"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: Klima (Seite 1 von 3)

Gute Stimmung auf dem Möhrenforum 2025

Streng genommen hätte rein rechnerisch 2025 das achte Möhrenforum stattfinden müssen. Eine Pandemie sowie eine Möhrenforumssommeredition später war es dann aber tatsächlich erst Nummer sieben, die uns ins zwar nicht verschneite, aber dennoch leicht angepuderzuckerte Leverkusen brachte, genauer gesagt mitten rein ins Herz des deutschen Triplechampions.

Denn die Baumeister der Bayarena hatten inmitten der Nordtribüne, Heim der Ultras und sonstigen Diehard-Fans des Fußballbundesligateams mit dem Weltkonzern im Namen extra eine kleine Logenreihe ausgespart, die an Tagen ohne Spielbetrieb vom rheinländischen Ableger der im Stadionrund befindlichen, kurz vor Weihnachten allerdings in Konkurs gegangenen Hotelkette für Tagungsveranstaltungen genutzt wird.

Und so passten die gut 80 Teilnehmer samt dem Auftritt unserer Platinsponsoren Bayer, Basf, Bejo, Escarda, Hazera und Rijk Zwaan dann auch gerade so in den Tagungssaal mit Blick auf das Allerheiligste, den Leverkusener Rasen, der im Rahmen der den ersten Veranstaltungstag beschließenden Stadionführung, die nichts weniger als den Headgreenkeeper aufbot, nicht nur in Augenschein genommen, sondern auch betreten werden konnte. Ein Umstand, der unseren Stadionführer zum Kommentar verleitete, dass er dies in mehr als zehn Jahren wenn überhaupt nur einmal erlebt hätte.

Aber auch wenn die Geschichte des Möhrenforums mittlerweile fast eineinhalb Jahrzehnte umfasst, waren nicht nur die Sponsoren aus der Saatgutindustrie seit 2011 als zuverlässige und unverzichtbare Partner alle Jahre wieder mit an Bord, auch ein knappes Viertel der Teilnehmer hätte für einen lückenloses Teilnahmenachweis eigentlich eine Ehrennadel verdient gehabt. Wir werden diese zur zehnten Auflage des Möhrenforum in voraussichtlich sechs Jahren dann nachreichen.

Und was mit der Bayarena unweit des Bayer-Kreuzes, immerhin der größten Leuchtreklame weltweit begann, fand dann mit dem zweiten Veranstaltungstag sein Ende am Sitz der Crop Science Division der Bayer AG in Monheim am Rhein. Maren Schlichting-Nagel und Judith Imnadze-Wehr stellten, orchestriert von Heinz Breuer und Tim Pauli, im Rahmen einer Führung über das weitläufige Werksgelände die Bereiche Substanzlogistik, Insektizide, Applikationstechnik sowie das SeedGrowth Center vor.

Am Nachmittag zuvor gab es noch das eine und andere zu erleben, und damit ist nicht unbedingt nur das Workoutangebot von Jerrek Tebling gemeint, das den eher technisch gehaltenen zweiten Vortragsblock vom eher Pflanzenschutz-orientierten ersten Teil mit den beiden Möhrenkoryphäen Frank Uwihs und Gerd Sauerwein trennte. Bei Christoffel den Herder waren dann schon mehr Traktoren und Holzkisten zu sehen, bei Daniel Pitton flogen die Möhren im wahrsten Sinne des Wortes durch die Sortierung und Judith Dittrich machte vor der Kaffeepause noch Appetit auf den Möhrendreiteiler des Arbeitskreises Möhren.

Muhammed Sidi ließ, während der Stadionrasen trotz früh einsetzender Dämmerung noch hell erleuchtet war, keine Zweifel daran aufkommen, dass Escardas Laser-basierte Unkrautbekämpfungslösung schlichtweg unübertroffen ist. Jeroen Veldman schickte seine Odd.Bot-Flotte auf den Weg und Lena Pollul sowie Tim Boenigk wagten zwar keinen Blick in die Kristallkugel, attestierten der laufenden Möhrensaison für sowohl Bio- als auch konventionelle Ware allerdings ein durchschnittliches Preisniveau mit einem sehr stabilen Preisniveau über den Herbst und leichten Preisaufschlägen – die hoffentlich einen Trend eingeleitet haben, der sich weiter fortsetzt!

Tim Jacobsen

Beruf Gärtner. Der Zukunft gewachsen

Die Älteren unter uns können sich noch erinnern: am ersten Tag des Jahres 2000 drohte der Weltuntergang, weil überfleißige Programmierer übersehen hatten, dass mitunter ja auch einmal ein Jahrtausendwechsel anstehen könnte. Danach entwickelte sich das Jahr 2030 zum neuen Sehnsuchtsziel und so verabschiedeten die Vereinten Nationen noch im Jahr 2015 eine Agenda 2030, wohlwissend oder besser hoffend, dass in 15 Jahren eine Menge passieren kann.

Zur Halbzeit Richtung 2030 war das Fazit dann allerdings mehr als ernüchternd: angesichts von Kriegen, Pandemien, der Erderwärmung und einem augenscheinlich viel zu oft fehlenden politischem Willen werden wir wohl keines der darin formulierten 17 Ziele auch nur annähernd erreichen.

Dringend Zeit für eine neue Messlatte und da wir uns ja gerade mit Riesenschritten in Richtung stille Zeit und dem dazu gehörenden „wünsch Dir was“ begeben, wollen wir uns einmal in das fern klingende, in Wahrheit aber auch nur 300 Ausgaben des Gartenbau-Profis entfernte Jahr 2050 begeben. Steilvorlage könnte das „Maßnahmenpaket Zukunft“ sein, dass „der Gartenbau“ gewissermaßen als erledigte Hausaufgabe im Frühjahr 2024 „der Politik“ überreichte.

Allerdings krankt das Maßnahmenpaket, wie schon der Zukunftskongress zwei Jahre zuvor, daran, dass die Zukunft selbst darin etwas zu kurz kommt. Zugegebenermaßen ist das mit der Zukunft und wie sie aussehen wird, ja auch so eine Sache. So wie wir heute Gewächshäuser aus den1980er Jahren zuweilen belächeln, werden wir im Jahr 2050 wahrscheinlich auf Produktionsstätten schauen, die heute den Stand der Technik markieren. „Aus einer anderen Zeit“, „am falschen Fleck“ und überhaupt „von Innovation kaum was zu sehen“, könnte unser Urteil dann lauten.

Wobei es auch 2050 noch diejenigen geben wird, die das ganze moderne Zeug verteufeln und einfach nur in Ruhe ihr Ding machen wollen, genauso wie es auch diejenigen geben wird, denen alles gar nicht schnell genug gehen kann und die gedanklich schon wieder ein Vierteljahrhundert weiter sind.

Und natürlich ahnten auch die Dinosaurier nicht, dass ausgerechnet ein Asteroideneinschlag ihrer Vorherrschaft ein Ende bereiten könnte – genauso wenig war Ende Oktober der Wahlausgang in den USA absehbar oder hätte vorweihnachtlicher Frieden die Brandherde des Nahen Ostens, des Ostchinesischen Meers, in Myanmar, Ost- und Westafrika oder der Ukraine gelöscht.

Dennoch könnte es durchaus so sein, dass sich der Produktionsgartenbau bis 2050 in eine wahrhaft nachhaltige Richtung entwickelt. Dies sowohl was die finanziellen Aussichten als auch was die heute bereits vielfach diskutierten Nachhaltigkeitsaspekte wie Klimaresilienz und dem Anforderungskatalog des in Zukunft noch deutlich wichtiger werdenden Prädikats „gut für Mensch und Umwelt“ angeht.

Anzeichen hierfür sind im hier und jetzt bereits erkennbar: Nahrungsmittelskandale werden auch in Zukunft nicht ausbleiben und das Insektensterben wird über kurz oder lang zu einer deutlichen Abnahme von Wildvögelpopulationen führen – zwei der Entwicklungen, die zu einem endgültigen Gesinnungswandel weg von „Geiz ist geil“ beitragen könnten. Eher aktivistisch veranlagte Grundbesitzer könnten (wie bspw. bereits in Dänemark zu beobachten ist) zunehmend strikte Bedingungen an die Art der Bodennutzung stellen.

Produzenten und Konsumenten nähern sich nach Jahren der Entfremdung wieder an, ihr Schulterschluss sorgt dafür, dass die Gesetze des Marktes ein Stück weit ausgehebelt werden. Auch wenn Energie in Zukunft tatsächlich ohne Preiskärtchen verfügbar sein könnte, wird die Konkurrenz in den klassischen Handelskanälen nicht unbedingt kleiner, da die heutzutage noch aus produktionstechnischer etwas rückständigen Standorte aufholen werden.

Angesichts strengerer Regelauslegung zugunsten von Umwelt und Klima werden Flächenausweitungen eher ein Geschäftsmodell der Vergangenheit sein und Formen der solidarischen Landwirtschaft eher der Regelfall werden. Gleichzeitig könnte es aus einer ganz anderen Ecke zu einem Nachfrageschub kommen:

Wenn Prävention immer wichtiger wird und die Gesundheits-Apps Burger verbieten, steigt zwangsläufig der Obst- und Gemüseverbrauch. Ähnlich wie schon beim CO2-Fußabdruck wird das True Cost Accounting bei Nahrungsmitteln gang und gäbe. Block Chain-Technologie sorgt für Transparenz; Zucker, Alkohol und all die anderen schönen Dinge werden schlimmer besteuert als Zigaretten heutzutage.

Mit diesem Geld wird ein Gesundheitsfonds eingerichtet, der dann wiederum die Folgen des übermäßigen Konsums allem Ungesundens kostenmäßig auffängt. Big Data sorgt für individualisierte Diätpläne und eine Vielzahl strategischer und organisatorischer Allianzen sorgt dafür, dass die Unterschiede zwischen Eigentümer, Stakeholder, Produzent und Konsument verschwimmen, genauso wie die zwischen Gartenbau, Tierhaltung und Ackerbau, der Anzucht von Algen, Pilzen und Insekten.

Technologischer Fortschritt sorgt für die Wiedergewinnung von Nährstoffen, Durchbrüche in der Gentechnik optimieren die Fotosynthese. Bodengebundene Produktionsverfahren gibt es kaum noch und dann haben wir es ja noch gar nicht darüber gehabt, welchen Einfluss Künstliche Intelligenz in Kombination mit Robotik und Prozessautomatisierung auf unser Leben in 25 Jahren haben könnten.

Tim Jacobsen

Risikoabsicherung nützt uns allen

Gut 30 m hoch ist der Weihnachtsbaum, mit dem Uli Hoeneß nach einem Jahr Energiekrisenpause zuletzt erneut das Tegernseer Tal erleuchtete. Da sich zu dieser Zeit bereits ein wenig erfolgreicher Fußballsaisonverlauf andeutete, brauchte er für den Spott nicht zu sorgen. Dazu kam, dass fast frühlingshafte Temperaturen weiße Weihnachten verhinderten, anders dann vier Monate später, als der April mehr oder weniger in einem Schneechaos endete.

Ende Mai kam angesichts von mancherorts bis zu 50 cm Hagel nicht nur der Verkehr im Voralpenraum zum Erliegen, auf Rekordniederschläge folgten Jahrhunderthochwasser, besonders im Donaugebiet. Anders in den Jahren zuvor: Zwischen April und August 2018 regnete es in weiten Teilen Deutschlands kaum. Auch in den Folgejahren war es vielerorts zu trocken.

Klimawandel gibt es schon immer, nur jetzt halt nicht länger in der Form „1934 und dann erst 1974 wieder einmal ein zu warmer Winter“

Vorausgegangen waren ein extrem nasser Herbst und Winter, die dazu führten, dass die Ernte von späträumenden Kulturen, wenn überhaupt, nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden konnte und die Herbstbestellung mit Raps und Wintergetreide vielfach unmöglich war – eine Gemengelage, die dem einen und anderen aus der jüngsten Vergangenheit durchaus bekannt vorkommen dürfte.

Der Dürresommer und die starke Ausweitung des Anbaus von ertragsschwächeren Sommergetreiden führten dann in Folge zu erheblichen Ertragseinbußen, am meisten litt darunter der Futterbau. Um in den Veredlungsbetrieben Kosten zu senken, wurden vermehrt Rinder zur Schlachtung gegeben, Bund und Länder stellten Hilfsgelder für die Landwirtschaft bereit.

Das vom Staat in solchen „Katastrophenjahren“ bereitgestellte Geld ist meist aber nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein; gleichzeitig sind die größten Profiteure oftmals diejenigen, die am wenigsten zur Risikovorsorge unternommen haben. Nicht vergessen werden sollte auch, dass angesichts klammer Haushalte staatliche Ad-hoc-Hilfen zukünftig auch eher die Ausnahme als die Regel sein werden.

Auch Zwischenfruchtanbau, konservierende Bodenbearbeitung, Verbesserung der Wasserhaltefähigkeit des Bodens, effiziente Bewässerungs- und Frostschutztechnik und ausreichend dimensionierte Dränung tragen dazu bei, Risiken zu minimieren, die Gefahr eines Ernteverlusts können sie jedoch nicht ausräumen.

260 Jahre nach der Gründung des weltweit ersten Brandversicherungsvereins in den Elbmarschen begann die Mecklenburgische im Jahr 1797, Hagelversicherungen anzubieten, ein erster Schritt in Richtung bessere Absicherung von Flächen und Kulturen gegen witterungsbedingte Gefahren. Unsere Vorreiterrolle in der Risikovorsorge haben wir jedoch verloren:

Während fast alle EU-Staaten ihren Gärtnern und Landwirten einen Zuschuss zu den Prämien für Versicherungen gegen Dürre, Starkregen, Sturm oder Frost zahlen, wird eine solche Förderung in der Bundesrepublik nicht flächendeckend angeboten. Knapp zwei Drittel Prämienzuschuss sollen es in Frankreich und Polen sein.

Auch in den Benelux-Staaten, Italien, Spanien und Portugal sowie weiteren mittel- und osteuropäischen Ländern wird die Risikoabsicherung stark alimentiert. Dementsprechend stark nachgefragt ist dieses Instrument des Risikomanagements dann auch in diesen Ländern.

Bereits 2019 forderte die Agrarministerkonferenz „einen Prämienzuschuss insbesondere für Sektoren und Risiken vorzusehen, in denen noch kein für die Betriebe wirtschaftlich tragbares Versicherungsangebot am Markt ist oder große Wettbewerbsunterschiede innerhalb der EU bestehen“.

Obwohl die Gemeinsame Agrarpolitik eine Förderung von Mehrgefahrenversicherungen ausdrücklich vorsieht, entstand statt eines großen nationalen Wurfes ein kleinstaatlicher Flickenteppich an Fördertatbeständen. Dabei wäre der finanzielle Aufwand für eine bundesweite Lösung überschaubar:

Die Kosten für eine um die Hälfte bezuschusste Mehrgefahrenversicherung für Ackerkulturen soll bei einem kleinen dreistelligen Millionenbetrag liegen. Kling nach viel Geld, gerade auch in Zeiten, in denen der Bundeshaushalt ein großes Streitthema ist. Dabei geht es dem Fiskus gar nicht so schlecht:

Die Steuereinnahmen steigen immer weiter, schneller sogar als die Preise und auch schneller als das, was Deutschland erwirtschaftet. Allerdings ist das Ganze dann ein bisschen „wie gewonnen, so zerronnen“: die maroden Schienen der Bahn, unsere fehlende Kriegstüchtigkeit, die auf Subventionen beruhende Energiewende und dann natürlich die Schuldenlast, die sich in Zeiten steigender Zinsen verstärkt bemerkbar macht – und schon fehlen 25 Mrd. €.

Die viel zitierten Radwege in Peru werden den Haushalt dabei genau so wenig retten wie Kürzungen bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Rund 130 Mrd. € kostet es uns, dass Menschen Renten bekommen, ohne selbst eingezahlt zu haben. Das Bürgergeld liegt mit allem, was dazu gehört, bei rund 40 Mrd. €. Richtig viel Geld also.

Verständlich aber auch, dass schon die Erwähnung des K-Wortes Menschen auf die Barrikaden bringt. Wie aber weiter? Die Vermögenssteuer, den Spitzensteuersatz, die Einkommenssteuer oder doch lieber die Mehrwertsteuer erhöhen? Es gäbe noch einen anderen Weg: Was, wenn wir, statt Abgaben zu erhöhen, doch einfach wieder die Wirtschaft in Gang brächten?

Man mag über die Merkeljahre denken, wie man will. Den ersten ausgeglichenen Haushalt seit 1969 im Jahr 2014 haben wir Wolfgang Schäubles Mutter, einer „schwäbischen Hausfrau“ zu verdanken.

Ich bin mir sicher, dass Gertrud Schäuble im Sinne ihrer kolportierten Vorstellungen zur Führung solider Privathaushalte, die unter Finanzminister Schäuble dann Staatsräson wurden, für eine einheitlich flächendeckende Bezuschussung einer Risikoabsicherung zur Zukunftssicherung unserer Betriebe plädiert hätte. Fördern und Fordern einmal anders.

Tim Jacobsen

Was bei einem Besuch der BUGA vielleicht nicht direkt auffällt

Es ist ein bisschen Vergangenheit und Zukunft, ein bisschen Barock und Postmoderne. Auch wenn das Kerngelände der BUGA 23 die Konversionsfläche rund um die ehemalige Spinelli-Kaserne ist, einst von der deutschen Wehrmacht als Pionierkaserne und nach dem Zweiten Weltkrieg von den US-amerikanischen Streitkräften als Lager genutzt, entspricht der Luisenpark in unmittelbarer Innenstadtnähe wohl eher dem, was typisch Landfrauenausflug von einer Bundesgartenschau erwartet wird.

Oder vielleicht besser erwartet wurde – schließlich war der Luisenpark auch bei der 1975er BUGA in Mannheim einer der Publikumsmagnete. Dennoch oder vielleicht auch gerade deswegen ist es wohl die vom Luisenpark bequem mit einer Seilbahn erreichbare Brachfläche auf der anderen Neckarseite der Teil der BUGA 23, der wohl am Deutlichsten in die Zukunft weist. Und das hat zwar nicht alles, aber sehr viel mit La Canicule zu tun, der 2003er Hitzewelle mit vermutlich 70 000 Toten in Westeuropa.

In letzter Essenz führte die Hitzekatastrophe zum Mannheimer Hitzeaktionsplan. Deutlich mehr Bäume und Trinkwasserbrunnen waren die Folge, auch die gerade viel und allerorten zitierte Schwammstadt hielt Einzug. Das Ganze hatte keine unmittelbaren Effekte – oder, wie das in Klimafragen oft so ist, wäre es anders vielleicht noch schlimmer gekommen: 2022, also vor nicht allzu langer Zeit und immerhin 19 Jahre nach der 2003 Hitzewelle war Mannheim einmal mehr die wortwörtlich heißeste Großstadt Deutschlands.

Die diesjährige BUGA markiert nun, weitgehend unbemerkt, mit der Vollendung des offiziell Grünzug Nordost genannten Plans, durch die Entsiegelung und Räumung des ehemaligen Kasernengeländes einen weiteren Meilenstein zur Verbesserung der klimatischen Situation in der quadratisch-praktischen, aber auch sehr schlecht durchlüfteten Stadt: 62 ha Fläche wurden entsiegelt, neue Grünflächen entstanden, klimaresistente Pflanzen wurden angepflanzt und nach ersten Messungen war es auf dem Kasernengelände ist es nach der ökologischen Konversion in den Nachtstunden nun tatsächlich rund vier Kelvin kühler.

Tim Jacobsen

WeGrow macht Namensclaim wahr

Eine Erfolgsgeschichte aus dem Rheinland, die beweist, dass Gutes zu tun nicht unbedingt ausschließen muss, damit auch Geld verdienen zu können: Es ist gerade einmal gut zehn Jahre her, dass Allin Gasparian und Peter Diessenbacher mit einer kleinen Heerschar von Kommilitonen rund 4000 Setzlinge ihres NordMax21® auf einem gut sechs Hektar großen Acker in Sankt Augustin-Birlinghoven pflanzten.

In den Folgejahren entwickelte sich die Kiribaumplantage besonders zur Blütezeit zu einem Anlaufpunkt für Hobbyfotografen und Selbstdarsteller, aber auch die nüchterne Wissenschaft zeigte sich begeistert sowohl von der Geschäftsidee als auch dem Wachstum der Bäume. Nicht umsonst nennt Diessenbacher „seine“ Blauglockenbäume die am „schnellsten wachsenden Bäume der Welt“, allein im Pflanzjahr sind bis zu fünf Meter Höhenwachstum möglich.

Aufmerksam gemacht wurden Gasparian und Diessenbacher auf die Wachstumrakete von einem Mitarbeiter des Botanischen Gartens der Universität Bonn, fast augenblicklich wurde aus ihrer Studentenbude eine Züchtungs- und Anzuchtstation für Kreuzungen verschiedener Paulownia-Arten. 2009 kam es zur Ausgründung, seitdem macht WeGrow auch als Firmengruppe den Namensclaim wahr: in weniger als 20 Jahren von der Fensterbank auf mehr als 120 Mitarbeitende und Geschäftspartner in 37 Ländern.

Letzten Donnerstag nun der große Augenblick: Gasparian und Diessenbacher konnten ihre erste „richtige“ Ernte einfahren: Die Bäume hatten in gut zehn Jahren eine Höhe von 20 m mit einem Stammumfang von 40 cm erreicht. Das hochpreisige Paulowniaholz zeichnet sich vor allem durch sein geringes Gewichtes aus und findet hauptsächlich in der Möbel-, Holzwerkstoffindustrie und beim Bau von Musikinstrumenten sowie Sportgeräten Verwendung.

Der Anbau von Kiriholz ist dabei keine Raketenwissenschaft, wie Diessenbacher erklärt: „Damit Ihre Kiribaum-Plantage erfolgreich wächst, liegt der Schlüssel in der Auswahl des richtigen Plantagenstandortes. Hinsichtlich der klimatischen Bedingungen der Plantage sollten die Temperaturen nie unter -22°C fallen oder für einen längeren Zeitraum höher als 45°C sein.“ Das dürfte für weite Teile Deutschlands zutreffend sein.

Diessenbacher weiter: „Sollte während der Wachstumsphase nicht mindestens 600 mm – 800 mm am besten gut über das Jahr verteilter Niederschlag fallen, sollte über künstliche Bewässerung nachgedacht werden. Paulownia-Plantagen benötigen für das optimale Wachstum zudem einen sandig-lockeren, salzarmen Boden möglichst ohne Staunässe, dessen pH-Wert zwischen 4,7 und 8,3 liegen sollte.“

Volkswirtin Gasparian und Agraringenieur Diessenbacher ergänzen sich beruflich auf das Vortrefflichste und so bleibt dann auch niemand die nackten Zahlen und Daten schuldig.  Auf mehr als 500 ha entstanden Gasparian zufolge in den Jahren seit 2012 in Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommer und Spanien Kiri-Plantagen – in Eigenregie oder im Kundenauftrag: „20 000 t CO2 binden diese Bäume rein rechnerisch im Jahr.“

Ebenfalls nicht ganz unerheblich: „Der Jahresumsatz der WeGrow AG lag 2022 bei rund 3,5 Mio. €.“ Wer nun Lust bekommen hat, ebenfalls von der Nachfrage nach dem „Aluminum der Hölzer“ profitieren zu wollen, sollte die Kontaktmöglichkeiten auf www.wegrow.de/ näher studieren – nicht geplant war, dass passend zur ersten Ernte unsere Bafin den Wertpapierprospekt der WeGrow AG freigab und sich noch bis Ende April für alle ohne die entsprechenden Hektar Aktien der WeGrow AG zum Vorzugspreis zeichnen lassen.

Tim Jacobsen

Hoffnung in Sicht?

In den letzten Wochen gab es manchmal Tage, da habe ich mir beim zu Bett gehen gedacht: Eigentlich ganz gut, dass heute wieder einmal keiner eine Atombombe gezündet hat. So richtig Spaß macht das alles nicht mehr und da passt dann ganz gut zum allgemeinen Stimmungsbild, dass der allerletzte Coronaschreck Höllenhund heißt.

Zwar schreitet die Legalisierung von Marihuana mit Riesenschritten voran, ob das dann aber helfen wird, die Energiepreis-heiß-gelaufenen Gemüter zu kühlen, bleibt fraglich und so doppel-wummst Bazooka-Kanzler Scholz munter vor sich hin. Ähnlich wie beim Tankrabatt und dem Neuneuroticket geht die Bundesregierung irgendwie davon aus, dass wir irgendwann einmal wieder eingelassen werden ins Energiepreisparadies.

Fluktuationen an den Energiemärkten gab es zwar schon immer und wird es sicherlich auch in Zukunft geben, Prognosen, die eine Wiederannäherung an das Preisniveau vor dem 24.02.2022 vorhersagen, haben allerdings einen dermaßen hohen Seltenheitswert, dass sie begierig von den Medien aufgegriffen werden, da in der allgemeinen Aufregung auf alles geklickt wird, was nur ein Fünkchen Hoffnung verspricht.

Aber auch unsere zukünftigen Handelspartner sind nicht ohne und können rechnen. Ist dann der Oktober eigentlich viel zu warm, stauen sich die Schiffe an den LNG-Terminals und auf einmal sind zwar die Erdgaspreise sogar negativ, aber die Krise noch lange nicht vorbei.

Derweil wachsen die Schuldenberge und der Schatten, der auf zukünftige Generationen fällt, wird länger und länger. Und sollten 20 °C plus Anfang November eigentlich Alarmsignal genug sein, braucht es Sekundenkleber, befahrene Straßen, Tomatensuppe, Kartoffelbrei und Gemäldegalerien, um auf das eigentliche Drama, das sich gar nicht so im Verborgenen abspielt, aufmerksam zu machen.

Ein Teil des Hamburger Hafens geht an China; auch Schröder wischte seinerzeit ministerielle Bedenken beiseite und trug wesentlich zur jetzigen misslichen Lage bei. Parteikollegin Esken löscht ihr Twitterprofil, da ihr die missliebige Kommentierung zu viel wurde.

Noch einmal 192100 Schuss Munition, zwei Überwasserdrohnen, vier Panzerhaubitzen und zwei Mehrfachraketenwerfer gingen in der vorletzten Oktoberwoche an die Ukraine und selbst wenn der Vergleich hinken mag: Im September 2022 wurden weltweit allein rund 192700 Personenkraftwagen der Marke Mercedes-Benz verkauft, das macht mehr als 6400 Autos am Tag.

An der Antwort auf die Frage, wie das nun alles weitergehen soll, zerbrechen sich gerade so einige den Kopf: Steinmeier stimmte Deutschland zuletzt auf „raue Jahre“ ein, die Friedensdividende sei aufgebraucht – neben der unilateralen Abrüstung Deutschlands meinte er damit wahrscheinlich auch die Jahr für Jahr zuverlässig erzielten Exportrekordüberschüsse, die wir neben dem deutschen Ingenieursgeist vor allem auch Putins Billigenergie zu verdanken hatten.

Blenden wir einmal kurzfristige Effekte aus, die im Einzelfall tragische Schicksale mit sich bringen werden, gehen Agrarökonomen im Allgemeinen davon aus, dass der Einfluss des Krieges in der Ukraine auf das Wohl und Wehe der Landwirtschaft hierzulande überschaubar bleibt. Dies liegt vor allem daran, dass Agrarexporte weitgehend von den Sanktionen ausgenommen sind, der Welthandel also auch zukünftig Preisausschläge abpuffern wird und wir zudem kaum abhängig von ukrainischen Agrarexporten sind.

Der viel diskutierte Anbau von Ackerkulturen auf Stilllegungsflächen wird nach Ansicht der Experten alles andere als Kriegs-entscheidend sein – dies liegt nicht zuletzt aber auch in der Natur der Sache, da diese Flächen ja auch nicht umsonst stillgelegt wurden. Ob die EU-Hilfsfonds über kurzfristige Entlastung hinaus auch mittelfristig Wirkung zeigen, ist derzeit noch nicht abschätzbar. Wissenschaftlich belegbar ist dagegen ein mittelfristiges Einpendeln der Energiepreise auf etwa 20 % über dem Preisniveau vor der russischen Ukraineinvasion.

Und da gilt es dann doch einmal etwas genauer hinzuhören, schließlich steigen nicht nur die Diesel-, Benzin-, Gas- und Strompreise. Dünger, Agrarchemie und eigentlich so gut wie alles andere wird teurer. Allerdings werden den Analysten zufolge auch die Preise für Agrarprodukte und Nahrungsmittel steigen, was zum einen auf Produzentenseite zwar den Preisanstieg auffangen könnte, zum anderen aber über die Preisinflation bei Nahrungsmitteln dann negative Effekte auf die Wirtschaftsdaten haben wird.

Spannend wird sein, zu sehen welche Auswirkungen die EU-weit wenig einheitlichen Energiepreisbremsen auf den Ernährungssektor und damit auch den Gartenbau in den jeweiligen Ländern haben werden. Die Niederländer beispielsweise haben zumindest bisher relativ konsequent den Kurs verfolgt, über Preissignale Anreize zum Energiesparen setzen und zum Umstieg auf alternative Energiequellen animieren zu wollen. Wie lange der frischgebackene Agrarminister dort dem Druck standhält bleibt abzuwarten.

Verfahrener dann die Situation bei uns. So gut wie alle W-Fragen scheinen unbeantwortet, was das die drei Wohltaten-und-Entlastungspakete der Bundesregierung in Bezug auf den Gartenbau angeht: Wenn Topfbasilikum im Gewächshaus subventioniert werden soll, warum dann nicht auch Schnittrosen unter Glas? Der derzeit noch im Bundeslandwirtschaftsministerium tätige potentielle Nachfolger Kretschmanns bleibt, wie zuletzt auch beim Zukunftskongress in Berlin, in seinen Aussagen mehr als nur vage.

Vielleicht hat er aber auch nur die uns nachfolgenden Generationen im Blick. Das wäre ehrenhaft – nur sagen sollte er es halt dann auch.

Tim Jacobsen

Ausnahmezustand wird zum Normalzustand

In den Jahren seit dem Fall der Berliner Mauer war etwas in Vergessenheit geraten, dass fossile Energieträger nicht nur eine fantastische Möglichkeit sind, in Zeiten großer Nachfrage eine Menge Geld zu verdienen, sondern auch ein Furcht-einflößendes-Druckmittel gegenüber denjenigen, die davon gerne etwas abhaben möchten. Nicht unbedingt verwunderlich, spielt dann auch gegenwärtig Nachhaltigkeit nicht mehr die ganz große Rolle in der öffentlichen Diskussion und unser Wirtschaftsminister Robert Habeck muss nicht nur in den arabischen Golfstaaten eine Menge Kröten schlucken.

Selbst wenn der unterkomplexe Ratschlag lautet, nicht die eine Abhängigkeit durch die nächste zu ersetzen, sondern vielmehr die Bezugsquellen möglichst weit zu fächern, spielen neben Fragen aus der Abteilung wie-wollen-wir-leben und mit-wem-wollen-wir-Geschäfte-machen auch technische Aspekte eine große Rolle, wie die ganze LNG-Terminaldiskussion zeigt. Vor Beginn des Krieges kam etwa die Hälfte des nach Europa importierten Erdgases aus Russland, nur ein Zehntel des EU-Verbrauchs wurde innerhalb der EU gefördert. Ein Viertel der Rohölimporte stammte aus Russland, gleichbedeutend mit der Hälfte der russischen Rohölexporte und auch die Hälfte der Kohleeinfuhren stammte aus Russland.

Alternative Lieferländer stehen mit Nordafrika und der Golfregion zumindest der Theorie nach parat. Da wird es dann aber schnell hakelig. Eigentlich sind die Handelsbeziehungen Richtung Nordafrika im Allgemeinen wohl etabliert. Wenn dann aber Algerien, das auf sehr großen Erdgasvorkommen hockt, wegen Streitigkeiten in der Westsahara kein Gas mehr Richtung Marokko schickt, kann über die Maghreb-Europe-Pipeline auch keines mehr nach Spanien kommen. Um das Ganze dann noch etwas komplizierter zu machen, ist Gazprom im traditionell Russland-freundlichen Algerien auch an den dortigen Gasfeldern beteiligt.

Auch Libyen sitzt auf Gasreserven, die in verflüssigter und tiefgekühlter Form als Flüssiggas Europa erreichen. Mehr als zehn Jahre Bürgerkrieg haben jedoch auch in der Gasinfrastruktur Spuren hinterlassen, zumal die ostlibysche Bürgerkriegsfraktion wiederum auf Unterstützung aus Russland zählen kann. Ägypten hat erst kürzlich das vielleicht größte Gasfeld im Mittelmeerraum erschlossen, bis die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen sind, die Exportkapazitäten zu erhöhen, wird es allerdings noch dauern, zumal der Energiebedarf im eigenen Land angesichts des Bevölkerungswachstums rasant steigt.

Der Zypernkonflikt erschwert einen Pipelinebau aus dem östlichen Mittelmeerraum Richtung Südeuropa. Die Türkei selbst leitet wiederum zum einen aserbaidschanisches Erdöl nach Griechenland und Italien, ist bezüglich ihrer eigenen Energieversorgung aber stark von Russland abhängig; könnte aber hinsichtlich der Nutzung fossiler Energieträger aus dem (irgendwann vielleicht wieder Sanktions-befreiten) Iran und Irak zukünftig eine gewichtige Rolle einnehmen.

Bleiben die Golfstaaten. Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate könnten mit ihren sog. freien Kapazitäten den Ölpreis maßgeblich beeinflussen, die OPEC hielt jedoch erst an einem mit Russland vereinbarten Ölförderplan fest, um dann auf Druck der USA erst einer Erhöhung der Fördermenge zuzustimmen, um dann Mitte Oktober die Fördermenge erneut zu drosseln. Auch beim Erdgas gibt es ähnlich wie beim Erdöl mit OPEC+ ein Gas Exporting Countries Forum; LNG aus Katar geht vertraglich gebunden vornehmlich nach China und Japan, die  für Deutschland angekündigten Lieferungen haben den Umfang von wenigen Stunden Nord Stream unter Volllast.

Ungelöste regionale Konflikte gibt es auch im Nahen Osten zuhauf. Interessant ist, dass der weltweit größte Erdölexporteur Saudi-Arabien bis 2030 die Hälfte seiner Energie aus erneuerbaren Quellen gewinnen will. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben ähnliche Pläne, südlich von Dubai entsteht derzeit auf 77 km2 das größte Solarkraftwerk der Welt. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich dann auch beide gleichermaßen auf die Fahnen geschrieben, auf den Energiemärkten der Zukunft mit Wasserstoffexporten weiterhin an führender Stelle mitmischen zu wollen.

Geht es um kurzfristigen Ersatz russischen Erdgases, fehlen weitgehend die technischen Voraussetzungen, Gas kostengünstig aus dem Nahen Osten nach Europa schaffen zu können – von all den mehr oder weniger weit reichenden Implikationen, die damit verbunden wären, einmal abgesehen. Zwar standen vor dem Beginn des russischen Invasionskriegs ähnlich wie in der Golfregion auch in Europa die Zeichen auf Energiewende und wenn sich auch diese Dynamik sich seit dem 24. Februar 2022 noch einmal beschleunigt hat, hat der Energieplan der Europäischen Kommission Lücken, die sich nur mit Hilfe der Golfstaaten schließen lassen werden. Langfristig wird es ohne die Golfstaaten nicht gehen können.

Ob und wie weit diese Entwicklungen von Russland bei der Entscheidung zur Invasion der Ukraine bereits mit-eingeplant waren, wird sich wahrscheinlich nie zur Gänze klären lassen. Analysten beobachten allerdings schon seit längerem einen Ausbau russischer Energiebeziehungen Richtung pazifischer Raum. Ob das Kalkül aufgeht, muss die Zukunft zeigen – Fakt ist: China importiert unbeirrt von den westlichen Sanktionen munter weiter Öl, Kohle und Gas aus Russland (wobei wir Deutschen die letzten sind, die deswegen ein Fass aufmachen sollten). Die lange gemeinsame Grenze verbindet, dennoch stammt der Großteil der chinesischen Energieimporte nicht aus Russland, auch wenn die beiden Länder neben der Power of Siberia auch eine Ölpipeline durch Kasachstan sowie die Ostsibirien-Pazifik-Pipeline verbindet.

Auch Japan, Südkorea und Vietnam sind dankbare Abnehmer russischen Flüssiggases. Malaysia, Indonesien und Australien sind die einzigen Nettoenergieexporteure im asiatisch-pazifischen Raum. Malaysia ist nicht nur der fünftgrößte Flüssiggasproduzent der Welt, das Land liegt an der Straße von Malakka zudem geostrategisch äußerst günstig. Indonesien ist der weltweit größte Kohleexporteur, ein Großteil der gegenwärtig erzielten Mehrerlöse wird dazu verwendet, den Energieverbrauch im eigenen Land zu subventionieren. Indien leidet stark unter den Energiepreissteigerungen, die gewissermaßen ungefiltert an die Bevölkerung weitergegeben werden. Russisches Öl zu Sonderkonditionen wird als einer der Auswege gesehen, den Energiehunger des aufstrebenden Subkontinents zu stillen.

Eines der europäischen Armenhäuser, Rumänien, könnte aus der Energiekrise als einer der Sieger hervorgehen: Im Schwarzen Meer werden eine Reihe nicht erschlossener Ressourcen vermutet und auch das Potenzial für Strom aus regenerativen Quellen ist noch lange nicht ausgereizt. Schon jetzt ist Rumänien zweitgrößter Gasproduzent in der EU. Ob und wie Deutschland seine eigenen Reserven nutzen und statt in den USA gefracktes Gas gewissermaßen ein Produkt aus dem Regionalfenster einspeisen wird, hängt vermutlich vom Verlauf des Winters, den Preisentwicklungen auf den Weltmärkten und dem Füllstand der Gasspeicher spätestens im Herbst 2023 ab.

Gehen erst einmal flächendeckend die Lichter aus, wird auch niemand mehr Details der Laufzeitverlängerung diskutieren wollen – auch wenn zumindest dieses Szenario den Experten zufolge derzeit eher unwahrscheinlich erscheint. Keinesfalls vergessen werden darf aber auch: Russland ist für viele Länder nicht nur aus fossilenergetischen Gründen ein interessanter Partner, sondern auch als Lieferant nicht fossiler Rohstoffe.

Tim Jacobsen

Die Herausforderungen ähneln sich – die Lösungen auch

Es gab mit Sicherheit den einen und anderen, der beim Uiendag von pflanzenbaulich durchaus möglichen Erträgen weit über 100 t pro Hektar träumte – aber selbst die Gutgläubigsten wurden ziemlich schnell von der Realität der staubigen Äcker rundum die Versuchsstation Rusthoeve eingeholt.

So mancher Zwiebelanbauer im ehemaligen Herzen des niederländischen Zwiebelanbaus wird froh sein, wenn er überhaupt eine um den Faktor zehn geringere Ernte einfahren kann und es ist nicht so, dass 2022 das eine schlechte Jahr ist, dass auch einmal dabei sein kann: In vier der letzten fünf Jahre war die Situation ähnlich.

So wandelte sich im Laufe der Jahre dann auch der Fokus des Zwiebeltags von einem eher mechanistisch geprägten Weltbild hin zu einem eher systemischen Naturverständnis. Statt zu lamen- und diskutieren, wie sich der eine Wirkstoff mit dem anderen ersetzen lassen könnte, wurde zunehmend das digitale schwarz und weiß um das Regenbogenspektrum erweitert.

Als mit der Aufhebung der Produktschappen ein Zwiebel-Aus für Forschung und Wissenschaft drohte, organisierte sich der Sektor kurzerhand selbst und stellte mit Uireka Beeindruckendes auf die Beine. Und so könnte durchaus etwas dran sein, dass sich von der vollkommen zu Unrecht als altbacken verschrienen Zwiebel eine Menge lernen lässt.

Statt Ertragsoptimierung stand Ende August beim Zwiebeltag das Thema Innovation im Fokus. Für sich genommen ähnlich aufregend wie Nachhaltigkeit, füllte sich der Begriff aber schnell mit Leben angesichts der Herausforderungen, die mehr oder weniger als gesetzt galten: mehr Hitze, weniger Wasser, Versalzung der Böden.

Dazu größerer und vor allem auch anderer Insektendruck – und generell aufgrund des Dauerstresses für Schaderreger äußerst empfängliche Kulturen. Das Ganze unter gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die der Landwirtschaft nicht immer nur gewogen sind. Als Schlagworte, die zeigen, dass die Themen längst größer als der Zwiebelanbau allein sind, fielen u.a. Nullemission und Biodiversität.

In der Geschichte des Zwiebeltags gab es dann auch noch nie so viele Aussteller, die Lösungen jenseits der klassischen Agrarchemie zeigten, sei es in der mechanischen Unkrautbekämpfung, den präventiv wirksamen Biostimulanzien, dem Risikomanagement oder dem Einsatz von Sensorik und Prognosemodellen.

Dem Zwiebeltag geht traditionell das Zwiebelfrühstück voraus, eine Art informelles Treffen, das Fieberthermometer-gleich die Stimmung in der Branche wiederspiegelt. Dieses Jahr hangelte sich die Diskussion an einer Reihe Statements entlang, die Meinungsbild-technisch leicht erkennbar mit dem Aufzeigen einer grünen oder roten Karte entweder unterstützt oder abgelehnt werden konnten.

Die Anwesenden waren größtenteils überzeugt davon, dass es gelingen wird, die jetzt noch im Zwiebelanbau durchschnittlich ausgebrachten 13 kg Wirkstoff bis zum Jahr 2030 halbieren zu können. Sportlich dann auch das nächste Thema: bei der Frage, ob die niederländische Zwiebel auch im Jahr 2030 noch ein bedeutender Spieler auf dem Weltmarkt sein wird, schieden sich die Geister.

Half im ersten Fall also das Vertrauen auf die eigene Innovationskraft dabei, sich im Glauben bestärkt zu fühlen, auch über regulatorische Hürden hinweg zu kommen, vertraute kaum einer Anwesenden darauf, dass der derzeit noch vorhandene Innovationsvorsprung die Vormachtstellung der niederländischen Zwiebeln auf ewig sichern werde.

Sind Produktionskosten von 25 ct / kg und mehr heutzutage zwar schon in Dürre geplagten Landesteilen an der Tagesordnung, könnten sie bis 2030 angesichts der allgemeinen Kostenentwicklung auch für Vollertragsjahre Standard werden und das Gefüge auf dem Weltmarkt nachhaltig verschieben. Zudem ja auch nicht einmal jede zehnte Zwiebel in den Export geht, regionale Produktion also eher die Regel als die Ausnahme ist.

Angesichts dieser vielfältig komplexen Herausforderungen stellt sich dann fast automatisch die Frage, ob sich die eigene Marktposition anders als mit neuen Business-Konzepten und Sektor-übergreifenden Innovationen sichern lässt, was allgemein verneint wurde. Und da war dann das Thema Nachhaltigkeit auf einmal auch nicht mehr weit weg – um die Beschäftigung mit Product Environmental Footprint Category Rules wird mittelfristig niemand hinwegkommen.

An diesem Punkt gab es dann aber erst einmal Entwarnung: Zwar entfällt knapp die Hälfte des ökologischen Fußabdrucks eines aus den Niederlanden nach Indonesien exportierten Kilogramms Zwiebeln auf den Anbau, ein knappes Viertel auf den Transport und rund ein Zehntel auf die Lagerung, dennoch macht die hohe Anbaueffizienz das in unseren Breiten erzeugte Produkt zu mindest aus ökologischer Sicht konkurrenzfähig.

Dass es aus Sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer für eine florierende Zukunft mehr brauchen werde, bewies die große Unterstützung, die die letzte These fand: Landwirtschaft, wie wir sie heute kennen, hat ihre beste Zeit gehabt und wird auf absehbare Zeit verschwinden. Anpassungen sind ein Muss und keine Option. Und auf einmal klang all das, was auf dem Uiendag in Colijnsplaat gezeigt wurde, nicht mehr nach Zukunftsmusik sondern nach einem Ausblick in eben jene Zukunft.

Auch wenn es zuweilen mühsam erscheint, sich aus der eigenen Komfortzone heraus zu bewegen, gilt seit dem 24. Februar mehr denn je, dass der Status Quo unweigerlich im gegenwärtigen Strudel der Ereignisse untergehen wird und die Zukunft denen gehört, die sich aufmachen.

Oder wie Jonas Deichmann Mitte August auf dem Möhrenforum erklärte: jede Weltumrundung beginnt mit einem ersten Schritt. Und da einmal um die Welt ja nur schwer vorstellbar ist, hilft es, die einzelnen Etappen gedanklich kleinzuhalten – und vor allem auch „vielleicht“ und „wenn alles gut geht“ aus dem Wortschatz zu streichen.

Tim Jacobsen

Die weiteren Aussichten: teurer und teurer

Herauszufinden, ob jemand gerade noch unter 50 Jahre alt ist oder darüber, ist relativ einfach, guckt man sich Fotoalben aus der jeweiligen Kindheit an. Diejenigen von uns, die noch relativ weit vorne Aufnahmen von sich auf Auto-leeren Autobahnen haben, kamen mit Sicherheit vor dem 16. Dezember 1973 auf die Welt. Es waren streng genommen nur drei Sonntage, die in der Rückbetrachtung den Mythos der autofreien Sonntage schufen. Der Jom Kippurkrieg war Geschichte, auf den Ölmärkten entspannte sich die Lage, angesichts der nahenden Feiertage hieß es schnell wieder Auto-Bahn frei. Auch wenn die Ölpreise seitdem streng genommen weitgehend unbemerkt kontinuierlich stiegen und dieser sich wie ein Naturgesetz anfühlende Preisanstieg niemanden ernsthaft vom Autofahren abgehalten hätte – mitunter eines der Probleme, das gewissermaßen Öl ins Feuer der gegenwärtigen Energiekrise gießt.

Denn so viel ist klar: nur Preisdruck sorgt dafür, dass mittel- und langfristig in sparsame Technologien investiert wird. Und wenn nun derzeit die Erwartung vorherrscht, dass die Gaspreise womöglich bald wieder sinken, verhindert das Technologiesprünge – auch wenn sich die Experten streng genommen nur darüber streiten, wie hoch der Faktor ist, um den Energie teurer wird und ob nun Erdgas oder Elektrizität die größten Sprünge machen wird. Der Tankrabatt setzte in dem Zusammenhang wahrscheinlich auch das falsche Zeichen, suggerierte er doch, dass nach den drei Monaten alles wieder beim Alten sein sollte. Streng genommen setzen auch die Verzichtsappelle den falschen Akzent, besonders in Kombination mit den üblichen Abrechnungsmodalitäten beim Erdgasbezug. Wird beim Tanken jedes Mal aufs Neue die Preisentwicklung offensichtlich, kommt beim Erdgas die Erkenntnis erst mit der Erhöhung des Abschlages.

Der autofreie Sonntag und die Sparappelle, die Deutschlands Reaktion auf die Drosselung der Energieexporte aus arabischen Ländern war, die wiederum die Reaktion auf die gar nicht so heimlichen Waffenlieferungen des Westens an Israel war, welches kurz zuvor von Ägypten und Syrien überfallen worden war, senkten den Benzinverbrauch zwar kurzfristig, aber leider auch nur für äußerst kurze Zeit, um rund ein Zehntel. Ein bisschen kommt dann „ewig grüßt das Murmeltier“ Stimmung auf: Auch 1973 stand Deutschland im Verdacht, unter Rücksicht auf eigene Wirtschaftsinteresse die gemeinsame Linie des Westens eher kurvenförmig zu interpretieren. Auch 1973 war eines der Hauptprobleme, dass der Nachfrage in Deutschland ein wenig diversifiziertes Angebot gegenüberstand.

Eine spannende Frage, die in der gegenwärtigen Embargodiskussion nur selten diskutiert wird, ist, ob wir denn nicht auch beim Nichtbezug des Erdgases aufgrund von so genannten Take-or-Pay-Regeln trotzdem weiterbezahlen müssten. Käme es zum Importverbot unsererseits, wäre entscheidend, ob die Force-Majeure-Klausel in den Lieferverträgen auch hoheitliche Maßnahmen umfasst. Falls nicht, würde bei Vertragslaufzeiten bis teilweise zum Jahr 2036 noch viel Geld über den Dnepr Richtung Russland fließen. Eine weitere spannende Frage ist, wo im Fall der Fälle als erstes der Hahn zugedreht wird. Glashersteller berichten, dass sie ihren Gasbedarf allenfalls um die Hälfte senken können, wollen sie eine Zerstörung ihrer Schmelzwannen verhindern. Und was passiert, wenn BASF in Ludwigshafen keine Ausgangsstoffe mehr produziert, Thyssenkrupp keinen Stahl mehr liefert?

Es muss aber auch nicht immer an den offensichtlichen Dingen scheitern: was, wenn aufgrund von Energieengpässen kein Papier und Verpackungsmaterial mehr produziert werden kann, wenn sich zwar grundsätzlich die Fließbänder weiterdrehen, aber schlicht und einfach die Windschutzscheiben fehlen? Auch die Meinungen darüber, wie und ob überhaupt irgendetwas abgeschaltet werden kann, gehen auseinander. Wenn der Weiterbezug nicht über die Verteilstationen abgeschaltet werden kann, wer wird die Schieber auf den Betriebsgeländen bedienen? Und wer möchte der Schuldige daran sein, dass es Zeit, Kosten und Mühen bedeutet, nach einem Druckabfall im Gasnetz das System wieder ans Laufen zu bringen?

Ebenfalls ungeklärt, wenn auch angesichts der Bilder und Berichte aus der Ukraine etwas zynisch, ist die Frage, was wir im Embargofall als Gegenleistung für eine mittelschwere Rezession bekämen: die unsichere Aussicht auf eine erhoffte Schwächung Russlands? Und so ist es kein Wunder, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften an diesem Punkt an einem Strang ziehen und betonen, dass die Embargofolgen in Deutschland stärker spürbar wären als in Russland – und da ist von all den anderen denkbaren Veränderungen in unserem Zusammenleben noch nicht einmal die Rede. Und schon geht es nicht mehr nur um Frieren für den Frieden, sondern ziemlich genau ums Eingemachte. Und dann ist da schon etwas dran, dass wir die ganze Fußball-WM-Empörung vergessen sollten, um dann den einen Despoten gegen den nächsten auszutauschen, um nur ja nicht im Winter kalt duschen zu müssen, schließlich ist die Vergrößerung des Lieferantenspektrums das Gebot der Stunde.

An der Stelle wird es nun wieder ein bisschen tricky: Spanien zum Beispiel hat frühzeitig auf LNG aus Nordafrika gesetzt, ist nur leider Pipeline-technisch schlecht angebunden an das resteuropäische Netz. Weshalb das auch weiterhin gut versorgte Spanien nicht einsieht, warum es sich den Sparplänen aus Brüssel beugen sollte. Und die Spanier sind mit dieser Idee beileibe nicht die einzigen. Ganz einsichtig ist es ja auch nicht, warum wir Frackinggas importieren wollen, unsere eigenen Vorkommen aber auf gut kolonialistisch lieber Vorkommen sein lassen. Zwar hatten unsere Bierbrauer Angst um die Güte ihres Wassers, werden aber letztendlich nicht den Ausschlag gegeben haben. Die Diskussion um die Förderplattform zwischen Borkum und Schiermonnikoog spricht Bände. Stattdessen werden nun von Eemshaven bis Brunsbüttel vier LNG-Terminals geplant. Geplant war schon einmal eines. Und das kam so:

Vor etwa 200 Jahren wurden die ersten Lampen mit Gas betrieben, in Berlin beleuchten immer noch mehr als 20000 Gaslampen das Straßenbild. Das so genannte Stadtgas fiel als Abfallprodukt in den Kokereien ab. Erst mit der Krise der Steinkohle in den fünfziger Jahren und der Entdeckung des Groninger Gasfeldes sowie weiterer Vorkommen im Nordwesten Deutschlands wurde Erdgas als Energieträger zunehmend beliebter. Aus dieser Zeit stammt auch die Bindung des Gaspreises an den Ölpreis: die Wahl des Energieträgers sollte nicht über die Profitabilität entscheiden. Der Streit darüber, wie hoch der Gaspreis während der zweiten Ölkrise denn tatsächlich sein muss, führte zu einer Abwendung von den Niederlanden und einer Hinwendung zu Norwegen und in noch viel größerem Maße der Sowjetunion. Mit dem Kreml hatte Deutschland schon Ende der fünfziger Jahre ein aus westlicher Bündnissicht delikates Geschäft eingefädelt und lieferte Stahlrohre  zur Erschließung westsibirischer Gasvorkommen.

Der Erdgas-Röhren-Vertrag sah Ende der sechziger Jahre dann weitere Stahlrohrlieferungen vor, im Gegenzug floss 1973 erstmals russisches Erdgas in das deutsche Pipelinenetz. Auch Privathaushalte sahen die Vorteile des Energieträgers Erdgas, was wiederum eine Speicherung des Erdgases im verbrauchsarmen Sommer für den verbrauchsstarken Winter nahelegte: Salzkavernen und ehemalige Lagerstätten waren die offensichtlichen Kandidaten für die Einlagerung preislich vorteilhaften Gases während der Sommermonate. Zunehmend erschöpfte Vorkommen in Deutschland und den Niederlanden führten nicht unwesentlich zu einer immer stärkeren Abhängigkeit von Russland. Und an diesem Punkt kommt wieder der Chemiekonzern aus Ludwigshafen ins Spiel. Da die Norweger keine Lust hatten, es sich mit der marktbeherrschenden Ruhrgas zu verderben, machte BASF im Herbst 1990 mit einem zwischen Wintershall und Gazprom unterzeichneten Abkommen den Seitenwechsel offensichtlich. Mitte der Neunziger Jahre erhielt Gazprom über die Beteiligung an Wingas erstmals auch die Kontrolle über Vertriebsstrukturen in Deutschland.

„Selber schuld. Nur was hilft´s?“

Tim Jacobsen

Es ist müßig, nachzuvollziehen, wer in den Folgejahren alles eine Diversifizierung der Bezugsquellen anmahnte und auch höhere Speichermengen forderte, Fakt ist, dass auch die Monopolkommission von Gerhard Schröder ignoriert wurde. Das Gazprom, Ruhrgas und Wintershall-Gemeinschaftsprojekt Nordstream 1 folgte, damit wurden Polen und die Ukraine umgangen. Schröders  Tätigkeit für die Pipelinegesellschaft war der Auftakt zu einer Reihe weiterer Posten bei staatlichen russischen Energiekonzernen. 2011 wurde Nordstream 1 in Betrieb genommen, zeitgleich begann Nordstream 2 Form anzunehmen, auch wenn der außenpolitische Ton Moskaus immer rauer und schärfer wurde. 2014 – und damit kurz nach der Annexion der Krim durch Russland – stimmte das Bundeswirtschaftsministerium dem Verkauf deutscher Gasspeicher an einen russischen Oligarchen zu. Ein Jahr später gab es ministeriellerseits keine Einwände, als die beiden großen deutschen Gasspeicher im Tauschgeschäft gegen Aktienanteile ebenfalls in russischen Besitz gerieten. Im Jahr 2021 waren die Speicher dann erstmals nicht in gewohnter Weise gefüllt und Nordstream 2 fertig.

Ruhrgas, das größte Unternehmen der deutschen Gaswirtschaft hatte von 1979 bis 2009 eine Lizenz zur Errichtung eines Gasterminals für den Import von LNG in Brunsbüttel, nutzte diese aber nicht und setzte dagegen vor allem nach der Übernahme durch E.ON auf Russland. Die Umstände, die den Zusammenschluss von E.ON und Ruhrgas vor ziemlich genau zwanzig Jahren begleiteten, lesen sich auch heute noch wie ein Wirtschaftskrimi und waren wohl Ausdruck eines Verständnisses von Wettbewerbspolitik als einer Gleichschaltung von Unternehmens- und Staatsinteressen. Letztendlich wurde damit aber unsere energiepolitische Abhängigkeit von Russland zementiert. 2015 wurde die ehemalige E.ON Ruhrgas nach Umwandlungs- und Abspaltungsmaßnahmen auf Uniper umfirmiert. Aufgrund der Diskrepanz zwischen Ein- und Verkaufspreisen kam Uniper nach dem 24. Februar 2022 in äußerst unruhige Fahrwasser, war aufgrund der großen Marktbedeutung allerdings systemrelevant und wurde unlängst mit einem Milliardenhilfspaket gerettet.

Tim Jacobsen

Deutsche Erdbeer- und Spargelproduktion am Scheideweg

Zwei Dinge vorab: niemand wird in Deutschland gezwungen, Erdbeeren oder Spargel zu produzieren. Auch ein eventuell vorhandener elterlicher Betrieb bringt für die nachfolgende Generation keine Übernahmezwangsläufigkeit mit sich. So gesehen spielen die Menschen, um die es im folgenden Text gehen wird, dieses Spiel im Prinzip freiwillig mit. Aber leider geht es nicht ohne ein „im Prinzip“ an dieser Stelle. Im Laufe der Jahre haben sich nicht nur die Bezugsgrößen stark verändert, die steigenden Umsätze brachten auch neue Abhängigkeiten mit sich.

Wir Verbraucher haben es selbst in der Hand

Tim Jacobsen

Ein bisschen waren es die wilden Nachwendejahre, die den Ball ins Rollen brachten. Auf einmal gab es auf auch im Wohlstands-verwöhnten Westen Deutschlands wieder genug Menschen, die bereit waren, für relativ wenig Geld im wahrsten Sinne des Wortes den Buckel krumm zu machen. Dies führte im Gartenbau genauso wie in vielen anderen Bereichen dazu, dass sich vollkommen neue Geschäftsmodelle etablierten. Das ganze Bündelgemüse gehört zu den Senkrechtstartern dieser Zeit, auch der fast kometenhafte Anstieg der Anbauflächen für Erdbeeren und Spargel sind ein Erbe des Endes des Kalten Krieges.

Mit den Anbauflächen stiegen die Erntemengen und irgendwann musste es zwangsläufig an einen Punkt kommen, ab dem sich mit „normal“ kaum mehr Geld verdienen ließ. Es wurde aufgerüstet; die über weite Strecken des 20. Jahrhunderts gültige Regel, dass erst nach dem letzten Spargel der erste Erdbeerkuchen auf den Tisch kommt, hatte da schon längst ausgedient. War beim Spargel Folienabdeckung bald ein Muss, wurden daraus schnell perfekt klimatisierte Minitunnel, auf Wunsch Abwärme-beheizt.

Auch bei den Erdbeeren war das Stroh zwischen den Reihen nur der Schritt dahin, Erdbeeren in praktischer Pflückaugenhöhe in einer Art Regenrinne unter Plastikbedachung zu kultivieren. Vorläufig letzter Höhepunkt ist die Kultur von Erdbeeren auf Steinwolle in Gewächshäusern mit Firsthöhen von sechs Metern oder mehr. So mancher Unterglastomatenanbauer mit dadurch quasi offiziell ausgewiesener Angst vor der nächsten Energiekostenrechnung geht diesen Weg – auch wenn es in diesen Fällen kaum um Gewinnmaximierung gehen kann, sondern höchstwahrscheinlich eher um Verlustminimierung.

Gleichzeitig ist eine ganze Industrie rund um den Anbau dieser Kulturen entstanden. Die Klärung der Frage, ob denn letztendlich nicht auch deshalb immer mehr produziert werden muss, um sich all die Hilfsmittel, die dies ermöglichen, überhaupt leisten zu können, ähnelt dem Henne-Ei Problem, spielt aber im Sinne von immer mehr verfügbarer Ware auch keine große Rolle. Der Lebensmitteleinzelhandel fand das prima, schließlich ist an einem Schälchen Erdbeeren deutlich mehr verdient als an einem Sack Kartoffeln.

Die Verbraucher fanden das auch gut, die Wirtschaftskrisen fanden woanders statt und Sahneerdbeeren zauberten auch in den letzten Hinterhof noch ein kleines bisschen Wimbledonflair. Dass sich in Deutschland mit Bleichspargel, einem Produkt, das in gar nicht wenigen europäischen Ländern kulinarisch und auch sonst überhaupt eigentlich keine Rolle spielt, Geld verdienen lässt, sprach sich schnell herum.

Italien, Griechenland und Spanien waren nur die Vorreiter einer Entwicklung, die mit Hilfe von Technologie, zumindest fragwürdiger Nachhaltigkeit und billigen Arbeitskräften Spargel aus Südamerika zur Weihnachtszeit zu Preisen in den Kühltheken liegen lässt, der von einheimischer Ware selbst zu Zeiten größtem Angebotsüberhangs selten unterschritten wird. Dass die Ware dann nicht wie im einfachsten Fall gewissermaßen vom Acker direkt im Kochtopf landet, sondern weiter gereist ist, als viele es von uns jemals tun werden, spielt in der Dauerverfügbarkeit von so gut wie allem keine Rolle.

Saisoneröffnungen und Spargelköniginnen schlagen sich zwar einigermaßen wacker, geht es darum, den Erntestart und damit den Beginn der einheimischen Spargelsaison zu verkünden – in der Flut und Fülle an Informationen, die tagtäglich auf den Verbraucher prasseln, bleiben sie letztendlich aber eher Randnotizen, zumal Pandemie-bedingt die letzten beiden Jahre der große Bohei ausbleiben musste.

Ganz ohne Startsignal müssen seit jeher die Erdbeerproduzenten auskommen. Das führt dann angesichts des mittlerweile ganzjährigen Erdbeerangebots auch im ansonsten eher schlecht sortierten Discount dazu, dass die Verbraucher den Überblick verlieren. Zumal dann ja auch ab und an Erdbeeren des Typs Kohlrabi, die sonst eher mit südländischen Herkünften in Verbindung gebracht werden, als deutsche Ware deklariert in der Kühltheke liegen.

Als relativ einfache Unterscheidungsgröße bleibt der Preis. Man muss kein Psychologe sein, um zu verstehen, dass sich bei dauerhaft zum Knaller-, Knüller- oder Aktionspreis von unter zwei Euro beworbenen Erdbeerschälchen vielleicht auch unbewusst eine Preisschwelle in den Verbraucherköpfen festsetzt.

Man muss andererseits auch weder Agronom noch Betriebswirt sein, um zu verstehen, dass bei diesen Preisen nicht nur kaum jemand etwas verdienen kann, sondern dass bei der Produktion dann auch Abstriche gemacht werden müssen – und schon landet man schnell wieder beim Thema Nachhaltigkeit. Mittlerweile sind die Schlagwörter Doñana, Huelva sowie die prekäre Arbeitssituation vieler Migranten im Süden Europas auch in den deutschen Medien angekommen.

Die Platzhirsche im Beerengeschäft ficht das wenig an: stellen sich die Chilenen quer, wandert der Blaubeeranbau eben nach Peru ab. Geht in Marokko das Wasser aus und steigen die Arbeitslöhne für die Himbeerpflücke, ist Südafrika global gesehen auch nicht viel weiter entfernt. Und dann sind da ja auch noch wir Deutschen mit unseren eher dunklen und kalten Wintern. Bis wir produktionstechnisch aus dem Winterschlaf erwachen, sind die Kühltheken gut bestückt mit Ware aus Ländern, in denen es wenig später dann schon fast zu warm wird, um überhaupt noch vor die Tür zu gehen.

Wenn dann die Importware keinen Platz macht für einheimische Produkte, dann haben unsere Bauern ein Problem. Das gilt für Spargel und Erdbeeren genauso wie für Zwiebeln und Möhren. Bei den Zwiebeln müssen erst die Neuseeländer verkauft sein, bevor die frisch geerntete deutsche Ware ins Regal kommt, bei den Möhren helfen Spanier und Italiener, die möhrenlose Zeit in Deutschland zu überbrücken.

Dass das Ganze so ist, merkt man eigentlich erst, wenn es einmal hakt: Zu Beginn der Pandemie gab es ein kurzes Innehalten angesichts von Lieferketten, die auf einmal eben nicht mehr geräuschlos im Hintergrund für scheinbar nie versiegenden Warenfluss sorgten. Der Bauer vor Ort wurde zum Helden hochstilisiert, der uns alle mit seinem persönlichen Einsatz vor dem schon morgen drohenden Hungertod bewahrt.

Ähnliches war Jahre zuvor während der EHEC-Krise passiert, als die Verbraucher dem Produzenten ums Eck auf einmal einen deutlichen Vertrauensvorschuss einräumten. Der Effekt war derselbe: Abhofverkauf und Direktvermarktung boomten, jeder dachte, dass die Botschaft nun endlich und für alle Zeit beim Verbraucher angekommen ist und sich niemand mehr um das Wachstum von bio und regional Sorgen machen müsse. Politisch gewünschte Ziele wurden erreicht, ohne dass das Landwirtschaftsministerium dabei seine Hände im Spiel gehabt hätte.

Vielleicht ging zuletzt in all der Resilienz-Euphorie, letztendlich auch Covid-19 Versorgungs-technisch abgewettert zu haben, dann etwas unter, dass die Energiepreise nach einem historischen Tiefpunkt zu Beginn der Pandemie langsam aber stetig in die andere Richtung ausschlugen. Auch der drohende Mindestlohn aus dem Bundestagswahlkampf trug vielleicht dazu bei, dass die Kostensteigerung bei den Produktionsmitteln lange Zeit kaum ein Thema war, grundsätzlich lief ja alles.

Ein jähes Erwachen gab es, als die ersten Düngemittelproduzenten die Ammoniakproduktion einstellten, da diese angesichts der hohen Gaspreise wirtschaftlich nicht mehr darstellbar war. Als wäre das alles nur ein Warnschuss gewesen, machte der russische Präsident am 24. Februar 2022 Ernst und ließ sein Militär in die Ukraine einmarschieren. Die daraus resultierende Unsicherheit setzte wiederum eine Preisrallye in Gang, die schnell auch an den Zapfsäulen ankam und wiederum eine Reihe anderer Entwicklungen in Gang setzte.

Etwas überspitzt formuliert, lässt sich folgendes Zwischenergebnis festhalten: Beim traditionellen Samstagstriathlon, der aus Autowaschen, Volltanken und dem Spargeleinkauf an der Direktvermarkterbude besteht, blieb den willigen Zahlern erst an der Tankstellenkasse die Luft und dann beim Abhofverkäufer die Kunden weg. Unzählbar sind die Memes in den sozialen Medien, die das Thema zum Luxusgut gewordene Mobilität behandeln, schaler Beigeschmack ist, dass dann eben auch für andere, vermeintlich echte Luxusgüter das Budget fehlt.

Aber auch andere Verkaufskanäle flutschten nicht wie gewohnt. Im klassischen Lebensmitteleinzelhandel zeigte und zeigt die für unsere Bauern ungünstige Positionierung deutscher neben ausländischer Ware unmissverständlich den Preisunterschied auf. Dies ist besonders ärgerlich, da ja auch nicht weiter erläutert wird, warum das so ist, bzw. warum das streng genommen auch so sein muss. Schließlich kann in vielen anderen Ländern nun einmal deutlich günstiger produziert werden als in Deutschland. Das liegt hauptsächlich, aber nicht nur am hohen Lohnniveau hierzulande.

Ähnlich wie das ukrainische Getreide, das in Silos darauf wartet, endlich verschifft zu werden, hatten die Bauern nach einem temperaturbedingt mengenmäßig eher überschaubaren Saisoneinstieg mit den steigenden Temperaturen auf einmal die Kühlungen voll. Klar, dass dadurch dann das bestenfalls partnerschaftliche Miteinander zwischen Produzenten und Handel etwas unter Spannung gerät.

Über den Großhandel floss zwar Ware ab, nur lässt sich das delikate Preisgefüge aus Nachfrage und Angebot gerade bei diesem Absatzweg schon mit geringen Fehlmengen leicht unter Druck setzen. Folge davon war, dass landauf, landab zum Saisoneinstieg über astronomisch hohe, im weiteren Verlauf dann über äußerst niedrige Spargelpreise berichtet wurde, was dann in beiden Fällen auf das Kaufverhalten der Verbraucher hatte.

Es ist müßig, darüber zu diskutieren, ob der viel zitierte Buhmann Lebensmitteleinzelhandel tatsächlich gezielt Ware bei den Produzenten auflaufen lässt, um so den Preisdruck zu erhöhen. Denn eines ist klar: Der einzige Ausweg aus der Preiskrise wäre eine Verknappung des Angebots. Was eine solche Verknappung bewirken kann, lässt sich derzeit am Preis für Sonnenblumenöl beobachten.

Nur lässt sich eine Angebotsreduktion nicht einfach bewerkstelligen. Es liegt nun einmal in der Natur des Menschen, oft das eine zu sagen und das andere zu tun. Das beginnt bei der Kaufentscheidung für oder gegen regional und hört bei „produzieren wir doch alle einmal weniger“ nicht auf. Dazu kommen dann noch Lieferverträge, die relativ großzügig bemessene Strafzahlungen für diejenigen vorsehen, die das Liefermengenziel verfehlen. Dies trägt in Konsequenz ebenfalls dazu bei, dass mehr Spargel und Erdbeeren auf dem Markt sind, als für einen auskömmlichen Preis gut wäre.

Das bringt uns wieder an den Anfang unseres kleinen Ausflugs in die Spargel- und Erdbeerwelt. Ähnlich wie die Landwirtschaft im Großen im Frühjahr nicht auf einmal umschwenken konnte auf Produkte, bei denen sich abzeichnete, dass sie demnächst Mangelware sein könnten, lassen sich auch Spargeläcker und Erdbeerproduktionsflächen nicht einfach so umnützen. Die Kapitalintensität des Geschäfts mit Spargel und Erdbeeren ist enorm: Ware muss fließen, um auf der anderen Seite den Geldstrom nicht versiegen zu lassen.

Und das macht letztendlich jede individuelle Kaufentscheidung auch zu einer politischen Entscheidung. Wollen wir Wertschöpfung auch jenseits der deutschen Industriezentren ermöglichen? Wollen wir unsere Kulturlandschaft als solche erhalten? Wollen wir Produkte, die unter vertretbaren und kontrollierten Bedingungen erzeugt werden? Wollen wir die Weichen stellen in Richtung nachhaltig statt billig – oder sind das nur Lippenbekenntnisse? Angesichts der geopolitischen Großwetterlage darf dann auch die Frage nicht fehlen: Wie abhängig vom Ausland wollen wir sein?

Tim Jacobsen

« Ältere Beiträge