"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: Europa (Seite 4 von 9)

Wenn einer eine Reise tut …

Mit dem Fahrrad auf dem Weg von Regensburg an die Südspitze des Gardasees müssen nicht nur einige Alpenpässe bezwungen werden, mindestens genauso herausfordernd ist es, die jeweils geltende Coronaregelgebung zu befolgen:

Lautet das Kommando beim ersten Zwischenstopp diesseits der deutsch-österreichischen Grenze sowohl in der Gastronomie als auch im Hotel noch „Halt, erst Maske und Zertifikat oder ich schieße“, wird es hinter dem Achensee dann deutlich entspannter.

Nach mittlerweile mehr als achtzehn Monaten fühlt es sich zwar etwas seltsam an, ohne Maske im Hotel oder auch im Restaurant unterwegs zu sein, die Gewöhnung setzt in Erinnerung an vergangene Zeiten aber verlässlich und schnell wieder ein.

Etwas, was dem leidigen Einmalhandschuhzwang am Frühstücksbuffet etwas weiter nördlich hoffentlich nie vergönnt sein wird. Da zeigt wohl jede und jeder gern das Impfzertifikat.

Südtirol dann mit Maske unter der Nase, keinen Handschuhen  und Zertifikatfreiheit. Einmal über den großen Berg in der Lombardei rutschen die Masken tiefer, Zertifikate interessieren immer noch nicht, dafür wird das Frühstück in staatstragender Strenge zwangsserviert, ein paar Kilometer weiter südlich mahnt dann wiederum nur noch ein Schild an der Wand die Verwendung nicht vorhandener Einweghandschuhe an und Buffet ist wieder Buffet.

Gänzlich entspannt dann das südliche Norditalien: Maske halbhoch und fast schon als lässiges Modeaccessoire, und nicht einmal für den Pool braucht es einen Erlaubnisschein. Mehr Europa der Regionen lässt sich in sechs Tagen nicht erleben.

Tim Jacobsen

And Now for Something Completely Different

Die Zutaten sind eher unspektakulär: vier Lehrer in der Mitte ihres Lebens samt kriselnder und vergangener Ehen sowie der ewigen Sinnfrage. Statt Lehrerbashing oder billigem Klamauk macht Thomas Vinterberg daraus allerdings einen Film, der einen bedauern lässt, nicht fließend dänisch verstehen zu können. Auch wenn „Der Rausch“ weder die kleinen noch die großen Katastrophen des Lebens ausspart: mehr Lebensfreude gab es auf der großen Leinwand lange nicht mehr zu sehen.

Tim Jacobsen

Mehr als nur Tennis

Es fehlte am Mittwoch nur noch ein letzter Volley: Roger Federer hatte wie schon so oft mit schnellen Schritten seine Rückhand umlaufen, danach mit der Vorhand attackiert und war ans Netz gestürmt. Sein Gegner Hubert Hurkacz hatte sich zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich mit dem unausweichlich scheinenden bereits abgefunden – es kam jedoch ganz anders: Federer bekam beim Stand von 2:3 im Tiebreak den heranfliegenden Ball nicht über das Netz, 29 Minuten später hatte er nicht nur den ersten und den zweiten, sondern ohne Punktgewinn auch den dritten Satz verloren.

Der 39-Jährige erlebte am 7.07.21 seinen eigenen, ganz besonderen Federermoment – der so ganz anders als die Federermomente war, die das Publikum von ihm gewohnt ist. Ob Federer dies zum Anlass nehmen wird, sich aus dem Tennissport zurück zu ziehen oder ob er nach den Olympischen Spielen doch noch bei den US Open antritt, wird sich zeigen. Im Interview mit David Foster Wallace erklärte er vor fünfzehn Jahren: „Es ist mein Körper, der entscheidet, wie lange ich spielen werde. Wenn Sie ein bestimmtes Alter erreichen, scheint es, als gäbe es eine Uhr, die die Zeit zählt. Es ist klar, dass früher oder später diese Zeit kommen wird.“

Mit der zweisprachigen Ausgabe von Fosters: „Roger Federer. Eine Huldigung“ erinnert der KIWI-Verlag an die „übermenschliche Karriere“ des Schweizers und erlaubt einen Blick hinter die Kulissen des ältesten und prestigeträchtigsten Tennisturniers der Welt. 112 Seiten kosten 10 € und sind wahrscheinlich eine der letzten Möglichkeiten, auch dem Menschen Federer näher zu kommen und mehr darüber zu erfahren, was ihn antreibt und wie er es schafft, auch in seiner 24. Profisaison die Menschen zu verzaubern.

Tim Jacobsen

“I just thought that’s not difficult. But it’s phenomenally difficult“

Mann muss kein Benzin im Blut haben, um von Top Gear zumindest schon einmal gehört zu haben. Angesichts der, nun ja, eher charismatisch-sperrig, unkonventionell-machohaften Person von Jeremy Clarkson verwundert es nicht, dass dieser irgendwann die brave BBC gegen das quotenhungrige und eher wenig skrupelhafte Prime Video eintauschen musste. Seither darf Clarkson seine etwas aus der Zeit gefallen scheinenden Allüren unter dem Namen The Grand Tour ausleben.

Zu einer Zeit, als Negativzinsen noch kein Thema waren, kaufte Clarkson ein rund 400 ha großes Anwesen in den englischen Cotswolds, das er liebevoll Diddly Squat taufte. Als sich sein Pächter 2019 zur Ruhe setzte, beschloss Clarkson, das Land selbst zu bewirtschaften – und wie könnte es anders sein, sich dabei auch filmen zu lassen. Heraus kam mit Clarkson’s Farm eine Dokuserie zum knuddeln: Eine große Hommage an das Scheitern und vielleicht einer der besten Landwirtschaftserklärfilme überhaupt.

Beim Traktorkauf verschmäht Clarkson den angebotenen Massey Ferguson und lässt sich vom Namen Lamborghini blenden. Schon bald muss er jedoch feststellen, dass dieser Traktor zu groß und das Bearbeiten des Ackers schwerer ist als gedacht. Der Einsatz eines Quadrocopters anstelle des vermeintlich teureren Hütehundes in der Schafszucht bringt nur kurzfristig Erfolg.

Der Besuch eines Hofladens bringt Clarkson auf die Idee, dass so ein Hofladen auch für seinen Betrieb eine gute Idee sein könnte, dieses Unterfangen umzusetzen erweist sich als genauso schwierig wie das Renaturierungsprojekt. Die Corona-Pandemie, sinkende Erzeugerpreise und eine Hitzewelle bereiten das große Finale vor, in dem es dann zur ernüchternden Abrechnung kommt.

Clarkson selbst führt unter den zehn größten Herausforderungen seines ersten Jahres als Farmer acht auch in unseren Breiten wohlbekannte auf: “Weather, weather, weather, weather, Brexit, weather, COVID, weather, weather and sheep would be the 10 biggest problems that we had.” Vergnügliche fünf Stunden Serienmarathon nicht nur für regnerische Tage.

Tim Jacobsen

Eat Them to Defeat Them

In Coronazeiten sind Filme, die als Miniserien feilgeboten werden, keine Außergewöhnlichkeit mehr. Spektakulär ist und bleibt, was die Kollegen von Veg Power und ITV in ihrer Eat Them to Defeat Them-Kampagne auf die Beine stellen. Am 29. Mai 2021 feierte ihr letztes Machwerk im englischen Fernsehen Premiere. In Deutschland zu sehen ist das von Total Produce und einer Reihe großer Einzelhändler wie Sainsbury’s, Asda und Tesco sowie dem Tiefkühlspezialisten Birds Eye gesponserte Medienereignis sowie die Vorgängerclips unter Eat Them To Defeat Them – YouTube (to be played at maximum volume).

Tim Jacobsen

Corona-Pandemie feiert Geburtstag

Als wir uns im Februar 2020 zum ersten Mal Gedanken zur Viruspandemie machten, diskutierten wir auch die Mutationsgefahr, den Trade off zwischen Virulenz und Pathogenität und konnten doch nicht ahnen, dass wir ein Jahr später live, in Farbe und nicht ausgeschlossen am eigenen Leib Zeuge werden, welche Implikationen der evolutionäre Wettlauf zwischen Erreger, in diesem Fall Sars-CoV-2, und Wirt, das wären dann potentiell wir alle, mit sich bringt.

Auch wenn „britische Variante“ irreführend ist, da niemand weiß, wo diese Kombination von 17 Mutationen im Virenerbgut tatsächlich entstanden ist, so hat die Gefahr damit neben der offiziellen B1.1.7 einen eingängigen Namen bekommen. Es scheint, als ob diese Variante die bisher am weitesten verbreitete Variante verdrängt – was bei Evolutionsbiologen unter Fitnessvorteil geführt wird, bedeutet für den normalen Menschen, dass er oder sie sich leichter anstecken kann.

Und das schlägt sich dann in der Reproduktionszahl nieder, was im Umkehrschluss bedeutet, dass sich diese kaum noch unter die von Seiten der Politik geforderten Werte bringen ließe, der Kreislauf aus hohen Fallzahlen, zufällig auftretenden Mutationen sowie der evolutionären Auslese also weiter befeuert würde. Impfstoffe könnten dann paradoxerweise dazu beitragen, den Selektionsdruck zu erhöhen und dadurch an Wirksamkeit verlieren, wenn die Lage nicht schnell unter Kontrolle gerät.

„Wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich einander viel verzeihen müssen“

Jens Spahn

Es ist die Frage, ob angesichts der bspw. auf www.gisaid.org anschaulich gemachten Häufung von Mutationen die bisherigen Bekämpfungsstrategien noch Gültigkeit haben können. Den Königsweg zu kennen, kann niemand behaupten. Vielleicht ist es aber so, dass, statt scheibchenweise den Lockdown zu verlängern, die Wahrheit darin liegen könnte, dass sich das Virus tatsächlich nicht wieder verabschieden wird. Und die eigentliche Frage dann lauten müsste, mit welcher Infektions- und Erkrankungsrate wir zu leben bereit sind – ähnlich wie wir bereit sind, Tote im Straßenverkehr oder an Lungenkrebs Verstorbene in Kauf zu nehmen.

Mit seiner Ende April gemachten Äußerung „wir werden in ein paar Monaten wahrscheinlich einander viel verzeihen müssen“ wird Jens Spahn unbezweifelt in die Pandemieannalen eingehen. Von den Coronatoten sollen in Deutschland im letzten Jahr mehr als die Hälfte Bewohner von Alten- und Pflegeheimen gewesen sein – eine Tragödie, die derzeit ihre Fortsetzung findet. Auch in den Schulen wurden die relativ unbeschwerten Sommermonate nicht dafür benutzt, sich auf die Verschärfung der Lage während der Wintermonate vorzubereiten. Wahrscheinlich hätte auch eine Analyse der Kontaktdaten der ersten Pandemiemonate mehr Hilfreiches ans Tageslicht befördert als die mittlerweile in der Versenkung verschwundene Corona App, ganz zu schweigen davon, dass wir erst gewissermaßen mit einem Jahr Verspätung begonnen haben, auf die Suche nach Mutanten zu gehen.

Bleiben Sie gesund!

Tim Jacobsen

Verbraucheraufklärung statt Frust schieben

Vielleicht ist es ja eine Mentalitätsfrage: heißt es seit Herbst 2019 in Deutschland „Land schafft Verbindung“, heißt es in unserem südlichen Nachbarland schon seit bald zehn Jahren „Land schafft Leben“. Und während die einen in eigener Sache mit möglichst großem Krawall zu Felde ziehen, versuchen die anderen möglichst neutral aufzuklären. Zwar gab es auch in Österreich Bauernproteste, im Frühjahr 2020 zogen rund 3300 Demonstranten mit 1500 Traktoren und dem Slogan „Spar Dir Deinen Geiz“ vor eben genau die Konzernzentrale dieses Lebensmitteleinzelhändlers – die darauffolgende und auch letzte Protestaktion, über die überregional berichtet wurde, war dann allerdings bereits eine Solidarkundgebung für die zuletzt von der Regierung Modi gebeutelten Kleinbauern in Indien Ende 2020.

„Spar Dir Deinen Geiz“

Motto der österreichischen Bauern im Frühjahr 2020

Es wäre allerdings eine müßige Diskussion, zu überlegen, ob die Kolleginnen und Kollegen im Süden generell finanziell besser aufgestellt oder vielleicht doch einfach genügsamer sind – vielmehr müsste die zentrale Frage lauten, warum es nicht auch bei uns ein Onlineinformationsangebot wie das von Land schafft Leben gibt. Geld sollte genug im Umlauf sein, Frau Klöckners sagenumwobene Bauern-Milliarde, die 50 Mio. €, die der eine Discounter erst ausgeblobt hat, dann angesichts des offensichtlichen Widerwillens der Konkurrenz, bei der Scharade mitzuspielen, am liebsten niemals erwähnt hätte – mit Brotkrumen dieser schwindelerregenden Beträge ließe sich bereits der Startschuss für ein solches Verbraucherportal geben. Wie dies dann im Fall von Möhren bspw. aussehen könnte, zeigt sehr anschaulich https://www.landschafftleben.at/lebensmittel/karotte.

Tim Jacobsen

Keine Feier ohne … Julia Klöckner

Der Oktober hatte es in sich: nicht nur ging mit der Landung von Julia Klöckner unser neuer Hauptstadtflughafen in Betrieb, im Gepäck hatte die Landwirtschaftsministerin am 21.10.20 zudem die Verhandlungsposition der EU-Agrarminister zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Zwei Tage später hatte dann auch das EU-Parlament angesichts von knapp 2 000 Änderungsanträgen zwar wahrscheinlich zumindest in so manchem Detail den Überblick verloren, sich dann aber letztendlich doch auch auf eine gemeinsame Linie geeignet.

Den ersten Geburtstag feiern konnte im Oktober „Land schafft Verbindung“. Der Gründungslegende nach hat Julia Klöckner auch in diesem Fall den Startschuss gegeben haben, indem sie in einem Interview zur Nitrat-Richtlinie androhte, Strafzahlungen von der Altersvorsorge der Bauern bezahlen zu wollen, falls die Landwirte nicht mitspielten. Maike Schulz-Broers stieß dies so sauer auf, dass sie die Facebook-Gruppe „Land schafft Verbindung“ (LsV) ins Leben rief, innerhalb weniger als 24 Stunden zählte diese tausende von Mitgliedern.

Zum dritten Mal zum Präsident des Deutschen Bauernverbands (DBV) gewählt wurde ebenfalls im Oktober Joachim Rukwied – wie könnte es anders sein, nach der Videoeinspielung eines Grußwortes von Julia Klöckner. Startete Rukwied seine erste Amtszeit noch mit nordkoreanischen 95 %, waren es vor vier Jahren 89 %, dieses Jahr konnte er gerade noch vier Fünftel der abgegebenen Stimmen auf sich vereinen.

Im Gegensatz zu 2008, als der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter die Gunst der Stunde nutzt und sich neben dem Platzhirsch positionieren wollte, konnte LsV in den letzten zwölf Monaten davon profitieren, dass die Problemlage mit Düngeverordnung, Klimaschutz und Biodiversität sehr viel breiter ist als die eher monothematisch angelegten Milchpreise; und während Facebook deutschlandweit im Jahr 2008 noch bei insgesamt 100 000 Nutzern dümpelte, brachte es LsV innerhalb weniger Monate auf über 30 000 Abonnenten.

Zwar ist dies im Vergleich zu rund 285 000 im DBV organisierten Mitgliedern noch vergleichsweise überschaubar, dass etwas im Gange ist, was sich wie der sprichwörtliche Geist nicht wieder zurück in die Flasche zwingen lässt, zeigt, dass Rukwied in seiner Grundsatzrede zum einen dazu aufforderte, den Altherrenclub DBV zu verjüngen, wobei sich aus Sicht des DBV-Präsidenten davon schon alle unter 40 Jahren angesprochen fühlen dürfen; zum anderen entdeckte Rukwied in Erfurt anscheinend auch das andere Geschlecht und forderte „die Frauen“ auf, sich zu engagieren und im DBV einzubringen.

„Gemeinsam. Europa wieder stark machen“

Das Motto der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ist wichtiger denn je

Als Präsident des Ausschusses der berufsständischen landwirtschaftlichen Organisationen war Rukwied auch an den Verhandlungen zur Gestaltung des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 (MFR) beteiligt, der – und so schließt sich der Kreis – letztendlich Voraussetzung für die Ausgestaltung der GAP ist. Im Juli 2020 einigten sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf einen MFR in Höhe von 1 074,3 Mrd. €; ein Wiederaufbaufonds (NGEU) mit zusätzlich 750 Mrd. € soll helfen, die Coronafolgen zu lindern. Für die erste Säule der GAP sind 356,4 Mrd. € vorgesehen, für die zweite Säule 77,8 Mrd. €. Während die Kombination aus MFR und NGEU von manchem EU-Parlamentarier als „historischer Schritt“ begrüßt wurde, erkannten andere in der Gestaltung des MFRs hauptsächlich die Zementierung eines „weiter so“.

Da nun also sowohl der Finanzrahmen als auch die Positionen von Agrarrat (Sie ahnen es bereits: natürlich unter Vorsitz von Julia Klöckner) und Parlament stehen, geht es in die Trilogverhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Rat. Allzu riesengroß sind die Abweichungen nicht: das Parlament will 30 % der Direktzahlungen an höhere Umweltstandards koppeln – die sog. Eco-Schemes – und eine Umwidmung von 10 % der landwirtschaftlichen Fläche in biodiversitätsfördernde Landschaftselemente. Direktzahlungen sollen bei 100 000 € gekappt werden, außer es kommen mehr als 12 % der Direktzahlungsmittel kleinen und mittleren Betrieben zugute. 35 % der Zweiten-Säule-Mittel sollen für Klima- und Umweltmaßnahmen ausgegeben werden.

Dem Agrarrat hingegen reicht ein verpflichtendes Mindestbugdet für Eco-Schemes von 20 % in insgesamt abgeschwächter Form. Mehr Wahlfreiheit für die Umsetzung höherer Umwelt- und Klimastandards und eine Beibehaltung der in der aktuellen GAP enthaltenen Regelung zu produktionsgekoppelten Beihilfen atmen eher den Geist eines „alles bleibt so wie es ist“. Es wird erwartet, dass der Trilog im ersten Quartal 2021 abgeschlossen werden und die GAP dann ab 2023 greifen kann.

Der Oktober brachte aber nicht nur Entwicklungen mit sich, deren Auswirkungen sich mal mehr, mal weniger direkt bemerkbar machen werden: Die Bundesregierung beschloss Ende am 28.10.20 die stufenweise Erhöhung des Mindestlohns auf über 10 € bis Juli 2022 und das Länderministerkanzlerinnenkabinett (MPK) versetzte wenige Stunden später Veranstaltungsgewerbe, Hotels, Gast- und Sportstätten in einen verfrühten Winterschlaf, aus dem wir Anfang Dezember hoffentlich möglichst zahlreich wieder erwachen. Der Oktober brachte deutschlandweit auch flächendeckend Regen – genügend, um nach der eingangs erwähnten erfolgreichen Eröffnung des Berliner Flughafens auch mit einer guten Nachricht enden zu können.

Tim Jacobsen

AHA

Die Corona-Regeln sind ein Flickenteppich. Und während manche wie Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans ein einheitliches Vorgehen wenn schon nicht Europa-, dann zumindest bundesweit fordern, sprechen sich andere wie Partei- und Amtskollege Rainer Haselhoff gegen starre Regeln aus. Wie so oft, scheint auch in diesem Fall der Mittelweg die beste Lösung: Ein einheitliches Vorgehen sowohl innerhalb Deutschlands als auch in der EU, gepaart mit strengeren Maßnahmen, wenn es das Infektionsgeschehen notwendig macht.

Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, warum das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht EU-weit geregelt wird, genauso wie für Feste und Veranstaltungen standardisierte Vorgaben gelten sollten, die sich für jedermann nachvollziehbar an der Zahl der Neuinfektionen in der jeweiligen Region orientieren. Auch müssen Quarantänemaßnahmen und Testauflagen für Reisende einer klaren Logik folgen, sonst führen sie zu einer frustrierenden Verwirrung bei den Betroffenen. Eines ist klar: Wer beim Regelwerk nicht (mehr) durchblickt, ist eher geneigt, es nicht zu befolgen.

Klar ist auch: Obwohl sich die Vorhersagen der Epidemiologen in so manchem Detail unterscheiden, scheinen zwei Tatsachen unstrittig: das Virus Sars-Cov-2, das Covid-19 verursacht, wird uns auch weiterhin erhalten bleiben. Gleichzeitig wird der Erfolg in der Pandemiebekämpfung maßgeblich auch vom Erfolg der Präventionsmaßnahmen abhängen. Und da scheint einiges in die richtige Richtung in Bewegung gekommen zu sein: die weitgehende Einhaltung der von der Bundesregierung proklamierten AHA-Regeln scheint tatsächlich dazu zu führen, dass allen Lockerungen zum Trotz der Anstieg an Neuinfektionen nicht die prognostizierten Steigerungsraten erreicht.

Eines ist klar: Wer beim Regelwerk nicht (mehr) durchblickt, ist eher geneigt, es nicht zu befolgen

Tim Jacobsen

Im siebten Monat seit Ausbruch der Pandemie in Deutschland ist dies immerhin ein kleiner Lichtschimmer am Horizont, auch wenn höchstwahrscheinlich noch ein sehr langer Weg vor uns liegt. Abkürzen ließe sich dieser nur, wenn je nach Schätzung zwischen 55 und 80 % der Bevölkerung immun gegen das Virus wären, sei es nun aufgrund einer Infektion oder eines Impfstoffs. Aber auch wenn wir von diesen Zahlen noch meilenweit entfernt sind, haben wir es mit „Abstand, Hygiene, Alltagsmasken“ ein zumindest kleines bisschen auch selbst in der Hand, ob die 500 Krankenhausbetten in Messehalle 26 zumindest perspektivisch wieder Platz machen können für eine Grüne Woche mit Publikumsverkehr.

Tim Jacobsen

Wir sind Präsident

Gar nicht so einfach: Selbst Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verwechselte kurz vor ihrer Wahl ins höchste EU-Amt Europäischen Rat und Rat der Europäischen Union und erntete dafür jede Menge Spott. Damit nicht genug, gibt es auch noch den Europarat, der aber ist eine eigenständige Organisation, die mit der EU nichts zu tun hat. Der Europäische Rat hingegen ist das Gremium der Staats- und Regierungschefs, das die ganz großen Linien vorgibt. Der Rat der Europäischen Union sind dann eine Stufe kleiner all die Ministerräte, in denen Gesetzgebung verhandelt und die Politik von 27 Ländern koordiniert wird.

Und da es um EU-Institutionen geht, werden die Verwirrmöglichkeiten weitestgehend ausgeschöpft: Neben einer alle sechs Monate wechselnden EU-Ratspräsidentschaft gibt es seit dem Vertrag von Lissabon auch noch die ständige Präsidentschaft. War Angela Merkel bei ihrem erstem EU-Ratsvorsitz im Jahr 2007 noch `die´ unangefochtene Gipfelhoheit, hat der Europäische Rat nun einen eigenen Ratspräsidenten, auf Donald Tusk folgte zuletzt Charles Michel. Dennoch ist es nicht vermessen, zu behaupten, dass Angela Merkel seit dem 1. Juli 2020 mit dem Vorsitz im Rat der Europäischen Union gewissermaßen die Geschäftsführung Europas innehat. Ein bisschen erinnert das Ganze an eine Hauseigentümergemeinschaft. Jedes halbe Jahr hat ein anderer die Aufgabe, die Arbeiten am und im Haus abzustimmen. Einer will neue Fenster, der andere einen Pool im Garten. Diese Interessen müssen zusammengeführt werden – das beinhält die Ratspräsidentschaft im wesentlichen.

Auch 2007 war die Situation nicht einfach: der mühsam ausgearbeitete Verfassungsvertrag wurde in den Niederlanden und Frankreich abgelehnt und auch vor dreizehn Jahren rätselte die Europäische Union, wie es weitergehen solle. Zwar wurde auch damals in Brüssel schon lange nicht mehr über Gurkenkrümmung diskutiert; von den Krisen, die in den folgenden Jahren die Fundamente Europas erschütterten, fehlte allerdings noch jede Spur: Banken, Finanzen, Griechenland, Euro, Migration, Brexit – das gemeinsame europäische Haus wurde wackeliger und wackeliger. Und als wäre das alles noch nicht Herausforderung genug, erschütterte das Coronavirus die Grundfeste Europas: den Binnenmarkt. 470 Mio. Verbraucher, rein rechnerisch der weltgrößte Markt und dann das: LKW-Staus an den Grenzen, die Unterbrechung von Liefer- und Produktionsketten.

Die Pandemie hat offengelegt, wie fragil das europäische Projekt noch ist

Tim Jacobsen

Gleichzeitig schnürte Deutschland ein Hilfspaket, das die Maßnahmen aller anderen europäischen Länder deutlich in den Schatten stellte. War früher die Rede davon, Deutschland müsse konjunkturell zulegen, um die anderen mitzuziehen, wird jetzt befürchtet, dass es seine Kraft nutzt, um als Klassenprimus aus der Krise zu kommen und dabei alle anderen endgültig abzuhängen. Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conti bat die Deutschen zur besten Sendezeit um Hilfe und auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte in einem offenen Brief `gemeinsam verbürgte Corona-Anleihen´. Die Appelle blieben nicht ungehört, Angela Merkel erklärte unlängst im deutschen Bundestag: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Europäische Union auseinanderdriftet.“

Die wichtigste Aufgabe dabei wird sein, alle 27 Staaten ähnlich stark aus der Corona-Krise kommen zu lassen. Es sind riesige Erwartungen, die auf uns als stärkster Volkswirtschaft ruhen: Wenn es Deutschland als Ratspräsident nicht schafft, die Wirtschaft mit und nach Corona anzukurbeln, wer dann? Am 18. Mai stellten Merkel und Macron ihren gemeinsamen Plan für den europäischen Wiederaufbaufonds vor: 500 Milliarden Euro, die über gemeinsame Schulden finanziert werden sollen. Europa profitiert dabei von der deutschen Kreditwürdigkeit. Manche sehen in Merkels Zustimmung zur Idee, die EU erstmals in großem Stil Schulden aufnehmen zu lassen, eine Parallele zur Entscheidung Helmut Kohls, der Euroeinführung zuzustimmen.

Unstrittig eine Wende, nachdem Deutschland sich zuvor der gemeinsamen Bankenrettung entzogen und bei der Unterstützung Griechenlands zumindest gezögert hatte. Ein Fonds zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit bekam so hohe Zugangshürden, dass das Geld so gut wie ungenutzt blieb – und nun also ein klares Bekenntnis zum Euro und zu Europa. Ob dies der Einstieg sein wird zu einer neuen europäischen Haushaltsfinanzierung, wird die Zukunft zeigen. Der Länderfinanzausgleich sichert ähnliche Lebensverhältnisse in allen Ländern. Die EU könnte ein ähnliches Instrument brauchen, will man die Fliehkräfte wieder einfangen. Die innereuropäischen Unterschiede sind groß: Pro Kopf erwirtschaftet Dänemark 53 000 Euro, die Griechen 17 000 Euro. In Irland sind es 70 000 Euro, in Bulgarien nicht einmal 9000 Euro, in Deutschland 41 000 Euro und in Spanien 26 000 Euro. In Griechenland und Spanien ist fast jeder Fünfte ohne Job, in Frankreich jeder Elfte. Griechenland ist mit 177 % des Bruttoinlandsprodukts verschuldet, vor Corona lag Deutschland unter 60 %.

Vor ziemlich genau 70 Jahren präsentierte Robert Schuman die Idee Jean Monnets im französischen Parlament, die gesamte französisch-deutsche Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Behörde unterzuordnen. Der so genannte Schuman-Plan führte zum Friedensprojekt Europa – wer miteinander Handel treibt, die nationalen Wirtschaften verwebt und Wohlstand schafft, wird sich nicht bekriegen, so kalkulierten die Gründerväter der EU nach dem Zweiten Weltkrieg.

Tim Jacobsen

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