"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: Obst (Seite 2 von 5)

Die Zeiten werden härter

Im Sondierungspapier der uns wahrscheinlich zukünftig Regierenden wurde die eine und andere Klippe elegant umschifft. So soll der Kohleausstieg „idealerweise“ vorgezogen und die „Entwicklung intelligenter Systemlösungen für den Individualverkehr“ lediglich unterstützt werden. Unterstützt werden soll auch die Landwirtschaft, und zwar dabei, „einen nachhaltigen, umwelt- und naturverträglichen Pfad einzuschlagen“. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln soll auf das „notwendige Maß“ beschränkt und Pflanzen „so geschützt werden, dass Nebenwirkungen für Umwelt, Gesundheit und Biodiversität vermieden werden“. Tacheles dagegen dann beim generellen Tempolimit – das es nicht geben wird – und bei der Erhöhung des Mindestlohns – die tatsächlich kommen wird. Mit zwölf Euro Stundenlohn scheint die SPD eines ihrer zentralen Wahlkampfthemen durchgesetzt zu haben.

Sollte der Mindestlohn eigentlich erst zum Sommer 2022 auf über zehn Euro steigen, so könnte er unter Umgehung der Mindestlohnkommission nun handstreichartig um ziemlich genau ein Viertel erhöht werden. Auch wenn das vereinbarte Stillschweigen über Details noch nicht gebrochen wurde, so ist klar, dass zuallervorderstunderst Betriebe mit einem hohen Lohnkostenanteil die Düpierten sein werden, ganz vorneweg dabei einmal mehr unsere Gärtnerinnen und Gärtner.

Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass Handel und Verbraucher die daraus resultierenden Preisaufschläge einfach so akzeptieren werden. Es ist genauso unwahrscheinlich, dass ein höherer Mindestlohn bei uns Strahlkraft auf das europäische Mindestlohngefüge haben wird. Sollten an der Peripherie Europas ähnliche Verhältnisse gelten wie bei uns, müssten die Mindestlöhne dort nicht um ein Viertel erhöht, sondern in etwa vervierfacht werden. Und selbst dann wären wir von einer Produktionsvollkostenrechnungswaffengleichheit noch immer weit entfernt; ausgeblendet würde außerdem, dass zwar für viele Menschen die Reise an der EU-Außengrenze zu Ende ist, Warenströme aus aller Welt diese jedoch unbeanstandet passieren dürfen.

Welche Auswirkungen Störungen an diesem fein austarierten System haben können, lässt sich derzeit in Großbritannien beobachten. Auch die Eidgenossen konnten den Strukturwandel in ihrer Landwirtschaft allenfalls verlangsamen, aufhalten lässt er sich auch in der Alpenrepublik nicht. Und so ist es dann nur auf den ersten Blick verwunderlich, wenn, wie zuletzt wieder einmal auf dem Global Berry Congress eine Absatzjubelmeldung die nächste jagt – und gleichzeitig die Produktionsflächen im eigenen Land dies nicht widerspiegeln sondern vielmehr rückläufig sind.

Es ist keine einheimische Ware, die da vermehrt über den Tresen geht. Gleichzeitig wird aber auch nur deshalb so viel abgesetzt, da durch das höhere Warenangebot die Preise entsprechend gefallen sind. Der vielzitierte und –diskutierte Eimer voll mit Blaubeeren zum Schleuderpreis ist in Wahrheit dann auch eher ein Menetekel: Allzu lange wird sich unser produktionstechnischer Vorsprung nicht mehr halten lassen, Him- und Brombeeren werden folgen, wenn sie dies nicht bereits schon getan haben. Und das Dumme ist: die genannten Beerenarten stehen mehr oder weniger als Platzhalter für welches Produkt dann auch.

Du hast keine Chance – aber nutze sie!

Herbert Achternbusch

Und so wurde beim Global Berry Congress munter über den ganzen Erdball gehüpft: werden in Spanien die Arbeitskräfte knapp und geht im Süden Marokkos das Wasser zur Neige – warum dann nicht gleich auf nach Südafrika? Sieht man das Ganze nur global genug, verschwinden auch die Unterschiede zwischen Serbien, Rumänien und der Ukraine. Künstliche Intelligenz hilft bei der Standortwahl: Beerenanbau in Indien für China – kein Problem, das Knowhow ist exportier- sowie skalierbar und Kapital, das auf Verzinsung wartet, gibt es genug.

Niemand kann abschätzen, wie Klimawandel, fragile Lieferketten, steigende Energie- und Rohstoffpreise, die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen, der weltweit zunehmende Protektionismus, Digitalisierung und E-commerce sowie die allgegenwärtigen logistischen Herausforderungen und der Arbeitskräftemangel die Handelswelt der Zukunft verändern werden. Vielleicht sogar mehr denn je scheint derzeit alles möglich. Und dann ist es zwar so, dass einer der diesjährigen Nobelpreise an drei Nordamerikaner vergeben wurde, die der Wirtschaftswissenschaft die Augen dafür geöffnet haben, dass auch das wahre Leben Möglichkeiten zuhauf bietet, Ursache-Wirkungsbeziehungen zu erkennen.

Dass sie in einer ihrer berühmtesten Arbeiten zeigten, dass die Einführung eines Mindestlohns nicht zwangsläufig zu erhöhter Arbeitslosigkeit führt, bedeutet aber nicht, wie die Laureaten selbst bereitwillig einräumen, dass das überall und jederzeit so sein muss. Anders dann die Faktenlage beim ebenfalls Nobelpreis-dekorierten ehemaligen Direktor des Deutschen Klimarechenzentrums. Klaus Hasselmanns wissenschaftliche Leistung war nichts weniger, als eine Methode zu entwickeln, die bereits zu einer Zeit, als dies wirklich noch niemand hören wollte, unmissverständlich belegte, dass niemand außer wir selbst am Klimawandel schuld sind.

Tim Jacobsen

Corona macht Hoffnung

Ist im Englischen etwas wie Kraut und Rüben, wird es schnell sehr lautmalerisch: topsy-turvy geht noch einigermaßen, higgledy-piggledy hingegen verlangt volle Konzentration, um bei der Aussprache nicht ins Schleudern zu kommen. Was aber will uns das Landwirtschaftsministerium nun mit der Kampagne „Kraut und Rüben. Gibt’s nicht für’n Appel und’n Ei“ sagen? Sind Kraut und Rüben zu teuer, als dass es sie für einen Apfel und ein Ei geben würde? Oder sind Äpfel und Eier etwa zu billig? Steht vielleicht ein Systemwechsel an und wir tauschen demnächst wieder Naturalien?

Nein, natürlich steckt viel mehr dahinter: dieser vielleicht letzte Streich Julia Klöckners soll schaffen, was all die (nein, nicht: Aldi) Kampagnen der Vergangenheit nicht vermochten: die Wertschätzung von Lebensmitteln beim Verbraucher und damit gleichzeitig die Wertschöpfung beim Erzeuger zu steigern. Denn, da ist sich unsere Landwirtschaftsministerin sicher: Die „Landwirtschaft soll noch mehr auf Klima- und Umweltschutz, auf Artenvielfalt und den Tierschutz achten“. Sie weiß aber auch: „das gibt es nicht zum Nulltarif“, denn Investitionen sind nötig: „in neue Produktionsmethoden, moderne Ställe und Technik“. Was in Klöckners Argumentation zumindest dann auch bedeutet, dass dummerweise nur die Zulieferindustrie von der gestiegenen Wertschätzung profitieren wird.

Vielleicht steckt aber auch eine ganz andere Botschaft hinter der Kampagne: die günstigen Angebote, die es für den sprichwörtlichen Apfel und das Ei zu kaufen gibt, haben etymologisch ihren Ursprung im Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage. Werden Gegenstände in großen Mengen produziert und angeboten, kosten sie meist nicht viel, zumindest so lange ein deutlicher Angebotsüberhang besteht. Soll der Preis steigen, muss entweder das Angebot verknappt oder die Nachfrage vergrößert werden. Und genau deshalb ist Klöckners Inwertsetzungsstrategie von Beginn an zum Scheitern verurteilt: Ohne das eine oder das andere oder am besten beides wird es nicht gehen.

Die von Klöckner ins Rennen geworfenen Hashtags #UnsereErnteUnserEssen #MehrWertschätzung ergeben auf Twitter keinen Treffer. So wenig Treffer sind selten

Tim Jacobsen

Seit Wochen fluten spanische Erdbeeren die Frischetheken der deutschen Supermärkte, kostet das Pfund einmal nicht 99 ct, sondern sprengt es die 1 € Schallmauer, ist es ziemlich sicher, dass der knallbunte Reduktionsaufkleber den Preis kurz vor Ladenschluss wieder zuverlässig in den zweistelligen Centbereich drückt. Auch in Spanien müssen Erdbeeren bewässert, gedüngt und gepflückt werden, auch in Spanien kostet Verpackungsmaterial Geld. Der LKW hat zwar Platz für sehr viele Erdbeeren, mit Luft und Liebe fährt aber auch der nicht.

Zu Beginn der Coronakrise gab es diesen kurzen Moment, als von vielen der Stress des Alltags abfiel und dieser Alltagstress noch nicht abgelöst worden war vom Stress, keinen gewohnten Alltag mehr zu haben. Eine kurze Zeitlang schien es, als würde gleichzeitig mit dem Virus eine Art Läuterung Einzug halten. Auch Menschen, deren Alltag sonst zwischen Aufstehen und ins Bettgehen generalstabsmäßig durchgetaktet war, schienen auf einmal große Entschleunigungsfans geworden zu sein. Das tut uns doch mal allen gut und der Umwelt sowieso, war ein Stück weit die Losung des letztjährigen Frühlings. Denn dass da irgendwas mit der Natur im Argen ist, hatte sich ja schon länger herumgesprochen.

Viele, die nicht von existentiellen Zukunftsängsten bedroht waren, nutzten die Zeit im ersten Lockdown zum Frühjahrsputz, und über all das Entrümpeln und Renovieren geriet die Begeisterung über die ungeahnten Möglichkeiten, die das Coronakrisenpaket gewissermaßen als Nebenwirkung mit sich brachte, schnell wieder in Vergessenheit. Spätestens als die Empörung über die Verhältnisse bei Tönnies im Juni letzten Jahres schneller verpufft ist als es dauert eine Bratwurst zu essen, war mehr oder weniger klar, dass wir wieder im gleichen Trott gelandet waren. Mit dem kleinen Unterschied, dass eigentlich immer noch allen klar ist, dass wir den Karren an die Wand fahren, uns aber die Ablenkungsmöglichkeiten der Vorcoronazeit fehlen, weshalb wir uns dann ja auch mit Sehnsucht die Zeit vor Corona herbeiwünschen.

Da wir aber mittlerweile auch selber nicht mehr so sind, wie wir vor Corona waren, wird es nie wieder so sein können wie es davor war – und einmal mehr zeigt sich, dass uns nur Humor durch schwierige Zeiten helfen kann. Wahrscheinlich haben noch nie so viele Leute genau um 21:00 Lust bekommen, doch noch einmal vor die Tür zu gehen und eine Runde zu drehen. Und vielleicht hat sich ja doch was geändert, vielleicht ist doch etwas von der Entschleunigung haften geblieben. Und dann wären die zum Ende der Ladenöffnungszeit noch einmal deutlich vergünstigten spanischen Erdbeeren ein Zeichen dafür, dass es eben nicht länger unbedingt das größte Schnäppchen sein muss, dass internationale Lieferketten auch angesichts noch so ausgetüftelter Lieferkettengesetzen stärker als zuvor hinterfragt werden und dass die Begeisterung für regionale und saisonale Produkte, wie sie sich im letzten Frühsommer manifestiert hatte, kein Strohfeuer war.

Tim Jacobsen

Verbraucheraufklärung statt Frust schieben

Vielleicht ist es ja eine Mentalitätsfrage: heißt es seit Herbst 2019 in Deutschland „Land schafft Verbindung“, heißt es in unserem südlichen Nachbarland schon seit bald zehn Jahren „Land schafft Leben“. Und während die einen in eigener Sache mit möglichst großem Krawall zu Felde ziehen, versuchen die anderen möglichst neutral aufzuklären. Zwar gab es auch in Österreich Bauernproteste, im Frühjahr 2020 zogen rund 3300 Demonstranten mit 1500 Traktoren und dem Slogan „Spar Dir Deinen Geiz“ vor eben genau die Konzernzentrale dieses Lebensmitteleinzelhändlers – die darauffolgende und auch letzte Protestaktion, über die überregional berichtet wurde, war dann allerdings bereits eine Solidarkundgebung für die zuletzt von der Regierung Modi gebeutelten Kleinbauern in Indien Ende 2020.

„Spar Dir Deinen Geiz“

Motto der österreichischen Bauern im Frühjahr 2020

Es wäre allerdings eine müßige Diskussion, zu überlegen, ob die Kolleginnen und Kollegen im Süden generell finanziell besser aufgestellt oder vielleicht doch einfach genügsamer sind – vielmehr müsste die zentrale Frage lauten, warum es nicht auch bei uns ein Onlineinformationsangebot wie das von Land schafft Leben gibt. Geld sollte genug im Umlauf sein, Frau Klöckners sagenumwobene Bauern-Milliarde, die 50 Mio. €, die der eine Discounter erst ausgeblobt hat, dann angesichts des offensichtlichen Widerwillens der Konkurrenz, bei der Scharade mitzuspielen, am liebsten niemals erwähnt hätte – mit Brotkrumen dieser schwindelerregenden Beträge ließe sich bereits der Startschuss für ein solches Verbraucherportal geben. Wie dies dann im Fall von Möhren bspw. aussehen könnte, zeigt sehr anschaulich https://www.landschafftleben.at/lebensmittel/karotte.

Tim Jacobsen

Jetzt sind Macher gefragt

In dem Maße, in dem wir alle zunehmend in unsere eigenen vier Wände zurückgeworfen werden, lassen sich die in den letzten Wochen in etwa verdoppelten Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel nicht länger durch Bevorratungskäufe erklären als vielmehr durch den erhöhten Lebensmittelbedarf durch Privathaushalte, die nicht länger mittags in Kantinen oder Mensen verpflegt werden und trotzdem gerne eine warme Mahlzeit am Tag hätten.

Und während Kartoffeln im Frühjahr 2020 sogar ein gutes Stück günstiger sind als im letzten Jahr, könnten die Frischgemüsepreise demnächst zu einem regelrechten Höhenflug ansetzen: Spanische Ware ist knapp, nicht nur, weil auch auf der iberischen Halbinsel Erntehelfer fehlen, sondern auch, weil die behördlicherseits verhängten Auflagen dort vergleichsweise rigide ausfallen und die logistischen Herausforderungen kaum zu bewältigen sind.

Allen Initiativen, die derzeit versuchen, den Arbeitskräftebedarf auf den Feldern bei uns mit Hilfe der einheimischen Bevölkerung oder Chartermaschinen zu decken, sei gutes Gelingen gewünscht – genauso wie, dass die gelockerte Regelgebung für Saisonarbeitskräfte die gewünschte Wirkung zeigt. Unser Selbstversorgungsgrad bei Obst und Gemüse von rund 40 % legt die Vermutung nahe, dass die Preishausse dann auch eine Zeit anhalten könnte.

Lieber Küchentisch: Du bist jetzt auch zweite, sechste und neunte Klasse, Redaktionsbüro und Kantine

Tim Jacobsen

Dass die vielerorts angelegten Pasta- und Mehllager Lust auf Abwechslung mit Geschmack machen, beweist die nicht nur Ramadan-bedingt stark gestiegene Nachfrage nach Speisezwiebeln. Auch die weiteren Aussichten für Kartoffeln und maschinenfähiges Gemüse wie Möhren oder Zwiebeln stimmen positiv. Weniger gut sind die Aussichten für unsere britischen Freunde.

Eine Landwirtschaftspolitik, die auf Importe nicht nur als Lückenfüller sondern als strukturellen Bestandteil des Warenangebots setzt, zeigt nun ihre Tücken: Lebensmitteleinzelhändler begannen Mitte März mit der Rationierung ihrer Warenabgabe. Bei einem so genannten Food trade gap in Höhe von jährlich 25 Mrd. £ grenzt die No-deal-Entscheidung im Lichte der Versorgungssicherheit nahezu an Selbstverstümmelung.

Ob im Zuge dieser Entwicklungen die Subventionen für landwirtschaftliche Betriebe tatsächlich wie von der britischen Regierung beschlossen und von den Betroffenen vielleicht etwas gar zu stoisch hingenommen gestrichen werden, wird die Zukunft zeigen. Keinesfalls zurückhaltend zeigte sich dieser Tage Land schafft Verbindung:

In Wildwestmanier in einem offenen Brief der EU-Kommissionspräsidentin zu drohen, die Lebensmittelproduktion Deutschlandweit drosseln zu wollen, wenn nicht vorerst alles beim Alten bleibt, wird nicht nur beim Verbraucher schlecht ankommen, sondern auch mühsam geöffnete Türen in Richtung Politik wieder verschließen. Es wäre eine böse Unterstellung, zu vermuten, dass auch Dirk Andresens 1300 ha angesichts von 1500 Säuen an ihre Grenzen kommen und er schon allein deshalb ein ganz eigenes Interesse an einer Verhinderung der Novellierung der Düngeverordnung hat.

Auch wenn die Corona-Pandemie fraglos zeigt, wie fragil unser globalisiertes Wirtschaftssystem ist und viele derzeit die großen ökonomischen Leitlinien hinterfragen, wird es auch eine Zeit nach Corona geben – es bleibt zu hoffen, dass der Aufruf, Maß zu halten auch die Rückkehr in die Normalität überlebt.

Tim Jacobsen

Mindest- und Höchstpreise

Die Berliner Immobilienmogule hätten zu Jahresbeginn 2020 wahrscheinlich gerne mit den deutschen Landwirten tauschen: während die Mieten in unserer Hauptstadt bis 2025 auf dem Stand von 2019 eingefroren wurden, sollen die Preise für Lebensmittel steigen. Tatsächlich gibt es auch kein Land in Europa, in dem prozentual mehr Geld vom Haushaltseinkommen für Wohnen ausgegeben wird als in Deutschland und nur wenige Länder, in denen noch weniger für Nahrungsmittel ausgegeben wird. Auch wenn Mentalitäts- und Einkommensunterschiede innerhalb Europas hierbei eine große Rolle spielen, lautet die Losung nicht erst seit dem `Lebensmittelgipfel´ Anfang Februar: Preise hoch!

Während Julia Klöckner das mit „Tierwohl kostet Geld, das kann nicht die Bauernfamilie alleine stemmen“ noch etwas verklausuliert formuliert, fordert die wirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen direkt Mindestpreise für Lebensmittel. Dass im derzeitigen politischen Klima kaum etwas unmöglich scheint, zeigen die Beispiele Fahrverbote, Bahn günstiger, Kurzstreckenflüge teurer. Was aber ist geschehen, dass den Märkten ihre Funktionsfähigkeit abgesprochen wird? Wahrscheinlich steckt schierer Opportunismus hinter dem Ganzen: Diese Eingriffe kosten nicht die Welt und praktischer Weise befindet sich sowieso gerade viel Geld in den öffentlichen Taschen.

Als gelungenes Beispiel für die Wirksamkeit staatlicher Eingriffe wird in der öffentlichen Diskussion immer wieder das Erfolgsrezept Mindestlohn angeführt. Da aber niemand weiß, wie alles ohne die Einführung von zuletzt 9,35 € in der Stunde gekommen wäre, kann munter in alle Richtungen argumentiert werden. Natürlich können sich Märkte auch täuschen; die Kernfrage dabei lautet: Werden berechtigte Interessen ignoriert? Angeführt werden dann in letzter Zeit immer die Beispiele Tierwohl und Klimaschutz. Insgesamt 3,6 Mrd. € im Jahr soll es kosten, deutschlandweit zumindest Stufe zwei in Klöckners Tierwohllabel zu erreichen.

Viel Geld, das irgendwoher kommen muss. Und obwohl sich der Handel bei Obst und Gemüse nicht zu schade dafür ist, die Daumenschrauben fest anzuziehen, zeigen im Bereich tierischer Produkte selbst die von „wir lieben Lebensmittel“ keinerlei Ambitionen, auf Lockvogelpreise verzichten zu wollen – ganz im Gegenteil. Und da der Politik der Wille abhandengekommen zu sein scheint, auch einmal unpopuläre Entscheidungen zu treffen, soll die Anhebung der Standards mit einer Steuer finanziert werden: 40 ct pro kg Fleisch und Wurst könnten bald fällig werden, bei Käse und Butter 15 ct und für Milch und

Eier immerhin noch 2 ct. Aber führt das nicht in eine vollkommen falsche Richtung? Kann nicht der Gärtner, der den grüneren Daumen und seine Kulturen im Griff hat, billiger produzieren als der Kollege, der nie den passenden Zeitpunkt erwischt? Hat nicht der, der die Vorteile der Präzisionslandwirtschaft nutzen kann, höhere Erträge, weniger Ausschuss und geringere Produktions- sowie Umweltkosten als der, der im Sinne eines „viel hilft viel“ großflächig denkt?

Eine andere gegenwärtig kursierende Idee lautet, das Kartellamt prüfen zu lassen, ob an irgendeinem Punkt der Verarbeitungskette die Preise niedriger liegen als die typischen Herstellungskosten. Diese sollen wiederum von einer wissenschaftlichen Kommission ermittelt werden; die Idee dahinter ist, dass auskömmlichere Preise eine kleinteiligere Landwirtschaft fördern könnten. Dabei wird allerdings der Faktor Mensch außen vor gelassen: Unternehmerisch denkende Landwirte und Gärtner werden die höheren Preise als zusätzlichen Anreiz sehen, möglichst schnell zu wachsen.

„Der Staat war noch nie ein guter Unternehmer“

Lorenz (Lonne) Jacobsen

Das Beispiel Textilwirtschaft zeigt, dass höhere Preise nicht zwangsläufig zu höheren Produktionsstandards führen. Die Buchpreisbindung wiederum hat wahrscheinlich wohl so manchen Buchverkauf, aber nicht den Amazonsiegeszug verhindert. Dass es im städtischen Bereich mehr Apotheken als Friseure und Bäcker zusammen gibt, hat mit der Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente zu tun. Volkswirtschaftlich günstiger wären staatlich geförderte Abgabestellen in dünn besiedelten Räumen zur Sicherung der ländlichen Medikamentenversorgung.

Es ist gerade schick, Missstände wie Umweltverschmutzung und Zugverspätungen dem Kampfbegriff Neoliberalismus in die Schuhe zu schieben – gepaart mit der Kritik an einem zunehmenden Rückzug des Staates aus dem Gemeinwesen. Aber lässt sich eine solche übermäßige Marktgläubigkeit auch tatsächlich belegen? Es gibt Kennzahlen wie die Staatsquote und den die ökonomischen Freiheit messenden Fraser Index – und diese weisen das Gegenteil aus. Messbar ist auch, dass das Vertrauen in die Problemlösungskraft der Märkte zunehmend verloren geht. In Umfragen unterstreichen immer mehr Menschen, dass Sozialismus eigentlich eine gute Idee ist, die nur schlecht ausgeführt wurde.

Dabei ist die Verfehlung der Klimaziele doch gerade eine Folge davon, dass deutliche Preissignale fehlen: Zwar haben jetzt auch wir Deutschen mittlerweile einen CO2-Preis, der zumindest der Erwähnung wert ist, gleichzeitig wird dieser durch so viele ergänzende Eingriffe ad absurdum geführt, dass CO2 letztendlich nicht da eingespart wird, wo dies am günstigsten möglich wäre und sich stattdessen die Windräder munter weiter drehen. Die Geschichte zeigt, dass sich Wohlstand und Umweltschutz nur in marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften einstellen und klar, die Korrektur von Marktversagen ist eine zentrale staatliche Aufgabe –  genau diese Abkehr vom Marktradikalismus aber verbirgt sich eigentlich hinter dem Begriff Neoliberalismus, der in Fortschreibung dann zu der unser Land prägenden sozialen Marktwirtschaft führte.

Tim Jacobsen

Kampf der Titanen, David und Goliath sind auch dabei

Vor gut einem Jahr begannen in den Supermarktregalen der in der Allianz Agecore zusammengeschlossenen Filialisten allmählich die Nestléprodukte auszugehen: Um ein bisschen mehr von den Profiten zu erhalten, die Weltkonzerne wie Nestlé ihrer Ansicht nach auch mit den Leistungen der Händler verdienen, hatten sechs mittelständisch geprägte Handelsgruppen erst eine Allianz geschmiedet, um danach geeint den Konditionenstreit anzugehen. Mit „unser Anspruch ist es, Ihnen alle Produkte nicht nur in bester Qualität sondern auch zu einem attraktiven Preis-Leistungsverhältnis anzubieten. Leider konnten wir in diesem Punkt mit Nestlé bislang keine Einigung erzielen“ hatte Edeka bei seinen Kunden um Verständnis für die Auslistung geworben und auf Alternativen aus dem Eigenmarkensortiment verwiesen. Auf der Jahrestagung der genossenschaftlich organisierten Einzelhändler ließ die Edeka-Führung im Juni keine Zweifel daran aufkommen, dass sich die harte Tour gelohnt habe und so ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, dass mittlerweile auch die britische Tesco ihre Einkaufsaktivitäten mit der französischen Carrefour gebündelt hat.

Im Rahmen der regelmäßigen Preisverhandlungen zwischen Händlern und Herstellern sind vorübergehende Auslistungen von Produkten überhaupt nichts Ungewöhnliches. Auch die Hersteller stoppen mitunter ihre Lieferungen. So mussten Kunden der Supermarktkette Real im Sommer 2015 zeitweise vergeblich nach einigen durchaus populären Produkten suchen. Anfang September sagte nun wiederum Kaufland Unilever den Kampf an. Mehr als 10 % Preisaufschlag soll der niederländisch-britische Multi ganz lapidar mit allgemeinen Kostensteigerungen begründet haben – was dem zentralen Leistungsversprechen des zur Schwarz-Gruppe gehörenden Einzelhändlers widersprach, nämlich dem Kunden den „besten Preis“ bieten zu können – und das wohlbemerkt als Vollsortimenter. Wie schnell die ganze Preisdiskussion zum Eigentor werden kann, zeigte im Sommer allerdings Edekas Montagsknüller: Hähnchenschenkel für eineinhalb Euro das Kilo und dann noch von der Initiative Tierwohl abgesegnet stießen nicht nur in den sozialen Netzwerken so manchem sauer auf. Auch der Slogan „Die Zeit ist reif: für Erdbeeren“, mit dem die schweizerische Migros ihre Importerdbeeren zu einem Zeitpunkt bewarb, als die meisten Eidgenossen noch vollauf damit beschäftigt waren, ihre Skiabfahrtskünste zu verbessern, kam nicht gut an.

Der Handel die Bösen ist zu kurz durch die Kurve gedacht

Tim Jacobsen

Natürlich ist es keine originäre Aufgabe des Handels, für den Verbleib der Wertschöpfung in der Region, Saisonalität oder die Einhaltung von Produktionsstandards zu sorgen. Nur wird Eigenwerbung wie das Migros´sche „Aus der Region. Für die Region“ dann schnell zum Hähnchenschenkelmontagsknülleraufreger. Vielleicht aber auch nur theoretisch. Denn von ein bisschen Datenverkehr im Internet abgesehen, scheint es dem Verbraucher im Großen und Ganzen doch zu genügen, wenn ein paar Aufsteller an der Ladentheke davon zeugen, dass auch in der Region selbst Nahrungsmittel produziert werden. Und damit stellt sich zwangsläufig die Frage, ob der Rettungsanker Regionalität denn auch hält. Zumal sich ja sogar eine Nestlé mit Umsätzen von zuletzt 90 Mrd. sfr scheinbar von einer Edeka mit ihren 50 Mrd. € Umsatz in die Knie zwingen lässt. Wie soll dann eine im Vergleich dazu zwangsläufig immer kleine Genossenschaft oder gar der einsame Krauter ums Eck gegen den Handel anstinken können?

Doch halt: Anfang 2017 musste in Großbritannien die Abgabe von Gemüse trotz astronomischer Preise rationiert werden und was haben uns unlängst die Salatgurken gelehrt? Die Menge macht´s – und zwar auch den Preis. Schützenhilfe soll es zudem von der Europäischen Kommission geben: in einer Task Force wird derzeit unlauteren Handelspraktiken hinterhergespürt. Als größtes Problem wird der auch in der Asymmetrie der Handelsbeziehung begründete so genannte Angstfaktor auf Produzentenseite gesehen. Aber ist denn nicht eigentlich und sowieso der Kunde und damit der Verbraucher König? Als Walmart vor drei Jahren bekanntgab, in seinen US-Filialen keine Sturmgewehre mehr verkaufen zu wollen, war das keineswegs die Reaktion des Handelsgigantens auf Columbine und Co., sondern ausschließlich der gesunkenen Nachfrage geschuldet. Es wurden dann auch keine Pflüge aus den Maschinenkarabinern geschmiedet, sie mussten lediglich für Jagdgewehr und Schrotflinte Platz machen. Nur den Verbraucher in die Pflicht zu nehmen greift dann allerdings auch wieder zu kurz: Wenn sich der Montagsknüller einmal im Kopf festgesetzt hat, ist es zwangsläufig schwierig, am Dienstag wieder zur Normalität zurück zu kehren.

Tim Jacobsen

Der Ton macht die Musik

Achtung, fertig, tanzt –wenn mehr als 8000 Menschen nach über fünf Stunden im prallen Sonnenschein lautschreiend minutenlang mit „Ich bin Bauer, Bauer“ ihre Sympathie für die Landwirtschaft bekunden, dann war das Ende Juni 2018 eher nicht die Publikumsreaktion auf die fast zeitgleich von Joachim Rukwied beim Deutschen Bauerntag gehaltene Grundsatzrede, zeigt aber gleichwohl, dass es in Deutschland mehr als nur die eine Landwirtschaften geben muss.

Während sich der Bauerpräsident in Wiesbaden fest davon überzeugt zeigte, dass „gerade wir Landwirte Verlässlichkeit in den agrarpolitischen Rahmenbedingungen brauchen, damit unsere Betriebe in zunehmend volatileren Märkten wettbewerbsfähig bleiben“ und mit „ländliche Räume brauchen Zukunftsperspektiven für die Landwirtschaft, aber auch für andere Wirtschaftsbereiche, vom Handwerk über Dienstleistungen bis hin zu Startups. Gerade für junge Menschen ist das wichtig“ auch noch gleich ein reichlich hypothetisches Patentrezept gegen die Landflucht ins Rennen warf, brauchte Stefan Dettl kein Brüssel, keine EU und auch keine subventionierten Exporte, um für ungleich mehr Begeisterung zu sorgen.

Der Chiemgauer Bandleader brachte auf dem Bonner Kunstraden augenzwinkernd auf den Punkt: Wie leicht zu sehen sei, esse und trinke er nun einmal gerne, seinen Bauchansatz nennt er liebevoll Weissbierspoiler. Nun sei es aber so, dass die leckersten Dinge Dettl zufolge ganz sicher nicht aus den Fabriken der Multinationals kommen, sondern mit Herzblut und Leidenschaft in den im verbandsolympischen „Höher, Schneller, Weiter“ allenfalls am Rande existierenden Unternehmen produziert werden. Und damit in eben jenen Unternehmen, die zwar auch, aber nicht nur von den agrarpolitischen Rahmenbedingungen abhängen und für die Volatilität eher ein Luxusproblem ist. Es seien dann auch genau diese landwirtschaftlichen Unternehmen, die tatsächlich Dienstleistung vor Ort nachfragen, dem Handwerk ein Auskommen sichern und Zukunftsperspektiven für den ländlichen Raum schaffen.

Im Internet kursieren zahlreiche Mitschnitte dieses von Labrassbanda meist als Rausschmeißer kurz vor dem Schlussapplaus intonierten Liedes. Die Videoclips beweisen, dass die Botschaft „klein ist fein und unterstützenswert“ auch über die deutschen Landesgrenzen hinweg auf deutlichen Zuspruch stößt und dies, obwohl sich ja schon gestandene Bayern mehr als nur schwertun, den in atemberaubender Geschwindigkeit abgefeuerten Songtext zu enträtseln.

„Ich bin Bauer, Bauer“

Stefan Dettel

Natürlich sind Grundsatzreden von Joachim Rukwied weder gerapt noch werden sie mit Blech-geblasenen Technobeats unterlegt, dennoch ist es auch bei Dettl weniger der Wortlaut oder das musikalische Brimborium, sondern vielmehr seine Authentizität, die die Dinge, die er von sich gibt, wie große Weisheiten erscheinen lassen. Und so glauben die nicht-Dialekt-Muttersprachler gerne Dettls Eingangs des Konzertes gegebenes Versprechen „es sind schon keine versauten Wörter dabei“.

Faszinierend auch, dass die Geschichte von Labrassbanda eine Geschichte ist, die es so eigentlich gar nicht geben dürfte. Es ist die Geschichte einer musikalischen Idee, die nicht in den großen Musikmetropolen Los Angeles oder London entstand, sondern dort, wo der Gamsbart noch freien Auslauf hat. Und da Dettl auch nach dem rasanten Aufstieg mitten rein ins Rampenlicht seinem Chiemsee die Stange hält, genießt er nicht nur unter der bayerischen Landjugend Heldenstatus: ein charismatischer Typ, der auf dem Dorf lebt, trotzdem cool ist und keiner Feier aus dem Weg geht. Und so ist Labrassbanda auch ein Sinnbild dafür, wie die Sehnsucht nach regionaler Identität gerade in Zeiten von Facebook, Billigflieger und Internet größer wird.

Und so bleibt zu hoffen, dass Julia Klöckners ebenfalls vom Bauerntag stammendes „Bauern erzeugen unsere Mittel zum Leben. Bauern pflegen unsere Kulturlandschaft. Sie sind Träger vieler Traditionen und Innovationen, die unsere Heimat und speziell die ländlichen Regionen prägen. Darauf bin ich stolz. Ich will dafür sorgen, dass wieder mehr Menschen unsere Bauern und unsere Landwirtschaft wertschätzen“ und ihr frommer Wunsch „Ich will eine Landwirtschaft, die stolz ist. Stolz darauf, wirtschaftlich tragfähig und gesellschaftlich akzeptiert zu sein. Die attraktiv ist für junge Menschen. Die sich selbstbewusst den gesellschaftlichen Debatten stellt“ mehr als nur ministrable Lippenbekenntnisse auf dem Bauerntag waren und in allerletzter Konsequenz dazu führen, dass sich Dettl und Konsorten demnächst an einem anderen unserer vielen ungelösten Problemen abarbeiten können.

Tim Jacobsen

Macht was draus: Klappern gehört zum grünen Handwerk

Stille Wasser sollen angeblich tief sein: Sich rar zu machen, um dadurch interessant zu wirken, mag vor ein, zwei Generationen noch das Geheimrezept für eine erfolgreiche Balz gewesen sein. Heutzutage geht diese Rechnung allerdings nicht mehr auf, zu vielfältig sind die Alternativen – dies gilt für die Liebe genauso wie für Sportgroßereignisse im Buhlen um Aufmerksamkeit oder Berufssparten im Kampf um den Nachwuchs.

So gesehen hat der Produktionsgartenbau dann so einiges gemein mit einer Hochseeregatta. Bis vor wenigen Jahren waren Segelrennen das Meeresäquivalent der 50 km Rennen der Skilangläufer zu Zeiten des Kalten Krieges. Die Wettkämpfe wurden jeweils am Ende einer Sackgasse gestartet, danach verschwanden Läufer und Crews in einem Wald oder hinter dem Horizont, um entweder am selben Punkt oder an einem anderen Sackgassenende in Reihenfolge ihrer Platzierung wieder zum Vorschein zu kommen.

Mittlerweile wurden im Skilanglauf die großen Wälder abgeschafft, die medaillenträchtigen Wettbewerbe ähneln heutzutage Trabrennen mit integriertem Auf und Ab. Neuartige Formate wie die Mixed-Staffelwettbewerbe oder die Kombination verschiedener Lauftechniken haben dazu beigetragen, Skilanglauf gegen äußerst starke Konkurrenz im Hauptprogramm zu halten.

Es geht um Mut, es geht um Leidenschaft, es geht um Stolz – es geht um Menschen, die bereit sind, ein kleines bisschen mehr zu wagen

Tim Jacobsen

Nicht ihren Stellenwert halten, sondern mediale Aufmerksamkeit überhaupt erst gewinnen, mussten die Haudegen der Weltmeere: Vor wenigen Jahren zeigten noch nicht einmal Exotensender in Programmnot Austragungen des America´s Cups. Die Verlegung der Austragungsorte in die Buchten von Auckland, Valencia und San Francisco sorgte dann für Publikum ohne Ende, die Einführung fliegender Katamarane für Spektakel satt und Liveschalten zur besten Sendezeit.

Beim Volvo Ocean Race – der zweitwichtigsten Rennserie auf hoher See – ist eine Verlegung des Veranstaltungsortes nicht möglich, nicht zuletzt lässt sich eine Regatta rund um den Globus nun einmal nicht in einem etwas größeren Hafenbecken durchführen. Auch kämen die Zweirümpfer schnell an ihr Ende, könnte man nicht bei Starkwind die Segel, die in Wirklichkeit vertikal montierte Flügel sind, einfach abmontieren und sicher an Land verstauen; nicht zuletzt gibt es im Südpolarmeer nun einmal keine Versteckmöglichkeiten.

Den Organisatoren des Volvo Ocean Races blieb also nur, das ursprüngliche Format beizubehalten und sich darauf zu konzentrieren, was dieses Rennen so einzigartig macht – um danach dann einmal zu überlegen, wie sich die Jungen und Junggebliebenen denn überhaupt erreichen lassen. Radio, Fernsehen, Zeitung? Kommunikationschef Jon Bramley winkt ab: „Junge Leute sind da kaum noch unterwegs.“

Mit Facebook, YouTube und Twitter dagegen lässt sich nicht nur die Zielgruppe tatsächlich erreichen, der finanzielle Einsatz hält sich auch im Rahmen, solange der Inhalt stimmt – und der ist im Falle des Volvo Ocean Race schnell erzählt, wie Bramley am Rand der `boot´ in Düsseldorf betont: „Es geht um Mut, es geht um Leidenschaft, es geht um Stolz – es geht um Menschen, die bereit sind, ein kleines bisschen mehr zu wagen.“

Den Rennverlauf des vorletzten Volvo Ocean Race verfolgten weltweit 1,6 Mrd. Zuschauer. Das lag mit Sicherheit nicht nur an den bis zu 16 m hohen Wellen, denen die knapp 22 m langen Plastikschüsseln ausgesetzt waren, oder den Spitzengeschwindigkeiten von über 80 km/h, die erreicht wurden. Es lag mit Sicherheit auch nicht nur daran, dass Text, Bild, Ton und Video in einer Form aufbereitet wurden, die die Arbeit der Kollegen in den großen Agenturen beträchtlich erleichterte.

Es war auch nicht nur der bis zum Ende der letzten Etappe unklare Rennausgang oder Katastrophen wie der Mastbruch der AbuDhabi und die Pechserie der Sanyia – es waren vor allem die Kommunikationsprofis an Bord der einzelnen Schiffe, die den Zuschauerinnen und Zuschauern diese ihnen doch recht fremde Welt erschlossen und die maßgeblichen Anteil daran haben, dass das Hochseesegeln in Imageanalysen mittlerweile Formel 1 und Tour de France hinter sich lässt.

Es war unser westliches Nachbarland, das dem Publikumsmagneten Kom in de Kas Anfang April dieses Jahres das Motto „Gartenbau ist Hochleistungssport“ umhängte. Ein Mantel, der auch den deutschen Gärtnern gut steht. Konsequent kommuniziert, sollten sich damit die drängendsten Probleme beinahe wie von selbst lösen lassen. Schließlich herrscht im Gartenbau an Mut, Leidenschaft, Stolz und Menschen, die bereit sind, ein kleines bisschen mehr zu wagen, kein Mangel.

Tim Jacobsen

Möglichkeiten über Möglichkeiten

Exklusiver geht kaum: insgesamt nur zwölf Menschen waren jemals auf dem Mond, der letzte im Jahr 1972 – fast genauso schwer zu toppen ist es, der Europäer zu sein, der am längsten im Weltall war. Kein Wunder, war der niederländische Astronaut André Kuipers dann auch einer der Zugvögel des Greentech Summits Anfang Juni, mit dem die umtriebigen Messeorganisatoren den Fokus auf die nächstes Jahr zum zweiten Mal stattfindende Messe gleichen Namens lenken wollten.

Nur achteinhalb Minuten dauert es, bis sich nach dem Start die Raketen lösen und der schwerelose Blick durch das Bullauge auf einmal unseren Globus aus Marsmännchenperspektive zeigt, und, wie Kuipers verriet, viel Schönes, aber auch viel Erschreckendes offenbart. Grund genug, dass sich Kuipers nach seiner aktiven Zeit selbst zum Botschafter des Planeten Erde ernannte und seitdem mit „Wir sind alle Astronauten an Bord des Raumschiffes Erde“ für die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen wirbt.

Thematisch hätte der Einstieg in dieses Gipfeltreffen der Gartenbaubranche nicht besser gelingen können, auch, weil Richard van Hooijdonk anschließend Entwicklungen aufzeigte, die unser Leben binnen kurzem ähnlich radikal verändern werden, wie dies die Dampfmaschine im 18. Jahrhundert tat. Er verheimlichte in all seiner Euphorie nicht, dass das hinter Robotik, Internet der Dinge, Wearables sowie 4D-Druck stehende einigermaßen ominöse Big Data auch Orwellsche Fantasien wahr werden lassen kann sowie ganz neue Formen von Kriminalität ermöglicht.

„Wir sind alle Astronauten an Bord des Raumschiffes Erde“

Astronaut André Kuipers

Mit je nach Sichtweise drohenden oder heilsversprechenden Technologien ging es danach munter weiter: Erik Pekkeriet und Martijn Wisse gaben einen Einblick in den aktuellen Stand der Roboterforschung, der sich am ehesten mit `es ist alles möglich´ und `wenn nicht heute, dann auf jeden Fall in Bälde´ zusammenfassen lässt. Allerdings sollte man neben dem nötigen Kleingeld auch ein eher waghalsigeres Naturell besitzen, will man zu den Pionieren gehören.

Tim Clapp führte am Beispiel der sog. Teebeutel vor, dass der B&Q-Claim `One planet home´ mehr als nur heiße Luft in Zeiten von Nachhaltigkeitsdebatten ist, und dass, so ausgereizt Entwicklungen uns auch erscheinen mögen, immer noch deutlich mehr möglich ist. Und so klein der Beitrag dieses speziellen Anzuchtsystems angesichts des globalen Müllaufkommens auch erscheinen mag, so groß können viele kleine Beiträge in der Summe sein. Wie auch der von Alice Wang vorgestellte Obst- und Gemüsesaftkonzentrathersteller Haisheng Fresh Fruit Juice Co., der beim Sprung vom unbedeutenden Saftladen hin zur weltweiten Nr. 1 nicht vergaß, die lokal ansässige Bevölkerung mit auf diese Reise zu nehmen und den Gartenbau in der Region auf ein Niveau zu heben, das international keinen Vergleich zu scheuen braucht. Ähnliches auch von Erik Holm und Ian van Brouwershaven, die den südafrikanischen Farmmogul ZZ2 vorstellten und ihr Programm Natuurboerdery erläuterten, mit Hilfe dessen das viele Millionen schwere Unternehmen seit 2002 vollständig auf Ökolandbau umstellt.

Verstecken muss sich auch der ehemalige Banker Faris Farrag nicht, der mit Bustan Aquaponics eine beeindruckend wassersparende Lösung für den Pflanzenbau in Wüstengebieten vorstellte. Die Verbindung von Gemüsebau und Fischzucht wählten auch die Urban Farmers Roman Gaus und Mark Durno, ohne die derzeit kaum ein Podium auszukommen scheint – wobei das zugrundeliegende Prinzip keineswegs eine revolutionäre Neuentdeckung ist, einmal mehr aber zeigt, dass brillante Ideen ohne jemanden mit Charisma und Durchsetzungsvermögen für immer nur Ideen bleiben.

Ohne Tomaten und Tillapias kommt Bill Watts´ Sahara Forest Project aus. Wie der Name verrät, wurde es für Wüstenregionen konzipiert und verspricht mit einer Kombination technischer und pflanzenbaulicher Maßnahmen reiche Ernten, ohne das Vorhandensein von Süßwasser. Und dass auch in unseren Breiten ohne allzu großen Aufwand noch beträchtlich ökologisiert werden kann, bewies Robert Kielstra am Beispiel des Agriports A7: Durch gezielte Anwerbung von Unternehmen, deren Abfallprodukte gerne von den Unterglasgärtnern verwendet werden, sammelt das Gewächshausgebiet nicht nur in der Außendarstellung Punkte.

So gesehen hätte der Summit auch als Vorschau auf die nächstes Jahr zu erwartenden Neuheiten durchgehen können, wäre da nicht Joseph Simcox gewesen, der schon in jungen Jahren allenfalls auf den Fußballplatz ging, um die dort wachsenden Gräser zu studieren:

Nachdem er in Amsterdam sein Befremden darüber geäußert hatte, dass man anscheinend einen ganzen Tag über Gartenbau reden könne, ohne auch nur einmal das P-Wort Pflanze zu erwähnen, tat er dies zu genüge: anhand einer botanischen Weltreise machte er mehr als deutlich, dass das gegenwärtige Obst- und Gemüseangebot nur einen Bruchteil dessen darstellt, was es weltweit an Essenswertem gibt. Zumal viele dieser Kulturarten dann nicht nur den agronomischen Kennzahlenvergleich mit dem gängigen, züchterisch bearbeiteten Sortiment nicht zu scheuen brauchen, sondern durchaus als kulinarische Leckerbissen durchgehen können und zudem an Lebensumstände adaptiert sind, bei denen unsere Frischethekenstammmannschaft schon lange schlapp macht.

Tim Jacobsen

Der Skandal, der nie aufgeklärt wurde

Von Null auf Krise in vier Tagen: wurde am Abend des 21.5.2011 die Schuld für das verstärkte Auftreten schwerer bakterieller Durchfallerkrankungen in Norddeutschland noch bei den üblichen Verdächtigen gesucht, rückten einen Tag später Obst und Gemüse in den Fokus der Epidemiologen. Von da ab war es nur noch ein kleiner Sprung hin zu reißerischen Verzehrswarnungen, die bei Kantinen- und Supermarktkunden gleichermaßen zu einem Rohkostboykott führten.

Ungewollt markierte das Robert Koch-Institut am 25.5.2011 einen der Höhepunkte der weiteren Entwicklung. Verschiedene Presseagenturen deuteten die Empfehlung des Bundesinstituts „vorsorglich bis auf Weiteres Tomaten, Salatgurken und Blattsalate insbesondere in Norddeutschland nicht roh zu verzehren“ um in ein „Tomaten, Salatgurken und Blattsalate aus Norddeutschland“.

„Es sind die Sprossen“, verkündete Prof. Dr. Reinhard Burger, Direktor des Berliner Robert Koch-Instituts schließlich am 10.6.2011. Niedersachsens Agrarminister Gert Lindemann bezeichnete im Nachrichtenmagazin `Focus´ den Bienenbütteler Bienenhof vielsagend als „die Spinne im Netz“. So erdrückend die Indizienlage auch gewesen sein mag, hatte die Theorie jedoch von Anfang an einen Haken: In keiner der auf dem Hof gezogenen Proben konnte der gefährliche Darmkeim O104:H4 nachgewiesen werden.

Der Sprossenbetrieb wurde stillgelegt, die EHEC-Welle ebbte ab und Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner und Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr verkündeten unisono, dass sie die Infektionsquelle „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ gefunden hatten.

„Es sind die Sprossen“

Prof. Dr. Reinhard Burger

Die Krise war bewältigt, Hygienevorschriften, Sicherheitskriterien und Einfuhrvorschriften wurden verschärft, 16 Mio. € Schmerzensgeld für die gebeutelten deutschen Gemüsebauern bereitgestellt – darüber gerieten dann auch die 53 Toten sowie die 3 842 teils schwer erkrankten Menschen schnell in Vergessenheit. Beklagenswert, aber in diesem Sinne nicht weiter verwunderlich, fand dann auch die von Foodwatch im Mai 2012 publizierte Analyse „Im Bockshorn“ genauso wenig Medienecho wie das Mitte Juni 2013 erfolgte Eingeständnis des Robert Koch-Instituts, dass nur ein gutes Zehntel der Erkrankungen erklärt werden kann.

Kommunikationsprofi Björn Wojtaszewski wundert das nicht: „Kommunikativ betrachtet, haben Lebensmittelskandale eine ähnliche Dramaturgie wie das klassische Drama: Ein Missstand wird bekannt. Daraufhin führt ein Schlüsselereignis zur Eskalation. Nach dem Höhepunkt des Skandals beginnt der Spannungsabfall. Konsequenzen werden angekündigt, bis schließlich die vermeintliche Normalität wieder Einzug hält. Das Paradoxe und schwierige ist, dass Krisen heutzutage im Ernährungsbereich schon fast der Normalzustand sind.

In wirtschaftlicher Hinsicht trifft es die Erzeuger dabei besonders hart. Aus kommunikativem Blickwinkel betrachtet, zählen sie meist zu den Verlierern. Das liegt auch daran, weil die Rollen im Meinungsmarkt oft vereinfacht dargestellt werden. Auf der Seite der Guten steht der Verbraucherschutz. Auf der Verursacherseite tummeln sich – im Rollenklischee der Medien – skrupellose Geschäftemacher, schwarze Schafe und Kriminelle.

Dieses Muster kann sich wiederholen, da die Bedeutung und Rolle einer aktiven Kommunikation noch immer sträflich unterschätzt werden.“ Die Ausrede, der Einzelne könne doch überhaupt keinen Einfluss auf das Geschehen nehmen, lässt Wojtaszewski nicht gelten: „Als professionell agierender Erzeuger und Unternehmer muss ich mir über mögliche Risikopotenziale in der Kommunikation rechtzeitig Gedanken machen. Aus kommunikativer Sicht setzt das jedoch voraus, dass ich beispielsweise die Möglichkeiten der Medienkommunikation erkenne. Ich kann diese auch zu meinem Vorteil nutzen und beispielsweise bereits im Vorfeld aktiv kommunizieren, um den Absatz zu fördern. Wer versteht, dass man heutzutage in die Außendarstellung investieren muss, wie in andere Produktionsmittel auch, wie in andere Produktionsmittel auch, der ist meist weiter als viele Wettbewerber.“

Wojtaszewski möchte auf keinen Fall missverstanden werden: „Wenn Todesfälle auftreten, hat der Verbraucherschutz ganz klar die oberste Priorität. Dass eine Warnung vor dem Verzehr bestimmter Nahrungsmittel dann wirtschaftliche Konsequenzen hat, ist unvermeidlich. Nimmt man den Blickwinkel der Erzeuger ein, dann müsste die Frage vielmehr lauten, was sie unternehmen können, um den Schaden mit zielgerichteter Kommunikation wirtschaftlich möglichst zu begrenzen. Aufgrund der weltweiten Markt- und Handelsstrukturen und der Vielzahl der Wettbewerber gibt es hier aber keine Patentlösung.“

Leichtsinnig wäre, darauf zu vertrauen, dass Verbände oder Ministerien im Fall der Fälle Lösungen aus dem Hut zaubern können: „Professionelles Krisenmanagement setzt voraus, dass die Betroffenen möglichst schnell und angemessen kommunizieren und den weiteren Krisenprozess verantwortungsvoll mitbegleitet.“ Die Grundsteine dafür müssen im Vorfeld gelegt werden.

Tim Jacobsen

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