"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: Obst (Seite 1 von 5)

Willkommen im Erdbeeruniversum 2.0 – powered by Dyson

Sir James, der Mann, der einst mit beutellosen Zyklonen den eher an größtmöglichen Wattzahlen orientierten Staubsaugern den Krieg erklärte, hat sich zuletzt auch der Erdbeere verschrieben – und zwar, wie könnte es anders sein, nicht irgendwie ein kleines bisschen, sondern auf spektakulärste Weise. Denn wo andere noch von Vertical Farming träumen, dreht sich bei Dyson bereits das „Hybrid Vertical Growing System“.

Der neueste Clou in Dysons riesigem Gewächshauskomplex in Lincolnshire, der 26 Acres und damit ungefähr 10,5 Hektar groß, mehr als 1,2 Mio. Erdbeerpflanzen beherbergt und Großbritannien ganzjährig mit rund 1.250 t Früchten versorgt, ist ein rotierendes Riesengerüst für Erdbeerpflanzen, das eher an ein Jahrmarkts-Riesenrad erinnert als an von Hedgerows eingezäunter Countryside im ländlichen England.

Zwei gigantische Aluminiumstrukturen, jeweils größer als zwei hintereinander geparkte von Urlaubspostkarten aus der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs wohlbekannte Doppeldeckerbusse, die langsam und elegant 6 000 Pflanzen pro Einheit durch den Raum rotieren. Der Effekt? 250 % Ertrag, wie das Unternehmen im einschlägigen Fachorgan Youtube stolz verkündet (https://www.youtube.com/watch?v=FA6BCIWPJ30). Einmal mehr ein formidabler Image-Coup für Dyson.

Dabei geht es nicht nur um Ertragsmaximierung, auch die Qualität profitiert: Die rotierenden Beerenriesenräder sorgen dafür, dass jede Pflanze – oben wie unten – stets optimales Licht abbekommt. Natürliches Licht wird durch gezielte LED-Beleuchtung ergänzt, vor allem in den lichtarmen Wintermonaten. Ein ausgeklügeltes Drainage- und Bewässerungssystem sorgt dafür, dass die Pflanzen weder verdursten noch ertrinken.

Es ist die Art von Ingenieursleistung, bei der man fast erwartet, dass irgendwo ums Eck bereits ein Dyson-Raumschiff mit Gewächshausmodul geparkt ist und auf Startfreigabe wartet. Zwölf Monate Planung, Konstruktion und unzählige Schrauben später sind Technologie und Technik hinter dem System genauso faszinierend wie futuristisch:

Es sind nicht nur die Erdbeeren in langen Reihen in den drehbaren Strukturen, es sind die Roboter, die Sensoren, das UV-Licht und all die anderen kleineren und größeren Stellschrauben, die bei Dyson ausgereizt scheinen und dem Anschein nach zumindest den Stand der Dinge markieren. Bei Dyson ist sogar der biologische Pflanzenschutz automatisiert.

Die Energie für dieses botanische Meisterwerk stammt von einem benachbarten Biogasreaktor – einem der größten des Landes. Dieser verarbeitet Ernterückstände aus den umliegenden Feldern, erzeugt Strom und Wärme für bis zu 10 000 Haushalte – und liefert gleichzeitig CO₂ für das Glashaus. Sogar die Gärrückstände werden wieder als Dünger auf die Felder gebracht.

In Summe entsteht ein in sich geschlossener Kreislauf, bei dem Nachhaltigkeit gewissermaßen nicht nur grün aussieht, sondern auch nach Erdbeere schmeckt. Was Dyson hier abzieht, könnte mehr als der Gag eines gelangweilten Tech-Milliardärs mit zu viel Land und zu vielen Ideen sein. Es ist ein technologischer Feldzug gegen Ineffizienz in der Lebensmittelproduktion – mit Präzision, wie man, wie bereits erwähnt, sie sonst hauptsächlich aus der Raumfahrt kennt.

Und auch, wenn der ein oder andere Spötter Dyson vorwirft, eine große Show um etwas so Einfaches wie eine Erdbeere zu machen – der Erfolg gibt ihm Recht. Ein Vierteltonne Erdbeeren pro 100 Quadratmeter Fläche? Das ist mehr als beeindruckend. Und die Technik ist skalierbar – für Tomaten, Paprika oder gar Cannabis (sollte Dyson sich eines Tages für Medizinalprodukte interessieren).

Der Ideengeber und Eigentümer scheint dabei rastlos wie eh und je. Der mittlerweile weit über 75 Jahre alte Brite hatte schon in jungen Jahren ein Faible fürs Ungewöhnliche: Die Idee des beutellosen Staubsaugers kam ihm, nachdem er sich über verstopfte Staubsäcke geärgert hatte. Der Rest ist Geschichte: Staubsauger, Händetrockner, Ventilatoren – alles mit einem gewissen James-Bond-Flair, minus die Explosionen. Dass er nun Landwirtschaft neu erfindet, überrascht eigentlich nur die, die seine Karriere nicht verfolgt haben.

Denn Dyson ist kein Unternehmer, der Trends jagt – er schafft sie. Und sein Erdbeeranbausystem ist nicht einfach nur „High-Tech-Landwirtschaft“, sondern eine Vision, wie moderne Nahrungsmittelproduktion aussehen könnte: automatisiert, ressourcenschonend, lokal. In einer Zeit, in der britische Supermärkte im Winter zwischen spanischen und marokkanischen Erdbeeren wählen müssen, bringt Dyson die Heimatbeere zurück ins Regal – frisch, süß, CO₂-arm.

Natürlich gibt es auch Kritik: Der Aufwand ist enorm, die Maschinen sind teuer, die Systeme komplex. Kritiker fragen: „Lohnt sich das wirklich?“ Auf Plattformen wie Reddit wird heiß diskutiert – zwischen Faszination und Skepsis. Manche feiern Dyson als Pionier, andere spotten über „Tech-Overkill“. Doch Dyson Farming lässt sich nicht beirren. Das nächste Ausbauprojekt – zusätzliche 4,7 ha Gewächshausfläche – ist bereits geplant. Die Ausweitung auf weitere Fruchtarten ist nur eine Frage der Zeit.

Und während in mancher Schrebergartenkolonie noch über die perfekte Erde für Freilanderdbeeren debattiert wird, drehen sich in Lincolnshire schon die nächsten Beerenräder gen Sonnenlicht. Die Frage ist nicht mehr, ob Vertical Farming eine Zukunft hat – sondern nur noch, wie laut es dabei summt, klickt und rotiert.

Vielleicht bringt Dyson demnächst auch einen Heim-Erdbeerautomaten auf den Markt: Selbstreinigend, klimatisiert, mit App-Anbindung. „Hey Dyson, ernte meine Erdbeeren.“ Bis dahin bleibt festzuhalten: Wenn ein Staubsaugerhersteller es schafft, Erdbeeren effizienter zu produzieren als viele, die sich tagein, tagaus darüber den Kopf zerbrechen – dann haben wir vielleicht zu lange in nur eine Richtung gedacht.

Tim Jacobsen

Und täglich grüßt das Murmeltier

Wahrscheinlich wird es so gewesen sein, dass die Haushaltshilfen meiner Großeltern am Wochenende mit ihren eigenen Familien zu Mittag aßen und am Sonntag schon allein aus mangelnder Kochpraxis in eine Wirtschaft gegangen werden musste. Da dort dann aber auch tatsächlich stets ein Großteil aller Nichten, Neffen, Tanten und Onkels zusammenkamen, glichen diese Mittagessen immer auch ein bisschen einem Gärtnerstammtisch. In meiner Erinnerung dominierten Diskussionen über das Wetter die Gespräche.

Der Strelitzienanbau sowie die Schnittrosen unter Glas hatten die Ölpreiskrisen überlebt, personelle Engpässe entstanden dadurch, dass die türkischstämmigen Mitarbeiter nach Jahrzehnten fernab der Heimat ihren Ruhestand lieber wieder zuhause verbringen wollten. Lehrlinge kamen und gingen, fleißige Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien blieben. Die Preise für Gehölze wurden im Katalog nachgeschlagen und den Lohn gab es freitags in Papiertüten.

Die großen Alleebäume in den Revieren hatten ihre Daseinsberechtigung, da ja doch ab und zu ein verunglückter Baum an der Bundesstraße durch einem typengleichen ersetzt werden wollte. Profit stand nicht unbedingt an erster Stelle: Einer meiner Onkel zog mit seiner Fuchsiensammlung den Neid botanischer Gärten auf sich, ein anderer tauchte im Nebenberuf ab in die Miniaturwelt der Bonsais, ein dritter ging regelmäßig in Südamerika auf Jagd nach unbekannten Masdevalliae.

Ungemütlich wurde es mit der Einführung des Faxgerätes. Statt Verkaufsgesprächen am Telefon mit der Wählscheibe gab es fortan schnöde Preisabfragen. Computertabellen ersetzten Notizbücher und immer seltener wurde mittags die Hofeinfahrt mit dem großen Tor verschlossen – Gartencenter und Baumärkte machten ja schließlich auch keine Mittagsstunde.

Seit einigen Jahren wachsen statt Raritäten, Exoten und dem Standardbaumschulsortiment wieder wie vor gut siebzig Jahren Kartoffeln und eher robustere Gemüsearten auf meinem früheren Kinderspielplatz. Die nahgelegene Großstadt bietet genügend Menschen ein Zuhause, die gerne einen Aufpreis dafür zu zahlen bereit sind, ihren Kindern wiederum zeigen zu können, dass Lebensmittel eben nicht im Supermarkt wachsen.

Warum erzähle ich Ihnen das alles? Wenn Sie diese Zeilen lesen, dann ist es fast auf den Tag genau zwanzig Jahre her, dass ich mich zum ersten Mal an dieser prominenten Stelle zu Wort melden durfte. Damals hatte die Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Gartenbaus mit der Auseinandersetzung über die Sozialabgabensätze polnischer Saisonarbeitskräfte und der Energiekostendiskusssion gerade einen Höhepunkt erreicht.

Seinerzeit war Michael Porters Diamantenmodell zur Beurteilung der Konkurrenzfähigkeit von Staaten in Bezug auf einzelne Branchen gerade der letzte Schrei und zumindest unter Ökonomen setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass niedrige Gestehungskosten nur ein Produktionsfaktor von vielen sind.

Vieles von dem, was unser Land lebenswert macht, trägt auf seine Weise dazu bei, dass wir es uns leisten können, auch einmal über das Ziel hinaus zu schießen, da wir ja in gewisser Weise auf anderen Gebieten schon in Vorleistung gegangen sind. Menschheitsgeschichtlich sind wir gepolt auf Problemlösung: kam der Säbelzahntiger, mussten wir uns in Windeseile entscheiden zwischen Kämpfen oder Laufen.

Heutzutage heißt der Säbelzahntiger Cutoff-Kriterium, Mindestlohn oder Schilf-Glasflügelzikade. Wörter bei denen einem unweigerlich der Kamm schwillt. Vergessen dürfen wir dabei aber nicht, dass, hätten die Apologeten auch nur bei einem der Katastrophenszenarien der letzten Jahrzehnte Recht behalten, es schon lange keine Landwirte und Gärtner mehr bei uns geben würde.

Die Gärtnereien und Betriebe in und mit denen ich aufgewachsen bin, gibt es auch heute alle noch – wenn auch mitunter in einem anderen Erscheinungsbild und mit einem anderen Geschäftsmodell. Auch wenn dies der Drohkulisse Mindestlohnerhöhung keinen Abbruch tut, war oft die Betriebsnachfolge der größte Stolperstein.

Tim Jacobsen

Wie alles mit allem zusammenhängt: Revolutioniert Dyson auch den Erdbeeranbau oder will er nur Steuern sparen?

Im November 2024 kündigte die neu gewählte Labour Regierung an, die Befreiung von der Erbschaftssteuer für landwirtschaftliche Betriebe ab einer Million Pfund aufheben zu wollen, , was zu Massenprotesten im gesamten Königreich führte. 32 Jahre zuvor war die Übertragung von landwirtschaftlichen Betrieben zwischen den Generationen unter dem konservativen John Major- zum Schutz der Ernährungssicherheit von der Steuer befreit worden. Die neue Regelung soll im April 2026 in Kraft treten und sieht eine Erbschaftssteuer von 20 % auf Beträge über diesem Schwellenwert vor.

Die Landwirte führen ins Feld, dass sie zwar reich an Vermögen, aber arm an Bargeld seien, was zu einer Situation führe, in der Erben Ackerland verkaufen müssten, um ihren Steuerpflichten nachkommen zu können. Befürworter der Änderung argumentieren damit, dass wohlhabende Privatpersonen Ackerlandkaufen, um der Erbschaftssteuer zu entgehen. Regierungsangaben zufolge würde die Maßnahme etwa 27 % der landwirtschaftlichen Betriebe im Vereinigten Königreich (ungefähr 56700 landwirtschaftliche Betriebe) betreffen.

Wütend machten die Steuerpläne der Labour-Regierung auch Staubsauger-Milliardär James Dyson, der sich als einer der schärfsten Kritiker der neuen Erbschaftsteuer auf Landwirtschafts- und andere Familienbetriebe hervorgetan hat. Als „bösartig“ bezeichnete Dyson die Budgetpläne von Finanzministerin Rachel Reeves in einem Gastkommentar in der „Times“. „Kein Unternehmen kann Reeves’ zwanzigprozentigen Steuer-Zugriff über­leben“, schimpfte er. Nicht weniger als den „Tod des Unternehmertums“ siehe er kommen.

Dass der 77 Jahre alte Unternehmer und Erfinder sich so sehr für die Steuerbelastung der Bauern interessiert, könnte auch daran liegen, dass er selbst eines der größten Landwirtschaftsunternehmen des Vereinigten Königreichs zusammengekauft hat. Besonders in Lincolnshire im Nordosten Englands, wo es sehr gute Böden gibt, sowie in Somerset im Südwesten hat er im vergangenen Jahrzehnt große Flächen erworben.

Insgesamt fast 15000 ha Land gehören der Dyson Farming Ltd. Damit ist der Mann, der mit der Erfindung von Hightech-Staubsaugern, Hände- und Haartrocknern zum fünfreichsten Briten aufstieg, inzwischen auch unter den fünf größten Produzenten für Getreide, Bohnen und Kartoffeln des Landes angekommen. Neben den klassischen Ackerbaukulturen baut Dyson auch Erdbeeren im großen Stil an. Auf seiner Farm in Lincolnshire wachsen mehr als eine Million Erdbeerpflanzen in Gewächshäusern, die mit LED-Lichtern beleuchtet werden.

Die Gewächshäuser mit insgesamt mehr als 100000 m2 Fläche sind hoch technisiert. So erspähen Roboter des Start-ups Dogtooth aus Cambridgeshire mit optischen Sensoren die reifen, roten Früchte. Ein Greifarm pflückt und legt sie in Kisten. Alles ist so weit automatisiert wie nur möglich. Dank des Einsatzes von UV-Licht kommen so gut wie keine Fungizide zum Einsatz. Rund 1250 t Erdbeeren sind der Lohn der Mühen. Der Bioabfall wird in großen Faultürmen vergoren, und das daraus entstehende Gas und die Wärme wird für die Beheizung der Treibhäuser genutzt.

Mehr als 140 Mio. Pfund hat Dyson nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren in die Modernisierung seiner gleichnamigen Faming Limited investiert. Und er plant Großes, auch wenn der ausgewiesene Gewinn von fünf Millionen Pfund angesichts der großen Investitionen eher mäßig scheint Kritiker werfen ihm (und anderen Promi-Landwirten wie Jeremy Calrkson) vor, sie wollten mit ihren Farmen lediglich Steuern sparen. Dyson weist dies zurück.

Bei dem angenommenen Wert seiner Farmaktivitäten in Höhe von gut 600 Millionen Pfund und möglichen rund 120 Millionen Pfund Erbschaftsteuer fällig, haben seinen Beteuerungen, die Investitionen in die Landwirtschaft dienten garantiert nicht dem Zweck, Erbschaftsteuer zu vermeiden, zumindest einen Beigeschmack. Zumal der dreifache Vater und sechsfache Großvater vor fünf Jahren auch bereits seine nach Singapur verlegt hatte – auch dies selbstredend nicht aus steuerlichen Gründen.

Die Motivation für sein Engagement in der Landwirtschaft sei eine andere, beteuert Dyson. Er wolle helfen, moderne Technologien und nachhaltige Anbaumethoden zu etablieren sowie dazu beitragen die Lebensmittelqualität und Versorgungssicherheit insgesamt zu verbessern. Der Absolvent des Londoner Royal College of Art hatte sich ab den Siebzigern in technische Erfindungen und Konstruktionen vergraben und ließ sich dabei von Fehl- und Rückschlägen nicht entmutigen.

Seine ersten Ideen wie das Transportboot Sea Truck floppten, ebenso die eigenwillige Konstruktion einer Schubkarre, die nicht auf einem Rad, sondern auf einer Kugel rollen sollte. Auch der Wasser-Quad wurde kein Erfolg. Erst mit dem effizienten Hightech-Staubsauger, der ohne Beutel (und später ohne Stromkabel) auskommt, gelang Dyson der Durchbruch. Angeblich hat er in fünf Jahren 5127 Prototypen gebaut, bis ihn das Ergebnis endlich befriedigte. In dieser Zeit war die Familie knapp bei Kasse, sie lebten vom Gehalt von Dysons Frau, einer Kunstlehrerin.

Auch die Markteinführung war schwierig. Da die britische Industrie abwinkte, ging Dyson nach Japan. Schließlich wurde der Staubsauger ein globaler Markterfolg. „Der Dyson“ ist inzwischen ein Haushaltsname, mehr als zehn Millionen Briten nutzen ihn. In den meisten Ländern hat die Firma einen Marktanteil von mehr als zwanzig Prozent, in Deutschland sind Dyson-Staubsauger beliebter als die heimischen Marken Miele und Bosch. Immer neue Modelle designen Dysons Ingenieure im Forschungs- und Entwicklungszentrum in Malmesbury, Südengland.

Verglichen mit den Hightech-Produkten in Dysons Sortiment, die in den jeweiligen Produktkategorien oft Marktbeherrschend wurden, scheint der Konkurrenzkampf im Erdbeergeschäft vergleichsweise hart. Dysons Erdbeeren, die er über die Supermarktketten Sainsbury’s und Marks & Spencer verkauft werden, liegen preislich am obersten Ende. Künftig soll mit mehr Union-Jack die britische Herkunft noch stärker hervorgehoben werden. Einblick in das Hightechgewächshaus gewährt https://tinyurl.com/4prt9ty3.

Tim Jacobsen

Wissenschaft, die Wissen schafft

Was sich nach Klamauk und Schabernack anhört, könnte durchaus ernste Konsequenzen haben: Forschende der Universitäten Bath, Aachen und Frankfurt beobachteten 192 Stunden lang das Kaufverhalten von insgesamt 3810 Kunden – und das an einem winzig-kleinen, oftmals übersehenen Teil der Obsttheke von Rewe-Märkten. Und zwar genau an der Stelle, an der es einzelne Bananen zu kaufen gibt.

Wurden diese Bananen mit einem Mitleid-erweckenden „Wir sind traurige Singles und möchten gekauft werden“ angepriesen, steigerte dies den Absatz gegenüber vermeintlich glücklichen und auch so beschilderten Single-Bananen um mehr als die Hälfte. Damit könnten die Bananen ein Vorbild sein für alle Singles, egal ob Mensch oder pflanzlichen Ursprungs. Das Betonen der eigenen Imperfektionen könnte, anders als auf den einschlägigen Vermittlungsportalen üblich, die eigene Attraktivität zumindest wissenschaftlich belegt noch einmal deutlich steigern.

Und was für Chancen tun sich damit dann erst im Geschäft mit allem was blüht und verblüht auf? Dass es für verderbliche Ware auch noch ganz andere Möglichkeiten zur Wertschöpfung gibt, bewies unlängst Maurizio Cattelans Banane, die mit Klebeband an der Wand, mit „Comedian“ als Titel und damit als Kunstwerk ausgewiesen für knapp 6 Mio. € den Besitzer wechselte. Immerhin gut 3 % des jährlichen Gesamtumsatzes mit Bananen in Deutschland.

Tim Jacobsen

Beruf Gärtner. Der Zukunft gewachsen

Die Älteren unter uns können sich noch erinnern: am ersten Tag des Jahres 2000 drohte der Weltuntergang, weil überfleißige Programmierer übersehen hatten, dass mitunter ja auch einmal ein Jahrtausendwechsel anstehen könnte. Danach entwickelte sich das Jahr 2030 zum neuen Sehnsuchtsziel und so verabschiedeten die Vereinten Nationen noch im Jahr 2015 eine Agenda 2030, wohlwissend oder besser hoffend, dass in 15 Jahren eine Menge passieren kann.

Zur Halbzeit Richtung 2030 war das Fazit dann allerdings mehr als ernüchternd: angesichts von Kriegen, Pandemien, der Erderwärmung und einem augenscheinlich viel zu oft fehlenden politischem Willen werden wir wohl keines der darin formulierten 17 Ziele auch nur annähernd erreichen.

Dringend Zeit für eine neue Messlatte und da wir uns ja gerade mit Riesenschritten in Richtung stille Zeit und dem dazu gehörenden „wünsch Dir was“ begeben, wollen wir uns einmal in das fern klingende, in Wahrheit aber auch nur 300 Ausgaben des Gartenbau-Profis entfernte Jahr 2050 begeben. Steilvorlage könnte das „Maßnahmenpaket Zukunft“ sein, dass „der Gartenbau“ gewissermaßen als erledigte Hausaufgabe im Frühjahr 2024 „der Politik“ überreichte.

Allerdings krankt das Maßnahmenpaket, wie schon der Zukunftskongress zwei Jahre zuvor, daran, dass die Zukunft selbst darin etwas zu kurz kommt. Zugegebenermaßen ist das mit der Zukunft und wie sie aussehen wird, ja auch so eine Sache. So wie wir heute Gewächshäuser aus den1980er Jahren zuweilen belächeln, werden wir im Jahr 2050 wahrscheinlich auf Produktionsstätten schauen, die heute den Stand der Technik markieren. „Aus einer anderen Zeit“, „am falschen Fleck“ und überhaupt „von Innovation kaum was zu sehen“, könnte unser Urteil dann lauten.

Wobei es auch 2050 noch diejenigen geben wird, die das ganze moderne Zeug verteufeln und einfach nur in Ruhe ihr Ding machen wollen, genauso wie es auch diejenigen geben wird, denen alles gar nicht schnell genug gehen kann und die gedanklich schon wieder ein Vierteljahrhundert weiter sind.

Und natürlich ahnten auch die Dinosaurier nicht, dass ausgerechnet ein Asteroideneinschlag ihrer Vorherrschaft ein Ende bereiten könnte – genauso wenig war Ende Oktober der Wahlausgang in den USA absehbar oder hätte vorweihnachtlicher Frieden die Brandherde des Nahen Ostens, des Ostchinesischen Meers, in Myanmar, Ost- und Westafrika oder der Ukraine gelöscht.

Dennoch könnte es durchaus so sein, dass sich der Produktionsgartenbau bis 2050 in eine wahrhaft nachhaltige Richtung entwickelt. Dies sowohl was die finanziellen Aussichten als auch was die heute bereits vielfach diskutierten Nachhaltigkeitsaspekte wie Klimaresilienz und dem Anforderungskatalog des in Zukunft noch deutlich wichtiger werdenden Prädikats „gut für Mensch und Umwelt“ angeht.

Anzeichen hierfür sind im hier und jetzt bereits erkennbar: Nahrungsmittelskandale werden auch in Zukunft nicht ausbleiben und das Insektensterben wird über kurz oder lang zu einer deutlichen Abnahme von Wildvögelpopulationen führen – zwei der Entwicklungen, die zu einem endgültigen Gesinnungswandel weg von „Geiz ist geil“ beitragen könnten. Eher aktivistisch veranlagte Grundbesitzer könnten (wie bspw. bereits in Dänemark zu beobachten ist) zunehmend strikte Bedingungen an die Art der Bodennutzung stellen.

Produzenten und Konsumenten nähern sich nach Jahren der Entfremdung wieder an, ihr Schulterschluss sorgt dafür, dass die Gesetze des Marktes ein Stück weit ausgehebelt werden. Auch wenn Energie in Zukunft tatsächlich ohne Preiskärtchen verfügbar sein könnte, wird die Konkurrenz in den klassischen Handelskanälen nicht unbedingt kleiner, da die heutzutage noch aus produktionstechnischer etwas rückständigen Standorte aufholen werden.

Angesichts strengerer Regelauslegung zugunsten von Umwelt und Klima werden Flächenausweitungen eher ein Geschäftsmodell der Vergangenheit sein und Formen der solidarischen Landwirtschaft eher der Regelfall werden. Gleichzeitig könnte es aus einer ganz anderen Ecke zu einem Nachfrageschub kommen:

Wenn Prävention immer wichtiger wird und die Gesundheits-Apps Burger verbieten, steigt zwangsläufig der Obst- und Gemüseverbrauch. Ähnlich wie schon beim CO2-Fußabdruck wird das True Cost Accounting bei Nahrungsmitteln gang und gäbe. Block Chain-Technologie sorgt für Transparenz; Zucker, Alkohol und all die anderen schönen Dinge werden schlimmer besteuert als Zigaretten heutzutage.

Mit diesem Geld wird ein Gesundheitsfonds eingerichtet, der dann wiederum die Folgen des übermäßigen Konsums allem Ungesundens kostenmäßig auffängt. Big Data sorgt für individualisierte Diätpläne und eine Vielzahl strategischer und organisatorischer Allianzen sorgt dafür, dass die Unterschiede zwischen Eigentümer, Stakeholder, Produzent und Konsument verschwimmen, genauso wie die zwischen Gartenbau, Tierhaltung und Ackerbau, der Anzucht von Algen, Pilzen und Insekten.

Technologischer Fortschritt sorgt für die Wiedergewinnung von Nährstoffen, Durchbrüche in der Gentechnik optimieren die Fotosynthese. Bodengebundene Produktionsverfahren gibt es kaum noch und dann haben wir es ja noch gar nicht darüber gehabt, welchen Einfluss Künstliche Intelligenz in Kombination mit Robotik und Prozessautomatisierung auf unser Leben in 25 Jahren haben könnten.

Tim Jacobsen

Die Preise gehen rauf und selten runter

Die große Inflationswelle ist vorbei. Im August blieb die Teuerungsrate mit 1,9 % erstmals seit mehr als drei Jahren wieder unter dem Zielwert von 2 %. Vor allem Energie ist billiger als vor einem Jahr. Im August waren das stattliche 5,1 %. Preistreiber sind aktuell Dienstleistungen, die um 3,9 % teurer waren. Hier wirken sich die hohen Lohn- und Gehaltssteigerungen der vergangenen Monate aus. Nahrungsmittel wurden im Jahresvergleich nur noch um 1,5 % teurer.

Wie hoch das Preisniveau für Nahrungsmittel allerdings ist, zeigt ein Vergleich der Preise über den gesamten Zeitraum der jüngsten Inflationswelle: Heute sind Nahrungsmittel laut Statistischen Bundesamt im Durchschnitt um mehr als 32 % teuer als vor vier Jahren. Für eine Flasche Olivenöl mussten Verbraucher im Juli mehr als doppelt so viel zahlen wie vor vier Jahren. Zucker ist fast doppelt deutlich teurer als 2020.

Wegen steigender Preise für Zucker, aber auch anderen wichtigen Zutaten wie Mehl und Fette, sind auch Kekse erheblich teurer geworden, genauso wie Milch und Milchprodukte, Ketchup, Gemüsekonserven und Sonnenblumenöl mit Aufschlägen zwischen 63 % bei den Konserven und 112 % beim Olivenöl.

Nur ein Lebensmittel ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes heute mit 2 % etwas billiger als damals: Zitrusfrüchte. Die geringsten Anstiege verzeichneten Birnen (0,8 %) und Äpfel (7,4 %). Bei den Äpfeln trafen 2021 und 2022 gute Ernten auf eine eher geringe Nachfrage, eine Preisumkehr scheint wahrscheinlich.

Für Verbraucher weniger schlimm sieht der Jahrespreisvergleich aus. Für einige Lebensmittel mussten Verbraucher im Juli nicht mehr so tief in die Tasche greifen wie noch zwölf Monate zuvor.

Die größten Preisrückgänge gab es bei Möhren (13,8 %), Zwiebeln und Knoblauch (13,7 %), tiefgefrorenem Obst (13,1 %), einmal mehr den Zitrusfrüchten (9,3 %), Sonnenblumenöl und Rapsöl (8,6 %) sowie Weizenmehl (8,3 %). Dabei nicht vergessen werden darf: Von den Zitrusfrüchten einmal abgesehen sind alle genannten Produkte immer noch teurer als im Jahr 2020, teilweise sogar deutlich.

Die Verbraucherzentrale forderte Ende August angesichts dessen, dass die Lebensmittelpreise in Deutschland seit dem Jahr 2021 insgesamt um rund 33 % gestiegen, während die Gesamtinflationsrate im gleichen Zeitraum bei 20 % liegt, einmal mehr die Einrichtung von Preisbeobachtungsstellen.

Diese sollen ihre Befunde jährlich dem Bundestag melden, damit der Gesetzgeber „gegebenenfalls politische Maßnahmen“ ableiten könne. Aber was könnten das für Maßnahmen sein? Vermutlich ist an Preiskontrollen und staatlich festgesetzte Preise gedacht.

Die Idee der Preisbeobachtung hat dabei mindestens zwei Haken. Da ist zunächst die Hoffnung, Informationsasymmetrien könnten durch Transparenzoffensiven eingeebnet werden. Aber was hat der Verbraucher davon, wenn die Kosten der Wertschöpfungskette für alle transparent gemacht werden?

Soll er daraus schließen, dass die Zwiebeln und Möhren möglicherweise ihr Geld nicht wert sind? Oder erleichtert die Transparenz womöglich nur den anderen Supermarktformaten die Suche nach noch billigeren Lieferanten? Und dann ist da ja noch die Sache mit dem „gerechten“ Preis. Hört sich gut an, aber wer bestimmt „was eine Sache wert ist“?

Und wenn es dann keinen objektiv gerechten Preis gibt, dann bleibt nur der Umkehrschluss: Ob ein Preis gerecht ist, bemisst sich daran, was Möhren, Zwiebeln und alles andere den Menschen subjektiv wert ist. Das wiederum heißt, dass Preise sich nicht mit den Herstellungskosten begründen lassen, sondern mit der Wertschätzung der Kunden.

Für sie und den Anbieter ist lediglich ihre subjektive Zahlungsbereitschaft von Relevanz. Daran muss der Händler dann seine Kosten ausrichten. Dass es dabei mit rechten Dingen zugeht, dafür sorgt seit der Währungsreform und dem Ende der Zwangswirtschaft in der für unser Deutschland typischen Sozialen Marktwirtschaft der Wettbewerb – notfalls im Zusammenspiel mit den Kartellbehörden.

Eines darf bei der ganzen Diskussion aber auch nicht übersehen werden: Zwar gibt es bei uns – anders als in der Deutschen Demokratischen Republik – zwar kein staatliches Amt für Preise; was im Vereinigten Königreich bei Tesco, Sainsbury’s, Asda und Morrisons unter „Aldi Price Match“ läuft, also dem Bewerben von Produkten damit, dass sie zum gleichen Preis wie bei Aldi zu haben sind, gibt es, wenn auch nicht ganz so explizit, auch bei uns.

Und das führt dann dazu, dass Preiseinstiegsartikel im gesamten LEH auf wundersame Weise ähnlich bepreist sind wie beim marktführenden Discounter.

Tim Jacobsen

Was isst Deutschland?

Wohl jeder hat zumindest in der entfernten Familie jemanden, der, auch wenn er wollte, gar nicht wüsste, wie Nudeln überhaupt gekocht werden – während andere, nicht weniger liebe Verwandte aus Spaghettini oder Spaghettoni einen Glaubenskrieg machen. Pastinaken und Petersilienwurzeln nutzten geschickt die Ge- und Abwöhnung an und von Erdnußbutter, Papaya und Avocados, um aus der Versenkung zurück zu kehren – und so ist in aller Abgedroschenheit an der Beständigkeit des Wandels durchaus etwas dran.

Im Vergleich März 2023 zum selben Monat des Vorjahres sticht zwar mit einem Plus von 27 % Gemüse heraus, richtig viel teurer ist aber mit 71 % Zucker geworden, über den so gut wie niemand spricht. 402 € geben wir alle im Schnitt Jahr für Jahr für Lebensmittel aus; der Anteil des Haushaltseinkommens, der in Polen für Lebensmittel ausgegeben wird, liegt um die Hälfte höher als bei uns.

Der Umsatz mit Biolebensmittel sank im Vorjahr im Vergleich zu 2021 zwar um 3,5 %, lag aber immer noch 25 % über dem von 2019. Interessanterweise war in der letzten Saison der Preisaufschlag für konventionelle Möhren über alle Absatzkanäle hinweg ausgeprägter als für Bioware. Noch extremer: Bei Zwiebeln ging in der zu Ende gehenden Saison konventionelle Ware ab wie Schmitz Katze, die Biokollegen dagegen konnten schon fast froh sein, das konstante Preisniveau der Vorjahre zu halten.

Doof dann auch, wenn die solvente Stammkundschaft das direktvertriebene Ökofleisch nicht mehr zu zahlen bereit ist, sich auf Discounterbio stürzt – und gleichzeitig am 30 % Ziel des Koalitionsvertrags festgehalten wird. Richtig attraktiv wird die Umstellung dadurch nicht, auch wenn Biobauern zumindest von der Preissteigerung für synthetische Dünger nicht betroffen sein sollten. Eier sind übrigens die am häufigsten gekauften Bioprodukte, noch vor Obst und Gemüse sowie Kartoffeln und den Mopros.

Der Ökolandbau schneidet in vielen Dingen besser ab als die konventionelle Landwirtschaft, die Frage, wie groß die Ertragseinbußen sind, scheidet die Geister. Smart Farming könnte eine Art Mini-game-changer werden, der große Wurf wäre allerdings eine Anpassung des EU-Gentechnikrechts. Nicht unbedingt etwas Neues: Schon die Urbios diskutierten darüber, ob nicht Molekularbiologie geradezu dafür gemacht wäre, den nicht chemisch unterstützen Pflanzen in ihrem Überlebenskampf alle denkbaren Vorteile zu bieten. Seinerzeit soll die Stimmungslage ungefähr fifty-fifty gewesen sein.

Letztendlich ist das Ganze aber mehr eine Art Scheindiskussion angesichts dessen, dass von 50 m2, die es braucht, um ein Rind 1 kg schwerer werden zu lassen, standortabhängig eben auch bis zu 2,5 dt Kartoffeln abgefahren werden können. Seit dem Jahrhundertwechsel ging der Milchkonsum bei uns um rund ein Zehntel zurück, die Alternativen aus Hafer, Soja und Mandel eroberten 5,5 % Marktanteil.

Erfreuliche 72 % der Deutschen greifen täglich zu Obst und Gemüse, wieder einmal sind die Frauen mit 81 % vernünftiger als die Männer mit 63 %. Fleisch gibt es bei 19 % unserer Frauen jeden Tag, hier liegen die Männer mit 31 % deutlich darüber. Mit unseren durchschnittlich 52 kg Fleischkonsum liegen wir zwischen den 4 kg in Indien und den 110 kg in Amerika, Australien und Argentinien irgendwo in der Mitte.

Die Beliebtheit von Suppen und Eintöpfen steigt mit dem Alter, beim Ketchup ist es andersrum. Frauen trinken mehr Kräutertee als Männer und Männer viermal so viel Alkohol. 78 kg Lebensmittel werfen wir alle durchschnittlich weg und von den 7,4 % der Treibhausgasemissionen, die auf die Landwirtschaft entfallen, stammen zwei Drittel aus der Tierhaltung.

Gut die Hälfte Deutschlands wird in der einen oder anderen Form bewirtschaftet und so wird schnell klar, dass Insektenhotels hier und bestäuberfreundliche Blüten da allenfalls Kosmetik sein können und es vor allem mehr Diversität in der Fläche braucht.

Insekt ist dabei nicht gleich Insekt, mit rund einer Million Arten sind Insekten die artenreichste Tiergruppe überhaupt. Andere Länder, andere Sitten: während nicht nur in Bayern Insekten eher langsam Eingang in unsere Speisekarten finden werden, sind sie für rund ein Viertel der Weltbevölkerung der Proteinlieferant schlechthin.

Vielleicht kommen wir aber auch noch einmal mit einem blauen Auge davon – zumindest was die Insekten angeht. Wer schon einmal einen Vorgeschmack darauf bekommen möchte, wie es gehen könnte, die bis 2050 wahrscheinlich 10 Mrd. Menschen zu ernähren, sollte einen Blick in „Eat Good“ wagen.

Auch auf die Gefahr hin, eine der Haupterkenntnisse der Rezeptsammlung zu spoilern: mit den Lancet-Kommissions-Empfehlungs-gerechten 350 g Gemüse und 200 g Obst täglich sollte uns Gärtnerinnen und Gärtnern eigentlich nicht bang vor der Zukunft sein!

Tim Jacobsen

Aufklärung, die Spaß macht

Zurück von weggewesen: auch bei den Kollegen einmal über den Kanal begann im letzten Jahr nach mehrmaligem Coronawinter- und -sommerschlaf wieder die Veranstaltungssaison. Einigermaßen bezeichnend, dass sich die Mund- und Nasenbedeckungen bis zum Wiedereinstieg in den öffentlichen Nahverkehr diesseits der Passkontrolle eine Pause verdient hatten, aber geschenkt: England im Spätherbst wie eine andere Welt, die Kathedralen strahlten im Dunklen um die Wette, Schlittschuhbahnen luden zur vorweihnachtlichen Ausfuhr und der Sieg der englischen Nationalelf über die Vereinigten-Königsreichs-Kollegen aus Wales wurde – public viewing at its best – ein- und ausgehend gefeiert.

Nachdenklicher stimmte, was auf der Onion and Carrot Conference (OCC) diskutiert wurde. Und damit sind nicht die Ausführungen des aus Missouri stammenden Präsidenten der US-amerikanischen National Onion Association gemeint, der in der Biden Administration den Grund für alles Übel auf der Welt sah und seinen europäischen Berufskollegen riet, doch einfach nicht zu verkaufen, wenn die Preise nicht stimmen. Erinnerte Greg Yielding mit markigen Sprüchen und Cowboyhut an die Karikatur eines Westernhelden, erfüllte David Exwood die Erwartungen an die Rede eines Bauernverbandsvizepräsidenten – wobei Häme angesichts des selbsteingebrockten Brexits mit Sicherheit fehl am Platz ist.

Nachhaltigkeit der Inflationsbekämpfung zu opfern und mit noch mehr Saisonarbeitskräften aus Nepal und Indonesien Arbeitsmarktlücken stopfen, hört sich zwar nach einem Plan an, aber einem vielleicht eher kurzsichtigen. Steilvorlage für Emeritus Tim Lang, der gemeinhin als einer der klügsten Köpfe Englands gilt. Und auf einmal waren die Probleme unserer mit Linksverkehr gesegneten Berufskollegen auch unsere: Ohne Importe geht es auch in England nicht, hüben wie drüben führt falsche Ernährung zu Riesenkosten für die Gesundheitssysteme und konzentriert sich die Marktmacht im Lebensmitteleinzelhandel auf eine Handvoll anerkannt profitorientierter Unternehmen.

Und da die Engländer uns normalerweise einen Schritt voraus sind, wird auch in Deutschland die Lücke zwischen der Lebenserwartung privilegierter und weniger privilegierter Bevölkerungsschichten größer werden. Die nie erreichten mindestens Fünf am Tag werden zukünftig noch mehr zu einem Luxusproblem werden und auch bei uns zeigt sich: Die Tafeln sind nicht die Antwort und können das Problem auch nicht lösen. Die Politik ist gefragt, Lang wünschte sich einen 1943er Hot Springs Moment – auch wenn eigentlich in den letzten knapp achtzig Jahren genug Zeit gewesen wäre, der seinerzeit im Rahmen der UN Conference on Food and Agriculture aufgestellten Forderung nach einer „ausreichenden und angemessenen Versorgung eines jeden Menschen mit Nahrung“ nachzukommen.

Die 2008er Wirtschaftskrise und vieler ihrer Nachfahren und Vorläufer lassen grüßen

Tim JAcobsen

Wie verzwickt das Problem ist, zeigt Langs Vergleich inflationsbereinigter Konsumentenpreise: Möhren waren 2019 halb so teuer wie 1988, Zwiebeln um die Hälfte billiger. Das Preispendel schlug zwar in den Folgejahren in die Gegenrichtung aus und spätestens mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine wurde dann auch dem letzten klar, dass die Preise gewissermaßen durch die Decke gehen. Die Chance, folgerichtig die Erzeugerpreise neu zu tarieren, wurde jedoch verpasst, auch 2022 ließen sich Zwiebel und Möhren im Handel finden, die den Preisaufschwung seit 2019 irgendwie nicht mitbekommen hatten.

Die Antwort des LEHs lautete nämlich allgemeinhin, dass die Inflation „im Schulterschluss mit den Produzenten“ bekämpft werden müsse. Etwas, das Ged Futter dann eher als „auf den Schultern der Produzenten“ interpretierte. Der ehemalige Chefeinkäufer ist Experte für unlautere Wettbewerbspraktiken im Vereinigten Königreich und konnte jedem und jeder nur raten: Augen auf bei der Geschäftspartnerwahl. Es seien zwar unruhige Zeiten, doch – und da zeichnete sich dann auch endlich einmal eine lang erwartete gute Nachricht ab – werde die abnehmende Hand angesichts abnehmender Warenverfügbarkeit zukünftig weniger Spielraum haben und auf zuverlässige Partner angewiesen sein.

Damit ist allerdings noch nicht das Problem gelöst, dass in Krisenzeiten der Obst- und Gemüseverzehr leidet und das besonders in weniger begüterten Bevölkerungsschichten: mehr als ein Viertel aller Haushalte mit Kindern mussten in England in den letzten Monaten Mahlzeiten ausfallen lassen. Davon betroffen waren mehr als 4 Mio. Kinder. Knapp 10 Mio. Erwachsene mussten in den letzten Monaten auf die eine und andere Mahlzeit verzichten. Die Hälfte der Haushalte mit moderat bis niedrigen Einkommen machte Abstriche an den Obst- und Gemüsetheken, was zu einem Rückgang der Verkäufe um knapp ein Zehntel im Vergleich zur Prä-Covid-Zeit führte.

Schulgärten, wie von Joe Mann während der OCC angeregt, werden allerfrühestens mittelfristig für Veränderung sorgen. Deutlich schneller könnte es dann mit Simply Veg gehen, dem neuesten Streich des IPA Effectiveness-Preisträgers Dan Parker. Anders als noch in der ebenfalls sehr sehenswerten „Eat them to defeat them“-Kampagne hilft Veg Power dieses Mal dabei, mit Hilfe von simplyveg.org.uk preiswert und geschmack-voll die Klippen der „Permakrise“ ernährungstechnisch zu umschiffen. Wobei weder ausgewogen oder gesund noch regional oder saisonal im Vordergrund stehen, es klammheimlich aber dann doch tun.

Parker hatte sieben Jahre Vorlauf, die komplett privat finanzierte Kampagne rund zu bekommen. Zeit, die uns fehlt. Mit nur einem Bruchteil der einen Milliarde Euro, die als Anschubfinanzierung zur Förderung des Umbaus der Tierhaltung eingeplant sind, könnte hier Großes geschaffen werden.

Tim Jacobsen

Beginnt die Zukunft heute, ist sie schon da oder war sie vielleicht gestern?

Will man sich vor Augen führen, wie lange es her ist, dass ministeriell orchestriert das erste Mal in die Zukunft des deutschen Gartenbaus geschaut wurde, musste zuallererst Steinmeier Merkel im Kanzlerduell unterliegen, bevor wenige Tage und Meter vom Fernsehstudio entfernt dann die Erstausgabe des Zukunftskongresses Gartenbau stattfinden konnte.

Adlershof hatte den Vorteil, über Schönefeld seinerzeit zumindest noch direkt an die große weite Welt angeschlossen zu sein.

Die SPD ließ nicht locker und verfrühstückte vier Jahre später im Jahr 2013 Steinbrück an die Amtsinhaberin, auch dieses Mal begleitet von einem Zukunftskongress Gartenbau. Damals kam gerade Graphic Recording wieder aus der Mode und so wurden die Inhalte zumindest fast zeitgemäß in Wandgemälden festgehalten.

Nur neun Tage trennten Merkel am 8. Dezember 2021 von der 5869 Tage umfassenden Rekordkanzlerschaft Kohls. Wer 2013 in Tiefschlaf gefallen war, verpasste also in den Folgejahren nicht allzu viel, weder in der Politik noch im Profifußball. Der Amtsinhaberinnenbonus war und blieb lange Zeit Trumpf, die Ergebnisse des 2013er-Zukunftskongresses wurden in einer 85 seitigen –strategie festgehalten.

Ohne Duell, Flughafen und direktem Merkelbezug hatte Adlershof dann wohl seinen Reiz verloren und für die in wenigen Wochen aus dem Boden gestampfte 2022er-Drittauflage des Zukunftskongresses wurde mit der Heilig-Geist-Kapelle, einem der ältesten Gebäude Berlins, eine etwas zentralere Location gefunden.

Für den Minister, der sogar zur Vereidigung bei erstaunlicherweise wiederum Steinmeier mit dem Fahrrad gekommen war, wären die zwei Kilometer vom Dienstsitz in der Wilhelmstraße wahrscheinlich ein Klacks gewesen. Da aber am 18. Oktober 2022 das Agriculture and Fisheries Council tagte, konnte er nicht selbst kommen, sondern schickte eine Videobotschaft.

Etwas, das seine CSU-Vorgängerin 2013 ähnlich handhabte. Nur fingen damit für ihn gerade wegen des ganz-ohne-da-zu-seins die Probleme in gewisser Weise erst an: Eine überlebensgroße schwäbelnde Projektion an genau der Stelle, wo sich über viele Jahrhunderte das Altarbild befunden haben muss, war in ihrer Außenwirkung zumindest etwas befremdlich. Und was im Radio „versendet sich“ heißt, war einer der ersten thematischen Stolpersteine der Veranstaltung.

Die Frage „wer wen und wieso unterschätzt“ vergallopierte sich eingangs des über weite Strecken gar-nicht-so Zukunftskongresses zusehends, gleichzeitig wurde unliebsamen Vertretern anderer Meinungen mit Referenzen an die dunkelsten Jahre Deutschlands lautstark die Ablehnung gegeigt. Immerhin sorgte der einzige Praktiker auf dem Vormittagspodium für mehrere im Titel der Veranstaltung ja versprochene Licht- und vor allem Ausblicke.

Das karge Mittagsmahl war wahrscheinlich eine Referenz an frühere klösterliche Riten und wer dann tatsächlich passgenau zu den Parallelforen aus einem neun Jahre und fünf Wochen begonnenen Tiefschlaf aufgewacht wäre, hätte sich sofort zurecht gefunden.

Zwar ist das Graphic Recording 2022 etwas farbloser als dies noch 2013 live im Adlershof und für alle Ewigkeit auf den Seiten 67, 71 und 73 im Tagungsband der Fall war. Zurückhaltung bei der Farbsättigung ist aber tatsächlich gerade sehr modern.

Die diskutierten Probleme hätten aktueller kaum sein können und waren doch nahezu identisch mit denen der beiden Vorgängerveranstaltungen. Natürlich sind Flüssiggastanker im Vergleich zu Branchen wie dem Gartenbau Schnellboote, etwas weniger in die gleiche Richtung hätte der Veranstaltung jedoch gutgetan.

Mehr noch, etwas weniger herumdoktern im zunehmend verzweifelteren Versuch, mit möglichst wenig Aufwand den Status Quo beibehalten zu können, hätte vielleicht tatsächlich zu zukunftstauglicheren Ideen geführt.

Auch die vorgestellten Leuchtturmprojekte hatten und haben zwar mit Sicherheit Strahlkraft, zum Teil strahlen sie aber eben auch schon sehr lange.

Und da wirkt dann das Renaming des 2013er Mottos  „Die Zukunft beginnt jetzt“ in ein „Die Zukunft ist heute“ vielleicht im Nachhinein wie die Selbsterkenntnis, dass irgendetwas nicht ganz richtig sein kann, wenn die 2013er Zukunft heute eigentlich schon Vergangenheit sein müsste, aber noch immer im Futur diskutiert wird.

Der Status Quo ist die wahrscheinlich unwahrscheinlichste Option, die wir zukünftig haben werden. Die Diskussion, was denn jetzt eigentlich passieren soll, versandete in der Moderation und wieder einmal bewahrheitete sich, dass viel diskutiert werden kann, was aber davon überbleibt, einzig und allein die Protokollantin bestimmt.

Aus der Pokermine des ranghöchsten Ministeriumsvertreters ließ sich zumindest nicht ablesen, dass ihm die Existenznöte der Gärtnerinnen und Gärtner besonders nahegehen würden.

Tim Jacobsen

Deutsche Erdbeer- und Spargelproduktion am Scheideweg

Zwei Dinge vorab: niemand wird in Deutschland gezwungen, Erdbeeren oder Spargel zu produzieren. Auch ein eventuell vorhandener elterlicher Betrieb bringt für die nachfolgende Generation keine Übernahmezwangsläufigkeit mit sich. So gesehen spielen die Menschen, um die es im folgenden Text gehen wird, dieses Spiel im Prinzip freiwillig mit. Aber leider geht es nicht ohne ein „im Prinzip“ an dieser Stelle. Im Laufe der Jahre haben sich nicht nur die Bezugsgrößen stark verändert, die steigenden Umsätze brachten auch neue Abhängigkeiten mit sich.

Wir Verbraucher haben es selbst in der Hand

Tim Jacobsen

Ein bisschen waren es die wilden Nachwendejahre, die den Ball ins Rollen brachten. Auf einmal gab es auf auch im Wohlstands-verwöhnten Westen Deutschlands wieder genug Menschen, die bereit waren, für relativ wenig Geld im wahrsten Sinne des Wortes den Buckel krumm zu machen. Dies führte im Gartenbau genauso wie in vielen anderen Bereichen dazu, dass sich vollkommen neue Geschäftsmodelle etablierten. Das ganze Bündelgemüse gehört zu den Senkrechtstartern dieser Zeit, auch der fast kometenhafte Anstieg der Anbauflächen für Erdbeeren und Spargel sind ein Erbe des Endes des Kalten Krieges.

Mit den Anbauflächen stiegen die Erntemengen und irgendwann musste es zwangsläufig an einen Punkt kommen, ab dem sich mit „normal“ kaum mehr Geld verdienen ließ. Es wurde aufgerüstet; die über weite Strecken des 20. Jahrhunderts gültige Regel, dass erst nach dem letzten Spargel der erste Erdbeerkuchen auf den Tisch kommt, hatte da schon längst ausgedient. War beim Spargel Folienabdeckung bald ein Muss, wurden daraus schnell perfekt klimatisierte Minitunnel, auf Wunsch Abwärme-beheizt.

Auch bei den Erdbeeren war das Stroh zwischen den Reihen nur der Schritt dahin, Erdbeeren in praktischer Pflückaugenhöhe in einer Art Regenrinne unter Plastikbedachung zu kultivieren. Vorläufig letzter Höhepunkt ist die Kultur von Erdbeeren auf Steinwolle in Gewächshäusern mit Firsthöhen von sechs Metern oder mehr. So mancher Unterglastomatenanbauer mit dadurch quasi offiziell ausgewiesener Angst vor der nächsten Energiekostenrechnung geht diesen Weg – auch wenn es in diesen Fällen kaum um Gewinnmaximierung gehen kann, sondern höchstwahrscheinlich eher um Verlustminimierung.

Gleichzeitig ist eine ganze Industrie rund um den Anbau dieser Kulturen entstanden. Die Klärung der Frage, ob denn letztendlich nicht auch deshalb immer mehr produziert werden muss, um sich all die Hilfsmittel, die dies ermöglichen, überhaupt leisten zu können, ähnelt dem Henne-Ei Problem, spielt aber im Sinne von immer mehr verfügbarer Ware auch keine große Rolle. Der Lebensmitteleinzelhandel fand das prima, schließlich ist an einem Schälchen Erdbeeren deutlich mehr verdient als an einem Sack Kartoffeln.

Die Verbraucher fanden das auch gut, die Wirtschaftskrisen fanden woanders statt und Sahneerdbeeren zauberten auch in den letzten Hinterhof noch ein kleines bisschen Wimbledonflair. Dass sich in Deutschland mit Bleichspargel, einem Produkt, das in gar nicht wenigen europäischen Ländern kulinarisch und auch sonst überhaupt eigentlich keine Rolle spielt, Geld verdienen lässt, sprach sich schnell herum.

Italien, Griechenland und Spanien waren nur die Vorreiter einer Entwicklung, die mit Hilfe von Technologie, zumindest fragwürdiger Nachhaltigkeit und billigen Arbeitskräften Spargel aus Südamerika zur Weihnachtszeit zu Preisen in den Kühltheken liegen lässt, der von einheimischer Ware selbst zu Zeiten größtem Angebotsüberhangs selten unterschritten wird. Dass die Ware dann nicht wie im einfachsten Fall gewissermaßen vom Acker direkt im Kochtopf landet, sondern weiter gereist ist, als viele es von uns jemals tun werden, spielt in der Dauerverfügbarkeit von so gut wie allem keine Rolle.

Saisoneröffnungen und Spargelköniginnen schlagen sich zwar einigermaßen wacker, geht es darum, den Erntestart und damit den Beginn der einheimischen Spargelsaison zu verkünden – in der Flut und Fülle an Informationen, die tagtäglich auf den Verbraucher prasseln, bleiben sie letztendlich aber eher Randnotizen, zumal Pandemie-bedingt die letzten beiden Jahre der große Bohei ausbleiben musste.

Ganz ohne Startsignal müssen seit jeher die Erdbeerproduzenten auskommen. Das führt dann angesichts des mittlerweile ganzjährigen Erdbeerangebots auch im ansonsten eher schlecht sortierten Discount dazu, dass die Verbraucher den Überblick verlieren. Zumal dann ja auch ab und an Erdbeeren des Typs Kohlrabi, die sonst eher mit südländischen Herkünften in Verbindung gebracht werden, als deutsche Ware deklariert in der Kühltheke liegen.

Als relativ einfache Unterscheidungsgröße bleibt der Preis. Man muss kein Psychologe sein, um zu verstehen, dass sich bei dauerhaft zum Knaller-, Knüller- oder Aktionspreis von unter zwei Euro beworbenen Erdbeerschälchen vielleicht auch unbewusst eine Preisschwelle in den Verbraucherköpfen festsetzt.

Man muss andererseits auch weder Agronom noch Betriebswirt sein, um zu verstehen, dass bei diesen Preisen nicht nur kaum jemand etwas verdienen kann, sondern dass bei der Produktion dann auch Abstriche gemacht werden müssen – und schon landet man schnell wieder beim Thema Nachhaltigkeit. Mittlerweile sind die Schlagwörter Doñana, Huelva sowie die prekäre Arbeitssituation vieler Migranten im Süden Europas auch in den deutschen Medien angekommen.

Die Platzhirsche im Beerengeschäft ficht das wenig an: stellen sich die Chilenen quer, wandert der Blaubeeranbau eben nach Peru ab. Geht in Marokko das Wasser aus und steigen die Arbeitslöhne für die Himbeerpflücke, ist Südafrika global gesehen auch nicht viel weiter entfernt. Und dann sind da ja auch noch wir Deutschen mit unseren eher dunklen und kalten Wintern. Bis wir produktionstechnisch aus dem Winterschlaf erwachen, sind die Kühltheken gut bestückt mit Ware aus Ländern, in denen es wenig später dann schon fast zu warm wird, um überhaupt noch vor die Tür zu gehen.

Wenn dann die Importware keinen Platz macht für einheimische Produkte, dann haben unsere Bauern ein Problem. Das gilt für Spargel und Erdbeeren genauso wie für Zwiebeln und Möhren. Bei den Zwiebeln müssen erst die Neuseeländer verkauft sein, bevor die frisch geerntete deutsche Ware ins Regal kommt, bei den Möhren helfen Spanier und Italiener, die möhrenlose Zeit in Deutschland zu überbrücken.

Dass das Ganze so ist, merkt man eigentlich erst, wenn es einmal hakt: Zu Beginn der Pandemie gab es ein kurzes Innehalten angesichts von Lieferketten, die auf einmal eben nicht mehr geräuschlos im Hintergrund für scheinbar nie versiegenden Warenfluss sorgten. Der Bauer vor Ort wurde zum Helden hochstilisiert, der uns alle mit seinem persönlichen Einsatz vor dem schon morgen drohenden Hungertod bewahrt.

Ähnliches war Jahre zuvor während der EHEC-Krise passiert, als die Verbraucher dem Produzenten ums Eck auf einmal einen deutlichen Vertrauensvorschuss einräumten. Der Effekt war derselbe: Abhofverkauf und Direktvermarktung boomten, jeder dachte, dass die Botschaft nun endlich und für alle Zeit beim Verbraucher angekommen ist und sich niemand mehr um das Wachstum von bio und regional Sorgen machen müsse. Politisch gewünschte Ziele wurden erreicht, ohne dass das Landwirtschaftsministerium dabei seine Hände im Spiel gehabt hätte.

Vielleicht ging zuletzt in all der Resilienz-Euphorie, letztendlich auch Covid-19 Versorgungs-technisch abgewettert zu haben, dann etwas unter, dass die Energiepreise nach einem historischen Tiefpunkt zu Beginn der Pandemie langsam aber stetig in die andere Richtung ausschlugen. Auch der drohende Mindestlohn aus dem Bundestagswahlkampf trug vielleicht dazu bei, dass die Kostensteigerung bei den Produktionsmitteln lange Zeit kaum ein Thema war, grundsätzlich lief ja alles.

Ein jähes Erwachen gab es, als die ersten Düngemittelproduzenten die Ammoniakproduktion einstellten, da diese angesichts der hohen Gaspreise wirtschaftlich nicht mehr darstellbar war. Als wäre das alles nur ein Warnschuss gewesen, machte der russische Präsident am 24. Februar 2022 Ernst und ließ sein Militär in die Ukraine einmarschieren. Die daraus resultierende Unsicherheit setzte wiederum eine Preisrallye in Gang, die schnell auch an den Zapfsäulen ankam und wiederum eine Reihe anderer Entwicklungen in Gang setzte.

Etwas überspitzt formuliert, lässt sich folgendes Zwischenergebnis festhalten: Beim traditionellen Samstagstriathlon, der aus Autowaschen, Volltanken und dem Spargeleinkauf an der Direktvermarkterbude besteht, blieb den willigen Zahlern erst an der Tankstellenkasse die Luft und dann beim Abhofverkäufer die Kunden weg. Unzählbar sind die Memes in den sozialen Medien, die das Thema zum Luxusgut gewordene Mobilität behandeln, schaler Beigeschmack ist, dass dann eben auch für andere, vermeintlich echte Luxusgüter das Budget fehlt.

Aber auch andere Verkaufskanäle flutschten nicht wie gewohnt. Im klassischen Lebensmitteleinzelhandel zeigte und zeigt die für unsere Bauern ungünstige Positionierung deutscher neben ausländischer Ware unmissverständlich den Preisunterschied auf. Dies ist besonders ärgerlich, da ja auch nicht weiter erläutert wird, warum das so ist, bzw. warum das streng genommen auch so sein muss. Schließlich kann in vielen anderen Ländern nun einmal deutlich günstiger produziert werden als in Deutschland. Das liegt hauptsächlich, aber nicht nur am hohen Lohnniveau hierzulande.

Ähnlich wie das ukrainische Getreide, das in Silos darauf wartet, endlich verschifft zu werden, hatten die Bauern nach einem temperaturbedingt mengenmäßig eher überschaubaren Saisoneinstieg mit den steigenden Temperaturen auf einmal die Kühlungen voll. Klar, dass dadurch dann das bestenfalls partnerschaftliche Miteinander zwischen Produzenten und Handel etwas unter Spannung gerät.

Über den Großhandel floss zwar Ware ab, nur lässt sich das delikate Preisgefüge aus Nachfrage und Angebot gerade bei diesem Absatzweg schon mit geringen Fehlmengen leicht unter Druck setzen. Folge davon war, dass landauf, landab zum Saisoneinstieg über astronomisch hohe, im weiteren Verlauf dann über äußerst niedrige Spargelpreise berichtet wurde, was dann in beiden Fällen auf das Kaufverhalten der Verbraucher hatte.

Es ist müßig, darüber zu diskutieren, ob der viel zitierte Buhmann Lebensmitteleinzelhandel tatsächlich gezielt Ware bei den Produzenten auflaufen lässt, um so den Preisdruck zu erhöhen. Denn eines ist klar: Der einzige Ausweg aus der Preiskrise wäre eine Verknappung des Angebots. Was eine solche Verknappung bewirken kann, lässt sich derzeit am Preis für Sonnenblumenöl beobachten.

Nur lässt sich eine Angebotsreduktion nicht einfach bewerkstelligen. Es liegt nun einmal in der Natur des Menschen, oft das eine zu sagen und das andere zu tun. Das beginnt bei der Kaufentscheidung für oder gegen regional und hört bei „produzieren wir doch alle einmal weniger“ nicht auf. Dazu kommen dann noch Lieferverträge, die relativ großzügig bemessene Strafzahlungen für diejenigen vorsehen, die das Liefermengenziel verfehlen. Dies trägt in Konsequenz ebenfalls dazu bei, dass mehr Spargel und Erdbeeren auf dem Markt sind, als für einen auskömmlichen Preis gut wäre.

Das bringt uns wieder an den Anfang unseres kleinen Ausflugs in die Spargel- und Erdbeerwelt. Ähnlich wie die Landwirtschaft im Großen im Frühjahr nicht auf einmal umschwenken konnte auf Produkte, bei denen sich abzeichnete, dass sie demnächst Mangelware sein könnten, lassen sich auch Spargeläcker und Erdbeerproduktionsflächen nicht einfach so umnützen. Die Kapitalintensität des Geschäfts mit Spargel und Erdbeeren ist enorm: Ware muss fließen, um auf der anderen Seite den Geldstrom nicht versiegen zu lassen.

Und das macht letztendlich jede individuelle Kaufentscheidung auch zu einer politischen Entscheidung. Wollen wir Wertschöpfung auch jenseits der deutschen Industriezentren ermöglichen? Wollen wir unsere Kulturlandschaft als solche erhalten? Wollen wir Produkte, die unter vertretbaren und kontrollierten Bedingungen erzeugt werden? Wollen wir die Weichen stellen in Richtung nachhaltig statt billig – oder sind das nur Lippenbekenntnisse? Angesichts der geopolitischen Großwetterlage darf dann auch die Frage nicht fehlen: Wie abhängig vom Ausland wollen wir sein?

Tim Jacobsen

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