"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: Lektüre (Seite 1 von 2)

Lieber Jasper von Altenbockum

Wenn Friedrich Merz mit seiner Einschaetzung, der Bundestag sei kein Zirkuszelt, zukuenftig Recht behalten soll, muesste er sich von Zirkusdirektor Spahn trennen. Dem Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion wiederum wuerde es zugutekommen, wuerde angesichts der Schwere der Vorwuerfe gegen ihn die Regenbogenflagge ueber dem Reichstag wehen. Denn die schliesst ja auch Vorteilnehmer und Rechtstreue gleichermassen mit ein. Dass Ihre Polemik unter Zuhilfenahme der aller Ehren werten Anliegen von Friedensbewegung, Rotem Kreuz, Frauenbewegung und Denkmalschutz hoechstens AfD-Niveau hat, wird wahrscheinlich zumindest unsere anscheinend mit der Abwicklung aller loeblichen gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre und der flaechenweiten Durchsetzung eines Rollbacks beauftragte Bundestagspraesidentin freuen. Junge Leser werden Sie so jedenfalls nicht gewinnen (und die Alten werden deswegen auch nicht laenger leben).

Mit den besten Gruessen

Tim Jacobsen

True crime, das unter die Haut geht

Es ist noch gar nicht so lange her, dass in Kleinanzeigen der landwirtschaftlichen Wochenblätter philippinische Frauen offensiv als Ausweg aus der Einsamkeit so manchem bäuerlichen Wohnzimmers beworben wurden. Chris de Stoop meldete sich bei einem dieser Vermittler, sein Debütroman „Ze zijn zo lief, meneer“ handelt von einer internationalen Frauenhändlerbande und hatte nicht nur in Belgien so manche Gesetzesverschärfung und das Ende dieses Businessmodells zur Folge. Es folgten Bücher über das Drogenmilieu, Sexarbeiterinnen, Jihadisten, den Völkermord in Ruanda, Bootsflüchtlinge und die Coronapandemie.

Immer wieder richtet sich sein Blick aber auch auf die Dinge direkt vor seiner Haustür und immer wieder handeln diese Geschichten dann vom Kampf der Kleinen gegen die Großen, von Tradition und Moderne, von Ohnmacht und Ausgeliefertsein. In „De Bres“ erlebt de Stoop aus erster Reihe, wie in seiner Heimat ganze Dörfer der Ausweitung des Antwerpener Hafens weichen müssen und Felder zum letzten Mal bestellt werden.

In dem auch auf Deutsch erschienen „Dit is mijn hof” kehrt de Stoop nach einer Reihe von Schicksalsschlägen auf den leerstehenden elterlichen Hof zurück und wird Zeuge davon, wie abermals bester landwirtschaftlicher Grund und Boden geopfert wird, dieses Mal um Platz für „neue Natur“ zu machen. „Het boek Daniel“ handelt von Jugendlichen, die nichts mit sich selbst anzufangen wissen, und der Ermordung von de Stoops Onkel Daniel, der auf seinem Vierkanthof eigentlich keiner Fliege etwas zu leiden getan hat.

Mit Mord und Totschlag, Brandstiftung und finsteren Machenschaften geht es auch in de Stoops neuestem Roman weiter. Der titelgebende „De Damiaanhoeve“ ist Schauplatz eines Verbrechens, das auch sieben Jahre später nicht aufgeklärt ist. Zwar reimt sich „jeder gewinnt mit Kies“ nicht so schön wie im flämischen Original, schnell wird einem aber schnell klar, dass wahrscheinlich nur diejenige mit der Abbaugenehmigung wirklich vom Kiesabbau profitiert.

Wenn sich dann manche querstellen und einige am Ende vielleicht sogar recht bekommen und als Einzige ihren Hof weiter bewohnen dürfen, trägt das zur dörflichen Harmonie nicht unbedingt bei. Auch wenn die Sympathien klar verteilt sind, macht de Stoop aus höchstwahrscheinlich unschuldig Verdächtigten keine Unschuldslämmer, was letztendlich die Schilderung dessen, was Verdacht und Gerüchte mit einem machen, umso eindrücklicher gestaltet. 240 Seiten kosten 23,99 €.

Tim Jacobsen

Vom Glück, etwas zu finden, wonach man nicht gesucht hat

Knapp fünf Monate, nachdem Anfang Mai im ehemaligen Wohnhaus und heutigem Museum König das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom Parlamentarischen Rat verabschiedet und am 23. Mai 1949 verkündet worden war, erschien Anfang November die erste Ausgabe Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ende April fand im Frankfurter Kap Europa zum dritten Mal der Leserkongress „Zwischen den Zeilen“ statt, im Jubiläumsjahr nicht nur mit der sonst üblichen Einordnung des Zeitgeschehens, sondern auch mit einer Betrachtung der eigentlichen Bedeutung von Printprodukten, die wir Ihnen an dieser Stelle nicht vorenthalten möchten.

Jürgen Kaube, Mitherausgeber der F.A.Z. ordnete das 75-jährige Jubiläum ein in die durchschnittliche Lebenszeit von deutschen Unternehmen, die seinen Recherchen zufolge zwölf Jahre beträgt. „Die durchschnittliche Lebenszeit von Organisationen überhaupt soll etwa vierzig Jahre betragen, in diese Berechnung sind allerdings auch die katholische Kirche und die 1088 gegründete Universität von Bologna eingegangen. 75 Jahre sind jedenfalls ein deutlich über diesen Durchschnitten liegender Wert.“ Kaube überging an dieser Stelle geflissentlich, dass unser Gartenbau-Profi mittlerweile auf eine 111-jährige Geschichte zurückblicken kann.

„Lassen Sie mich mit der Frage beginnen, was das ist, eine Zeitung. Diese Frage hat ihre Naivität in einer Welt verloren, in der vor allem viele jüngere Bürger zwar wissen, was soziale Medien sind, was eine Website ist, ein Streamingdienst oder ein Nachrichtenportal – in der sie aber dem Konzept der Zeitung etwas ratlos begegnen. Zu diesem Konzept gehört es, einmal am Tag – früher sogar öfter, mitunter aber auch nur einmal in der Woche – einen Strich unter das Weltgeschehen zu ziehen. Zeitungen halten für einen Moment fest, was man sich merken und worüber man nachdenken sollte.

Dort, wo die Zeitung ein einziger Nachrichtenstrom ist, im Internet, liegt dieser Takt stärker in der Hand der Nutzer, die aber ebenfalls typischerweise morgens früh und abends auf die Website zugreifen. Das Lesen im Internet und auf den Smartphones drängt den Eindruck eines zusammenhängenden Produkts dabei etwas zurück. Man findet zumeist, wie generell im Netz, was man gesucht hat. Man kann die Website nicht durchblättern. Dafür liegt sie nicht als Mahnung herum, endlich gelesen zu werden …

Zeitungen gehören zu den Organisationen der modernen Gesellschaft, die stark unter Zeitdruck arbeiten. Die Wissenschaft darf sich Zeit lassen und misst ihre Projekte in Jahren. Die Schulen haben die Schüler sehr lange. Die Gerichte entscheiden, wenn die Gerichte entscheiden, die Genehmigungsbehörden auch, der Begriff Planfeststellungsverfahren ist eine Drohung, die Bahn hat einen Planungshorizont von Jahrzehnten. Fast hätte ich von Jahrhunderten gesagt …

Zeitung heißt also ständige Aktualisierung, heißt organisierte Unruhe. Journalisten sind empfindlich für die vielen Irritationen, die eine moderne Gesellschaft bereithält: Der Fall der Mauer, das Lachen eines Kanzlerkandidaten, überraschende Angriffskriege, Elefanten aus Botswana, monatelanger Streit über Wärmepumpen, ein Deutschunterricht, in dem Rechtschreibfehler nicht mehr zu Punktabzug führen. Wir leben in einer Welt voller Merkwürdigkeiten. Die Zeitung ist für diese Welt erfunden worden.

Inzwischen haben alle Medien mit dem Phänomen des Überdrusses an dieser Unruhe zu kämpfen. Von news fatigue ist die Rede, vom `Ich kann es nicht mehr hören´. Eine erwachsene Reaktion auf unsere Lebensumstände ist das nicht, vor allem deshalb nicht, weil übersehen wird, dass die Zeitung längst nicht mehr die Überbringerin der Nachrichten ist, sondern von ihr vielmehr gefragt wird, was sie bedeuten, wie sie zu gewichten und einzuordnen sind, was ihr Hintergrund ist und was wir über ihn wissen. Die Hauptaufgabe der Zeitung ist es, zu eigenen Gedanken anzuregen … Zeitung heißt vielmehr Redaktion. Das ist der große Unterschied zu all den unredigierten, nicht durchgesprochenen Texten in den sozialen Medien.“

In diesem Sinne freue ich mich zwar, dass Sie im Internet bis hierhin gekommen sind und wünsche Ihnen auch weiterhin viel Spaß und Freude – würde mir gerne aber auch wünschen, dass bei all dem Gepixelten das Gedruckte nicht zu kurz kommt.

Tim Jacobsen

Erklärbär Staatssekretär

Hermann Onko Aeikens kennt seine Bauern: Der 1951 geborene Agrarwissenschaftler war Minister in Sachsen-Anhalt, auch die Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt und Klöckner vertrauten auf seine Dienste. Und wenn dann dieser Hermann Onko Aeikens den Bauern bescheinigt, dass sie es versäumt hätten, etwas gegen die Entfremdung zu tun, dann könnte dies in der spätestens seit dem Bekanntwerden des möglichen Endes ihres Dieselprivilegs wieder eher konfrontativen Gesamtlage für wohltuende Einordnung sorgen.

Daran, dass die Landwirtschaft systemrelevant ist, lässt Aeikens keine Zweifel aufkommen. Wie in kaum einem anderen Wirtschaftszweig gebe es in der Landwirtschaft allerdings jede Menge Zielkonflikte – Aeikens versucht, in seinem 276 Seiten umfassenden „Unsere Landwirtschaft besser verstehen – Was wir alle wissen sollten“ über Zusammenhänge, Widersprüche und Auswüchse aufzuklären. Aeikens hält Balance, lenkt den Blick sowohl auf die Bauern vor Ort als auch auf die große Weltbühne des internationalen Agrarhandels, und stellt die Bauern dabei weder als Verlierer noch als Gewinner dar.

In groben Zügen zeichnet er den Wandel der deutschen Landwirtschaft seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nach, nichts weniger als einer der Garanten unseres Wohlstandes, stellt aber auch die  Frage nach den Grenzen dieser Entwicklung. An den Stellen, an denen der Autor den nüchternen Agrarwissenschaftler Agrarwissenschaftler sein lässt und in Plauderlaune gerät, gewinnt das Ganze an Farbe und wird lebendig – auch wenn der eigentlich Vorzug des im Mitteldeutschen Verlag erschienen Buches ist, ein hoch emotionales Thema erfrischend unaufgeregt zu betrachten.

Tim Jacobsen

Was isst Deutschland?

Wohl jeder hat zumindest in der entfernten Familie jemanden, der, auch wenn er wollte, gar nicht wüsste, wie Nudeln überhaupt gekocht werden – während andere, nicht weniger liebe Verwandte aus Spaghettini oder Spaghettoni einen Glaubenskrieg machen. Pastinaken und Petersilienwurzeln nutzten geschickt die Ge- und Abwöhnung an und von Erdnußbutter, Papaya und Avocados, um aus der Versenkung zurück zu kehren – und so ist in aller Abgedroschenheit an der Beständigkeit des Wandels durchaus etwas dran.

Im Vergleich März 2023 zum selben Monat des Vorjahres sticht zwar mit einem Plus von 27 % Gemüse heraus, richtig viel teurer ist aber mit 71 % Zucker geworden, über den so gut wie niemand spricht. 402 € geben wir alle im Schnitt Jahr für Jahr für Lebensmittel aus; der Anteil des Haushaltseinkommens, der in Polen für Lebensmittel ausgegeben wird, liegt um die Hälfte höher als bei uns.

Der Umsatz mit Biolebensmittel sank im Vorjahr im Vergleich zu 2021 zwar um 3,5 %, lag aber immer noch 25 % über dem von 2019. Interessanterweise war in der letzten Saison der Preisaufschlag für konventionelle Möhren über alle Absatzkanäle hinweg ausgeprägter als für Bioware. Noch extremer: Bei Zwiebeln ging in der zu Ende gehenden Saison konventionelle Ware ab wie Schmitz Katze, die Biokollegen dagegen konnten schon fast froh sein, das konstante Preisniveau der Vorjahre zu halten.

Doof dann auch, wenn die solvente Stammkundschaft das direktvertriebene Ökofleisch nicht mehr zu zahlen bereit ist, sich auf Discounterbio stürzt – und gleichzeitig am 30 % Ziel des Koalitionsvertrags festgehalten wird. Richtig attraktiv wird die Umstellung dadurch nicht, auch wenn Biobauern zumindest von der Preissteigerung für synthetische Dünger nicht betroffen sein sollten. Eier sind übrigens die am häufigsten gekauften Bioprodukte, noch vor Obst und Gemüse sowie Kartoffeln und den Mopros.

Der Ökolandbau schneidet in vielen Dingen besser ab als die konventionelle Landwirtschaft, die Frage, wie groß die Ertragseinbußen sind, scheidet die Geister. Smart Farming könnte eine Art Mini-game-changer werden, der große Wurf wäre allerdings eine Anpassung des EU-Gentechnikrechts. Nicht unbedingt etwas Neues: Schon die Urbios diskutierten darüber, ob nicht Molekularbiologie geradezu dafür gemacht wäre, den nicht chemisch unterstützen Pflanzen in ihrem Überlebenskampf alle denkbaren Vorteile zu bieten. Seinerzeit soll die Stimmungslage ungefähr fifty-fifty gewesen sein.

Letztendlich ist das Ganze aber mehr eine Art Scheindiskussion angesichts dessen, dass von 50 m2, die es braucht, um ein Rind 1 kg schwerer werden zu lassen, standortabhängig eben auch bis zu 2,5 dt Kartoffeln abgefahren werden können. Seit dem Jahrhundertwechsel ging der Milchkonsum bei uns um rund ein Zehntel zurück, die Alternativen aus Hafer, Soja und Mandel eroberten 5,5 % Marktanteil.

Erfreuliche 72 % der Deutschen greifen täglich zu Obst und Gemüse, wieder einmal sind die Frauen mit 81 % vernünftiger als die Männer mit 63 %. Fleisch gibt es bei 19 % unserer Frauen jeden Tag, hier liegen die Männer mit 31 % deutlich darüber. Mit unseren durchschnittlich 52 kg Fleischkonsum liegen wir zwischen den 4 kg in Indien und den 110 kg in Amerika, Australien und Argentinien irgendwo in der Mitte.

Die Beliebtheit von Suppen und Eintöpfen steigt mit dem Alter, beim Ketchup ist es andersrum. Frauen trinken mehr Kräutertee als Männer und Männer viermal so viel Alkohol. 78 kg Lebensmittel werfen wir alle durchschnittlich weg und von den 7,4 % der Treibhausgasemissionen, die auf die Landwirtschaft entfallen, stammen zwei Drittel aus der Tierhaltung.

Gut die Hälfte Deutschlands wird in der einen oder anderen Form bewirtschaftet und so wird schnell klar, dass Insektenhotels hier und bestäuberfreundliche Blüten da allenfalls Kosmetik sein können und es vor allem mehr Diversität in der Fläche braucht.

Insekt ist dabei nicht gleich Insekt, mit rund einer Million Arten sind Insekten die artenreichste Tiergruppe überhaupt. Andere Länder, andere Sitten: während nicht nur in Bayern Insekten eher langsam Eingang in unsere Speisekarten finden werden, sind sie für rund ein Viertel der Weltbevölkerung der Proteinlieferant schlechthin.

Vielleicht kommen wir aber auch noch einmal mit einem blauen Auge davon – zumindest was die Insekten angeht. Wer schon einmal einen Vorgeschmack darauf bekommen möchte, wie es gehen könnte, die bis 2050 wahrscheinlich 10 Mrd. Menschen zu ernähren, sollte einen Blick in „Eat Good“ wagen.

Auch auf die Gefahr hin, eine der Haupterkenntnisse der Rezeptsammlung zu spoilern: mit den Lancet-Kommissions-Empfehlungs-gerechten 350 g Gemüse und 200 g Obst täglich sollte uns Gärtnerinnen und Gärtnern eigentlich nicht bang vor der Zukunft sein!

Tim Jacobsen

Karnevalsmuffel: die Lösung naht!

Zugegeben: ich bin ein leichtes Opfer, ist doch der Spagat zwischen Zeitung machen und Landwirtschaft wie sie ist und wie sie sein sollte gewissermaßen beruflicher Alltag. Und wer ist nicht neugierig und erfährt gerne mehr darüber, wie sich andere Menschen in einem Leben schlagen, das auch das eigene hätte sein können?

Auch wenn es streng genommen vielleicht gar nicht unbedingt nötig ist, Werbung für ein Buch zu machen, das Woche nach Woche die Bestsellerliste anführt, ist Juli Zeh mit dem einmal mehr Titel-kryptischen „Zwischen Welten“ dennoch ein äußerst vergnüglicher und dringend lesenswerter Roman gelungen, der die Leichtigkeit von Glattauers „Gut gegen Nordwind“ mit den großen Themen unserer Zeit verbindet und zum Nachdenken anregt, ohne dabei penetrant zu werden.

448 Seiten kosten 24 €.

Tim Jacobsen

Zuschauen, entspannen, nachdenken

„Gunda“, der vorerst letzte Filmstreich von Wiktor Kossakowski ist ein Film, der nicht nur, aber vielleicht besonders gut auch in die Weihnachtszeit passt, denn zunächst heißt es einmal durchhalten: minutenlange Studien vom Schwein, später auch vom Huhn und vom Rind sind auch für für Agrarthemen aufgeschlossene Menschen kein täglich Brot. Und während die Tiere einfach nur Tiere sind, werden sie unter unserer Beobachtung langsam zu Individuen. Fast wie im richtigen Leben gibt es augenscheinliche Verlierer, während die Gewinner das tun, was Gewinner auch im richtigen Leben gerne tun, nämlich allen anderen tüchtig auf die Nerven zu gehen.

Der hochauflösenden Schwarz-Weiß-Kamera bleibt kein Detail verborgen, gesprochen wird nicht, alle Sinne beschränken sich auf das Sehen. Nichts wird erklärt, nicht Freiland- gegen Massentierhaltung ausgespielt. Die Szenen spielen nicht in heutzutage gängigen Stallanlagen, die Tiere leben eher so, wie es früher vielleicht einmal üblich war. Nach rund eineinhalb Stunden Tierdoku kündigen dann Traktorengeräusche den ersten Auftritt von Menschen an. Und schon wird aus dem streckenweise etwas längenbehafteten Film eine Begegnung mit der sehr existentiellen Frage danach, woher das Steak auf dem Teller eigentlich kommt – was dann ja eher wieder in die Osterzeit passen würde.

Tim Jacobsen

Erfurt: immer eine Reise wert (und in diesem Jahr ganz besonders)

Spätestens mit der „Allgemeinen deutschen Ausstellung von Produkten des Gartenbaus und der Landwirtschaft“ hat Erfurt seinen Ruf als Blumenstadt zementiert. Agaven, Tabak und Ananas waren vor knapp 150 Jahren ähnlich exotisch wie Blumenkohl und Brunnenkresse wiederum 150 Jahre zuvor. Hätte Gartenpionier Christian Reichart als Spross einer reichen Erfurter Familie nicht vor 300 Jahren mit dem Anbau von Kreuzblütlern experimentiert, hätte es nicht nur sein 1753 erschienenes Hauptwerk „Land- und Gartenschatz“ nicht gegeben, auch die älteste Kakteengärtnerei der Welt hätte sich wahrscheinlich nicht so lange auf dem Markt halten können und weder Brunnenkresse noch Blumenkohl wären jemals typisch Erfurter Erzeugnisse geworden.

So gibt es eine ganze Menge zu feiern, wenn in diesem Jahr die Bundesgartenschau gewissermaßen wieder an ihren Geburtsort zurückkehrt. Zwar ist die Feierlaune pandemiebedingt noch etwas verhalten, die Frühlingsblüher haben dennoch in bravouröser Weise ihren Job erledigt und Platz gemacht für den Sommerflor auf den beiden Hauptstandorten ega-Park und Petersberg samt dem mit Aufzug erreichbaren Panoramablick über die Erfurter Altstadt. Ein Besuch des neuerrichteten Danakils, eines Gewächshauses, das karge Wüsten- mit üppiger Dschungellandschaft kontrastiert, verkürzt derweil das Warten auf die Wiedereröffnung des Gartenbaumuseums. Tagesaktuelle Informationen zu Öffnungs- und Schließzeiten lassen sich unter www.buga2021.de abrufen.

Tim Jacobsen

Trostspender in guten wie in schlechten Zeiten

Am Anfang stand ein Stück Treibholz, die Aussicht auf Sommerferien an der kroatischen Adriaküste und eine gewisse handwerkliche Begabung, die mit einer absolvierten Tischlerausbildung untermauert wurde und wieder dringend ein kreatives Ventil suchte. Es ist wahrscheinlich nicht zu weit hergeholt, zu vermuten, dass Ralf Knoblauchs weiterer Karriereweg, der nach dem Theologiestudium zur Diakonsweihe führte, in gewisser Weise auch die Vorstellung davon prägte, was er in dem Stück Strandgut sah. So entstand der erste einer mittlerweile mehr als hundertköpfigen Schar von Königen.

Während seiner drei Wochen Sommerfrische merkte Knoblauch schnell, dass es ein leichtes war, auf dem Campingplatz über den König mit anderen ins Gespräch und dabei ohne Umschweife vom Smalltalk auf Grundsätzlicheres zu kommen. Es ist die Erinnerung an die eigene Menschlichkeit, an die Königswürde, die jedem von uns zu Teil ist und die von den grobgehauenen Figuren ausgehe, erklärt Knoblauch.

Das mache diese Figuren zu universellen Botschaftern der Menschlichkeit und so finden sich weltweit eine Vielzahl seiner Könige, die bald darauf von weiß gewandeten Königinnen komplettiert wurden, an Orten, wo Menschen sich begegnen. An Orten, an denen das Thema Würde eine besonders große Rolle spielt, sei es nun in Altersheimen und Hospizen, Beratungsstellen für Menschen in Not oder den Schiffen der Flüchtlingsretter auf dem Mittelmeer.

Eigen-artige Kunst, im wahrsten Sinne des Wortes

Tim Jacobsen

Während der ersten Wochen der Coronapandemie waren die Könige auch in Bäckereien und Einkaufszentren anzutreffen, als Trostspender, aber auch als Einladung, berührt zu werden und nicht zuletzt durch diese Berührung etwas in Gang zu setzen. Das immer gleiche weiße Hemd, die immer gleiche schwarze Hose, der Sockel, der den Figuren ein stabiles Fundament bietet sowie die goldene Krone, mal auf dem Kopf, mal abgelegt und manchmal in der Hand getragen unterstreichen den Werkstoff Holz mit all seinen Rissen und Unebenheiten.

Die dann wieder an unsere eigenen Risse und Unebenheiten erinnern. Und so wird der Wecker im Bonn-Lessenicher Pfarrhaus auch weiterhin werktags um 5:00 morgens läuten und wird sich Ralf Knoblauch für ein Stündchen in Klausur begeben, um beim Behauen und Gestalten seiner Königsskulpturen auch die im eigenen Berufsalltag an sozialen Brennpunkten gemachten Erfahrungen zu verarbeiten. Und so sind die Figuren dann mal mehr, mal weniger nach vorne  geneigt und manchen fehlt sogar ein Arm. Einen Zuversicht vermittelnden, offenen Gesichtsausdruck haben sie jedoch alle gemein.

Tim Jacobsen

Verbraucheraufklärung statt Frust schieben

Vielleicht ist es ja eine Mentalitätsfrage: heißt es seit Herbst 2019 in Deutschland „Land schafft Verbindung“, heißt es in unserem südlichen Nachbarland schon seit bald zehn Jahren „Land schafft Leben“. Und während die einen in eigener Sache mit möglichst großem Krawall zu Felde ziehen, versuchen die anderen möglichst neutral aufzuklären. Zwar gab es auch in Österreich Bauernproteste, im Frühjahr 2020 zogen rund 3300 Demonstranten mit 1500 Traktoren und dem Slogan „Spar Dir Deinen Geiz“ vor eben genau die Konzernzentrale dieses Lebensmitteleinzelhändlers – die darauffolgende und auch letzte Protestaktion, über die überregional berichtet wurde, war dann allerdings bereits eine Solidarkundgebung für die zuletzt von der Regierung Modi gebeutelten Kleinbauern in Indien Ende 2020.

„Spar Dir Deinen Geiz“

Motto der österreichischen Bauern im Frühjahr 2020

Es wäre allerdings eine müßige Diskussion, zu überlegen, ob die Kolleginnen und Kollegen im Süden generell finanziell besser aufgestellt oder vielleicht doch einfach genügsamer sind – vielmehr müsste die zentrale Frage lauten, warum es nicht auch bei uns ein Onlineinformationsangebot wie das von Land schafft Leben gibt. Geld sollte genug im Umlauf sein, Frau Klöckners sagenumwobene Bauern-Milliarde, die 50 Mio. €, die der eine Discounter erst ausgeblobt hat, dann angesichts des offensichtlichen Widerwillens der Konkurrenz, bei der Scharade mitzuspielen, am liebsten niemals erwähnt hätte – mit Brotkrumen dieser schwindelerregenden Beträge ließe sich bereits der Startschuss für ein solches Verbraucherportal geben. Wie dies dann im Fall von Möhren bspw. aussehen könnte, zeigt sehr anschaulich https://www.landschafftleben.at/lebensmittel/karotte.

Tim Jacobsen

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