"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: Obst (Seite 3 von 5)

Das Internet der Blumen

War es in der Elterngeneration der sich heutzutage auf halbem Wege zwischen Schule und Verrentung befindlichen Mittvierziger der Siegeszug des PCs, der beruflich und privat so manchen überrollte, gelten die Kinder dieser auch Generation X genannten Altersgruppe als erste echte `Digital Natives´: Schon im zartesten Kindesalter unausweislich mit Smartphones und Tablets konfrontiert, unterscheidet sich der Umgang der nach 2000 geborenen mit der mobilen Allverfügbarkeit von Computergeräten gravierend von der `etwas´ reservierteren Haltung ihrer Altvorderen.

Von daher könnten die Internetpropheten durchaus Recht haben, die behaupten, dass die Jüngeren und Jüngsten die Deutungshoheit über das Internet schon längst übernommen haben. Weshalb Entwicklungen wie die Quantified Self-Bewegung einhergehend mit dem permanenten, öffentlichen Erbringen von Leistungsnachweisen zwar vielleicht bei denen mit den ersten grauen Haare ein sicherlich nicht unberechtigten Kopfschütteln führen, als Ganzes aber eine wahrscheinlich unumkehrbare Richtung vorgeben.

Gleichzeitig passiert im mehr oder weniger Verborgenen etwas, was die Einführung neuer Technologien seit jeher begleitet hat: es werden haufenweise Dinge entwickelt, deren praktischer Nutzen zumindest auf den ersten Blick zweifelhaft ist. Dabei ist es aber in gewisser Weise so, dass es ohne den letztendlichen Entwicklungsschritt unmöglich wäre, über den tatsächlichen Nutzen dieser Erfindungen Aussagen treffen zu können. Und natürlich gehen die Entwicklungen oft in eine Richtung, aus der auch das große Geld winkt. Und das ist dann gemeinhin häufig der Pharmabereich.

So stand auch bei den Touchables, die Mitte Februar auf den Markt kamen, ursprünglich ein Projekt Pate, das Menschen mit Gedächtnisschwierigkeiten dabei helfen sollte, ihren Alltag mit Hilfe funkchipcodierter Buttons und der Gedächtnisstütze in Form eines Smartphones einfacher meistern zu können. Allerdings zeigte sich, dass die Generation, die hauptsächlich mit Erinnerungsverlusten zu kämpfen hat, eben auch nicht die technikaffinste Bevölkerungsschicht ist. Viel eher lassen sich von so etwas dann die Jüngeren begeistern.

Und die bringen dann ja auch eine Menge Vorteile mit sich: Zum einen haben sie überhaupt keine Scheu vor der Nutzung technischer Innovationen, zum anderen ist ihnen der permanente Einsatz von mobilen Endgeräten bereits derart in Blut und Fleisch übergegangen, dass sie es in keinster Weise seltsam finden, von ihrem Telefon daran erinnert zu werden, Obst zu essen oder die Blumen zu gießen. Und genau das ist, was die Touchables neben Dingen wie Autos wieder zu finden oder den Süßigkeitenkonsum zu zügeln können.

Ursprünglich stand bei den Touchables ein Projekt Pate, das Menschen mit Gedächtnisschwierigkeiten dabei helfen sollte, ihren Alltag mit Hilfe funkchipcodierter Buttons und der Gedächtnisstütze in Form eines Smartphones einfacher meistern zu können

Julian Pye

Und das funktioniert so: Buttongroße Aufkleber werden beispielsweise an der Obstschale oder  dem Blumentopf befestigt. In diesen Aufklebern sitzen nun Antennen, die mit dem Smartphone kommunizieren können. In erster Linie liest das Telefon in einem begrenzten Umkreis dann eine Art Identifikationsnummer des Buttons aus. Und diese lässt sich mit Hilfe der dazugehörigen App mit weiterer Information füllen. So kann beispielsweise der Blumentopf mit der Information „Bitte alle drei Tage gießen“ verknüpft werden. Denkbar ist auch eine Obstschale mit „Fünf am Tag“ oder die Bonbonniere mit „Nicht mehr als fünf am Tag“.

Ist es dann soweit, dass die Blumen wieder einmal gegossen werden müssen oder die gesundheitsfördernde Mindestanzahl von Obst und Gemüsen noch nicht erreicht bzw. die Süßigkeitenanzahl überschritten ist, bekommt der Nutzer einen freundlichen Hinweis auf sein Display. Im Fall der Blumen und der Obstschale kann der Warnhinweis mit dem Scannen des entsprechenden Buttons abgestellt werden, im Fall der Süßigkeiten hilft wohl nur, zumindest den Button aus der Funkreichweite des Telefons zu halten.

Und das muss dann ja bei weitem noch nicht das Ende der Fahnenstange sein: Warum nicht beispielsweise die Codierung mit Informationen zum Produkt spicken? So könnte beispielsweise der Blumentopfbutton auf Informationen in einer Datenbank zurückgreifen, die sortenspezifisch mit Standortdaten und Wetterprognosen verknüpft eine zumindest semiprofessionelle Bewässerungssteuerung auf der Fensterbank erlauben würde – und dies ganz ohne kostspielige Sensoren.

Genauso ließe sich auch der Diätplan unter Einbeziehung persönlicher Vorlieben, Aktivitätsmuster und Gesundheitsrisiken spielend leicht in Richtung Obst- und Gemüseverzehr lenken. Natürlich sollte man datenschutzrechtliche Bedenken nicht auf die leichte Schulter nehmen – die kaum vorstellbare Anzahl von innerhalb eines Zeitraums von nur sieben Jahren weltweit verkauften 650 Mio. iPhones, die ja dann in den meisten Fällen doch hauptsächlich als Zugangsportale zu den sozialen Medien genutzt werden, zeigt aber, dass diese Bedenken generell weniger schwer wiegen, zumal die Marke mit dem angebissenen Apfel ja auch nur einen kleinen Teil des Smartphonemarktes abdeckt und es die gesamte Produktkategorie vor 2007 ja auch noch überhaupt nicht gab.

Tim Jacobsen

Da geht noch was

Zwar erreicht er nur zwei Drittel des weltweiten Umsatzes des Brauseherstellers Coca Cola, aber immerhin 26 Mrd. € schwer soll er sein, der europäische Markt für Zierpflanzenprodukte. Verteilt auf die 213 Mio. Haushalte, die derzeit die Europäische Union bevölkern, macht das im Jahr 121,50 € pro Haushalt – dass das noch nicht das Ende der Fahnenstange sein kann, wird einem spätestens dann klar, wenn man sich bewusst macht, dass dies gleichzeitig bedeutet, dass pro Haushalt weniger als 2,50 € in der Woche für Zierpflanzen ausgegeben werden.

Am einfachsten aufpolieren ließe sich die Statistik, wenn es gelingen würde, das in Umfragen ermittelte Drittel der Bevölkerung, das in den letzten drei Monaten weder Schnittblumen noch Zimmer- oder Gartenpflanzen gekauft hat, als Kunden zu gewinnen. Schließlich sollte es gar nicht allzu schwierig sein, auf in Umfragen ungestützt vorgebrachte Gründe wie `zu teuer´, `zu kurz haltbar´, `keine Zeit für den Einkauf´ oder `kein Anlass, jemanden zu beschenken´ eine passende florale Antwort zu finden.

Geht man der Preisfrage auf den Grund, fällt auf, dass dies hauptsächlich von der Damenwelt so empfunden wird – mitunter könnte dies eine Folge davon sein, dass Frauen vergleichsweise oft Blumen geschenkt bekommen und nur selten selbst als Kundinnen im Laden stehen. Ganz falsch kann Mann mit so einem Blumengeschenk statistisch gesehen ja auch gar nicht liegen: rund zwei Drittel der in einer ABN AMRO Studie befragten Damen gaben an, sich über blumige Mitbringsel zu freuen.

Dahingegen scheint nur jeder zehnte Mann regelmäßig Blumen geschenkt zu bekommen; angesichts dessen, dass mehr als ein Drittel der befragten Herren angibt, sich über Blumengeschenke zu freuen, ist damit auch gleich die nächste unterversorgte Zielgruppe entdeckt. Und auch die Jüngeren, denen oft nachgesagt wird, mit Tradition nichts am Hut zu haben, scheinen in Wirklichkeit ganz anders zu ticken: knapp die Hälfte der befragten Youngsters gab an, sich über Blumen zu freuen und erreichen als eigene Alterskohorte damit fast die Umfragespitzenwerte der über 50-Jährigen.

Um den Vorwurf der mangelnden Haltbarkeit zu entkräften, bräuchte man nur wenige Stunden: während Verbraucher erwarten, dass Blumensträuße statistisch errechnete 9,28 Tage vorzeigbar bleiben, erreichen sie im Schnitt nur 8,99 Tage. Interessant dabei ist, dass Verbraucher beim Einkauf im Supermarkt ihre Haltbarkeitserwartung im Gegensatz zum Einkauf im Fachhandel deutlich niedriger ansetzen und die dort verfügbare Ware diese Erwartung dann auch nahezu zu erfüllen scheint.

Wollte man nun den Absatz ankurbeln, bräuchte man wahrscheinlich gar nicht allzu viel zu verändern: Wenn Frische alles entscheidend ist, führt kein Weg daran vorbei, die Effizienz der Vermarktungskette weiter zu steigern, auch wenn dies kaum mehr möglich zu sein scheint. Um aber die Erwartungshaltung der Konsumenten zu übertreffen, kann die Kette letztendlich gar nicht kurz genug sein. Netter Nebeneffekt: je früher Ware präsentiert werden kann, desto länger ist der mögliche Verkaufszeitraum und desto weniger müsste weggeworfen werden.

Und die Freude beim Konsumenten wird immer größer, denn auch ein anderer, immer wieder genannter Blumenkaufsverhinderungsgrund lässt sich mit modernen Warenwirtschaftssystemen leicht ausräumen: Wenn es nun einmal so ist, dass Kunden auch im Blumenladen gerne Schnäppchen schießen wollen, warum nicht aus dem Ärgernis eine Tugend machen? Ware, die dringend verkauft werden muss, wird mit deutlichem Preisabschlag angeboten. Bisher funktioniert das sog. Dynamic Pricing so richtig gut nur in die andere Richtung und sorgt für Preisaufschläge an Blumenschenktagen wie dem 14. Februar – dass die Vorratshaltung in Vorbereitung auf diese Großkampftage in Verbindung mit erhöhten Preisen dann beim Konsumenten oft für lange Gesichter sorgt, betont nur noch einmal, dass der Kunde gerne ernst genommen werden möchte.

Verteilt auf die 213 Mio. Haushalte, die derzeit die Europäische Union bevölkern, macht das im Jahr 121,50 € pro Haushalt

Tim Jaocbsen

Und selbst wenn neun Zehntel der Befragten im Laufe des letzten Jahres zum Teil wegen grundsätzlicher Bedenken oder auch, weil die Ware nicht im herkömmlichen Sinne sichtbar ist und deshalb verstärkt Qualitätsprobleme vermutet werden, keine Zierpflanzenprodukte online gekauft haben, steckt in diesem Vermarktungsweg eine Vielzahl von Möglichkeiten, mit denen sich dann die Blumenkaufverhinderungsgründe drei und vier ausräumen lassen.

Und das geht ganz ohne mit Kundenkarten, sozialen Medien, dem Internet oder Big Data gewonnenen Erkenntnissen: Maßgeschneiderte Blumen- oder Pflanzenabos können helfen, im übertragenen Sinne Zeit für den Einkauf und den passenden Anlass, jemanden zu beschenken, zu finden – und auch danach nicht wieder zu vergessen. Denkt man noch einen Schritt weiter, werden mit Sicherheit unter Zuhilfenahme von Kundendaten in nicht allzu ferner Zukunft unter der Onlinehändlerkategorie „Dann haben wir die folgende Auswahl für Sie“ auch Zierpflanzen auftauchen.

Natürlich könnte man sich auch zurücklegen und darauf vertrauen dass kein Ende der gesellschaftlichen Entwicklung, die seit 2005 zu einem Zehntel mehr an Haushalten, gleichbedeutend mit einem Zehntel mehr an Fensterbänken, Gärten und Balkonen, geführt hat, in Sicht ist und uns die Zukunft wahrscheinlich fast automatisch mehr und mehr potentielle Kunden bescheren wird.

Dennoch ist deutlich mehr möglich – packen wir es an!

Tim Jacobsen

Zitat:

Verteilt auf die 213 Mio. Haushalte, die derzeit die Europäische Union bevölkern, macht das im Jahr 121,50 € pro Haushalt

Wirtschafts(t)räume

Natürlich sind knapp 8 000 € Brutto-Monatslohn eine Menge Geld, selbst wenn dies nur gut einem Drittel der Bezüge eines Richters am Europäischen Gerichtshof entspricht – zumal diese Summen ja nicht umsonst offiziell Grundgehalt genannt werden. Und natürlich könnten die 33 000 allein bei der EU-Kommission beschäftigten Beamten zusammengenommen die meisten deutschen Fußballstadien füllen, ohne dass allzu viele Eintrittskarten in den freien Verkauf kämen.

Führt man sich dann aber einmal vor Augen, dass die Stadt Köln allein rund 17 000 Angestellte beschäftigt und es mittlerweile in wohlhabenderen EU-Ländern schwierig geworden ist, mit dem oben genannten Grundbezug für EU-Parlamentarier qualifizierte Kandidaten hinter dem Ofenrohr hervor zu locken, relativiert dies so manche Kritik an Europa – zeigt aber auch, in welchem Ausmaß wir den gegenwärtigen Status quo als selbstverständlich erachten, und über so manchen durchaus beklagenswerten Detail nur allzu schnell das große Ganze aus den Augen verlieren.

Es ist gerade einmal 25 Jahre her, dass zwischen den Kommunalwahlen im Mai und den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR-Gründung im Oktober gewaltfreie Initiativen die so genannte friedliche Revolution einleiteten; ein Ereignis, das unser Verständnis von Europa im Sinne des „Alle Menschen werden Brüder“ der Europahymne auf radikale Weise veränderte. Wie fragil dieses „Eines Freundes Freund zu sein“ in Wirklichkeit jedoch ist, zeigen die Entwicklungen in der Ukraine. Nicht wenige Kommentatoren entstaubten angesichts der Bedrohungslage ihr Eiserner Vorhangs-Vokabular; überwunden geglaubte Ost-West Ressentiments wurden erfolgreich wiederbelebt.

Anscheinend braucht es also den Fastentag, um den Sonntagsbraten wertschätzen zu können. Ähnliche Ideen treiben auch so manchen wenig liebevoll „Eurokrat“ genannten Wahlbrüsseler um: Ein „Nicht-Europa-Tag“ einmal im Jahr könnte mit Grenzkontrollen und allem, was bis zur Einführung des freien Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr Anfang 1993 gang und gäbe war, das bisher Erreichte vor Augen führen. Zudem es ja auch kaum wissenschaftliche Literatur gibt, die anzweifelt, dass Freihandel der Wohlfahrt eines Landes mehr dient als Protektionismus.

Ohne Liberalisierung des Welthandels gäbe es auch keine Globalisierung – und so wenig tolerierbar manche Auswüchse des weltweiten Geschäftemachens auch sind, lassen die Zahlen keine Zweifel daran aufkommen, dass mit zunehmender Einbindung in den Welthandel die Armut in Ländern wie Indien oder China deutlich abnahm.

Eigentlich hätte es also für die mittlerweile über 500 000 Unterzeichner einer Online-Petition, die den (Noch-)EU-Handelskommissar Karel De Gucht sowie den (Noch-)EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz auffordert, die Verhandlungen über das so genannte TTIP-Abkommen zu beenden, gar keinen Anlass geben sollen, schließlich versprechen die wirtschaftlichen Zugewinne klingelnde Kassen: Die EU darf auf 119 Mrd. € jährlich hoffen, die USA auf 95 Mrd. €.

„Deshalb sind diese Abkommen gut für uns“

Dr. Angela Merkel

Wären da nicht zumindest drei ungeklärte Fragen: Was im Einzelnen in der mittlerweile fünften Runde seit Juli 2013 verhandelt wird, ist nicht bekannt. Auch, wer im Einzelnen verhandelt, ist nicht bekannt – genauso wie nicht bekannt ist, wer am Ende über den Vertrag abstimmen wird. Die Bundeskanzlerin verwies Mitte Mai im Europawahlkampf darauf, dass die EU über etliche Freihandelsabkommen mit anderen Ländern verfüge „und die EU hat jedes Mal ein Mehr an Umweltschutz, ein Mehr an Verbraucherschutz herausgehandelt“.

Dr. Angela Merkel betonte: „Deshalb sind diese Abkommen gut für uns.“ Auch den Vorwurf mangelnder Transparenz wies die Kanzlerin von sich: „Wenn ich alles sofort auf den Tisch lege, dann kriegt man meistens nicht das beste Verhandlungsergebnis“ – was angesichts der Abhöraktivitäten der amerikanischen Geheimdienste durchaus auch ironisch gemeint gewesen sein könnte.

Chlorhähnchen, Genmais und Hormonfleisch waren neben dem Investorenschutz die Schlagworte, mit denen der Parteitag der Grünen die TTIP-Debatte Anfang Februar überhaupt erst ins Rollen brachte. Während die unversehrte Rückkehr so gut wie aller USA-Urlauber eindrucksvoll belegt, dass der Konsum von Chlor, Gen und Hormon, in was für Kombinationen auch immer, nicht unbedingt zum sofortigen Ableben führen muss, ist die Problemlage beim Investorenschutz etwas heikler:

Ursprünglich sollten derartige Abkommen Investoren vor Enteignung schützen – das Beispiel der schwedischen Vattenfall, die sich den deutschen Atomausstieg mit 3,5 Mrd. € vergolden lassen will, zeigt jedoch, wie Konzerne über den Umweg der Schiedsgerichte gegen unliebsame Gesetze vorgehen können, zumal diese Schiedsverfahren sich jeglicher demokratischer Kontrolle entziehen und auch keinerlei Berufungsverfahren vorsehen.

Es lohnt sich also durchaus, Fragen wie „Wo finden die Debatten statt? In welcher Form kann man sich engagieren? Wie stehen Parteien und Politiker zu den einzelnen Themen?“ zu stellen und nicht resigniert davon auszugehen, dass dies womöglich die `falschen´ Fragen in unserer globalisierten Welt sein könnten.

Tim Jacobsen

Friedrich geht, Schmidt kommt

Es war ein bisschen geflunkert, als Dr. Hans-Peter Friedrich bei der Eröffnungsveranstaltung der Internationalen Grünen Woche damit kokettierte, erst einen Monat im Amt zu sein – schließlich hatte er als Innenminister nach Ilse Aigners Repatriierung bereits Ende September die kommissarische Leitung des BMELV übernommen, das er dann ab seiner Ernennung eine Woche vor Heiligabend bis zu seinem Rücktritt am Valentinstag, als ein im Titel um den Verbraucherschutz beraubtes Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft führte.

Einen aus Gartenbausicht besseren Termin zur offiziellen Amtseinführung hätte es dann aber auch gar nicht geben können, schließlich stehen in der Nachweihnachtszeit traditionell die Branchenhighlights Grüne Woche, IPM, Fruit Logistica sowie BioFach unmittelbar bevor. Gelegenheiten genug, um, wie der Minister im Berlin erklärte, „vom Obstbauern am Bodensee bis zum Getreidebauern in Mecklenburg, vom Milchbauern in Allgäu und Oberfranken bis zum rheinländischen Gemüsebauern, vom Hopfenbauern aus Oberbayern bis zum Winzer an Rhein, Mosel und Saale“ all diejenigen kennenzulernen, deren Schicksal mit der Amtsübergabe in Friedrichs Hände gelegt wurde.

Die größten Sorgen hatte Friedrich schnell ausgemacht und versprach zur Eröffnung der Grünen Woche Planungssicherheit, Schutz des Eigentums sowie die Umsetzung der im Wahlkampf gemachten Versprechen. In Essen stellte er in Aussicht, die Passage des Koalitionsvertrages `Die Potentiale zur Energieeinsparung im Gartenbau sollen stärker genutzt werden´ mit Leben zu füllen, die bisherige Förderung des Agrardiesels beizubehalten sowie eine pauschale Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes auch zukünftig vehement ablehnen zu wollen.

Friedrich zeigte sich Ende Januar bestens informiert, als er zurückgreifend auf die Erkenntnisse des zweiten Zukunftskongresses das IPM-Eröffnungspublikum in die Pflicht nahm, dafür zu sorgen, dass Gartenbauprodukte zukünftig stärker nachgefragt und nicht zu Dumpingpreisen und in ihrer Bedeutung entwertet verschleudert werden. Friedrich lieferte die Problemlösung gleich mit: mit innovativen Produkten und Dienstleistungen sowie einem differenzierteren Eingehen auf die unterschiedlichen Konsumentengruppen könne die vom Konsumenten empfundene Wertigkeit gartenbaulicher Produkte gesteigert und so beispielsweise Blumen und Pflanzen beim Konsumenten als „hochwertiger Bestandteil im Leben“ verankert werden.

Eine EEG-Novellierung, die nicht zu einer Mehrbelastung des Gartenbaus führt, sowie die Einführung der steuerlichen Risikoausgleichsrücklage, wären ein guter Anfang

Tim Jacobsen

Ähnliches dann auf der Fruit Logistica: „Die Branche ist gefordert, den Konsum von Obst und Gemüse anzukurbeln, neue Trends zu erkennen, Marktlücken zu suchen und zu besetzen. Wir müssen auf Frische, Qualität und Transparenz setzen und zusehen, dass wir den Konsum weiter steigern – im Interesse der Betriebe und des Handels, aber auch im Interesse einer gesunden Ernährung.“ Abends bei der German Fruit Traders Night betonte Friedrich dann die zunehmende Bedeutung der Vermarktung von Lebensmitteln aus der Region und verwies auf das `Regionalfenster´, das Friedrich zufolge eine hervorragende Möglichkeit ist, regionale Produkte verlässlich und transparent zu vermarkten.

Am Eröffnungstag der Jubiläumsausgabe der BioFach schließlich erweiterte Friedrich den Regionalbegriff um das Thema Bio: „Regionale Bioprodukte liegen im Trend. Das bestätigt neben Umfragen auch das konkrete Kaufverhalten der Verbraucher. Daher sollte es unser gemeinsames Ziel sein, den Anteil an regionalen Bioprodukten zu steigern, zumal Produktion, Verarbeitung und Handel in den ländlichen Regionen auch aktiv zur Stärkung der Wirtschaftskraft vor Ort beitragen.“

Zwei Dinge lagen dem Minister zwei Tage vor seinem Rücktritt in Nürnberg dann noch besonders auf dem Herzen: „Ökologisch wirtschaftende Betriebe benötigen weiterhin attraktive Prämien, die die besonderen Ökosystemleistungen honorieren. Nur so bleibt der Anreiz für eine ökologische Bewirtschaftung erhalten“ sowie im Hinblick auf die geplante Revision der EU-Ökoverordnung „Weiterentwicklung und Anpassung sind wichtige Elemente einer zukunftsfähigen Branchenentwicklung. Dies gilt ganz besonders für einen sauberen Wettbewerb mit echten und qualitativ hochwertigen Bioprodukten. Daher begrüßen wir die Anstrengungen der Kommission grundsätzlich: Wo Bio draufsteht, muss auch Bio drin sein.“

Es blieb wohl niemandem verborgen, dass Friedrich als Landwirtschaftsminister in den knapp neun Wochen seiner Amtszeit in der grünen Branche auffallend viel Präsenz zeigte, was nach dem aus gartenbaulicher Sicht eher bescheidenen Ergebnis der Koalitionsverhandlungen für Aufatmen unter den berufsständischen Vertretern sorgte. Das damit allerdings automatisch einhergehende Dilemma verdeutlichte Friedrich zum IPM-Auftakt in Essen: „Ja, ich habe in meiner Rede auf der Grünen Woche in Berlin den Gartenbau gleich dreimal erwähnt, ganz absichtlich. Und prompt liegen mir schon die Beschwerden der Forstwirte und Teichwirte auf dem Tisch.“

Es bleibt zu hoffen, dass der frischgekürte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt den Gartenbau auch ohne Besuch der deutschen Weltleitmessen ernst nimmt und für die dringlichsten Sorgen und Nöte der Gärtner ein offenes Ohr hat: Eine EEG-Novellierung, die nicht zu einer Mehrbelastung des Gartenbaus führt, sowie die Einführung der steuerlichen Risikoausgleichsrücklage, wären ein guter Anfang.

Tim Jacobsen

Erfolgsgeschichte Bio?

Zum Nürnberger Bio-Branchentreff jagt mit fast schon erstaunlicher Regelmäßigkeit ein Rekord den anderen – so auch dieses Mal: Wie Mitte Februar zu erfahren war, erreichte der weltweite Umsatz mit Biolebensmitteln zuletzt noch nie dagewesene 62,9 Mrd. US$, immerhin ein Plus von knapp 7 % gegenüber dem Vorjahr.

Von den 21,5 Mrd. €, die dabei in Europa mit Biolebensmitteln umgesetzt werden, entfällt knapp ein Drittel auf Deutschland. Das heißt aber nicht, das wir auch diejenigen wären, die Pro-Kopf am meisten für Biolebensmittel ausgeben würden: Die Verbraucher in unseren Nachbarländern Schweiz und Dänemark kommen auf rund doppelt soviel.

Zwar wurden die unter Bundeskanzler Gerhard Schröder für Deutschland geforderten 20 % Bio-Flächenanteil im Jahr 2010 außer auf den Falklandinseln und im Fürstentum Lichtenstein nirgendwo erreicht, ganz abgekommen von diesem Ziel ist aber auch die Regierung Merkel nicht. Im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht stehen die 20 % noch immer als Zielmarke, wenn auch ohne Jahresangabe. Schriebe sich der Trend der letzten Jahrzehnte fort, sollte diese auch irgendwann erreicht werden – schließlich hat sich seit 1990 die Biofläche in Deutschland verzwölffacht, während sich gleichzeitig die Anzahl Biobetriebe versiebenfachte.

Hinter diesen Erfolgsziffern versteckt sich aber auch eine andere Zahl, wie aus einer Ende Februar veröffentlichten Studie des Thünen-Institutes in Braunschweig hervorgeht. So stellten zwischen 2003 und 2010 zwar 7 500 konventionelle Betriebe auf Bio um, im gleichen Zeitraum kehrten jedoch auch 3 000 Biobauern der Ökolandwirtschaft den Rücken – auf fünfzehn neue Biobetriebe kamen also sechs Betriebe, die just in diesem Geschäftsmodell keine Zukunft mehr sahen.

Und obwohl es im Sinne der nachhaltigen Förderung des Bioanbaus schon immer interessant gewesen wäre, nicht nur der Frage nachzugehen, warum Betriebsleiter auf Bio umstellen, schien es angesichts der Erfolgsmeldungen allerorten bisher kaum jemanden so richtig zu interessieren, warum gar nicht so wenige von diesem Weg auch wieder abkommen.

Einem Autorenteam um Dr. Jürn Sanders gelang es nun, diese Informationslücke zu schließen: Nicht weiter verwunderlich, spielen bei der Rückumstellung oft mehrere Faktoren eine Rolle. Kleinere Betriebe führen Dokumentationspflichten und Kontrollen als unverhältnismäßig an. Auch die gefühlte Praxisferne so mancher Ökorichtlinie ließ Produzenten in der Vergangenheit am eingeschlagenen Weg zweifeln.

Nicht weiter verwunderlich, spielen bei der Rückumstellung oft mehrere Faktoren eine Rolle. Kleinere Betriebe führen Dokumentationspflichten und Kontrollen als unverhältnismäßig an. Auch die gefühlte Praxisferne so mancher Ökorichtlinie ließ Produzenten in der Vergangenheit am eingeschlagenen Weg zweifeln. Zentral stand bei vielen Befragten jedoch die wirtschaftliche Situation ihres Betriebes

Dr. Jürn Sanders

Zentral stand bei vielen Befragten jedoch die wirtschaftliche Situation ihres Betriebes. Neben einem insgesamt zu niedrigen Einkommen waren dies häufig Vermarktungsprobleme, gekürzte Ökoprämien oder zu geringe Preisunterschiede zwischen konventioneller und Bioware. Dass der ökonomische Druck allerdings kein Bio-Spezifikum ist, beweist, wenn auch ungewollt, die Bild-Schlagzeile `Jetzt Betrug mit Bio-Eiern!´ vom 25. Februar – schließlich wurde im Sinne der Skandal-Maximierung geflissentlich übersehen, dass Ende Februar weit mehr konventionelle als Bio-Betriebe Gegenstand der behördlichen Untersuchungen waren.

Die Studie bestreitet nicht, dass es wohl auch immer Rückumsteller geben wird. Ihre Autoren weisen aber unmissverständlich darauf hin, dass die Anzahl Rückumsteller deutlich abnehmen könnte, könnten sich die Betriebe auf eine stimmige und vor allem konstante Förderpolitik verlassen. Dazu gehört dann beispielsweise, dass die einzelnen Bundesländer auf Sonderwege verzichten sollten. Auch sollten sich Agrarpolitik und andere Politikbereiche nicht widersprechen.

So können Landwirte seit geraumer Zeit ein Vielfaches verdienen, wenn sie Biogasanlagen statt ökologischem Landbau betreiben. Nicht zuletzt verspricht das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit seiner zwanzig Jahre umfassenden Förderzusage auch finanziell etwas mehr Nachhaltigkeit, als wenn Bio-Prämien im einen Jahr um ein paar Euros steigen, um bei der nächsten Gelegenheit wieder zum Spielball politischer Interessen zu werden.

Es scheint kaum vorstellbar, dass dies- oder jenseits der kommenden Bundestagswahl jemand am Erneuerbaren-Energien-Gesetz rütteln könnte – selbst wenn trotz historisch niedriger Preise an der Strombörse derzeit die Rechnungen der Versorger dank EEG-Umlage so üppig wie nie zuvor ausfallen: Zu groß ist der Kreis an Profiteuren, die sich dank staatlich garantierter Traumrenditen beruhigt zurücklehnen und wahrscheinlich selten darüber nachdenken, welchen Unfug es darstellt, wenn sie an wind- oder sonnenreichen Tagen Geld dafür bekommen, keinen Strom einzuspeisen und wenn wir für unseren teuer produzierten Ökostrom sogar Aufpreis bezahlen, um ihn im Ausland loszuwerden.

Tim Jacobsen

Ungeheuer Mehrwertsteuer – droht neues Ungemach?

Eine leise Vorahnung, dass der Vorstoß der Europäischen Kommission, bis Ende 2013 einen Weg hin zu einem „einfacheren, robusteren und effizienteren MwSt.-System“ zu finden noch so manche Fallstricke bergen wird, beschleicht einen spätestens beim Blick auf den Kassenzettel der Feiertagseinkäufe: Für die französische Gänseleber, den Apfel vom Bodensee und die Garnelen aus dem arktischen Ozean wird der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent berechnet; für Erdbeeren in Marmeladenform und den Birnensaft vom Direktvermarkter ums Eck sind hingegen volle 19 % fällig.

Kein Wunder, dass auch der Bundesrechnungshof dem gesunden Menschenverstand beipflichtet und der Bundesregierung im Jahr 2010 mit auf den Weg gab: „Der Katalog der begünstigten Gegenstände ist unübersichtlich und teilweise widersprüchlich. … Bei einer Reihe von Gegenständen ist zudem nicht zu begründen, warum der ermäßigte Steuersatz gewährt wird. Teilweise mutet die Abgrenzung willkürlich an.“

Die Bundesregierung nahm sich seinerzeit der Aufgabe an und setzte, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Kommission ein, „die sich mit … dem Katalog der ermäßigten Mehrwertsteuersätze“ befassen sollte. Neben einer nicht gerade überraschenden Meinungsvielfalt in der Koalition führten die Machtverhältnisse im Bundesrat im weiteren Verlauf dazu, dass das noch im Februar 2011 vom damaligen Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle lauthals als „Flurbereinigung bei den Steuersätzen“ postulierte Projekt bereits im Laufe des darauf folgenden Sommers still und heimlich wieder in den Schubladen verschwand. Glück im Unglück, möchte man meinen angesichts von Vorschlägen, die nicht weniger als eine Abschaffung aller Vergünstigungen einhergehend mit einer Senkung des regulären Steuersatzes forderten. Zudem es ja auch wenig wahrscheinlich scheint, dass die Bundesregierung mit ähnlich gearteten Slogans in den Wahlkampf ziehen könnte.

„Flurbereinigung bei den Steuersätzen“

Forderung von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle

Allerdings kann bis zum 22. September 2013 noch viel passieren und das schlimmstmögliche Szenario wäre dann auch vielleicht gar nicht einmal ein weitreichender Meinungsumschwung im Wahlvolk, sondern ein Abflauen der derzeit insbesondere den Deutschen günstig gewogenen Konjunktur: Unbarmherzig würde dies die Schieflage des Bundeshaushaltes entlarven und unweigerlich Kaskaden von Vorschlägen zur Stopfung der größten Haushaltslöcher in Gang setzen. „Schäubles Liste“, die passend zum Weihnachtsfest ihren Weg in das Nachrichtenmagazin Der Spiegel fand, gibt einen Vorgeschmack auf das, was uns möglicherweise erwartet.

Zwar würde aus dem dann einsetzenden Hauen und Stechen nicht unbedingt die Berufssparte mit der schlüssigsten Argumentation als Sieger hervorgehen, gleichwohl hätte der Zierpflanzenbau eine Reihe schlüssiger Argumente auf seiner Seite. Wurde bisher immer das mittlerweile schon etwas angestaubte Beispiel Frankreich herangezogen, steht nun mit den Absatzentwicklungen in den Krisenländern Südeuropas hochaktuelles Zahlenmaterial zur Verfügung.

So wurde beispielsweise in Spanien im September letzten Jahres der Mehrwertsteuersatz für Blumen dem Regelsatz angeglichen, was im Folgemonat zu einem Umsatzrückgang von rund 15 % führte. Einen Nettoumsatzrückgang in ähnlicher Größenordnung hatten die französischen Kollegen erlebt, nachdem der Gesetzgeber dort im Jahr 1991 die Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für Zierpflanzenprodukte strich. Zwar stieg der Bruttoumsatz im Folgejahr leicht an, ob das vermehrte Steueraufkommen jedoch die Entlassung von weit mehr 10 000 Mitarbeitern kompensieren konnte, wird von Fachleuten zu mindest in Zweifel gezogen.

Schließlich sprechen die Zahlen, wie sie beispielsweise die Agrarökonomen des niederländischen LEI errechnet haben, für sich. Würden in allen EU-Ländern die ermäßigten Mehrwertsteuersätze für Zierpflanzenprodukte den regulären Sätzen angeglichen, hätte dies im europäischen Einzelhandel einen Umsatzrückgang von 3,5 Mrd. € zur Folge. Der europäische Großhandel müsste rund 2,7 Mrd. € kompensieren, auf Produktionsebene kämen noch einmal Umsatzverluste in Höhe von 1,7 Mrd. € hinzu.

Knapp 29 000 Arbeitsplätze gingen dadurch in der Produktion verloren, im Handel kämen noch einmal knapp 31 000 verlorene Arbeitsplätze dazu. Und nicht nur in Europa würde dieser Kahlschlag seine Spuren hinterlassen: Die afrikanischen Schnittblumenexporteure hängen beispielsweise nahezu vollständig vom europäischen Binnenkonsum ab.

Die Frist, bis zu der EU-Kommissar Algirdas Šemeta Vorschläge zur Reform des Mehrwertsteuersystems für die Ausarbeitung seines Rechtsvorschlags berücksichtigen wollte, lief am 3. Januar 2013 weitgehend unbemerkt ab. Ein Schicksal, das er mit seinem Kommissionskollegen Dacian Cioloş teilt: Als dieser die Bürgerinnen und Bürger Europas aufforderte, Vorschläge zur Gestaltung der zukünftigen gemeinsamen Agrarpolitik zu machen, kam er gerade mal auf 5 000 Einsendungen.

Tim Jacobsen

`Bio´ in aller Munde

So wenig, wie das Anfang September in der ARD-Reportage Fakt-Exklusiv gezeigte Fallbeispiel Missstände in der biologischen Fleischproduktion widerspiegelt, so wenig repräsentativ waren auch die mehreren hunderttausend Tonnen fälschlicherweise als Bioware vermarkteten Agrarprodukte, die zu Jahresbeginn für Aufruhr sorgten.

Während im ersten Fall die Aufregung über die mecklenburgisch-vorpommerschen Schweine schnell vergessen ließ, dass sich Ställe rechnen müssen und auch Bioproduzenten angesichts der allgemeinen Zahlungsbereitschaft keine Streichelzoos betreiben können, zeigte das zweite Beispiel, dass, wo immer es Geld zu verdienen gibt, stets auch ein Anreiz zum Betrug gegeben ist – wobei der Anreiz naturgemäß umso größer ist, je weniger involviert man selbst ist: Verliere ich mit der Lizenz zur Bioproduktion gleichzeitig meine Geschäftsgrundlage, liegt die Hemmschwelle höher als wenn ich heute mit gefälschten Bioprodukten handle, morgen mit irgendeiner anderen Art von Plagiat.

In die Hände spielte den Biofälschern der hohe Importanteil: Schätzungen gehen davon aus, dass in Deutschland das Biomarktvolumen rund doppelt so schnell gestiegen ist wie die Anbaufläche, was zwangsläufig dazu führte, dass in vielen Produktfällen Regionalität nicht gegeben sein kann. Rund die Hälfte der Biomöhren und –äpfel werden importiert, bei den -tomaten sind es sogar mehr als vier Fünftel.

In die Hände spielte den Exporteuren aus dem Süden mit Sicherheit auch das Wirrwarr an Siegeln: so wurde das vor zehn Jahren eingeführte grünweißschwarze Sechseck mit dem Schriftzug „Bio nach EG-Öko-Verordnung“ im Jahr 2010 um das EU-Bio-Logo mit seinen 12 weißen Sternen, die ein stilisiertes Blatt auf grünem Grund formen, ergänzt. Beide Siegel nehmen sich im Grunde nicht viel – mit dem Unterschied, dass bei Importware nicht Ilse Aigners Ministerium sondern die Kontrollbehörde des jeweiligen Herkunftslandes für die Einhaltung der Spielregeln bürgt.

Niemand bestreitet, dass es zwischen Bio- und konventioneller Produktion jede Menge klarer Unterschiede gibt: Inzwischen ist allgemein bekannt, dass in der Bioproduktion weder chemischer Pflanzenschutz noch Kunstdünger oder Gentechnik zum Einsatz kommen und auch gegen die Verwendung des nicht nur in Biokreisen vielgeschmähten Glutamats gibt es mehr als nur Vorbehalte.

Am Beispiel Geschmacksverstärker lässt sich dann auch veranschaulichen, warum die Diskussion für oder wider `Bio´ oft in einen Glaubenskrieg umschlägt. Zwar darf in der Weiterverarbeitung von Biolebensmitteln keines der Salze mit den wenig aussagekräftigen Bezeichnungen E 621 – 625 verwendet werden, die Zugabe von Hefeextrakt ist aber sehr wohl erlaubt – und in diesen Extrakten steckt dann wiederum jede Menge Glutamat.

„`Bio´ nur wenig gesünder“

Publikumspresse

Dass sich angesichts dieser oft kleinen aber feinen Unterschiede auch Kommunikationsprofis gar nicht so leicht tun, die Bio-Spreu vom Weizen zu trennen, zeigt die in den letzten Wochen auf so gut wie allen Kanälen geführte Diskussion über die Ergebnisse einer Studie, in der wieder einmal der Frage nachgegangen worden war, ob Biokost gesünder ist als konventionelle Ware. Der Hauptunterschied zu all den Vorgängerstudien, die `Bio´ seit jeher begleiten, ist, dass dieses Mal noch mehr Studien aus einem noch längeren Zeitraum als jemals zuvor miteinander verrechnet wurden.

Das ernüchternde Ergebnis: kaum Produktunterschiede bei den so genannten inneren Werten. Der Gehalt an Phenolen und Phosphor lag in den Bio-Varianten zwar etwas höher; allerdings scheint, was den Polyphenolgehalt angeht, Kaffeetrinken die zielführendere Alternative und auch die Bedrohung durch Phosphormangel ist in unseren Breiten überschaubar. Ebenfalls wenig überraschend wurden in der Metastudie relevante Unterschiede festgestellt, was Rückstände angeht. Allerdings wird die Bedeutung dieses Befundes mit dem Hinweis darauf relativiert, dass die Rückstände von Pflanzenschutzmitteln keine alarmierenden Größenordnungen erreichen, beide Varianten also im absolut sicheren Bereich liegen.

In der Lesart der Publikumspresse führte das zu Schlagzeilen wie „`Bio´ nur wenig gesünder“ und wurde je nach Glaubensrichtung als so genanntes Bio-bashing oder das Ende des Bio-Marketinghypes interpretiert. Wollte man der Sache tatsächlich auf den Grund gehen, müsste man die Frage zu beantworten versuchen, wie sich Bio- im Vergleich zu konventioneller Kost langfristig gesundheitlich bemerkbar macht. Dies scheint jedoch fast unmöglich, denkt man an weitere Einflussfaktoren wie Bewegung, Bildung, Einkommen oder Lebensstil. Diskutiert man die Studie mit Ernährungsfachleuten, wird schnell klar, dass die Fragestellung eigentlich auch ganz anders lauten sollte: Spielt denn nicht weniger die Herstellungsmethode sondern vielmehr die Auswahl der Lebensmittel die entscheidende Rolle? Und da zeigen Gemüse, Vollkorn- und ballaststoffreiche Kost kombiniert mit allenfalls moderatem Fleischkonsum signifikant lebensverlängernde Wirkung.

Tim Jacobsen

Die weiteren Aussichten: Heiter bis wolkig

Rob Baan ist schwer zu fassen: sobald man glaubt, jetzt müsste doch eigentlich der Moment gekommen sein, an dem er kurz innehält, verblüfft er sofort mit neuen Aktivitäten. Kurz nach Fertigstellung seines Gewächshausneubaus, der im Verbinder endlich einmal genug Platz für zumindest die spektakulärsten Auszeichnungen der letzten Jahre bietet, ging 24Kitchen on air, ein von ihm initiierter Fernsehsender, der Frischprodukte und ihre Verwendung zum Thema hat.

Vorläufig letzter Streich Baans war sein Auftritt bei TED x Binnenplein, der nicht nur den niederländischen Thronfolger und seine Frau begeistern konnte. Baan machte dabei auf das Missverhältnis aufmerksam, dass Schokoladenriegelfabrikanten ihre Produkte mit dem Energiegehalt bewerben können, die gesundheitsfördernde Wirkung von Brokkoli beispielsweise jedoch verschwiegen werden muss. Baan forderte dazu auf, dass, anders als bisher, nicht Gesundheitsrisiken und Krankheiten, sondern die positiven Auswirkungen gesunder Ernährung im öffentlichen Fokus stehen sollten. Sichtbares Zeichen könnte die Einrichtung eines Ministeriums für Ernährung und Gesundheit sein.

Vorläufig letzter Streich Baans war sein Auftritt bei TED x Binnenplein, der nicht nur den niederländischen Thronfolger und seine Frau begeistern konnte

Tim Jacobsen

Wenige Tage zuvor hatte Dr. Andreas Brügger vom Deutschen Fruchthandelsverband beim Deutschen Obst- und Gemüsekongress in Düsseldorf Zahlen präsentiert, die belegten, dass in Deutschland sowohl bei der Einkaufsmenge pro Haushalt als auch beim Pro-Kopf-Verbrauch von Obst und Gemüse die Trendlinien rückläufig sind und wir uns von der empfohlenen Verzehrsmenge weiter denn je entfernen.

Dies, obwohl Obst und Gemüse zu den Favoriten des Handels zählen, wie Helmut Hübsch vom Nürnberger Marktforschungsunternehmen GfK zuvor erläutert hatte. Nicht nur liegen Obst- und Gemüse fast gleichauf mit dem Spitzenreiter Molkereiprodukte, was ihren Anteil bei den so genannten Frische-Warengruppe-Artikeln mit großer Kaufhäufigkeit (FMCG) angeht.

Nimmt man neudeutsch Shoppertraffic als Maßstab, lag die Warengruppe Obst und Gemüse letztes Jahr sogar an erster Stelle. Im Frühjahr 2011 machte die Consumer Index für Obst und Gemüse genannte Kennzahl in den Monaten Januar bis April Hübsch zufolge selbst mit positiven Veränderungsraten sowohl gegenüber dem Vorjahr als auch gegenüber der Gesamtentwicklung für die Fast Moving Consumer Goods auf sich aufmerksam.

Die wenigen Wochen zwischen den Bildschlagzeilen „Lebensgefährlicher Erreger infiziert 20 Menschen!“ und „EHEC: Ist jetzt alles vorbei?“ genügten dann allerdings, die Absatzmengen bei Gurken, Tomaten, Salaten und Blattgemüsen von Woche 20 auf Woche 22 teilweise deutlich mehr als nur zu halbieren. Während sich bei Strauchtomaten beispielsweise dann die Situation ab Woche 26 deutlich entspannte, erreichte der Gurkenmarkt erst Ende August wieder das Niveau der vorangegangen Jahre. Salate und Blattgemüse kamen im von Hübsch präsentierten ConsumerScan Ende Juli wieder in den Bereich der Kennzahlen des langjährigen Mittels.

Interessant wird es, wenn man die monatlichen Durchschnittstemperaturen mit denen des langjährigen Mittels vergleicht und diesen Kurven dann wiederum die Abverkaufsentwicklung gegenüberstellt. Hübsch zeigte die Auswirkungen des im langjährigen Vergleich deutlich zu kühlen Monats Mai 2010 auf die Absatzentwicklung bei Erdbeeren und Spargel, die der vergleichsweise warme Juni im selben Jahr dann wiederum teilweise wettmachen konnte und verglich diese Entwicklungen mit den letztjährigen Wetterdaten. Ein vergleichsweise warmes Frühjahr führte 2011 dazu, dass die Abverkaufsentwicklung bei Erdbeeren im Mai 2011 knapp das Doppelte der Tonnage aus dem Jahr zuvor ergab.

Die Salate starteten im April 2010 mit einer im Vergleich zu 2011 rund 10 % niedrigeren Tonnage in die Frühjahrssaison. Ein Temperatursturz deutlich unter das langjährige Mittel führte im Mai 2010 wiederum zu einem Rückgang des Abverkaufs, ein Trend der sich im vergleichsweise warmen Juni fortsetzte und erst mit den hochsommerlichen Temperaturen im Juli 2010 wieder umkehrte. 2011 starteten die Salate bei salatfreundlichen Klimabedingungen, von April bis Juni kommt es Hübsch zufolge zu einer Halbierung des Absatzes. Im Juli 2011 wiederum, als die Temperaturen anders als im Jahr zuvor unter das langjährige Mittel fallen, kommt es zu einer Umkehr des Trends – im August schließlich stabilisiert sich der Absatz auf dem Niveau des Vorjahres.

Zu kämpfen hatten im letzten Jahr auch die traditionellen Sommerprofiteure in den Getränkemärkten und an den Frischfleischtheken, die zwischendurch Absatzrückgänge von 14 bzw. 30 % verzeichnen mussten. Aber ähnlich wie sich die letztes Frühjahr zwischendurch sprunghaft angestiegene Beliebtheit des Fachhandels als Einkaufsstätte für Obst und Gemüse wieder nivelliert hat, gleicht sich auch der bio-Kf-Index wieder den Zahlen des Vorjahres an.

Zum einen sind das gute Nachrichten, da es zeigt, dass die Gedanken der Konsumenten schnell wieder mit anderen Dingen beschäftigt sind und sich auch Extreme relativ schnell wieder einpendeln. Zum anderen beweist es einmal mehr, wie abhängig wir vom Wetter und anderen Variablen sind, auf die wir kaum Einfluss haben – genauso wenig wie auf das Konsumklima, das sich zwar seit Anfang 2010 stetig stabilisiert hat, die konsumfreundlichen Rahmendaten aber unter den gegenwärtigen Voraussetzungen jederzeit ein jähes Ende finden können.

Tim Jacobsen

Ein Blick in die Kristallkugel: Szenarien für die zukünftige Entwicklung des Gartenbaus

Gäbe es jemanden, der vorhersehen könnte, welche Entwicklung die Wirtschaft im Großen wie im Kleinen demnächst nehmen wird, würde diese Person sicher einen Teufel tun und das an die große Glocke hängen. So bleibt uns armen, nicht zum Hellsehen befähigten Normalsterblichen dann auch nur das Skizzieren wahrscheinlich anmutender Szenarien, um besser vorbereitet zu sein auf das, was da kommen mag.

In einer unlängst im Rahmen der Floriade vorgestellten Publikation mit dem Titel IN2030 entwickelten Ökonomen der Rabobank Szenarien für die zukünftige Entwicklung des Gartenbaus, die mal düsterer, mal freudvoller stimmen. An der Benennung der Szenarien, die analog zum Lauf der Jahreszeiten erfolgte, lässt sich bereits erahnen, was uns erwartet, falls bis zum Jahr 2030 tatsächlich alles so kommen sollte:

An der Benennung der Szenarien, die analog zum Lauf der Jahreszeiten erfolgte, lässt sich bereits erahnen, was uns erwartet

im Rahmen der Floriade vorgestellte Publikation mit dem Titel IN2030

– Optimismus wohin man guckt, die ökonomischen Vorzeichen auf Wachstum – mit einem Wort: `Sommer´. Alles, was sich der Gartenbau im Jahr 2012 vorgenommen hat, wurde bis 2030 erreicht: Verschiedene Absatzorganisationen wurden gegründet, die Massenproduktion nahm zugunsten teuer bezahlter Spezialitäten ab und auch, was Nachhaltigkeit angeht, hat sich einiges verbessert. Nur der technologische Fortschritt stellt sich langsamer als erhofft ein. Die größten Geschäftserfolge verbuchen diejenigen, die gemeinsam mit Berufskollegen innovative Produkte und Konzepte auf den Markt bringen: Anstatt über den Preis konkurrieren sie über den Mehrwert.

– Missgunst und Protektionismus bestimmen dagegen das Szenario `Herbst´. Die Macht im europäischen Gartenbau liegt in der Hand einiger weniger Unternehmen, die ihre Position im Kampf um Produktionsfaktoren wie Energie und natürliche Ressourcen ausnutzen. Aufgrund geopolitischer Spannungen sind die internationalen Warenströme weitgehend versiegt. Obst, Gemüse und Schnittblumen finden als Regionalprodukte starken Absatz. Die großen Gartenbaubetriebe überleben Preissenkungsrunden und Naturkatastrophen nicht zuletzt dank ihres Zugangs zu Marktinformation, neuen Technologien und Kapital. Der Rest der Betriebe sucht sein Heil in Kreativität und Flexibilität.

– `Winter´ ist eine Welt ohne nennenswertes ökonomisches Wachstum. Regulierungswut, Protektionismus, hohe Inflationsraten und Rohstoffpreise führen zu Stillstand. Viele Möglichkeiten bleiben aus einem Mangel an Entschlussfreudigkeit und fehlender Bereitschaft zur Kooperation ungenutzt. Strukturkonservatismus hat sich breit gemacht – in ihrer Angst vor Risiken setzen die Gartenbaubetriebe einseitig auf alte Rezepte wie die Senkung der Gestehungskosten. Aus Mangel an Innovationskraft geht die gartenbaulich genutzte Fläche stets mehr zurück. Konzepte wie Local-for-local finden großen Anklang.

– Turbulent, nachhaltig und international präsentiert sich dagegen `Frühling´. Veränderungen am laufenden Band sorgen stets wieder für Überraschungsmomente und verhelfen vielen Ideen zum Wachstum. Sowohl die großen Produktionsbetriebe als auch die kleinen Spezialisten stürzen sich auf allerlei Nischen- und Premiumprodukte. Flexible Mitarbeiter sorgen für die richtigen Beziehungen und wissen, an welchen Knöpfen gedreht werden muss, um erfolgreich zu sein. Gefragt sind aber auch Spezialisten, die ihr Fach vollkommen unter Kontrolle haben, sei es nun Kulturführung, Verkauf oder Personalmanagement. Häufig arbeiten sie für verschiedene Auftraggeber und können dadurch ihr Wissen stets erweitern.

Egal, in welche Richtung das ökonomische Pendel auch ausschlagen wird – klar ist, dass es ein paar einfache Schritte gibt, die bei der Bewältigung dieser Herausforderungen helfen:

– Viele Gärtner beklagen, dass die geschäftlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie sich bewegen, stets unvorhersehbarer werden. Diesem Tatbestand lässt sich nur mit erhöhter eigener Flexibilität begegnen. Hilfreich dabei kann es beispielsweise sein, Mitarbeiter mit einem ganz anderen als dem eigenen Hintergrund zu beschäftigen, Vortragsveranstaltungen hauptsächlich für den intensiven Meinungsaustausch mit den Berufskollegen zu nutzen und innerbetrieblich für eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu sorgen. Regelmäßige Gespräche mit Lieferanten und den Abnehmern der Ware sollten genauso zur Betriebskultur gehören wie die Kontaktaufnahme mit dem Endkunden.

– Veränderungen sollten aufmerksam studiert werden und in erfolgreiche nächste Schritte übersetzt werden. Das erfordert auf Seiten des Managements jedoch einen guten Überblick und ein breites Wissen. Dabei müssen vielleicht auch einmal die gewohnten Pfade verlassen werden – alles ist möglich; was es braucht sind Träume, Intuition und Durchsetzungsvermögen. Wer sich das selbst nicht zutraut, kann professionelle Hilfe zu Rate ziehen.

– Wenn sich abzeichnet, dass geringe Margen ein Kennzeichen des eigenen geschäftlichen Umfelds sind, sollte das Gewinnstreben im Vordergrund stehen. Eine Möglichkeit kann beispielsweise sein, den Betrieb zu vergrößern oder zu verkleinern, um ihn der für die jeweiligen Strukturen optimalen Größe anzupassen. Stellt sich die Gewinnsituation dann noch immer unzufriedenstellend dar, muss das Ruder umgeworfen werden. Produktionsverlagerung, die Umstellung auf Exklusivsorten oder neue Produkt-Marktkombinationen können neben einer kompletten Neuorientierung mögliche Wege sein.

– Auch ein Zuviel an Flexibilität kann hinderlich sein. Diese Betriebe könnte dann beispielsweise ein verstärktes Risikomanagement weiter nach vorne bringen. Das zeitweise Aufgeben von Flexibilität kann zu Kosteneinsparungen führen. Die Einführung von Innovationen und die Entwicklung neuer Markt-Produktkombinationen kosten nun einmal zwangsläufig Geld und bringen das Risiko des Scheiterns mit sich. In einem Umfeld, in dem vieles vorhersehbar erscheint und sich nur weniges weiter entwickelt, sollten Experimente gut bedacht werden.

Die Welt steht nicht still – genauso wenig wie der Gartenbau. Den eigenen Standort zu bestimmen, und die eigenen Ziele auf ihre Umsetzbarkeit hin zu überprüfen, ist dann auch keine einmalige Sache. Flexibel zu bleiben und regelmäßig die richtigen Schlüsse zu ziehen, könnte der Schlüssel zum Erfolg sein – egal, welches Szenario bis zum Jahr 2030 Wirklichkeit wird.

Tim Jacobsen

Nach der Krise ist vor der Krise: Jetzt Kommunikationsstrukturen etablieren!

Ein bürokratisches Ungetüm namens „Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Durchführung der Internationalen Gesundheitsvorschriften“ und darin enthalten eine „Beschleunigung des Meldewegs bei meldepflichtigen Infektionskrankheiten“ ist eine der wenigen konkreten Maßnahmen, die aus der Antwort der Deutschen Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nach „strukturellen und kommunikativen Konsequenzen aus der EHEC-Krise“ hervorgehen.

Viel konkreter ist dann schon der finanzielle Schaden, wie aus so gut wie allen europäischen Ländern berichtet wird: So führte beispielsweise in Belgien das Aufeinanderfolgen von anhaltender Trockenheit, EHEC-Krise und Unwetterschäden dazu, dass das durchschnittliche Betriebseinkommen in Landwirtschaft und Gartenbau im Vergleich zum ohnehin nicht üppig ausgefallenen Vorjahr nur mehr rund die Hälfte betragen wird. Dass diese Bilanz nicht noch verheerender ausfällt, ist einzig und allein der positiven Umsatzentwicklung im Bereich der tierischen Produktion zu verdanken, die in der Zahlenwelt der Statistiker einen Großteil des Umsatzrückgangs im Bereich der pflanzlichen Produktion wieder wettmacht.

„Beschleunigung des Meldewegs bei meldepflichtigen Infektionskrankheiten“

Antwort der Deutschen Bundesregierung auf die Kleine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nach strukturellen und kommunikativen Konsequenzen aus der EHEC-Krise

In den Niederlanden hatte die EHEC-Krise sogar Auswirkungen auf die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im Obst- und Gemüsehandel. Während die Arbeitnehmerseite für einen Inflationsausgleich plädierte, verwies die Arbeitgeberseite auf eklatante Liquiditätsprobleme als Folge der EHEC-Krise. Und auch bei den Gemüsegärtnern in unserem westlichen Nachbarland sieht es alles andere als rosig aus. Die Statistiker rechnen für dieses Jahr mit einem Rückgang des Produktionswertes im niederländischen Gemüsebau um rund ein Fünftel, was immerhin etwa 375 Mio. € entsprechen wird.

Nicht viel anders die Situation in Österreich: der größte Gemüsevermarkter LGV erwartet für 2011 ein Umsatzminus von 5 %. Für LGV-Vorstand Gerald König fiel der Höhepunkt der EHEC-Krise mit dem russischen Importstop Anfang Juni zusammen: „Das hat einen katastrophalen Preisverfall ausgelöst.“ Am schlimmsten getroffen habe es dann aber gar nicht die Gurken, sondern die Tomaten. „Rispentomaten wurden teilweise um 44 Cent pro Kilo verschleudert“, kritisiert König und erklärt, dass die Folgen dieser Entwicklung noch gar nicht abzusehen sind: „Der Konsument kann ja gar kein Preisgefüge mehr haben.“

König erwartet allenfalls eine langsame Erholung des Gemüsemarktes: „Jetzt steigen die Preise zwar wieder, sie dürften aber nächstes Jahr bis zu 15 % unter dem Wert von 2010 liegen.“ Schließlich habe Russland zwar im August den Importstopp aufgehoben, sei aber in den Wochen zuvor auf Exporteure in Serbien, der Türkei und Georgien ausgewichen und dabei König zufolge auf den Geschmack gekommen. Einziger Lichtblick im Geschäftsjahr der LGV war das Premiumsegment: mit ausgewählten Tomatensorten, Minigurken, Auberginen und weiteren Spezialitäten konnte ein deutliches Umsatzplus erzielt werden.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgte Miranda van Kester, als sie sich Ende September 2011 beim Westland Event im niederländischen Aalsmeer gewissermaßen in die Höhle des Löwen wagte. Vor den Augen und Ohren von ganz Unter-Glas-Niederlande stellte sie ihre Hypothese, „die Auswirkungen der EHEC-Krise hätten mit einer deutlichen Positionierung der Produkte abgemildert werden können“ zur Diskussion: „Nur weil die Produkte vom Konsumenten als miteinander austauschbar wahrgenommen werden, konnte während der EHEC-Krise so gut wie der gesamte niederländische Gartenbau auf einen Schlag unter Generalverdacht geraten.“

Van Kester räumt ein, dass Marketingbudgets im Gartenbau bisher kaum eine Rolle spielen. Sie weiß auch, dass die Schlagkraft der allermeisten Gartenbauunternehmen zu klein ist, um groß über Markenstrategien nachzudenken. Am Beispiel der so genannten Honingtomaatje und dem kleinen, aber feinen Siegeszug von Willem & Drees zeigte sie jedoch, dass Markenstrategien jenseits von Chiquita oder Kanzi möglich sind – ausreichend finanzielle Mittel, Einsatz und Wagemut vorausgesetzt.

Neben den 227 Mio. € an Entschädigungszahlungen stellte die Europäische Union im Rahmen des EHEC-Hilfsprogramms auch 17 Mio. € für vertrauensbildende Maßnahmen im Obst- und Gemüsebereich zur Verfügung. Es bleibt zu hoffen, dass Mitte November bei der Verteilung dieses Geldes mehr als 7 % nach Deutschland gehen – und damit der Grundstein für nachhaltig vertrauens- und damit konsumfördernde Maßnahmen gelegt wird, an deren Fortbestand auch nach Ablauf des Kampagnenzeitraums von drei Jahren keine Zweifel aufkommen.

Auf dass beim nächsten Krisenfall eine eventuell notwendige weitere Optimierung der innerbehördlichen Meldekette dann tatsächlich der einzig verbesserungswürdige Tatbestand ist.

Tim Jacobsen

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