"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: Obst (Seite 4 von 5)

Extreme zum Saisonbeginn 2011: Auf Trockenheit und schleppenden Absatz folgt EHEC

Einmal mehr bewahrheitet sich dieses Jahr, dass ein früher Erntebeginn nicht zwangsläufig zu einem erfolgreichen Saisonstart führt. So gab es unter den deutschen Spargelproduzenten wahrscheinlich niemanden, dem zu Jahresbeginn beim Blick in den Kalender nicht auch der Gedanke gekommen wäre, dieses Jahr doch einmal verstärkt vom Ostergeschäft profitieren zu können. Nur dass dann die späten Ernten in Griechenland und Spanien samt den Rekordimporten aus Peru auf eine mitteleuropäische Wetterlage stießen, die angesichts sommerhafter Temperaturen zum kalendarischen Frühlingsbeginn hierzulande für einen Turbostart in die Spargelernte sorgte, hatte wohl niemand geahnt. Genauso wenig wie, dass die Verbraucher nur langsam in Spargellaune kamen.

Schlimmer noch bei den Salaten: Hier traf das südeuropäische Saisonende auf die erste einheimische Freilandware. Damit nicht genug, blockierten Salate aus dem nordwesteuropäischen Unterglasanbau zusätzlich Absatzwege. Da halfen auch keine Feiertage: seit Mitte April befinden sich die Salatpreise im Sturzflug. Anfang April noch freudig begrüßt, wird die lang anhaltende Großwetterlage dabei zunehmend zum Fluch: Zu den ohnehin im Vergleich zum Vorjahr erneut gestiegenen Produktionskosten gesellen sich noch die teilweise beträchtlich hohen finanziellen und personellen Aufwendungen für den kaum zu deckenden Bewässerungsbedarf. Für diese Jahreszeit ungewöhnlich wird angesichts des Angebotüberhangs so mancher erntereife Schlag bereits untergepflügt.

Auch die weiteren Aussichten scheinen alles andere als rosig. Schließlich hat der letzte Sommer bewiesen, dass künstliche Beregnung immer nur die zweitbeste Lösung sein kann und extreme Witterungssituationen zwangsläufig einen Schatten auf den weiteren Saisonverlauf werfen. Aber auch der von vielen herbeigesehnte Temperatursturz wäre keine Lösung. Denn gerade auch bei kühlerer Witterung könnten Salate schnell zur Mangelware werden und der dann entstehende Nachfrageüberhang den Markt noch weiter aus dem Gleichgewicht bringen.

Wohl dem, der sein Geld nicht mit den ersten Sätzen verdienen muss, könnte man nun meinen. Wie falsch man damit allerdings liegt, wird einem spätestens dann klar, wenn man bedenkt, dass die normalerweise erst im Spätsommer zur niederbayerischen Gurkenernte anrückenden Saisonarbeitskräfte dieses Jahr bereits im Mai kamen: Ungewöhnlich niedrige Temperaturen hatten in der ersten Maihälfte zu teils dramatischen Ausfällen in den Gurkenkulturen gesorgt, die nun mühsam per Hand nachgesät werden mussten.

Immerhin können die Kollegen an Isar, Vils und Donau noch versuchen zu retten, was zu retten ist, werden sich die Meckenheimer Obstbauern denken. Schließlich führten ohne die anhaltende Trockenheit eigentlich kaum erklärbare Frostschäden Anfang Mai in der Voreifel zu teilweise existenzbedrohenden Ausfällen bei Äpfel und Birnen. Auch aus dem Land Brandenburg, der Pfalz, Rheinhessen, Württemberg und Franken werden Frostschäden gemeldet. Besonders betroffen sind neben dem Kernobst Erdbeeren, Kirschen und Rebstöcke.

„´Vorsorglich bis auf weiteres Tomaten, Salatgurken und Blattsalate insbesondere in Norddeutschland nicht roh zu verzehren“

Empfehlung Des das Robert-Koch-Instituts am 25.5.2011

Und als wäre das alles nicht schon schlimm genug, wurde in den Online-Medien am Abend des 21. Mai 2011 erstmals über Ursachen für das verstärkte Auftreten schwerer bakterieller Durchfallerkrankungen in Norddeutschland spekuliert. Wurde zu Beginn die Schuld noch bei den üblichen Verdächtigen wie mangelnder Hygiene, Rohmilchverzehr oder bakterienverseuchtem Rindfleisch gesucht, rückten einen Tag später Obst und Gemüse in den Fokus der Epidemiologen. Von da ab war es nur noch ein kleiner Sprung hin zu reißerischen Verzehrswarnungen, denen man ab dem 23.5.2011 kaum noch entkommen konnte und die bei Kantinen- und Supermarktkunden gleichermaßen zu einem Rohkostboykott führten.

Ungewollt markierte das Robert-Koch-Institut am 25.5.2011 den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung. Verschiedene Presseagenturen deuteten die Empfehlung des Bundesinstituts „vorsorglich bis auf weiteres Tomaten, Salatgurken und Blattsalate insbesondere in Norddeutschland nicht roh zu verzehren“ um in ein „Tomaten, Salatgurken und Blattsalate aus Norddeutschland“. Da half es dann wenig, dass im Laufe des 26.05.2011 Import-Gurken aus Spanien als Träger des Erregers dingfest gemacht werden konnten. Der Appetit war den Verbrauchern da bereits vergangen.

Tim Jacobsen

Ohne Gemeinschaft kein Gemeinschaftsmarketing

Vom Einspruch dreier Unternehmen der Ernährungswirtschaft gegen auf Anfang 2003 datierte Abgabenbescheide bis zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit des Absatzfondsgesetzes dauerte es sechs Jahre, danach vergingen noch einmal gut zwei Jahre bis es Mitte März dieses Jahres im Landwirtschaftsausschuss zur Entscheidung darüber kam, was mit den übrig gebliebenen Millionen des Absatzfonds passieren soll. Zwar sollen diese so genannten nicht erstatteten Mittel fortan im Rahmen des Sondervermögens der Landwirtschaftlichen Rentenbank verwaltet werden, wie hoch der Betrag aber genau ist, lässt sich noch gar nicht abschätzen, da es für die Abwicklung des Absatzfonds als so genannte rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts derzeit noch gar keine Gesetzesgrundlage gibt.

Die weitreichenden Folgen der Entscheidung der Verfassungsrichter vom 3. Februar 2009 blieben nach der kurz darauf beschlossenen Einleitung der so genannten stillen Liquidation von ZMP und CMA nicht lange verborgen. So hinterließ das Ausbleiben von Informationen zur Marktlage und –entwicklung in der ersten Hälfte des Jahres 2009 nicht nur in der Monatsschrift Spuren. Während Anfang Juni 2009 die Agrarmarkt Informations-Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb aufnahm und diese Lücke füllte, zerfiel das zuvor fast 40 Jahre lang unter dem Dach der CMA gebündelte Gemeinschaftsmarketing zusehends.

Schnell zeigte sich aber, was Sektfabrikant Otto Henkell und Schokoladen-Tausendsassa Ludwig Stollwerck schon Anfang des 19. Jahrhunderts wussten, als sie 2000 M für den besten Entwurf von `Illustrationen zum Zweck der Propaganda für ihre Fabrikate Schokolade bzw. Kakao und Champagner´ auslobten. Die `bildlichen Empfehlungen, zu verwenden als Zeitungsanzeigen, Plakate und illustrierte Postkarten´ der beiden Erfinder des Gemeinschaftsmarketing verfehlten nämlich ihre Wirkung nicht: Während Henkell & Co 1909 in das Wiesbadener Henkell-Schlösschen einzieht, zeugen die Exponate im Kölner Schokoladenmuseum noch heute vom wirtschaftlichen Erfolg Stollwercks.

Die weitreichenden Folgen der Entscheidung der Verfassungsrichter vom 3. Februar 2009 blieben nach der kurz darauf beschlossenen Einleitung der so genannten stillen Liquidation von ZMP und CMA nicht lange verborgen

tim jacobsen

Es gibt wohl keinen Teilbereich der Agrarwirtschaft, der nicht in den beiden Jahren nach dem CMA-Aus versucht hätte, in, wie bescheidenem Umfang auch immer, ein System des Gemeinschaftsmarketings auf die Beine zu stellen. Manche Produktgruppen erwiesen sich in dieser Hinsicht besser organisiert als andere.

Ein Blick über unsere Landesgrenzen hinaus beweist, dass es kaum ein Land in Europa gibt, in dem das generische Marketing für Agrarprodukte nicht auch irgendwie gemeinschaftlich organisiert wäre. Der Blick nach Europa beweist aber auch, dass entsprechende Organisationen keine Selbstläufer sind. So vergeht in den Niederlanden beispielsweise kaum ein Tag, an dem nicht irgendjemand aus was für Gründen auch immer die Abschaffung des Productschap-Wesens fordern würde.

Auch die altehrwürdige Sopexa blieb in den letzten Jahren von gravierenden Einschnitten nicht verschont. Dennoch warfen die Franzosen nach knapp fünf Jahrzehnten Gemeinschaftsmarketing die Flinte nicht ins Korn, sondern besannen sich auf ihre Stärken und scheinen mittlerweile sogar frisch gestärkt aus der Krise hervorgekommen zu sein. Äußerst erfolgreiche Kampagnen aus dem Vereinigten Königreich beweisen zudem, dass keine Riesenbeträge bemüht werden müssen, um viel zu bewegen – egal, ob es sich dabei nun um Blaubeeren, Möhren, Erdbeeren oder Zwiebeln handelt.

Nur wenn niemand den Anfang macht, passiert auch nichts. Hätte Jack Turner vor 50 Jahren nicht nach ersten, wenig erfolgversprechenden neuseeländischen Exportversuchen die Artikelbezeichnung kurzerhand von Chinesische Stachelbeere in Kiwifurcht geändert, wären Kiwis wahrscheinlich für immer ein Nischenprodukt geblieben. Und hätten sich die neuseeländischen Kiwianbauer im Jahr 1997 gegen die Fortführung des Gemeinschaftsmarketings unter der Fahne von Zespri™ entschieden, würden Kiwifrüchte heutzutage wahrscheinlich nicht für rund die Hälfte des neuseeländischen Obst- und Gemüseexportwertes sorgen.

So gesehen ist die Einrichtung des Pressebüros Deutsches Obst und Gemüse mit Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung. Und guckt man einmal, was die Kollegen vom Obst- & Gemüsebüro Holland gegenwärtig so treiben, wird einem schnell klar, dass dies auch noch lange nicht das Ende der Fahnenstange sein muss – nur: ohne Gemeinschaft bleibt von Gemeinschaftsmarketing nun einmal wenig über. Und was passiert, wenn Gemeinschaft nicht auf Überzeugung beruht, sondern vom Gesetzgeber vorgeschrieben wird, wurde am 3. Februar 2009 vor dem Bundesverfassungsgericht aktenkundig.

Tim Jacobsen

Hinter dem Hügel ist noch nicht über den Berg

Als Griechenland im Jahr 1981 der Europäischen Gemeinschaft beitrat, wurde dies begleitet von Befürchtungen, ein Kollaps der Sozialsysteme in den reicheren Ländern Europas stünde unmittelbar bevor. Aber selbst als Portugal und Spanien im Jahr 1986 der EG beitraten, kam es weder zu massiven Völkerwanderungen, noch geriet unser Sozialsystem übermaßen unter Druck. Untersuchungen der Fremdarbeiterströme vom 2. Weltkrieg bis in die 1980er Jahre zeigten, dass während der wirtschaftliche Abstand zwischen den armen und reichen Ländern Europas über die Jahre hinweg ungefähr gleich blieb, die Wanderbewegungen von anderen Faktoren als Gehaltsunterschieden allein abhängig waren.

Das Beispiel Italien zeigt, dass die große Emigrationswelle zwischen den Jahren 1960 und 1970 nicht in eine Periode des wirtschaftlichen Abschwungs fiel, sondern in die Zeit der Industrialisierung Italiens. Auch Spaniens Emigrationswelle zwischen den Jahren 1960 und 1974 fiel in einen Zeitraum, in dem Spanien die größten Wachstumsraten Europas verzeichnete. Ähnliches gilt für Portugal in den 1970ern und Griechenland in den 1960ern. Der Wunsch, zur Einkommensmaximierung der eigenen Heimat den Rücken zu kehren scheint also mit steigendem Wohlstand zuzunehmen – wahrscheinlich auch, weil Haushalte dadurch überhaupt erst finanziell in die Lage versetzt werden, über Emigration nachzudenken.

Im Laufe der wirtschaftlichen Weiterentwicklung der Herkunftsländer scheint es dann jedoch stets minder verlockend, das eigene Land zu verlassen. Dies ist nicht weiter verwunderlich: Die Arbeitsmarktsituation im Herkunftsland entspannt sich, politische und gesellschaftliche Strukturen gewinnen an Stabilität und nicht zuletzt steigt mit den Pro-Kopf-Einkommen auch die gefühlte Lebensqualität. Ab einem Pro-Kopfjahreseinkommen von $ 3500 scheint der Anreiz, wegzugehen, deutlich abzunehmen und unter 30 % kaufkraftbereinigtem Lohnunterschied zwischen Herkunfts- und Bestimmungsland macht sich kaum mehr jemand auf die Reise.

Der Wunsch, zur Einkommensmaximierung der eigenen Heimat den Rücken zu kehren scheint also mit steigendem Wohlstand zuzunehmen

Tim Jacobsen

Auch das Beispiel EU-Osterweiterung zeigt, dass es bei starkem wirtschaftlichem Wachstum und institutionellen Verbesserungen trotz hoher Lohnunterschiede nicht zwangsläufig zu Migrations-schüben kommt. Nicht unterbewertet werden sollten in diesem Zusammenhang die Maßnahmen, die die Europäische Union den Beitrittsländern vor ihrer Aufnahme in die europäische Gemeinschaft abverlangt. Mittel des Strukturfonds helfen zudem beim Aufbau der Binnenwirtschaft, was wiederum den Inlandskonsum erhöht, ausländisches Kapital anzieht, die Nachfrage nach Arbeitskräften steigert und vor allem auch zukünftiges Wachstum verheißt.

Deshalb kann auch die bei uns gegenwärtig geführte Diskussion allenfalls Symptome lindern, die Ursache für das zunehmende Missverhältnis zwischen dem Angebot und der Nachfrage nach Saisonarbeitskräften kann sie nicht aus der Welt schaffen.

Aber auch wenn die viel diskutierten Freizügigkeitsregelungen die Konkurrenz unter den Bestimmungsländern noch zusätzlich verschärft haben, besitzen die deutschen Gärtner dennoch im Buhlen um osteuropäische Saisonarbeitskräfte einen Wettbewerbsvorteil, wie die Entwicklung Portugals beweist:

Zum Zeitpunkt des EG-Beitritts Portugals betrug das dortige kaufkraftbereinigte Pro-Kopfbruttosozialprodukt die Hälfte dessen Deutschlands. Mit zunehmendem Wohlstand zeigte es sich, dass permanente Auswanderung im Laufe der Jahre von so genannter zirkulärer Migration ersetzt wurde. Portugiesen verließen ihr Land also nur mehr für überschaubare Zeiträume, um anderswo für mehr Geld zu arbeiten. Und obwohl in den letzten Jahrzehnten das Reisen stets günstiger wurde, zog es die Menschen mehr und mehr in geographische und kulturelle Nähe zu ihrem Heimatland.

Tim Jacobsen

Wer hätte geahnt, dass Gift so lecker ist?

Hätte die amtliche schwedische Lebensmittelüberwachungsbehörde Livsmedelsverket Ende April 2002 lediglich gemeldet, dass es ihr dank einer neuartigen Nachweismethode gelang, die chemische Verbindung Acrylamid in Lebensmitteln nachzuweisen, hätte das wahrscheinlich außer in Wissenschaftskreisen erst einmal niemand weiter bekümmert. Da die Behörde jedoch die Öffentlichkeit direkt über das Auffinden einer als potentiell krebserregend eingestuften Substanz in Pommes frites, Knäckebrot, Kartoffelchips, Cornflakes und Kaffeepulver informierte, schlug die Meldung große Wellen.

Selbst die Berichterstattung in den seriöseren deutschen Tageszeitungen konnte sich dem Rummel um die Kohlenstoff-Stickstoffverbindung nicht entziehen. Schlagzeilen wie „Acrylamid in Lebensmitteln: Schlimmer als Nitrofen- und Hormonskandal“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung beispielsweise machten Verbraucher glauben, dass in heimischen Friteusen der Tod lauere.

Obwohl die schwedische Warnmeldung zu diesem Zeitpunkt wissenschaftlich weder untermauert noch widerlegt werden konnte, sah sich die Politik unter Zugzwang gesetzt. Da es keine Grundlage für die Festlegung eines Grenzwertes gab, erfand das damals unter grüner Federführung stehende Verbraucherschutzministerium kurzerhand eine „Signalwert“ genannte Messgröße. Dazu wurden die verschiedenen Lebensmittel in Warengruppen eingeteilt. In diesen Warengruppen wurden dann die 10 % der am stärksten mit Acrylamid belasteten Produkte ermittelt. Das am wenigsten belastete Produkt dieser stark belasteten Produktgruppe galt fortan als Messlatte, an der sich die Lebensmittelproduzenten orientieren sollten.

Umfragen zeigten, dass knapp ein Jahr nach der schwedischen Sensationsmeldung den Deutschen das Acrylamid bereits wieder ziemlich egal war. Dies schlug sich auch in der Berichterstattung nieder. Während die Frankfurter Allgemeine Zeitung Anfang 2003 noch „Bundesinstitut: Keine Entwarnung bei Acrylamid“ titelte, versuchte sie sich im Herbst 2004 mit „Ist die Bratwurst gesünder als ihr Ruf“ an einer Ehrenrettung des Genusses. Im November 2004 brach sie mit einem „Kekse und Kirchen“ überschriebenen Artikel endgültig mit der auflagensteigernden Acrylamid-Sensationshascherei.

Zu diesem Zeitpunk machte gerade der Vorwurf von „Foodwatch“-Aktivisten die Runde, die Bundesregierung gefährde wegen ihres Nicht-Handelns im Bezug auf Acrylamid vorsätzlich die Gesundheit der Bevölkerung. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ hatte diese Vorwürfe publikumswirksam aufgegriffen und warnte seine Leser zur besten Vorweihnachtszeit, dass „gerade die Naschereien zu den Festtagen den Deutschen gefährlich werden könnten“.

„Ist die Bratwurst gesünder als ihr Ruf?“

Frankfurter Allgemeine Zeitung

Bereits damals war jedem, der sich für das Thema interessierte, klar, dass eine gänzlich acrylamidfreie Ernährung technisch kaum möglich ist, will man nicht gänzlich auf die Erhitzung von Lebensmitteln verzichten. Der Autor von „Kekse und Kirchen“ versuchte dann auch gar nicht, in der Sache selbst zu argumentieren.

Um den Medienzirkus um das Acrylamid zu entlarven, bemühte er eine Meldung, die er einer im gleichen Zeitraum erschienenen Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Der Focus“ entnahm. Demnach sei wegen der Abgase der brennenden Kerzen die Luft in Kirchen „stark mit krebserregenden Substanzen belastet“. Schadstoffbelastungen „wie an einer täglich von 45 000 Autos befahrenen Straße“ herrschten „oft“ in Kirchen.

Ob und wie stark Risiken in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, hängt oftmals von Umständen ab, die mit dem mutmaßlichen Risiko selbst nicht unbedingt in Einklang stehen müssen. Auch nach 2002 konnte kein zusätzliches Krebsrisiko durch den Verzehr acrylamid-haltiger Lebensmittel nachgewiesen werden. Genauso wenig allerdings, wie es bisher gelang, ein solches gänzlich auszuschließen.

Die amtlichen Signalwerte haben sich in den letzten fünf Jahren kaum verändert. Nach wie vor gibt es Beobachtungswerte, die deutlich über den Signalwerten liegen. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass in einem hochsensiblen Bereich wie der Produktion von Nahrungsmitteln Kleines große Wellen schlagen kann.

Tim Jacobsen

Vom Regen in die Traufe: Schreckgespenst Arbeitskräftemangel

Weitaus nachhaltiger als durch nicht beerntete Erdbeerfelder oder ins Laub geschossene Spargeläcker könnte der deutsche Gartenbau in nicht allzu ferner Zukunft durch einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften Schaden erleiden. Sinkende Ausbildungszahlen im grünen Bereich setzten einen Teufelskreislauf in Gang, in Folge dessen Bildungseinrichtungen für den Gartenbau geschlossen wurden, was wiederum dazu führte, dass jungen Leuten die Wahl gärtnerischer Berufe zusätzlich unattraktiv erschien. In manchen Bereichen übersteigt heute bereits die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften das Angebot deutlich.

Der fortschreitende Strukturwandel im Gartenbau und die technische Weiterentwicklung tun ihr Übriges dazu, die Nachfrage nach hochqualifiziertem Personal weiter ansteigen zu lassen. Dabei geht es nicht unbedingt nur um Arbeitskräfte mit gärtnerischem Hintergrund. Allerdings steht der Gartenbau mit anderen Wirtschaftsbereichen in Konkurrenz um die klügsten Köpfe und hat dabei nicht immer das beste Blatt auf der Hand. Es tut dringend Not, in der Selbstdarstellung des Gartenbaus die Dynamik des Sektors deutlich voran zu stellen. Nur wenn die Anziehungskraft des Gartenbaus als Arbeitgeber zunimmt, kann die Abwärtsspirale durch Arbeitskräftemangel gestoppt werden.

Weitergehende Mechanisierung wird schwere Arbeiten zwar vereinfachen, der Kampf um Arbeitskräfte wird aber auch im Niedriglohnbereich mit deutlich schärferen Waffen gefochten werden

Tim Jacobsen

Gründe für Flächenausweitung oder Produktionsintensivierung gibt es viele. Die Folgen dieser Entwicklung sind jedoch stets die Gleichen. Arbeitsprozesse werden schwerer durchschaubar, Personalführung und innerbetriebliche Organisation nehmen einen größeren Stellenwert ein. Mitarbeiter spezialisieren sich, Aufgaben werden verteilt. Mit den gestiegenen Ansprüchen wächst auch die Verantwortung jedes Einzelnen. Der Fort- und Weiterbildung von Mitarbeitern sollte deshalb gerade vor dem Hintergrund rückläufiger Ausbildungszahlen mehr Platz eingeräumt werden.

Dies sollte nicht zuletzt auch aus Eigennutz des Unternehmers geschehen. Schließlich wird der formalen Qualifikation der Mitarbeiter im Rahmen von Qualitätszertifizierungsprozessen wie QS, QS-GAP, Eurep Gap oder BRC eine besondere Bedeutung zugemessen. Erstaunlicherweise nehmen deutsche Arbeitnehmer im europaweiten Vergleich Weiterbildungsmaßnahmen nur in äußerst geringem Ausmaß in Anspruch.

Die demographische Entwicklung wiederum trägt bereits heute spürbar dazu bei, dass die Mitarbeiter in den Betrieben im Schnitt älter werden. Mit dem Ausscheiden altgedienter Mitarbeiter aus den Betrieben in Zukunft wird auch ein Großteil des zuvor vorhandenen Wissens verloren gehen. Es ist dringend an der Zeit, Strukturen zu etablieren, die diesen Erfahrungsschatz sichern. Dies kann nur über die frühzeitige Einbindung junger Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse funktionieren. Die verstärkte Bindung von Mitarbeitern an die Unternehmen sollte deshalb höchste Priorität besitzen.

Ein wichtiger Teil der unternehmerischen Tätigkeit ist die Personalführung. Konsequenz im Anleiten von Mitarbeitern sorgt dafür, dass jeder seinen Fähigkeiten entsprechend beschäftigt wird. Der Selektion und dem Anwerben von Mitarbeitern wird in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit zukommen. In größeren Betrieben liegt die Leitung bereits heute oftmals in Händen von Managern, die teilweise weit entfernt vom Produktionsprozess stehen. In diesen Betrieben wird der Produktionsfaktor Arbeit weniger als Kostenpunkt gesehen, sondern als strategische Gestaltungsmöglichkeit.

Um in Zukunft als Betrieb konkurrenzfähig zu bleiben und gleichzeitig ein attraktiver Arbeitgeber zu sein, werden neben Rahmenbedingungen wie der Lohnstruktur und Arbeitszeitmodellen auch soziale Aspekte und nicht zuletzt die Arbeitsumstände eine wichtige Rolle spielen. Der Kommunikation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerseite wird in Zukunft ebenfalls mehr Platz eingeräumt werden. Der Typ Boss, der alles kann und alles in der Hand hat, ist angesichts vielfältigster Anforderungen heutzutage ein nicht mehr zeitgemäßes Auslaufmodell.

Der Anteil der Lohnkosten an den Produktionskosten ist von Kultur zu Kultur und von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Über den ganzen Gartenbau hinweg betragen sie durchschnittlich ein Drittel. Daran wird sich auch in Zukunft voraussichtlich wenig ändern. Weitergehende Mechanisierung wird schwere Arbeiten zwar vereinfachen, der Kampf um Arbeitskräfte wird aber auch im Niedriglohnbereich mit deutlich schärferen Waffen gefochten werden. Patentrezepte dafür gibt es keine. Einmal in Gedanken die Seiten zu wechseln, könnte aber den Unterschied ausmachen.

Tim Jacobsen

Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los

Wohl kaum ein niederländischer Unterglasgärtner konnte die Sylvesternacht des Jahres 2001 unbeschwert genießen. Zu ungewiss war zu dieser Zeit, wie sich die Liberalisierung des Energiemarktes auf den Erdgaspreis auswirken würde. Ähnlich ängstlich blicken derzeit viele deutsche Obst- und Gemüsebauern in die Zukunft – fraglich scheint, ob in Zukunft noch jemand da sein wird, der die Arbeit auf den Feldern erledigen will.

„Mittlerweile geht es sogar soweit, dass versucht wird, den Eindruck zu erwecken, die Senkung des Energieverbrauchs im niederländischen Unterglasgartenbau sei eine Sache von nationalem Interesse“

Arie Oskam

Gefühlte 40 % niedriger waren bis zum Neujahrstag 2002 die Energiekosten jenseits des orangefarbenen Schlagbaums. Spuren dieser Subventionspolitik sind fünf Jahre später noch allerorts anzutreffen. Viele Betriebe produzieren mit relativ altertümlicher, wenig umweltfreundlicher Technik Massenprodukte wie Tomaten, Paprika und Gurken.

Dies führte zu der eigentlich paradoxen Situation, dass viele Unterglasgärtner in den Niederlanden keinen Spielraum für Investitionen sehen, obwohl Sektorvertreter in regelmäßigen Abständen Rekordergebnisse vermelden.

Kein Wunder, dass auch in den Niederlanden seit einiger Zeit die Rufe nach unterstützenden Maßnahmen von Seiten des Staates immer lauter werden. Der niederländische Agrarökonom Professor Arie Oskam kann darüber jedoch nur den Kopf schütteln: „Mittlerweile geht es sogar soweit, dass versucht wird, den Eindruck zu erwecken, die Senkung des Energieverbrauchs im niederländischen Unterglasgartenbau sei eine Sache von nationalem Interesse“.

Den wahren Schuldigen für die auch seiner Meinung nach durchaus beklagenswerte Situation, in der sich der Gartenbausektor derzeit befindet, hat Oskam just in der jahrelangen Sonderstellung des Gartenbaus ausgemacht. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sei es doch grober Unfug gewesen, die Herstellung von Exportprodukten über günstige Energiepreise zu subventionieren.

In den Jahren, in denen der Produktionsfaktor Energie im Überfluss verfügbar war, wurde die Chance verspielt, den Sektor marktwirtschaftlich zu orientieren, so Oskam. Es gelang weder, ein bestimmtes Preisniveau zu etablieren, noch das Produktspektrum zukunftsträchtig auszurichten.

Ein Mangel an Arbeitskräften in Sektoren wie der Landwirtschaft und dem Hotel- und Gaststättenbereich führte Ende der Achtziger Jahre trotz allgemein hoher Arbeitslosigkeit in Deutschland zu einer Lockerung des 1973 in Kraft getretenen Anwerbestopps für ausländische Arbeitnehmer. Bilateral vereinbarte Beschäftigungsmöglichkeiten für Angehörige ehemaliger Ostblockstaaten hatten zum Ziel, diese Staaten bei der marktwirtschaftlichen Umgestaltung ihrer Wirtschaftssysteme zu unterstützen.

In der Landwirtschaft und dem Gartenbau konnten ab 1991 ausländische Saisonarbeitskräfte für maximal drei Monate pro Kalenderjahr zur Überbrückung eines vorübergehenden Arbeitskräftebedarfs eingesetzt werden.

Von dieser Möglichkeit wurde in Folge stärker Gebrauch gemacht, als manchem Politiker lieb war. So kam es, dass 1997 erstmals Eckpunkte für die Zulassung von Saisonarbeitnehmer festgeschrieben wurden. Die betroffenen Betriebe konnten fortan nur noch 85 % der Anzahl der 1996 als Saisonarbeitskräfte tätigen Osteuropäer beschäftigen.

Aufgrund von Ausnahmeregelungen, die bei Betriebsumstrukturierungen und –erweiterungen zum Tragen kamen, stiegen in den Folgejahren die Vermittlungszahlen noch einmal deutlich an. Die mit der Einschränkung eigentlich beabsichtigte Entlastung des einheimischen Arbeitsmarktes blieb aus – bereits damals war unzumutbar ein Argument, das sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer ins Feld führten.

Da die offizielle Statistik nicht die Anzahl tatsächlich erfolgter Grenzübertritte ausweist, sondern lediglich Vermittlungszahlen auf Jahresbasis aufführt, übersteigt die Anzahl von Niedriglohnbeschäftigungsverhältnissen in diesem Zeitraum sehr wahrscheinlich die offiziell genannten 350 000 bei weitem.

Während in Deutschland in den letzten fünf Jahren die Anbaufläche von arbeitsintensiven Kulturen wie Erdbeeren und Spargel stark ausgeweitet wurde, konnten im selben Zeitraum Betriebe in unseren Nachbarländern Frankreich, Belgien, Niederlande und Dänemark nur sehr eingeschränkt auf Saisonarbeitskräfte aus Niedriglohnländern zurückgreifen.

Unternehmerisch zu handeln bedeutet, günstige Wettbewerbsfaktoren zum eigenen Vorteil zu nutzen. Unternehmerisch zu handeln bedeutet allerdings auch, rechtzeitig die Weichen neu zu stellen.

Die schärfsten Kritiker einer Modernisierung des niederländischen Unterglasgartenbaus mit Hilfe von Steuergeldern sind unter den Betriebsinhabern zu finden, die aus eigenem Antrieb erfolgreich den Sprung in die Zeit nach der Liberalisierung des Energiemarktes geschafft haben.

Tim Jacobsen

Wenn sogar billig nicht mehr billig genug ist

Was den Verbraucher freut, wird für die Produzenten zunehmend zum Problem. Nur um die Milch geht es dabei schon lange nicht mehr. Auch bei Fleisch, Teigwaren, Pflanzenöl, Reis, Tiefkühlpizzen, Limonaden und Säften purzeln die Preise auf breiter Front. Fünf Preissenkungsrunden seit Jahresbeginn sind Zeugen eines gnadenlosen Preiskampfes, der den Lebensmittelhandel seit dem Zusammenbruch der landwirtschaftlichen Märkte im Sommer letzten Jahres in Atem hält.

Für die Discounter werden die unerwünschten Nebenwirkungen des hausgemachten Preisverfalls dabei zunehmend selbst zum Problem. Vier Monate in Folge wurden nun bereits rückläufige Umsatzzahlen gemeldet. Es zeigt sich, dass die Discounter mit ihren Prognosen, sie werden zu den Gewinnern der Krise zählen, nicht unbedingt richtig lagen. Nicht nur bieten Preissenkungen anscheinend nur wenig Anreiz, mehr als unbedingt nötig einzukaufen, auch der verstärkte Zustrom von Käufern, die Discounter bisher gemieden hatten, konnte die allgemeine Kaufzurückhaltung nicht wettmachen.

Nach Gründen dafür, dass die Verbraucher auch angesichts nie da gewesener Preise nicht in Freudentaumel ausbrechen, braucht nicht lange gesucht werden. Immer mehr Menschen bekommen die Wirtschaftskrise am eigenen Leib zu spüren. Firmenpleiten und Entlassungen sind keine reinen Schreckgespenster mehr. Und auch unter denen, die noch Arbeit haben, wächst die Angst davor, sie zu verlieren. Gekauft wird nur noch, was für die nächsten Tage gebraucht wird – Vorratshaltung wäre sowieso angesichts stets sinkender Preise ökonomisch wenig sinnvoll.

Es ist jedoch wenig wahrscheinlich, dass die Discounter letztendlich als Verlierer aus der Krise hervorgehen werden. Schlimmstenfalls wird ihr Umsatzrückgang zu Gewinneinbussen führen. Schließlich reichen sie den wachsenden Druck einfach an ihre Lieferanten weiter. Wenn deren Einnahmen nun allerdings kaum mehr reichen, die Produktionskosten zu decken, legt dies den Schluss nahe, dass das Schlimmste noch lange nicht überstanden ist.

Vorratshaltung wäre sowieso angesichts stets sinkender Preise ökonomisch wenig sinnvoll

Tim Jacobsen

Auf staatliche Unterstützung wie die Autobauer können die Lebensmittelproduzenten allerdings auch in Zukunft nicht setzen. Eine Abwrackprämie für mehrere Tage altes, durchaus noch verzehrsfähiges Obst oder Gemüse wird sich wohl kaum durchsetzen lassen – auch wenn im Sinne der Volksgesundheit der direkte Verzehr von Frischprodukten durchaus wünschenswert wäre.

Die Zukunft wird zeigen, ob das durch den Preiskampf der Discounter angefachte und durch die Preispolitik anderer Ketten weiter verbreitete Feuer tatsächlich in einem Flächenbrand enden wird. Die Gemüseerzeuger müssen zum Saisonstart auf schmerzhafte Weise erfahren, was Wetterkapriolen, Angebotsdruck und Preiskampf im Handel für Folgen haben. Die Aufforderungen zur Qualitätssicherung, zur Wahrung der sozialen Standards oder zur Nachhaltigkeit wirken vor dem Hintergrund dieses Preiskampfes fast wie leere Worthülsen.

Es sind mit Sicherheit jedoch nicht nur wahlkampftaktische Überlegungen, wenn nun manche Politiker Konjunkturprogramme für die Lebensmittelbranche fordern. Schließlich finden in der Landwirtschaft samt ihrer vor- und nachgelagerten Bereiche weit mehr Menschen ihr Auskommen als beispielsweise in der Autoindustrie.

Tim Jacobsen

Auch mal fünf gerade sein lassen

Die Uniformität perfekt arrangierter Früchte einer im Supermarkt erworbenen Schale Blaubeeren inspirierte den kanadischen Erfolgsautors Douglas Coupland zu einem melancholisch angehauchten Ausflug in vergangene Zeiten, den er in einer pointierten Kurzgeschichte beschreibt. Nicht nur erscheint es ihm, als ob Obst und Gemüse früher viel intensiver geschmeckt hätten, er glaubt auch entdeckt zu haben, dass die Früchte seiner Jugend untereinander viel verschiedener waren.

Um den zivilisatorischen Erfolg, den die Versorgung des Frischmarktes mit qualitativ hochwertigen und einheitlich nach Güteklassen sortierten Früchten zweifelsohne darstellt zu beschreiben, bemüht Coupland einen zu mindest auf den ersten Blick unpassenden Vergleich. Mit „Hitlerberries“ umschreibt er die Eigenschaften der von ihm erworbenen Früchte, die sich zwar der äußeren Form nach ordentlich in Reih und Glied präsentieren, letztendlich aber inhaltslos seien.

Unsere Wahrnehmung der modernen, technisierten Welt wird von scheinbar objektiven Maßstäben dominiert. Alles, was messbar ist, kann dabei als Norm dienen. Bei den Wahlen zur Miss World beispielsweise sind dies relativ eindeutige Kriterien: einen Meter zweiundsiebzig sollten die Kandidatinnen überragen, weder jünger als siebzehn noch älter als vierundzwanzig sein und ihr Brust-, Taillen- und Beckenumfang sollte tunlichst die weiblichen Gardemaße 90-60-90 treffen. Das Ermitteln eines Wertes durch quantitativen Vergleich der Messgröße mit einer Einheit, sagt allerdings nichts darüber aus, wie sinnvoll dieser Wert tatsächlich ist.

Alles, was messbar ist, kann als Norm dienen. Bei den Wahlen zur Miss World beispielsweise sind dies relativ eindeutige Kriterien

Tim jacobsen

Viele Lebensmittel, die wir tagtäglich zu uns nehmen, sehen aus, als ob sie direkt aus einer Fabrik kämen, obwohl sie nie eine Fabrik von innen gesehen haben. Naturprodukte wie Obst und Gemüse werden von Gesetzes wegen seit Ende der siebziger Jahre strengen Gleichmäßigkeitskriterien hinsichtlich des Ursprungs, der Sorte, des Handelstyps, der Güteklasse, Entwicklung und Reife, Färbung und Größe unterworfen. Toleranzen geben dabei nur wenig Spielraum. Vielen Gärtnern ist diese Fixation auf äußerliche Makellosigkeit schon lange ein Dorn im Auge, fällt wegen gestiegener Anforderungen nicht immer öfter ein Großteil der mühsam produzierten Ware durch die Maschen der Qualitätssicherungsvorschriften.

Optische Unbedenklichkeit ist Trumpf, die inneren Werte von Lebensmitteln zählen nur noch, wenn diese mit künstlich konstruierten Zusatzstoffen aufwändig aufgepeppt wurden und ein langes Leben trotz übermäßigen Konsums von Genussgütern versprächen.

Die englische Supermarktkette Waitrose brach Mitte Juni dieses Jahres mit dieser aus Gärtnersicht fatalen Entwicklung und erweiterte im Alleingang das traditionelle Produktspektrum im Frischebereich um eine bisher nur aus dem Porzellan-, Mode- und Möbelbereich bekannte Produktkategorie: Obst und Gemüse mit kleinen Fehlern. Mit dem Obst und Gemüse „zweiter Klasse“ will die Supermarktkette laut eigenen Angaben ihre Kunden darauf aufmerksam machen, dass Obst und Gemüse nicht aussehen muss wie aus dem Bilderbuch, um gut zu schmecken.

Der Kilopreis für die normalerweise aussortierte Ware liegt deutlich unter dem für Standardprodukte. Den Endverbrauchern wird das Obst und Gemüse als Rohware zur Weiterverarbeitung angepriesen. Waitrose schlägt mit dem Vorstoß zwei Fliegen mit einer Klappe: zum einen soll den Gärtnern geholfen werden, einen größeren Anteil der von ihnen erzeugten Produkte vermarkten zu können, zum anderen soll das Angebot budgetorientiertes Klientel in die Filialen locken.

Eine von Friends of the Earth durchgeführte, unlängst veröffentlichte Befragung hatte ans Tageslicht gebracht, dass viele Gärtner in Großbritannien befürchteten, den stetig steigenden Qualitätsansprüchen der Supermärkten nicht mehr gerecht werden zu können. Oftmals bleibt Ware ungeerntet, weil damit laut Einschätzung der Gärtner sowieso kein Blumentopf zu gewinnen wäre. Unangenehmer Beigeschmack dieser Entwicklung ist es laut Friends of the Earth, dass Gärtner durch rigide Vorgaben eher dazu verleitet würden, mehr statt weniger Pflanzenschutzmittel zu verwenden.

Wäre denn wirklich soviel verloren, wenn die nächste Miss World wieder ausschauen würde, wie es die meisten Missen auf der World halt nun einmal so tun: Nicht makellos präsentiert, sondern in einem vernünftigen Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkung?

Tim Jacobsen

Wir sind Gartenbau

Im Spannungsfeld zwischen der Produktion von markttauglichem Gemüse und ökologischen Anforderungen taucht regelmäßig das medienwirksame Schlagwort „Gift-Cocktail“ auf. Fast scheint es, als ob auf Gemüse bald ein Warnhinweis ähnlich den Rauchwarenverpackungen angebracht werden müsste und in Restaurants spezielle gemüsefreie Zonen eingerichtet werden sollten.

Nur jeder Dritte Jugendliche stimmt der Aussage zu, dass Bio-Äpfel ein Naturprodukt sind. Bei Tiefkühlspinat ist es sogar nur noch jeder Zwanzigste. Über die Hälfte der befragten Jugendlichen wissen nicht, dass Rosinen ursprünglich einmal an einem Weinstock hingen. Eine Entschuldigung vorzuweisen haben höchstens bayerische Kinder – der Volksmund nennt getrocknete karamellisierte Weintrauben dort süße Fliegen.

Am Himmelfahrtswochenende machten sich die beiden Niederländer Hans van den Bosch und Jan Kohlhaas auf ins niedersächsische Bückeburg, um Gemüse zu verkaufen. Van den Bosch freut sich über die durchweg positiven Erfahrungen, die er dabei gemacht hat. „Dreizehn Jahre zuvor wurden unsere Wasserbomben noch belächelt – heute fragen die Menschen, warum es unsere Produkte nicht überall zu kaufen gibt.“

Auch Rob Baan hat im niederländischen Unterglasanbaugebiet Westland Schwierigkeiten, offene Positionen in seinem Unternehmen zu besetzen. „Die Kinder meiner Mitarbeiter helfen bei uns aus. So werden sie bereits früh mit dem Gedanken vertraut, dass eine Karriere im Gartenbau nichts Ehrenrühriges an sich hat, sondern im Gegenteil die Tür zu einem äußerst facettenreichen Berufsbild öffnet.“

Pflanzenzüchtung ist ein globales Geschäft, was für die daran Beteiligten eine große Anzahl Flugstunden bedeutet. „Wenn es sich hin und wieder ergibt, dass ich Business Class fliege, freue ich mich jedes Mal schon auf den Augenblick, an dem das Gespräch bei der eigenen beruflichen Tätigkeit landet. Gärtner zu sein, assoziieren die meisten mit Schmutzrändern unter den Fingernägeln und weniger mit Unternehmertum“, erzählt Garry Grüber.

„Dreizehn Jahre zuvor wurden unsere Wasserbomben noch belächelt – heute fragen die Menschen, warum es unsere Produkte nicht überall zu kaufen gibt“

Hans van den Bosch

Ähnliche Erfahrungen macht auch Tom Kuipers. Im seit einigen Wochen öffentlich zugänglichen Demonstrationsgewächshaus in Emsbüren sind nicht wenige Besucher überrascht davon, auf welch hohem technischem Niveau heutzutage die Produktion von Schnittblumen, Topfpflanzen, Obst und Gemüse stattfindet.

Die Beispiele offenbaren, dass es nicht gut bestellt ist um das Image des Gartenbaus und seiner Produkte. Sozialwissenschaftler wie Dr. Rainer Brämer haben dafür folgende Erklärung: Große Bevölkerungsteile wissen so gut wie nichts mehr über die Produktion von Nahrungsmitteln und wollen davon auch nichts wissen. Die Natur übernimmt in einer moralisierten Überhöhung pseudoreligiöse Funktionen, die sich besonders im Umfeld eines infantilen Verständnisses von Naturschutz manifestieren. Zwar werde die Aufzucht von Tieren und Pflanzen generell bejaht, schließlich würden die daraus resultierenden Produkte ja auch bereitwillig konsumiert, die Produktionsebene werde dabei erstaunlicherweise aber stets diffamiert, so Brämer. Ohne Verständnis für die Notwendigkeit von Naturnutzung kann auch das Nachhaltigkeitspostulat nicht begriffen werden. Nur ein Viertel der befragten Jugendlichen verstehen unter Nachhaltigkeit, dass sie ihren Müll trennen sollen. Über die Hälfte denkt dagegen, dass nachhaltig zu handeln bedeute, keinen Müll in die Natur zu werfen.

Die angeführten Beispiele lassen aber erahnen, dass es möglich ist, in kürzester Zeit viel zu bewegen. Die Tage, in denen Wasserbomben aus dem niederländischen Westland boykottiert wurden, währten nicht lange. Der in den letzten Jahren beobachtbare Siegeszug der niederländischen Supermarktkette Albert Heijn beruht zum großen Teil auf einer Geschäftsstrategie, die dem mit Regionalprodukten bestückten Frischebereich innerhalb des gesamten Sortimentes eine zentrale Rolle zuweist. Dabei wird genau der Fehler umgangen, den die Rabobank in ihrem unlängst erschienen Bericht World of Vegetables als großen Hemmschuh für eine weitere Entwicklung des nordeuropäischen Gartenbaus ansieht: zu viele Handelsstufen zwischen Produzent und Konsument verhindern eine klare Positionierung der einheimischen Produktion.

Die genannten Beispiele beweisen auch, dass keine noch so üppig finanzierte Imagekampagne vermag, was der persönliche Kontakt möglich macht. Nicht nur Hans van den Bosch, Jan Kohlhaas, Rob Baan, Garry Grüber und Tom Kuipers können Werbung für den Gartenbau und seine Produkte machen. Wir alle, die wir in der einen oder anderen Weise mit dem Gartenbau verknüpft sind, sind aufgerufen, Farbe zu bekennen und Werbung in eigener Sache zu betreiben. Qualitativ hochwertige Ware, wie sie bei uns unter Einhaltung strenger Umwelt- und Sozialstandards produziert wird, sollte nicht mit Zertifikaten beworben werden. Einheimische Ware sollte vermarktet werden als das, was sie ist: ein hervorragendes Produkt, das nicht nur gesund ist, sondern vor allem auch hervorragend schmeckt und deshalb täglich mehrmals auf dem Speisezettel zu finden sein sollte.

Tim Jacobsen

Bioanbau darf Ökologie nicht vernachlässigen

Lange Zeit besaß der Anbau von Obst und Gemüse nach ökologischen Richtlinien den Ruf, dem Verlangen einiger weniger nach Erzeugnissen aus naturnäherer Produktion zu entsprechen. Die angebotenen Produkte boten einen für traditionelle Supermarktkunden oftmals ungewohnten Anblick. Trotz großer äußerer Makel fand die Ware ihre Abnehmer. Die Frage, ob nach ökologischen Richtlinien produziertes Obst und Gemüse tatsächlich besser schmeckt oder gesünder sei, konnte von der Wissenschaft nie gänzlich geklärt werden. Neben dem subjektiven Empfinden wurde diese Frage durch weltanschauliche Prägung entschieden. Noch bis vor wenigen Jahren kannten Konsumenten und Produzenten von Bioprodukten einander meist persönlich. Das Vertrauensverhältnis zwischen Produzent und Verbraucher ersetzte weitgehend jegliche Gütesiegel. Der Ökobauer wirkte nicht zuletzt auch dadurch glaubhaft, dass er im Vergleich zu seinen konventionell produzierenden Kollegen einen vermeintlich schwereren Weg gewählt hatte. Dabei stand für die Konsumenten stets außer Zweifel, dass die Produktion neben den Richtlinien des jeweiligen Anbaukonzeptes auch hochstehenden sozialen Maßstäben gerecht wurde. Nicht von ungefähr waren viele Integrationsprojekte im Bereich des ökologisch wirtschaftenden Garten- und Landbaus angesiedelt. Auf die Idee, weder der Jahreszeit noch der Region angepasste Produkte als ökologisch besonders sinnvolle Alternative zu vermarkten, kam bis vor einigen Jahren niemand. Genauso wenig, wie zu jener Zeit gefordert worden wäre, dass Ökoprodukte ähnlich makellos wie ihre konventionellen Entsprechungen zu sein hätten.

Anders stellt sich die Situation heutzutage dar. Mit der Schaffung eines Produktstandards jenseits der Vorgaben der einzelnen Verbände setzte eine politisch gewollte Ausweitung der Ökoproduktion ein. Diese „Banalisierung“ der Ökoproduktion hatte zum Ergebnis, dass sich die Anforderungen an die innere und äußere Qualität der biologisch erzeugten Produkte heute kaum mehr von der konventionellen Produktion unterscheiden. Der durch anfängliche Überproduktion hervorgerufene Preisverfall im Biosegment läutete einen Strukturwandel ein, der dazu führte, dass ganzheitliche Ansätze immer mehr von rein betriebswirtschaftlichen Überlegungen verdrängt wurden.

Wie schon in der Vergangenheit wurden die Forderungen nach einem höheren Preisniveau für Ökoprodukte damit begründet, dass der Bioanbau gegenüber dem konventionellen Anbau in vielerlei Hinsicht benachteiligt ist. Der Hauptunterschied zur Argumentationsweise früherer Jahre bestand allerdings darin, dass statt Mindererträgen nun die erhöhte Intensität des Einsatzes von Produktionsfaktoren in den Mittelpunkt gerückt wurde. Diese Erhöhung war nötig, um den gestiegenen Ansprüchen an Bioware gerecht zu werden. Drei Beispiele aus dem Kernobstanbau sollen verdeutlichen, wie im Zuge dieser Entwicklung die Ökologie im Bioanbau immer mehr in das Hintertreffen geriet.

Eine ganze Menge gewonnen wäre bereits, wenn beispielsweise für den Bioanbau besonders geeignete Sorten leichter absetzbar wären und der Speiseplan der Endverbraucher wieder verstärkt auf regionale und saisonale Besonderheiten Rücksicht nehmen würde

Tim jacobsen

Zur Insektenbekämpfung werden im Bioanbau Pflanzenextrakte verwendet. Das Wirkstoffgemisch Pyrethrum beispielsweise wird aus den getrockneten Blütenköpfen verschiedener Chrysanthemenarten gewonnen. Die geringe Stabilität der Hauptwirkstoffe des Kontaktgiftes und die auch trotz der Produktion in Drittweltländern hohen Herstellungskosten stehen einem ökonomisch sinnvollen Einsatz in Gartenbau und Landwirtschaft entgegen. Für die breite Verwendung im Pflanzenschutz wurden deshalb synthetische Verbindungen mit analogem Wirkungsmechanismus entwickelt. Da diese vergleichsweise stabilen und dadurch länger wirksamen „Generika“ im Bioanbau nicht verwendet werden dürfen, verursacht die Insektenbekämpfung im Bioanbau ein Vielfaches an Kosten. Deutlich günstiger im Vergleich zur konventionellen Produktion kommen im Bioanbau die Mittel zur Bekämpfung der Pilzkrankheiten. Kupfersulfat war vor über 120 Jahren bereits Bestandteil der „Bordelaise pulpe“ – fast scheint es, als ob sich seit der ersten Pflanzenschutzmittelempfehlung der Menschheitsgeschichte wenig getan hätte: Auskristallisierter reiner Schwefel und Kupferverbindungen sind im Bioanbau noch stets die Mittel der Wahl. Mit den Abhandlungen zum Pro und Contra des Einsatzes von Kupferionen als Pflanzenschutzmittel lassen sich mittlerweile Bibliotheken füllen. Gerne übersehen wird dabei, dass wegen der geringen Effizienz der Mittel die Anwendung ebenfalls vergleichsweise häufig zu erfolgen hat. Eine Vielzahl von Herstellern bietet mittlerweile Hackgeräte an, die sich in einer noch vor kurzem für unvorstellbar gehaltenen Geschwindigkeit und Präzision des Problems Unkraut im Kernobstanbau annehmen. Allerdings muss auch im Falle der Unkrautbekämpfung der Einsatz aufwändiger Maschinerie in vergleichsweise kurzen Intervallen erfolgen – mit einer entsprechenden Belastung der ökologischen Gesamtbilanz.

Mit Sicherheit gibt es Anbaugebiete, in denen aufgrund naturgegebener Wettbewerbsvorteile Schadinsekten, Pilzinfektionen oder Unkrautdruck keine Unlösbarkeiten darstellen. In Regionen jedoch, in denen die Gärtner unter Zuhilfenahme des im konventionellen Anbau zur Verfügung stehenden Waffenarsenals bereits Schwierigkeiten haben, den Anforderungen des Marktes genüge zu tun, kann eine Aufrechterhaltung der Bioproduktion oder eine Produktionsumstellung nur zu Lasten der Umwelt erfolgen – auch wenn sie sich dank gegenwärtig hoher Erzeugerpreise finanziell rechnen sollte.

Das Blatt, die Ökobilanz und die Gewinn-und-Verlustrechnung der Betriebe wenden sich, sobald der Lebensmitteleinzelhandel und dessen verlängerter Arm, die Verbraucher, bereit wären, Produkten aus dem biologischen Anbau Zugeständnisse einzuräumen. Dabei müssten noch nicht einmal Abstriche bei der Produktqualität gemacht werden. Eine ganze Menge gewonnen wäre bereits, wenn beispielsweise für den Bioanbau besonders geeignete Sorten leichter absetzbar wären und der Speiseplan der Endverbraucher wieder verstärkt auf regionale und saisonale Besonderheiten Rücksicht nehmen würde. Es ist unbestreitbar ein Verdienst der ehemaligen Bundesregierung, den Bioanbau aus seinem Nischendasein geholt zu haben. Es liegt an der jetzigen Bundesregierung, die Weichen für eine sinnvolle Weiterentwicklung des derzeit einzigen Wachstumssegments der deutschen Ernährungswirtschaft zu stellen.

Tim Jacobsen

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