Gewächshausbau um, es entstand eine Art Tomaten-Monokultur, Böden und Substrat wurden Dampf-sterilisiert und Anthrazitkohle aus Wales verfeuert. Ihren endgültigen Höhenflug erreichten die Guernseytomaten nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Gewächhausanlagen hatten die deutsche Besetzung überstanden, die phänomenalen Profite im Tomatenanbau sorgten für Goldgräberstimmung, schnell standen die Tomaten für die Hälfte des Bruttoinseleinkommens. Trotz der geographischen Nähe zu Frankreich blieb das Vereinigte Königreich der einzige Handelspartner.

Schnell stellte sich heraus, dass ein kooperativer Ansatz gerade in logistischer Hinsicht der nächste Schritt sein müsste. Folgerichtig übernahm 1952 das besonders in der Anfangszeit nicht unumstrittene Guernsey Tomato Marketing Board (GTMB) die weiteren Schritte ab der Ernte, so genannte Inspektoren sorgten für die Qualitätsbeurteilung und legten somit auch die Höhe der Familieneinkommen fest. Das GTMB nahm in Zeiten von Überproduktion Ware aus dem Markt und verklappte diese zu Dumpingpreisen auf der Insel, um den Preis im Vereinigten Königreich hochzuhalten.

Die Perfektionierung des Anbaus führte dazu, dass bald jeder Einwohner Guernseys rein rechnerisch mehr als 1000 t Tomaten im Jahr produzierte. In den 1970er Jahren begann sich dann aber der Himmel über der Tomateninsel zu verdüstern. Schuld daran waren je nach Interessenlage die Supermärkte, das Advisory Board, das GTMB, die Niederländer, die größeren Produktionsbetriebe oder auch alles zusammen. Das Ende der Tomatenerfolgsgeschichte unterscheidet sich dabei nicht so groß vom Aus regional bedeutsamer Industriezweige anderenorts.

Beigetragen zum Niedergang hat mit Sicherheit die Umstellung von Anthrazitkohle auf Öl. Den Preisanstieg im Jahr 1973 hatte niemand vorhersehen können, Öl wurde nicht nur um ein Vielfaches teuer, es wurde auch rationiert. Besonders hart traf dies die Gärtner, die zuvor auf den Rat des Advisory Board vertraut und auf Modernisierung gesetzt hatten. Auch die Zinsen stiegen deutlich und spätestens, als dann Ware aus Spanien und von den kanarischen Inseln flankiert von niederländischen Tomaten das Frühsegment eroberte, war „The Guernsey Tom“ nicht mehr konkurrenzfähig und zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Arbeitslosigkeit ein Thema. Den Schlussstrich unter die einstige Erfolgsgeschichte zog das Jahr 1999, als Guernsey offiziell Tomatennettoimporteur wurde.

Es ist ein Einfaches diese Entwicklung als ein weiteres Beispiel für die Zerstörungskraft der Globalisierung anzusehen. Unbezweifelt führt das Öffnen von Grenzen zu stärkerem Wettbewerb, aber während die Tomaten auf der Strecke blieben, machte die Insel als Off-shore-Standort für finanzielle Dienstleistungen aller Art Karriere. Mit den Tomaten auf der Strecke blieben allerdings auch Sozialstrukturen, die das Leben auf der Insel über viele Jahrzehnte geprägt hatten.

Die Kannibalisierung der Guernsey-Tomaten durch nach niederländischem Vorbild vor allem im landschaftlich vergleichsweise großzügigen Südengland entstandene Gewächshausanlagen mag eine Rolle für den Niedergang gespielt haben. Am schwersten gewogen hat mit Sicherheit aber eine Entwicklung, die dem Einzelhandel eine stets bedeutendere Rolle zuwies: hatte das GTNB noch die Informationshoheit und volle Kontrolle über Liefermengen, -wege und -zeitpunkte, begannen die Supermärkte – der Strichcode feierte gerade runden Geburtstag – spätestens mit der Wahl Margaret Thatchers im Jahr 1979 zunehmend alle Trümpfe in der Hand zu haben.

Und wenn da dann, wie heute fast schon üblich, vier Handvoll verschiedene Tomatensorten und -arten angeboten werden müssen, kann das mit einer „one size fits all Guernsey standard round“ nicht klappen. Auch Henry Ford produzierte zwar fast zwei Jahrzehnte lang ausschließlich das Modell T in schwarz, musste dann aber doch einsehen, dass die Geschmäcker nun einmal verschieden sind.

Tim Jacobsen

Wie alles mit allem zusammenhängt

Man könnte meinen, es liegt ein Fluch auf dem Zwiebelforum: nach der Erstausgabe 2014 ging es mehr oder weniger direkt vom Bonner GSI an die russische Riviera zu den Olympischen Winterspielen, die wiederum nur den Deckmantel für die Annektion der Krimhalbinsel darstellten. Womit nun leider auch der Krieg in der Ostukraine ziemlich genau sein Zehnjähriges hat.

2018 sorgte Orkantief Friederike passend zum Veranstaltungsbeginn in Peine für Verwüstung und Chaos in Deutschland. 2020 ging es ins Haus am Weinberg nach St. Martin – dort gab es einen der letzten spektakulären Sonnenaufgänge zu sehen, bevor es dann für uns alle „ab in den Lockdown“ hieß.

Aus dem Zweijahresrhythmus wurde kurzerhand ein Vierjahresrhythmus. 2024 war dann zwar die von Rukwied ausgerufene Wut-Woche gerade passend zu Veranstaltungsbeginn zu Ende gegangen, als wollte der Wettergott das Ganze aber nicht auf sich sitzen lassen, schüttelte Frau Holle, was vom Himmel ging und sorgte im wenig Winter-erprobten Rheinland für garantiert-nicht-Genehmigungs-pflichtige Entschleunigung.

Grund genug, ein bisschen wütend zu sein, hätten wir eigentlich alle: Stiftung Warentest rechnet vor, dass der CO2-Steueranteil an Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas zu Jahresbeginn um rund 50 % gestiegen ist. Von dem im Koalitionsvertrag angekündigten „sozialen Kompensationsmechanismus“ fehlt jedoch jede Spur, interessanter Weise genauso wie von einem Aufschrei in der Bevölkerung.

Die OECD attestiert der deutschen Durchschnittsfamilie die zweithöchste Abgabenlast aller OECD-Staaten. Nicht verwunderlich, sollten die Haushaltsdaten dann auch eigentlich gar nicht so schlecht sein, und liegen relativ zur Wirtschaftsleistung dann auch tatsächlich deutlich über denjenigen vom letzten Vorpandemiejahr. Wohin das ganze liebe Geld versickert, lässt sich je nach politischer Gesinnung unterschiedlich interpretieren und ausschlachten.

In all dem Gehupe und dem ganzen Trubel der zweiten Januarwoche ist nicht nur ein bundesweiter dreitägiger Bahnstreik komplett untergegangen, sondern auch, dass nicht nur Landwirte Leidtragende der Sparbeschlüsse waren, die von einem unzurecht zum Buhmann gemachten Bundesverfassungsgericht angeordnet wurden. Auch das Strompreispaket, das die Reduzierung der Stromsteuer für das gesamte produzierende Gewerbe auf das europarechtlich zulässige Mindestmaß bedeutet hätte, fiel dem Rotstift zum Opfer.

Die Verdoppelung der Netzengelte macht bei Haushaltskunden ein paar Dutzend Euro aus, bei industriellen Mittelständlern sind das schnell ein paar Hunderttausend Euro. Auch Gießereien und Verzinker, Kunststoff-, Metall- und Stahlverarbeiter stehen im Wettbewerb mit Unternehmen aus Ländern, in denen nicht nur der Strompreis deutlich niedriger ist. Höfesterben heißt im Rest der Wirtschaft Konkurs und Privatinsolvenz.

Hier eine leerstehende Werkhalle, dort die eine und andere Stellenstreichung werden Zeugnis davon ablegen, dass zumindest im Fall der Strompreise der Markt funktioniert hat: das auch durch den Atomausstieg verknappte Angebot führte und führt zu steigenden Preisen. Davon nicht ganz losgelöst sollte die Diskussion sein, ob der Netzausbau genauso wie der Ausbau der Erneuerbaren wirklich über den Strompreis finanziert werden muss.

Die DZ Bank prognostizierte Anfang Januar einen Rückgang der Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland von derzeit 256 000 auf 100 000 im Jahr 2040. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch 1,8 Mio. Bauernhöfe, im Jahr 1960 zählte das damalige Bundesgebiet rund 1,5 Mio. landwirtschaftliche Betriebe. Bis 1980 halbierte sich diese Zahl, in den folgenden 20 Jahren sank sie noch einmal um fast die Hälfte auf rund 450 000 im Jahr 2000 – und das trotz fünf neuer Bundesländer. Gab es zu Beginn von Angela Merkels Regierungszeit noch knapp 400 000 landwirtschaftliche Betriebe waren es 2021 nur noch gut 260 000.

Ob letztendlich die Kluft zwischen Stadt und Land im Laufe der „Woche der Wut“ etwas kleiner geworden ist, wird sich zeigen müssen. Zu oft schon hätten diejenigen, die diesen Winter wieder einmal am Straßenrand Beifall klatschten, die Gelegenheit gehabt, im Alltag auf die Jagd nach dem ultimativen Supermarktschnäppchen zu verzichten und durch ihr Konsumverhalten Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen.

Was auf jeden Fall im Gedächtnis bleiben wird, ist eine erneute Verrohung des Debattentons: neben „ohne Bauern gibt es keinen Jungbäuerinnenkalender“ gab es eben auch die Anschuldigung unseres Bauernpräsidenten, im Berliner Regierungsviertel habe noch nie jemand geschwitzt oder gearbeitet. Und schon baumelten die Ampeln an Galgen.

Tim Jacobsen

„1, 2 oder 3″ oder 3, 2, 1, meins“?

Michael Schanzes Quizshow-Klassiker „1, 2 oder 3“ war nicht nur reine Wissensabfrage, sondern für die teilnehmende Schülerschar immer auch ein bisschen ein Selbstbewusstseinstest. Wer würde sich wider besseres Wissen der Mehrheit anschließen – und wer würde wagen, der eigenen Überzeugung zu vertrauen?

Am heimischem Bildschirm war leicht reden, schließlich fehlten dort die Gruppendynamiks- und -druckkomponente. Außenseiter zu sein ist nicht jedem gegeben und so werden in Umfragen munter Dinge behauptet, die einzig und allein dem allgemeinen Wohlgefühl dienen.

Spannend wird es dann an dem Punkt, an dem gewissermaßen ohne Sozialkontrolle verschiedene Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Einer der Klassiker der Spieltheorie sind die sog. Diktatorspiele: Probanden müssen sich zwischen zwei Varianten entscheiden, die dann jeweils nicht nur für sie selbst unterschiedliche Auswirkungen haben.

Ein Beispiel: Wähle ich Option A, bekomme ich selbst fünf Dollar, eine andere Person einen Dollar. Wähle ich Option B, bekomme ich selbst sechs Dollar, eine andere Person fünf Dollar. Mit Option B verhelfe ich also mir selbst zu einem zusätzlichen und einer anderen Person zu zusätzlichen vier Dollar.

Sie müssen niemandem verraten, wie Sie sich entscheiden würden und wir möchten auch gar nicht zu viel verraten, aber Option A wird gar nicht so selten gewählt. Nicht nur in der Weihnachtszeit: gar nicht so nett. Die Parameter lassen sich natürlich beliebig verändern – neues Spiel, neues Glück:

Wähle ich in einer konfliktreicheren Variante Option A, bekomme ich fünf Dollar, die andere Person auch. Wähle ich dagegen Option B, bekomme ich sechs Dollar, die andere Person aber nur einen Dollar.

Also entweder einen Dollar weniger für mich und vier mehr für die andere Person oder einen mehr für mich und vier weniger für die andere Person. Hier wird die Entscheidung zwischen Egoismus und Rücksichtnahme dann nochmals etwas kniffliger.

Noch spannender wird es, wenn die Konsequenzen für die andere Person außer Acht gelassen werden können:

Ich kann mich zwischen sechs Dollar und fünf Dollar entscheiden, und mit einem Klick mehr kann ich ohne jegliche Konsequenz für mich selbst, in Erfahrung bringen, welche Auswirkungen dies auf die andere Person hat.

Nehmen Sie direkt die sechs Dollar oder beweisen Sie Empathie und klicken Sie zumindest einmal auf die Schaltfläche, die Ihnen erlaubt mehr über die Auswirkungen Ihres eigenen Handelns zu erfahren? In entsprechenden Versuchsreihen verzichten die meisten auf den Extraklick und stecken die sechs Dollar ein.

Die Wissenschaft wäre nicht die Wissenschaft, gäbe es für dieses Verhalten nicht auch eine passende Bezeichnung: mutwillige Unwissenheit nennt sich das dann. Nur was bringt uns dazu, so zu handeln? Zur „willful ignorance“ kommt das „excuse seeking“, die Suche nach einer Ausrede, hinzu. Und das funktioniert so:

Wenn ich nicht weiß, welche Folgen mein Handeln haben wird, kann ich auch nicht rücksichtslos handeln. Darüber hinaus wird es natürlich auch immer dieenigen geben, die ohne Skrupel und Nachdenken immer auf den Maximalgewinn klicken sowie diejenigen, die einfach nur furchtbar genervt von allem sind und schnell entscheiden möchten.

Linh Vu geht in ihrer Anfang November im Psychological Bulletin erschienenen Metaanalyse zum Thema „Ignorance by choice“ noch einen Schritt weiter und zitiert eine Reihe von Studien, in denen Probanden sogar zu zahlen bereit waren, um nichts über die Konsequenzen ihres Handelns zu erfahren.

In zwei weiteren Studien wurden die Probanden nach der Wahl ihres Spielzugs gefragt, ob sie nicht im Nachhinein wissen wollen, welche Auswirkungen ihre Entscheidung auf die andere Person hatte. Vier Fünftel der Befragten konnten dem nicht widerstehen.

Befragt, warum sie dies nun im Nachhinein doch wissen wollen, wo doch diese Möglichkeit auch vor der eigentlichen Entscheidung bestanden hätte, folgt bei nicht wenigen Probanden das Eingeständnis, dass es moralisch problematischer sei, bei vollem Wissen egoistisch zu handeln als bei selbstgewählter Unwissenheit.

Lustiger Weise steigt in einer Art Umkehrung des Diktatorspiels, dem sog. Ultimatumspiel, das Verständnis der „anderen Person“ für die Entscheidung des „ichs“, wenn dieses in selbstgewählter Unkenntnis handelt.

Warum Menschen sich überhaupt in selbstgewählte Unkenntnis flüchten, könnte Vu zufolge daran liegen, dass manche Menschen grundsätzlich gerne als altruistisch gelten wollen; die vorsätzliche Unwissenheit erlaube es ihnen dann, dieses Selbstbild aufrechtzuerhalten, ohne altruistisch handeln zu müssen.

Und schon sind wir direkt an den Frischetheken unserer Supermärkte gelandet. Lieber das regionale Produkt oder das günstigere mit den vielen Food miles? Lieber Stallhaltung oder Premium? Lieber deutscher Mindestlohn oder 210 € im Monat in Marokko? Und während manch Gutsituiertem Lebensmittel gar nicht teuer genug sein können, ist bei anderen ab Mitte des Monats die Kasse leer.

Grundsätzlich, und das ist das beruhigende an Vus Erkenntnissen, sind die meisten Menschen bereit, das Richtige zu tun, wenn sie sich über die Konsequenzen ihres Handelns vollständig informiert fühlen. Allerdings, und auch das zeigt die Studie, spielt der gesellschaftliche Druck sowie der Wunsch, sich selbst in einem guten Licht zu sehen, in der Entscheidungsfindung keine kleine Rolle.

Da Rechtschaffenheit oft kostspielig, mühsam und aufwändig ist, bietet selbstgewählte Unkenntnis einen einfachen Ausweg. Im Umkehrschluss sollte ein tieferes Verständnis dieses Mechanismus´ allerdings auch ermöglichen, in Dingen, die uns wichtig sind, die Weichen so zu stellen, dass dieser Ausweg möglichst unattraktiv erscheint.

Tim Jacobsen

Was Michael Stipe mit Callunen zu tun hat

Es muss ein bisschen das R.E.M.sche „Ende der Welt, wie wir sie kennen“ gewesen sein: vor ziemlich genau 100 Jahren führte die Hyperinflation in der Weimarer Republik ausgerechnet zu Beginn der Adventszeit zu einem Anstieg des Wechselkurses der Mark gegenüber dem US-Dollar auf das Allzeithoch von 1 : 4,2 Billionen (eine Zahl mit zwölf Nullen). Ein Ei kostete Anfang Dezember 1923 320 Mrd. Mark, 1 l Milch 360 Mrd. Mark und 1 kg Kartoffeln 90 Mrd. Mark.

Größter Profiteur seinerzeit war, ein Schelm, wer Böses dabei denkt, das Deutsche Reich, dessen Kriegsschulden mit der dann zur Inflationsbekämpfung eingeführten Renten- und späteren Reichsmark von 154 Milliarden Mark auf lediglich 15,4 Pfennige schrumpften. Auch heute profitieren eher Schulden als Vermögen von Inflation.

Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine verdoppelten sich die entsprechenden Kennzahlen, was gleichbedeutend damit ist, dass bspw. im November 2022 der sog. Anstieg des Verbraucherpreisindexes statt wie 4,4 % im Vorjahr auf einmal 8,8 % betrug. Die Folgen dieses Anstiegs des Verbraucherpreisindexes gegenüber dem Vormonat spüren nicht nur Möbelhändler.

Ein kurzes Rechenexempel: bei einer Inflationsrate von 2 % haben Sie zwar nach zehn Jahren immer noch 1500 € auf dem Konto, damit können Sie aber nur noch für 1225 € einkaufen. Nach zwanzig Jahren ist der Gegenwert des Geldbetrages auf Ihrem Konto dann ganz von selbst fast drei-  statt vierstellig geworden, denn was sich hinter dem etwas sperrigen „Anstieg des Verbraucherpreisindexes“ verbirgt, ist auf gut deutsch gesagt einfach nur, dass alles teurer wird.

Wenn wir, wie im August 2023, also von einer gesunkenen Inflationsrate in Höhe „von nur noch“ 6,1 % sprechen, ist der Preisanstieg zwar kleiner als noch im letzten Winter, aber immer noch erheblich. Vorbei die Jahrzehnte, in denen die Preise, und dabei sollten fairerweise auch die Zinsen nicht vergessen werden, nur so vor sich hin dümpelten. Die Verbraucher stimmen mit den Füßen ab und rennen spätestens seit Februar 2022 den Discountern mehr denn je Tür und Tor ein.

Manche Markenartikler reagieren, indem sie dem Ganzen noch eines obendrauf setzen und erhöhen die Preise mehr, als dass dies der Anstieg der Produktionskosten vielleicht nahelegen würde. Wenig charmant, wird dies dann als Gierflation bezeichnet und führt, wenn die Händler das Ganze nicht mittragen und weitergeben wollen, dazu, dass es nicht Hamsterkaufbedingte Leerstellen in den Supermarktregalen gibt. Die ganz besonders pfiffigen Markenartikler lassen die Preise und Verpackungen gleich, packen aber weniger Inhalt rein.

Der Aufschrei bei den Verbraucherschützern ist dann jeweils groß, letztendlich kommt darin dann aber vielleicht auch eine von ihren Vertretern als Geschäftsgrundlage benötigte Entmündigung der Verbraucher zum Ausdruck. Die Preisschilder in den Supermärkten sind zwar noch nicht ganz so aussagekräftig wie die Packungsbeilagen von Medikamenten, einen mühelosen Preisvergleich erlauben sie jedoch allemal und spielen den Ball eigentlich zurück zu den Verbrauchern.

Schwieriger wird es dann, wenn einzelne Produktbestandteile durch billiger zu beschaffende  Rohstoffe ausgetauscht werden, Palmfett bspw. Sonnenblumenöl ersetzt – Skimpflation bedeutet gewissermaßen, dass auf die Inferiorität des Produktes zwar hingewiesen wird, aber eine Lesebrille für deren Entdeckung vonnöten ist. Es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass bei uns die Herkunftsbezeichnungen an den Frischetheken, anders als bspw. im Vereinigten Königreich, eher dem Bereich Kleinstgedrucktes zuzuordnen sind.

Es geht auch aber ganz ohne Griff in die Trickkiste. Nach den Pandemierekordjahren war im letztjährigen Herbst Trübsalblasen angesagt für unsere Heidekrautproduzenten. Mit der Fieberkurve Gasspeicherfüllstand und teils absurden Energiepreissteigerungen waren Callunen auf den Einkaufszetteln der Verbraucher ziemlich weit nach unten und der Abverkauf sowohl unter das Niveau der Vorjahre als auch der Vorpandemiezeit gerutscht. Insbesondere die größeren Topfgrößen litten. In diesem Herbst scheint, auch um der Inflation ein Schnippchen zu schlagen, eine Invasion der relativ kleinen Töpfe bevor zu stehen.

Und dabei macht nicht nur billig, billig das Rennen, auch Duos scheinen sich im 11er Topf durchaus wohl zu fühlen und könnten am Ende die Durchschnittspreise auf ein auskömmliches Niveau hieven. Einmal mehr zeigt sich, dass das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage zu äußerst effizienten Lösungen führt. Wer hätte im letzten Herbst gedacht, dass im Frühjahr 2023 die Energieversorger nach einem winterlichen Neukundenaufnahmestopp auf einmal wieder mit Kampfpreisen werben würden?

Et hätt noch immer jot jejange

§ 3 des Kölschen Grundgesetzes

Natürlich liegt das Energiepreisniveau immer noch deutlich über dem vor Februar 2022 – bei aller Dystopie in Michael Stipes „It’s the end of the world as we know it” liegt aber gerade im Ende des Refrains Hoffnung und Ausblick zugleich: „and I feel fine“. Und wenn nicht „fine“, dann zumindest zuversichtlich.

Tim Jacobsen

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