"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: Film

Wir gratulieren!

Zu Zeiten, in denen es Fernsehen nur in der linearen Form gab, war „Unser Land“ zumindest im gärtnerisch-landwirtschaftlich geprägten Oberbayern zur festen Sendezeit freitags um 19:00 eine Art Straßenfeger. Wahrscheinlich war es weniger Wissbegierde, sondern vielmehr pure Neugierde, wer denn in der aktuellen Folge wohl an bekannten Gesichtern auf der Mattscheibe zu sehen sein wird, die die Menschen zum Einschalten bewog. Am 24.10. 1964, also vor ziemlich genau sechzig Jahren, ging das Format erstmals auf Sendung, gewissermaßen als Geburtstagsgeschenk hat die aus dem „Landfunk“ hervorgegangene Redaktion nun einen sehr sehenswerten Dreiteiler in der ARD- und BR-Mediathek zur Verfügung gestellt, der am Beispiel von drei Familien 100 Jahre Landwirtschaftsgeschichte nachvollzieht und wohl niemanden unberührt lässt.

Tim Jacobsen

Clarkson’s Farm revisited

In den vorhergegangenen 16 Episoden war bereits mehr als deutlich geworden, dass Jeremy Clarkson nicht unbedingt als Landwirt auf die Welt gekommen ist. Dass die Diddly Squat Farm dennoch lange genug am Leben blieb, um auch die seit Anfang Mai bei Prime Video verfügbare dritte Staffel fertig drehen zu können, liegt vor allem an der tatkräftigen Unterstützung Clarksons durch seine Freundin Lisa Hogan, den Praktiker Kaleb Cooper, den Theoretiker Charlie Ireland und den Mann für alles Gerald Cooper.

Wem die Reise in die Cotswolds zu weit ist, kann den Diddly Squat Farm Shop auch im Internet besuchen

Clarkson wollte angesichts bescheidener bzw. nicht vorhandener Erlöse hinwerfen, Cooper hatte aber bereits mit der Bestellung begonnen und Ireland Dünger geordert, bevor dieser nahezu unerschwinglich wurde. Und so machten sich die fünf, die unterschiedlicher nicht sein könnten, auf in ein neues Jahr, das im Zusammenschnitt herausfordernder nicht hätte sein können. So viel sei an dieser Stelle in Anlehnung an das Märchen-übliche „und wenn sie nicht gestorben sind“ verraten, Staffel vier wird nächstes Jahr erscheinen.

Tim Jacobsen

Cannabis Legalisierung: kein Ende in Sicht?

Der derzeit wohl interessanteste Beitrag zur Debatte um die bereits erfolgte und dann wieder rückabgewickelte, die anstehende oder wie auch immer Legalisierung von Cannabis stammt vom britischen Kultregisseur Guy Ritchie: Eddie Horniman tritt im Netflix-Achtteiler das Erbe seines Vaters an, der ihm – ganz das Titel gebende „The Gentlemen“ – allerdings nicht nur ein herrschaftliches, leicht baufälliges Anwesen inklusive Finanzprobleme vermacht hat, sondern auch eine riesige Cannabis-Plantage. Ganz unverhofft gerät Eddie so in Kontakt mit der Londoner Unterwelt, die er mit seinen eigenen Waffen schlagen und sich aus den Geschäftsbeziehungen zurückziehen will.

Soweit der Plan, mit der Zeit findet der Aristokraten-Sohn allerdings Gefallen am Gangster-Dasein.  So flott, wie sich die Handlung in wenigen Worten erzählen lässt, so turbulent, rasant und voller Irrungen und Wirrungen stellt sich das Ganze dann am Bildschirm dar. Natürlich endet der Schlamassel dann auch anders, als wie wo man denkt. Nur wenige Tage nach der Weltpremiere laufen die sozialen Medien heiß mit Spekulationen darüber, wie das in Staffel 2 weitergehen könnte. Wem acht Folgen als Einstieg erst einmal zu lang sind, kann auch mit dem gleichnamigen Spielfilm aus dem Jahr 2019 beginnen, wird dann aber unweigerlich am Ende der achten Folge landen.

Tim Jacobsen

Der Mörder ist immer der Gärtner?

Von wegen Spießerparadies: eine Kleingartenparzelle, ohne die es keine deutsche Wiedervereinigung gegeben hätte wird zur Operationsbasis eines Terrornetzwerkes und irgendwie erinnert alles gleichzeitig auch noch an die aktuelle geriatrische Linksterroristengroßfahndung: In einem top gepflegten Schrebergarten kippt erst eine Pächterin um, wenig später liegen noch zwei Nagetiere neben ihr. Und so viel sei an dieser Stelle verraten: in dem Mitte März erst-ausgestrahlten Tatort werden das lange nicht die einzigen Toten sein, und das mit der Strahlung wird auch noch eine Rolle spielen.

Wer am 17.03.2024 keine Zeit hatte, findet den sehr sehenswerten Münsteraner Tatort noch bis zum 17.03.2025 in der ARD Mediathek

Misstrauisch könnte man schon werden, angesichts von Schwarzer Tollkirsche, Herbstzeitlose und Engelstrompeten im Garten ist Boernes Reaktion „Hat diese Dame irgendwas angepflanzt, was nicht tödlich ist?“ durchaus verständlich. Und auch im vielleicht schönsten Dialog des klassischen 90-Minüters steckt viel Wahrheit: „Überfallen im Schrebergarten? Das waren einmal proletarische Oasen hemdsärmeliger Kameradschaft, wo fleißige Arbeiter liebevoll Spalierobst schnitten und dem kargen Boden die Rüben für den abendlichen Eintopf abrangen. Und was ist heute los? Da sind irgendwelche Wohlstandsverwahrlosten und betreiben Urban Gardening.“

Thiel: „Sie überraschen mich doch immer wieder, Boerne. Dass ausgerechnet Sie sich zum Fürsprecher des kleinen Mannes aufschwingen.“ Boerne: „Wenn der kleine Mann weiß, wo seine Scholle endet, dann hat der große Mann auf dem Golfplatz des Lebens seine Ruhe.“ Kein Vorurteil wird in diesem Tatort ausgelassen, in dem stockbiederen Paradies verwandelt sich so manch ein Verdächtiger entweder zur Leiche oder zum harmlosen Schmuckkörbchen-, Möhren- und Kopfkohlzüchter. Die Suche nach dem Täter bleibt spannend und flach ist höchstens das Gemüsebeet.

Tim Jacobsen

Ein ganzes Leben oder Landwirtschaft 1.0

Was anderswo und zwar durchaus in sehr vielen Teilen der Welt heute noch gang und gäbe ist, ist auch bei uns noch gar nicht so lange her: Landwirtschaft als eine Plackerei von früh bis spät mit insgesamt eher ungewissem Ausgang. Und so setzt einen das Filmplakat zu Hans Steinbichlers Verfilmung von Robert Seethalers Bestseller „Ein ganzes Leben“ auf die falsche Fährte, schließlich geht es darin eben nicht um die darauf abgebildete Schönheit der Berge oder ein dem entschlossenen Gesichtsausdruck des Hauptdarstellers entsprechendes alpinistische Rekordstreben, sondern eher ziemlich genau eher um das Gegenteil davon. Oder wie Regisseur Hans Steinbichler die Wahl der die Panoramen beschneidenden Kameraperspektive erklärt: Es sei ein relativ neues Phänomen, dass der Blick in den Bergen nach oben gehe. Schließlich seien von oben seit jeher eher die Unglücke herabgekommen – dagegen hätte im direkten Blickfeld vor einem die nie enden wollende Arbeit gelegen.

Wie ein Koffer wird die Hauptfigur Andreas Egger im Film in dieser Bergwelt abgestellt. Wir dürfen ihm dabei zusehen, wie er trotz Entbehrungen, Schicksals- und anderen –schlägen ein kleines Stück vom Glück findet, nur um es kurz darauf wieder zu verlieren. Er erlebt die Elektrifizierung seines Tals, überlebt Krieg und Gefangenschaft, hilft unter Einsatz seines Lebens dabei, die Berge touristisch zu erschließen und hat wahrlich allen Grund, am Ende seines Lebens müde zu sein. Dennoch, und das macht diesen Film gerade in der Weihnachtszeit so außergewöhnlich sehenswert, resümiert er sein Leben am Ende: „Wenn ich nicht so müde wäre, könnte ich lachen vor reinem Glück.“ Auf die Frage, was denn Seethaler von dem Ganzen halte, antwortete Steinbichler, dass bei der Premiere drei Tage zuvor Seethaler eben genau dies gefragt wurde und er darauf geantwortet hätte, dass er wohl als Einziger den Film nicht gesehen habe.

Tim Jacobsen