"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: Politik (Seite 1 von 2)

Und täglich grüßt das Murmeltier

Wahrscheinlich wird es so gewesen sein, dass die Haushaltshilfen meiner Großeltern am Wochenende mit ihren eigenen Familien zu Mittag aßen und am Sonntag schon allein aus mangelnder Kochpraxis in eine Wirtschaft gegangen werden musste. Da dort dann aber auch tatsächlich stets ein Großteil aller Nichten, Neffen, Tanten und Onkels zusammenkamen, glichen diese Mittagessen immer auch ein bisschen einem Gärtnerstammtisch. In meiner Erinnerung dominierten Diskussionen über das Wetter die Gespräche.

Der Strelitzienanbau sowie die Schnittrosen unter Glas hatten die Ölpreiskrisen überlebt, personelle Engpässe entstanden dadurch, dass die türkischstämmigen Mitarbeiter nach Jahrzehnten fernab der Heimat ihren Ruhestand lieber wieder zuhause verbringen wollten. Lehrlinge kamen und gingen, fleißige Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien blieben. Die Preise für Gehölze wurden im Katalog nachgeschlagen und den Lohn gab es freitags in Papiertüten.

Die großen Alleebäume in den Revieren hatten ihre Daseinsberechtigung, da ja doch ab und zu ein verunglückter Baum an der Bundesstraße durch einem typengleichen ersetzt werden wollte. Profit stand nicht unbedingt an erster Stelle: Einer meiner Onkel zog mit seiner Fuchsiensammlung den Neid botanischer Gärten auf sich, ein anderer tauchte im Nebenberuf ab in die Miniaturwelt der Bonsais, ein dritter ging regelmäßig in Südamerika auf Jagd nach unbekannten Masdevalliae.

Ungemütlich wurde es mit der Einführung des Faxgerätes. Statt Verkaufsgesprächen am Telefon mit der Wählscheibe gab es fortan schnöde Preisabfragen. Computertabellen ersetzten Notizbücher und immer seltener wurde mittags die Hofeinfahrt mit dem großen Tor verschlossen – Gartencenter und Baumärkte machten ja schließlich auch keine Mittagsstunde.

Seit einigen Jahren wachsen statt Raritäten, Exoten und dem Standardbaumschulsortiment wieder wie vor gut siebzig Jahren Kartoffeln und eher robustere Gemüsearten auf meinem früheren Kinderspielplatz. Die nahgelegene Großstadt bietet genügend Menschen ein Zuhause, die gerne einen Aufpreis dafür zu zahlen bereit sind, ihren Kindern wiederum zeigen zu können, dass Lebensmittel eben nicht im Supermarkt wachsen.

Warum erzähle ich Ihnen das alles? Wenn Sie diese Zeilen lesen, dann ist es fast auf den Tag genau zwanzig Jahre her, dass ich mich zum ersten Mal an dieser prominenten Stelle zu Wort melden durfte. Damals hatte die Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Gartenbaus mit der Auseinandersetzung über die Sozialabgabensätze polnischer Saisonarbeitskräfte und der Energiekostendiskusssion gerade einen Höhepunkt erreicht.

Seinerzeit war Michael Porters Diamantenmodell zur Beurteilung der Konkurrenzfähigkeit von Staaten in Bezug auf einzelne Branchen gerade der letzte Schrei und zumindest unter Ökonomen setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass niedrige Gestehungskosten nur ein Produktionsfaktor von vielen sind.

Vieles von dem, was unser Land lebenswert macht, trägt auf seine Weise dazu bei, dass wir es uns leisten können, auch einmal über das Ziel hinaus zu schießen, da wir ja in gewisser Weise auf anderen Gebieten schon in Vorleistung gegangen sind. Menschheitsgeschichtlich sind wir gepolt auf Problemlösung: kam der Säbelzahntiger, mussten wir uns in Windeseile entscheiden zwischen Kämpfen oder Laufen.

Heutzutage heißt der Säbelzahntiger Cutoff-Kriterium, Mindestlohn oder Schilf-Glasflügelzikade. Wörter bei denen einem unweigerlich der Kamm schwillt. Vergessen dürfen wir dabei aber nicht, dass, hätten die Apologeten auch nur bei einem der Katastrophenszenarien der letzten Jahrzehnte Recht behalten, es schon lange keine Landwirte und Gärtner mehr bei uns geben würde.

Die Gärtnereien und Betriebe in und mit denen ich aufgewachsen bin, gibt es auch heute alle noch – wenn auch mitunter in einem anderen Erscheinungsbild und mit einem anderen Geschäftsmodell. Auch wenn dies der Drohkulisse Mindestlohnerhöhung keinen Abbruch tut, war oft die Betriebsnachfolge der größte Stolperstein.

Tim Jacobsen

Alles torffrei … oder was? Zu Besuch bei Patzer Erden

Es gab einmal eine Zeit – und die ist streng genommen noch gar nicht so lange her – da waren Substrate noch grundsätzlich Erden und Substrathersteller hatten wenig mehr als aufbereiteten Waldboden im Angebot. Und so war es dann wahrscheinlich alles andere als ein Zufall, dass der aus Thüringen stammende Erdenproduzent Paul Patzer nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im hessisch-bayerischen Grenzgebiet ein neues zu Hause fand, denn Wald gibt es, wo Rhön und Spessart aufeinandertreffen, genug.

Klar gab es seinerzeit auch schon Torf, der aber wurde in Moorgebieten hauptsächlich zum Heizen oder als Einstreu im Stall verwendet. Gärtner produzierten in mit Komposten und Stalldung veredelten Lauberden, bis, nun ja, Anton Fruhstorfer 1934 in Weihenstephan erst zum Geschäftsführer des Torfhumusdienstes ernannt wurde, ihm 1943 dann ein Patent auf „durchgefrorenen Schwarztorf“ und zwei Jahre später schließlich eines für die von ihm erfundene „Einheitserde“ erteilt wurde.

Am Anfang stand die Einheitserde

Mit dem Bad Zwischenahner Rezeptvorschlag für ein Kultursubstrat auf der Basis von Torf, Ton, Kalk und der Zugabe von Nährstoffen schlug 1952 dann gewissermaßen für die kommenden Jahrzehnte dem Ende von dem wieder so modern gewordenen „torffrei“ im Gartenbau die Stunde. Pauls Söhne Herbert und Erich, Namensgeber für die Gebr. Patzer KG bekamen den Zuschlag für die Verkaufsgebiete Bayern und Baden-Württemberg und produzierten fortan im osthessischen Jossa „Einheitserde“.

Zupass kam dabei, dass der Produktionsstandort nicht nur Mitten im Wald lag, sondern auch einen Bahnanschluss hatte und die Geomorphologie vor Ort äußerst abwechslungsreich ist. Der Torf kam mit der Bahn, auch heute lässt sich der Schienenverlauf auf dem einem Bahnsteig nicht ganz unähnlich schmalen, rund einen Kilometer langen Betriebsgelände erahnen.

Es war nicht weit bis zur Tongrube und auch heute noch wird einmal im Jahr der Oberboden auf der Tonlagerstätte für zwei Wochen auf die Seite geräumt, genügend Ton für das kommende Jahr 20 km weit in das Erdenwerk gefahren und anschließend hüben wie drüben wieder zugedeckt. Traditionell werden dafür die heißesten und trockensten Tage des Jahres ausgesucht, denn in Verbindung mit Wasser ähnelt die Konsistenz des Naturprodukts eher Schmierseife.

Der Ton macht das Substrat

Dem Ton fällt im Gewächshaus des Gärtners genauso wie im Blumentopf auf der Fensterbank im weiteren Verlauf die fast alles entscheidende Rolle zu: bringt der Torf oder auf gut modern die Holzfaser Struktur ins Substrat, sorgt der Tonanteil für eine ausgeglichene Wasser- und Nährstoffversorgung. Der Ton ist das Bindeglied zwischen den einzelnen Substratbestandteilen. Dabei ist Ton alles andere als gleich Ton, wie Leiter Fachhandel & Export Christian Günther weiß.

Das in der eigenen Tongrube abgebaute Dreischichtmineral Montmorillonit passt nicht nur dank seines pH-Werts von 5,5 sehr gut für die Substratproduktion, auch, was die Ionenaustauschkapazität und die Wasserspeicherfähigkeit angeht, ist der naturbelassene und naturfeucht eingelagerte Ton eigentlich unschlagbar. Denn anders als das in vielen Erdenwerken verwendete Tonmehl setzt sich der mit den Fasern in einem ersten Schritt vermischte frische Ton im weiteren Kulturverlauf nicht ab.

Was für die Gartenbau-Profis gerade gut genug ist, wollen natürlich auch die Amateure gerne haben und so wurde Mitte der Fünfziger Jahre bereits die erste Anlage für Kleinpackungen in Betrieb genommen, heutzutage halten sich der Absatz an den Produktionsgartenbau und an den Fachhandel in etwa die Waage.

Unter Herwig Patzers Ägide fällt die Einführung der unter Gärtnern auch heute noch wohlbekannten Einheitserde ED73 in genau diesem Jahr, möglich wurde sie durch die Erfindung des Langzeitdüngers Plantosan. Einmal Fußballweltmeister später gilt das Waldsterben in den 1980er Jahren allgemein als einer der Wegbereiter für den Aufstieg der Partei „Die Grünen“, gleichzeitig kann ihre Etablierung auch als Ausdruck eines insgesamt kritischeren Blicks auf den Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen gelesen werden.

Ökobewegung führt zum Umdenken

Bemerkbar machte sich dies auch daran, dass Abbaugenehmigungen stets kritischer hinterfragt wurden und es sich abzuzeichnen begann, dass Torf als Rohstoff für die Substratproduktion langfristig zumindest nicht mehr in der gewohnten Form zur Verfügung stehen könnte. Der Einheitserde Werkverband reagierte, brachte 1990 mit der GS90 ein Substrat mit einem Torfanteil von nur noch 60 % auf den Markt, Substrate der Produktlinie Eurohum brachten es dank „natürlich, nachwachsender, heimischer Rohstoffe“ auf einen Anteil von nur noch 40 %.

Mit der frux Öko-Blumenerde bewies Patzer dann im Jahr 1992, dass auch in kommerziell verfügbaren Substraten nicht unbedingt Torf enthalten sein muss, gewissermaßen eine Umkehr der Ausgangslage von nur knapp vierzig Jahren zuvor, als die frux-Kleinpackungen Hobbygärtnern erstmals ein Torfsubstrat bescherten. Der Fall des Eisernen Vorhanges änderte dann erneut die Ausgangslage. Auf einmal stand auch das Baltikum als Rohstofflieferant bereit.

Die Substratindustrie ließ sich das nicht zweimal sagen und von Torfersatz war lange nichts mehr zu hören, bis 2015 auf der Pariser Weltklimakonferenz ein letzter Versuch unternommen wurde, die drohende Klimaerwärmung auf weniger als zwei Grad zu reduzieren. Angela Merkel forderte nach ihrer Rückkehr die einzelnen Fachministerien dazu auf, zu überprüfen, welchen Anteil sie jeweils zur Reduktion des CO2-Ausstoßes beitragen könnten.

Das Pariser Abkommen

Im 2016 beschlossenen Klimaschutzplan 2050 tauchte dann erstmals der Schutz der Moore zum Erhalt wichtiger CO2-Senken auf und schnell gab es kaum eine Gärtnerveranstaltung mehr, in der nicht die von der großen Koalition beschlossenen Torfreduktionsstrategie gleichgesetzt worden wäre mit dem Ausverkauf des Abendlandes. Bis zum Ende der Dekade soll laut Klimaschutzprogramm 2030 im Erwerbsgartenbau ein weitgehender Ersatz von Torf stattfinden, im Hobbybereich soll ab 2026 vollständig auf Torf verzichtet werden.

Mit Stephan Patzer hatte zu dieser Zeit bereits die vierte Generation im Sinntal das Ruder übernommen. Vielleicht, weil er ja nun einmal in einer sehr waldreichen Region groß geworden war; vielleicht, weil torfreduziert oder sogar torffrei schon immer ein Patzerthema war oder vielleicht auch einfach nur, weil er sich als angehender Vater stärker mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigte, hatte er im Jahr 2015 die erste von mittlerweile vier Holzfaseranlagen in Betrieb genommen.

Das Holz dafür stammt aus einem wenige Kilometer entfernt gelegenen Palettenwerk. Nach dem Entrinden der Stämme bleiben immer Randbretter über, aus denen sich keine Paletten bauen lassen, diese werden in die gewünschte Chipgröße zerkleinert, aus denen dann mithilfe der Extruder Holzfasern gewonnen werden, die dann wiederum in verschiedene Fraktionen sortiert gemeinsam mit dem sowieso vorhandenen Ton den Ausgangsstoff für die Substratpro- und Torfreduktion darstellen.

Sortimentsneuaufstellung in Orange, Blue und Red

2020 wurde aus den Gebrüdern Patzer im Namen Patzer Erden, gleichzeitig wurden die „Patzer Erden“ neben den Einheitserden in das Sortiment aufgenommen. Mit den Farben Orange, Blue und Red wurden die verschiedenen Substratvarianten leicht wiedererkennbar als torfbasierend, mindestens 50 % torfreduziert und mindestens 70 % torfreduziert gekennzeichnet, dazu noch Green als organisch vegan gedüngte Erde für den ökologischen Landbau.

Knapp dreißig Jahre nach der frux Öko-Blumenerde kam 2021 dann auch wieder ein komplett torffreies Biosubstrat für Endverbraucher auf den Markt – mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass dieses Mal seiner Zeit nicht weit voraus war, sondern genau passte in eine gesellschaftliche Grundstimmung, in der, auch als Folge der Coronapandemie manche Konsumentscheidung hinterfragt wurde und zumindest für kurze Zeit „Geiz ist geil“ in Vergessenheit geriet.

So gab es auf einmal in manchen Gartencentern Erde unverpackt zum Selbstabfüllen, andere nahmen gleich die ganzen torfhaltigen Substrate aus dem Sortiment. Und der ehemalige „Revisionsverband der Westkaufgenossenschaften“, heute eher bekannt unter Rewe Group, hatte ja auch schon Jahre zuvor angekündigt, ab 2025 keine torfhaltigen Produkte mehr verkaufen zu wollen.

Und sie dreht sich doch

Ein Blick in die Super-, Bau- und Heimwerkermärkte des Touristik- und Handelsunternehmens beweist, dass weder das Pflanzensortiment unter der Selbstverpflichtung gelitten hätte, noch gab es Berichte über Proteste von Konsumenten, die unbedingt ihr Torfsubstrat zurück hätten haben wollen. Christian Günther weiß noch von einem anderen Beispiel zu berichten, in dem die gärtnerische Praxis mit ihrer Innovationskraft eine Antwort auf sich verändernde Rahmenbedingungen gefunden hat.

Zwar exportiere Patzer Erden nicht selbst Substrate nach England, da dies infolge des Brexits einen unvergleichbar hohen bürokratischen Aufwand bedeute, über Baumschulen, die ins Vereinigte Königreich exportieren, würden aber gleichwohl Patzers torffreie Substrate auf die Insel gelangen, nur dann eben gewissermaßen in Begleitung von Pflanze und Topf. Die Hashtags #PeatFreeHeroes und #PeatVillains geben einen Eindruck davon, wie die Diskussion dort geführt wird.

Aber auch die Vielzahl von Projekten hierzulande, die infolge des Klimaschutzprogramms 2030 angestoßen wurden, kommen zu keinem anderen Schluss: Von sehr wenigen Spezialanwendungen wie den Presstöpfen für die Anzucht abgesehen, gibt es außer dem „haben wir schon immer so gemacht“ kein Argument dafür, dass Torf unbedingt Bestandteil von Substraten sein muss.

Noch nicht ganz am Ziel

Damit schließt sich dann auch wieder der Kreis zu den frühen Neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts, in denen viele Doktor- und Diplomarbeiten zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen waren. Über die ganze Branche hinweg schätzt Günther, dass die Substrate im Jahr 2025 im Hobbybereich noch zu etwa 50 % aus Torf bestehen, bis 2030 könnte der Torfanteil auf rund 30 % sinken. Im Profigartenbau bestehen die Substrate derzeit noch zu rund 80 % aus Torf, bis 2030 könnte dieser Anteil auf 70 % zurückgehen.

Sein eigenes Unternehmen sieht er dem Ziel des kompletten Torfverzichts schon wesentlich näher. Von derzeit 30 % werde der Torfanteil in den Hobbysubstraten bis 2030 auf 10 % zurückgehen, bei den Profisubstraten von derzeit 50 % auf 30 %. Das Ganze stehe und falle allerdings mit der Zuverlässigkeit der Rohstoffversorgung.

Wenn der Suezkanal blockiert ist oder Schiffe wegen des Beschusses von Huthi-Rebellen um das Kap der guten Hoffnung fahren müssen, zahle sich aus, nicht auf Kokosprodukte sondern auf Holzfasern, Substratkomposte und Rindenhumus aus eigener Produktion gesetzt zu haben. Aber auch mit regional erzeugten Rohstoffen ist nicht immer alles planbar: lautet die politische Vorgabe wie bspw. Anfang des Jahrhunderts Holzpellets statt Erdgas, dann stellt das auch langjährige Geschäftsbeziehungen auf die Probe.

Der Aufwand steigt

Und dann ist da ja auch noch das kleine Detail, dass es unvergleichbar aufwendiger ist, ein torffreies Substrat zu produzieren, als Torf mit Ton und ein paar Nährstoffen zu mischen. Günther zeigt dies anschaulich an zwei Gläsern, in denen jeweils schichtweise übereinander die einzelnen Komponenten zu sehen sind. Torffrei bedeutet ganz einfach, dass verschiedenste Zutaten aufeinander abgestimmt gemeinsam dann ein dem gewohnten Torfsubstrat ebenbürtiges Ergebnis liefern müssen.

Dafür braucht es jede Menge technisches und gartenbauliches Knowhow. Oder wie Günther es formuliert: die Schere zwischen den Qualitäten der verschiedenen Substratanbieter wird zukünftig weiter auseinandergehen, je größer der Anteil an Torfersatz sein wird. Denn, und das fasst es vielleicht am allerbesten zusammen: „Es steckt nicht nur viel drin, es steckt auch viel dahinter.“

Eine Menge Platz braucht es auch, wie beim Besuch am Produktionsstandort in Sinntal Jossa schnell deutlich wird. Beziehungsweise eine Menge mehr Platz, wie an den Aussiedlungsplänen von Patzer Erden deutlich wird. Ab 2027 sollen die torffreien Substrate in Schildeck auf der bayerischen Seite der Bundesländergrenze produziert werden.

Neues Mitglied der „Erdschöpfungskette“

Das hat nicht nur für die Beschäftigten den Vorteil, das Überangebot an katholischen Feiertagen in Bayern für sich in Anspruch nehmen zu können, das Ganze wird dank der Autobahnauffahrt Wildflecken auch den Verkehr innerorts entlasten. Während der Saison sind doch schnell Tag für Tag 50 vollbeladene LKW Richtung Kunden unterwegs – und wo viel rausgeht, muss natürlich auch einiges rein, was die Belastung schnell verdoppelt.

Der größte Vorteil des Neubaus wird Günther zufolge aber sein, dass endlich genug Platz sein wird für all die verschiedenen Fraktionen, aus denen torffreie Substrate bestehen. Reichten zu Beginn der Torfsubstratära im Prinzip zwei Beschicker, können es heutzutage fast gar nicht genug sein: allein die Holzfasern werden in grob, fein, mittel fraktioniert, um dann eben ein möglichst gut auf den Einsatzzweck zugeschnittenes Substrat beim Kunden abliefern zu können.

Fährt heute Alfred, das bei jungen und alten Betriebsbesuchern gleichermaßen beliebte Fotomotiv, mit dem Radlader wegen des dem Talverlauf folgenden Betriebsgeländes unzählige Male zwischen den Vorratsschüttungen und der eigentlichen Substratmischanlage hin und her, wird künftig die Anlage von außen beschickt werden, was nicht nur einiges an Kilometern sparen wird, sondern auch die Arbeitsabläufe deutlich vereinfachen.

Drei Standorte sorgen für kurze Lieferwege

Derzeit ist die kleinstmögliche Bestellmenge einer genau nach Wunsch gefertigten Substratmischung 15 m3, für abgesackte Ware gilt das Doppelte. Der allergrößte Teil der ausgelieferten Ware wird gewissermaßen frisch auf Bestellung angefertigt.

Da es von den Beschickern direkt auf das Förderband vorbei an Düngedosierern, Befeuchtern und was es sonst noch so alles gibt über verschiedene Mischvorrichtungen bis hin zur Absackanlage, dem Jumbobalebefüller oder dem Förderband für die lose Befüllung geht, kann in Jossa kontinuierlich produziert werden.

Der Vorteil der vielen Produktvarianten, die in Altengronau und Jossa noch fertig im Palettenlager stehen, ist, dass bei einer Bestellung dann schnell auch noch andere Artikel, egal ob für den Profi- oder Hobbybereich oder den Galabau, hinzugefügt werden können. Die beiden Sinntal-Standorte werden noch ergänzt von Buchenberg und Warngau im Süden der Republik und Gubkow Richtung Ostsee.

Tim Jacobsen

Liebe Kollegen von der schönen Zeitung

Irgendwann in den Tagen seit Mittwoch letzter Woche ist der FAZ bedauerlicherweise verloren gegangen, wofür ich sie eigentlich immer bewunderte. Aus einem Blatt mit vielen Meinungen ist eine Meinung auf vielen Blättern geworden. Natürlich hat Friedrich Merz Recht, wenn er, wie gerade eben in Bonn, die Verfehlungen in der Energiepolitik, die Migrationspolitik der letzten Jahre, oder das Großmachtstreben Russlands kritisiert. Streng genommen fußen aber alle diese Entwicklungen auf Entscheidungen, die in 16 Jahren CDU-Kanzlerschaft getroffen wurden. Ich würde mich sehr freuen, wenn meine Morgenlektüre auch angesichts eines derzeit alternativlos erscheinenden Kanzlerkandidaten von vorauseilender Hofberichterstattung Abstand nehmen könnte.

Beste Grüße nach Frankfurt

Tim Jacobsen

Gute Stimmung auf dem Möhrenforum 2025

Streng genommen hätte rein rechnerisch 2025 das achte Möhrenforum stattfinden müssen. Eine Pandemie sowie eine Möhrenforumssommeredition später war es dann aber tatsächlich erst Nummer sieben, die uns ins zwar nicht verschneite, aber dennoch leicht angepuderzuckerte Leverkusen brachte, genauer gesagt mitten rein ins Herz des deutschen Triplechampions.

Denn die Baumeister der Bayarena hatten inmitten der Nordtribüne, Heim der Ultras und sonstigen Diehard-Fans des Fußballbundesligateams mit dem Weltkonzern im Namen extra eine kleine Logenreihe ausgespart, die an Tagen ohne Spielbetrieb vom rheinländischen Ableger der im Stadionrund befindlichen, kurz vor Weihnachten allerdings in Konkurs gegangenen Hotelkette für Tagungsveranstaltungen genutzt wird.

Und so passten die gut 80 Teilnehmer samt dem Auftritt unserer Platinsponsoren Bayer, Basf, Bejo, Escarda, Hazera und Rijk Zwaan dann auch gerade so in den Tagungssaal mit Blick auf das Allerheiligste, den Leverkusener Rasen, der im Rahmen der den ersten Veranstaltungstag beschließenden Stadionführung, die nichts weniger als den Headgreenkeeper aufbot, nicht nur in Augenschein genommen, sondern auch betreten werden konnte. Ein Umstand, der unseren Stadionführer zum Kommentar verleitete, dass er dies in mehr als zehn Jahren wenn überhaupt nur einmal erlebt hätte.

Aber auch wenn die Geschichte des Möhrenforums mittlerweile fast eineinhalb Jahrzehnte umfasst, waren nicht nur die Sponsoren aus der Saatgutindustrie seit 2011 als zuverlässige und unverzichtbare Partner alle Jahre wieder mit an Bord, auch ein knappes Viertel der Teilnehmer hätte für einen lückenloses Teilnahmenachweis eigentlich eine Ehrennadel verdient gehabt. Wir werden diese zur zehnten Auflage des Möhrenforum in voraussichtlich sechs Jahren dann nachreichen.

Und was mit der Bayarena unweit des Bayer-Kreuzes, immerhin der größten Leuchtreklame weltweit begann, fand dann mit dem zweiten Veranstaltungstag sein Ende am Sitz der Crop Science Division der Bayer AG in Monheim am Rhein. Maren Schlichting-Nagel und Judith Imnadze-Wehr stellten, orchestriert von Heinz Breuer und Tim Pauli, im Rahmen einer Führung über das weitläufige Werksgelände die Bereiche Substanzlogistik, Insektizide, Applikationstechnik sowie das SeedGrowth Center vor.

Am Nachmittag zuvor gab es noch das eine und andere zu erleben, und damit ist nicht unbedingt nur das Workoutangebot von Jerrek Tebling gemeint, das den eher technisch gehaltenen zweiten Vortragsblock vom eher Pflanzenschutz-orientierten ersten Teil mit den beiden Möhrenkoryphäen Frank Uwihs und Gerd Sauerwein trennte. Bei Christoffel den Herder waren dann schon mehr Traktoren und Holzkisten zu sehen, bei Daniel Pitton flogen die Möhren im wahrsten Sinne des Wortes durch die Sortierung und Judith Dittrich machte vor der Kaffeepause noch Appetit auf den Möhrendreiteiler des Arbeitskreises Möhren.

Muhammed Sidi ließ, während der Stadionrasen trotz früh einsetzender Dämmerung noch hell erleuchtet war, keine Zweifel daran aufkommen, dass Escardas Laser-basierte Unkrautbekämpfungslösung schlichtweg unübertroffen ist. Jeroen Veldman schickte seine Odd.Bot-Flotte auf den Weg und Lena Pollul sowie Tim Boenigk wagten zwar keinen Blick in die Kristallkugel, attestierten der laufenden Möhrensaison für sowohl Bio- als auch konventionelle Ware allerdings ein durchschnittliches Preisniveau mit einem sehr stabilen Preisniveau über den Herbst und leichten Preisaufschlägen – die hoffentlich einen Trend eingeleitet haben, der sich weiter fortsetzt!

Tim Jacobsen

Beruf Gärtner. Der Zukunft gewachsen

Die Älteren unter uns können sich noch erinnern: am ersten Tag des Jahres 2000 drohte der Weltuntergang, weil überfleißige Programmierer übersehen hatten, dass mitunter ja auch einmal ein Jahrtausendwechsel anstehen könnte. Danach entwickelte sich das Jahr 2030 zum neuen Sehnsuchtsziel und so verabschiedeten die Vereinten Nationen noch im Jahr 2015 eine Agenda 2030, wohlwissend oder besser hoffend, dass in 15 Jahren eine Menge passieren kann.

Zur Halbzeit Richtung 2030 war das Fazit dann allerdings mehr als ernüchternd: angesichts von Kriegen, Pandemien, der Erderwärmung und einem augenscheinlich viel zu oft fehlenden politischem Willen werden wir wohl keines der darin formulierten 17 Ziele auch nur annähernd erreichen.

Dringend Zeit für eine neue Messlatte und da wir uns ja gerade mit Riesenschritten in Richtung stille Zeit und dem dazu gehörenden „wünsch Dir was“ begeben, wollen wir uns einmal in das fern klingende, in Wahrheit aber auch nur 300 Ausgaben des Gartenbau-Profis entfernte Jahr 2050 begeben. Steilvorlage könnte das „Maßnahmenpaket Zukunft“ sein, dass „der Gartenbau“ gewissermaßen als erledigte Hausaufgabe im Frühjahr 2024 „der Politik“ überreichte.

Allerdings krankt das Maßnahmenpaket, wie schon der Zukunftskongress zwei Jahre zuvor, daran, dass die Zukunft selbst darin etwas zu kurz kommt. Zugegebenermaßen ist das mit der Zukunft und wie sie aussehen wird, ja auch so eine Sache. So wie wir heute Gewächshäuser aus den1980er Jahren zuweilen belächeln, werden wir im Jahr 2050 wahrscheinlich auf Produktionsstätten schauen, die heute den Stand der Technik markieren. „Aus einer anderen Zeit“, „am falschen Fleck“ und überhaupt „von Innovation kaum was zu sehen“, könnte unser Urteil dann lauten.

Wobei es auch 2050 noch diejenigen geben wird, die das ganze moderne Zeug verteufeln und einfach nur in Ruhe ihr Ding machen wollen, genauso wie es auch diejenigen geben wird, denen alles gar nicht schnell genug gehen kann und die gedanklich schon wieder ein Vierteljahrhundert weiter sind.

Und natürlich ahnten auch die Dinosaurier nicht, dass ausgerechnet ein Asteroideneinschlag ihrer Vorherrschaft ein Ende bereiten könnte – genauso wenig war Ende Oktober der Wahlausgang in den USA absehbar oder hätte vorweihnachtlicher Frieden die Brandherde des Nahen Ostens, des Ostchinesischen Meers, in Myanmar, Ost- und Westafrika oder der Ukraine gelöscht.

Dennoch könnte es durchaus so sein, dass sich der Produktionsgartenbau bis 2050 in eine wahrhaft nachhaltige Richtung entwickelt. Dies sowohl was die finanziellen Aussichten als auch was die heute bereits vielfach diskutierten Nachhaltigkeitsaspekte wie Klimaresilienz und dem Anforderungskatalog des in Zukunft noch deutlich wichtiger werdenden Prädikats „gut für Mensch und Umwelt“ angeht.

Anzeichen hierfür sind im hier und jetzt bereits erkennbar: Nahrungsmittelskandale werden auch in Zukunft nicht ausbleiben und das Insektensterben wird über kurz oder lang zu einer deutlichen Abnahme von Wildvögelpopulationen führen – zwei der Entwicklungen, die zu einem endgültigen Gesinnungswandel weg von „Geiz ist geil“ beitragen könnten. Eher aktivistisch veranlagte Grundbesitzer könnten (wie bspw. bereits in Dänemark zu beobachten ist) zunehmend strikte Bedingungen an die Art der Bodennutzung stellen.

Produzenten und Konsumenten nähern sich nach Jahren der Entfremdung wieder an, ihr Schulterschluss sorgt dafür, dass die Gesetze des Marktes ein Stück weit ausgehebelt werden. Auch wenn Energie in Zukunft tatsächlich ohne Preiskärtchen verfügbar sein könnte, wird die Konkurrenz in den klassischen Handelskanälen nicht unbedingt kleiner, da die heutzutage noch aus produktionstechnischer etwas rückständigen Standorte aufholen werden.

Angesichts strengerer Regelauslegung zugunsten von Umwelt und Klima werden Flächenausweitungen eher ein Geschäftsmodell der Vergangenheit sein und Formen der solidarischen Landwirtschaft eher der Regelfall werden. Gleichzeitig könnte es aus einer ganz anderen Ecke zu einem Nachfrageschub kommen:

Wenn Prävention immer wichtiger wird und die Gesundheits-Apps Burger verbieten, steigt zwangsläufig der Obst- und Gemüseverbrauch. Ähnlich wie schon beim CO2-Fußabdruck wird das True Cost Accounting bei Nahrungsmitteln gang und gäbe. Block Chain-Technologie sorgt für Transparenz; Zucker, Alkohol und all die anderen schönen Dinge werden schlimmer besteuert als Zigaretten heutzutage.

Mit diesem Geld wird ein Gesundheitsfonds eingerichtet, der dann wiederum die Folgen des übermäßigen Konsums allem Ungesundens kostenmäßig auffängt. Big Data sorgt für individualisierte Diätpläne und eine Vielzahl strategischer und organisatorischer Allianzen sorgt dafür, dass die Unterschiede zwischen Eigentümer, Stakeholder, Produzent und Konsument verschwimmen, genauso wie die zwischen Gartenbau, Tierhaltung und Ackerbau, der Anzucht von Algen, Pilzen und Insekten.

Technologischer Fortschritt sorgt für die Wiedergewinnung von Nährstoffen, Durchbrüche in der Gentechnik optimieren die Fotosynthese. Bodengebundene Produktionsverfahren gibt es kaum noch und dann haben wir es ja noch gar nicht darüber gehabt, welchen Einfluss Künstliche Intelligenz in Kombination mit Robotik und Prozessautomatisierung auf unser Leben in 25 Jahren haben könnten.

Tim Jacobsen

Die Preise gehen rauf und selten runter

Die große Inflationswelle ist vorbei. Im August blieb die Teuerungsrate mit 1,9 % erstmals seit mehr als drei Jahren wieder unter dem Zielwert von 2 %. Vor allem Energie ist billiger als vor einem Jahr. Im August waren das stattliche 5,1 %. Preistreiber sind aktuell Dienstleistungen, die um 3,9 % teurer waren. Hier wirken sich die hohen Lohn- und Gehaltssteigerungen der vergangenen Monate aus. Nahrungsmittel wurden im Jahresvergleich nur noch um 1,5 % teurer.

Wie hoch das Preisniveau für Nahrungsmittel allerdings ist, zeigt ein Vergleich der Preise über den gesamten Zeitraum der jüngsten Inflationswelle: Heute sind Nahrungsmittel laut Statistischen Bundesamt im Durchschnitt um mehr als 32 % teuer als vor vier Jahren. Für eine Flasche Olivenöl mussten Verbraucher im Juli mehr als doppelt so viel zahlen wie vor vier Jahren. Zucker ist fast doppelt deutlich teurer als 2020.

Wegen steigender Preise für Zucker, aber auch anderen wichtigen Zutaten wie Mehl und Fette, sind auch Kekse erheblich teurer geworden, genauso wie Milch und Milchprodukte, Ketchup, Gemüsekonserven und Sonnenblumenöl mit Aufschlägen zwischen 63 % bei den Konserven und 112 % beim Olivenöl.

Nur ein Lebensmittel ist nach Angaben des Statistischen Bundesamtes heute mit 2 % etwas billiger als damals: Zitrusfrüchte. Die geringsten Anstiege verzeichneten Birnen (0,8 %) und Äpfel (7,4 %). Bei den Äpfeln trafen 2021 und 2022 gute Ernten auf eine eher geringe Nachfrage, eine Preisumkehr scheint wahrscheinlich.

Für Verbraucher weniger schlimm sieht der Jahrespreisvergleich aus. Für einige Lebensmittel mussten Verbraucher im Juli nicht mehr so tief in die Tasche greifen wie noch zwölf Monate zuvor.

Die größten Preisrückgänge gab es bei Möhren (13,8 %), Zwiebeln und Knoblauch (13,7 %), tiefgefrorenem Obst (13,1 %), einmal mehr den Zitrusfrüchten (9,3 %), Sonnenblumenöl und Rapsöl (8,6 %) sowie Weizenmehl (8,3 %). Dabei nicht vergessen werden darf: Von den Zitrusfrüchten einmal abgesehen sind alle genannten Produkte immer noch teurer als im Jahr 2020, teilweise sogar deutlich.

Die Verbraucherzentrale forderte Ende August angesichts dessen, dass die Lebensmittelpreise in Deutschland seit dem Jahr 2021 insgesamt um rund 33 % gestiegen, während die Gesamtinflationsrate im gleichen Zeitraum bei 20 % liegt, einmal mehr die Einrichtung von Preisbeobachtungsstellen.

Diese sollen ihre Befunde jährlich dem Bundestag melden, damit der Gesetzgeber „gegebenenfalls politische Maßnahmen“ ableiten könne. Aber was könnten das für Maßnahmen sein? Vermutlich ist an Preiskontrollen und staatlich festgesetzte Preise gedacht.

Die Idee der Preisbeobachtung hat dabei mindestens zwei Haken. Da ist zunächst die Hoffnung, Informationsasymmetrien könnten durch Transparenzoffensiven eingeebnet werden. Aber was hat der Verbraucher davon, wenn die Kosten der Wertschöpfungskette für alle transparent gemacht werden?

Soll er daraus schließen, dass die Zwiebeln und Möhren möglicherweise ihr Geld nicht wert sind? Oder erleichtert die Transparenz womöglich nur den anderen Supermarktformaten die Suche nach noch billigeren Lieferanten? Und dann ist da ja noch die Sache mit dem „gerechten“ Preis. Hört sich gut an, aber wer bestimmt „was eine Sache wert ist“?

Und wenn es dann keinen objektiv gerechten Preis gibt, dann bleibt nur der Umkehrschluss: Ob ein Preis gerecht ist, bemisst sich daran, was Möhren, Zwiebeln und alles andere den Menschen subjektiv wert ist. Das wiederum heißt, dass Preise sich nicht mit den Herstellungskosten begründen lassen, sondern mit der Wertschätzung der Kunden.

Für sie und den Anbieter ist lediglich ihre subjektive Zahlungsbereitschaft von Relevanz. Daran muss der Händler dann seine Kosten ausrichten. Dass es dabei mit rechten Dingen zugeht, dafür sorgt seit der Währungsreform und dem Ende der Zwangswirtschaft in der für unser Deutschland typischen Sozialen Marktwirtschaft der Wettbewerb – notfalls im Zusammenspiel mit den Kartellbehörden.

Eines darf bei der ganzen Diskussion aber auch nicht übersehen werden: Zwar gibt es bei uns – anders als in der Deutschen Demokratischen Republik – zwar kein staatliches Amt für Preise; was im Vereinigten Königreich bei Tesco, Sainsbury’s, Asda und Morrisons unter „Aldi Price Match“ läuft, also dem Bewerben von Produkten damit, dass sie zum gleichen Preis wie bei Aldi zu haben sind, gibt es, wenn auch nicht ganz so explizit, auch bei uns.

Und das führt dann dazu, dass Preiseinstiegsartikel im gesamten LEH auf wundersame Weise ähnlich bepreist sind wie beim marktführenden Discounter.

Tim Jacobsen

Aufstieg und Fall eines Tomatenimperiums

Ohne Tomaten kein English Breakfast: „The Guernsey Tom“ mit ihrer markanten Kugelform hatte zu ihren besten Zeiten im Vereinigten Königreich einen Marktanteil von rund 60 %. Mehr als zwei Jahrzehnte lang bestimmten die roten Früchte das Leben auf der britischen Kanalinsel unweit der französischen Küste. Noch 1967 hatte jeder dritte Inselbewohnet beruflich irgendwas mit Gartenbau zu tun, ab Erntebeginn dominierten Tomatentransporter das Verkehrsgeschehen auf der Insel. Dreißig Jahre später war der Anteil der Guernsey-Tomaten auf unter 1 % gefallen, im gleichen Zeitraum ging die Anbaufläche von knapp 300 ha auf gut 5 ha zurück.

Man muss ein bisschen in der Zeit zurückgehen, um verstehen zu können, warum sich gerade dort eine florierende Tomatenindustrie entwickeln konnte. Den feinen Herrschaften im fernen London war es wohl irgendwann zu bunt geworden und sie zogen die Zügel an, unterbanden Schmuggel und Piraterie und stürzten die Inselökonomie im 19. Jahrhundert in eine tiefe Depression. Die Inselbewohner besannen sich auf ihre Standortvorteile wie den günstigen klimatischen Voraussetzungen und den für das Vereinigte Königreich zahlreichen Sonnenstunden und begannen, Tafeltrauben anzubauen.

Das erste kommerziell genutzte Gewächshaus wurde 1840 errichtet, ab 1861 verband ein regelmäßig verkehrendes Dampfschiff die kleine mit der großen Insel weiter nördlich. Während 1915 noch gut 2500 t Trauben geerntet wurden, waren es 1958 nur mehr 300 t, gleichzeitig hatte die samenvermehrte `Potentate´ Stück für Stück die Rebstöcke abgelöst. Kaum ein Haus auf Guernsey, an das kein Gewächshaus angebaut wurde. Die Inselbewohner profitierten in dieser Zeit auch von dem in heutigen Maßstäben äußerst kurzen Shelflife ihrer Produkte und der noch benötigten vielen Handarbeit auf dem Weg von der Ernte zu den Verbrauchern.

Die Bootsbauer sattelten auf Gewächshausbau um, es entstand eine Art Tomaten-Monokultur, Böden und Substrat wurden Dampf-sterilisiert und Anthrazitkohle aus Wales verfeuert. Ihren endgültigen Höhenflug erreichten die Guernseytomaten nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Gewächhausanlagen hatten die deutsche Besetzung überstanden, die phänomenalen Profite im Tomatenanbau sorgten für Goldgräberstimmung, schnell standen die Tomaten für die Hälfte des Bruttoinseleinkommens. Trotz der geographischen Nähe zu Frankreich blieb das Vereinigte Königreich der einzige Handelspartner.

Schnell stellte sich heraus, dass ein kooperativer Ansatz gerade in logistischer Hinsicht der nächste Schritt sein müsste. Folgerichtig übernahm 1952 das besonders in der Anfangszeit nicht unumstrittene Guernsey Tomato Marketing Board (GTMB) die weiteren Schritte ab der Ernte, so genannte Inspektoren sorgten für die Qualitätsbeurteilung und legten somit auch die Höhe der Familieneinkommen fest. Das GTMB nahm in Zeiten von Überproduktion Ware aus dem Markt und verklappte diese zu Dumpingpreisen auf der Insel, um den Preis im Vereinigten Königreich hochzuhalten.

Die Perfektionierung des Anbaus führte dazu, dass bald jeder Einwohner Guernseys rein rechnerisch mehr als 1000 t Tomaten im Jahr produzierte. In den 1970er Jahren begann sich dann aber der Himmel über der Tomateninsel zu verdüstern. Schuld daran waren je nach Interessenlage die Supermärkte, das Advisory Board, das GTMB, die Niederländer, die größeren Produktionsbetriebe oder auch alles zusammen. Das Ende der Tomatenerfolgsgeschichte unterscheidet sich dabei nicht so groß vom Aus regional bedeutsamer Industriezweige anderenorts.

Beigetragen zum Niedergang hat mit Sicherheit die Umstellung von Anthrazitkohle auf Öl. Den Preisanstieg im Jahr 1973 hatte niemand vorhersehen können, Öl wurde nicht nur um ein Vielfaches teuer, es wurde auch rationiert. Besonders hart traf dies die Gärtner, die zuvor auf den Rat des Advisory Board vertraut und auf Modernisierung gesetzt hatten. Auch die Zinsen stiegen deutlich und spätestens, als dann Ware aus Spanien und von den kanarischen Inseln flankiert von niederländischen Tomaten das Frühsegment eroberte, war „The Guernsey Tom“ nicht mehr konkurrenzfähig und zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Arbeitslosigkeit ein Thema. Den Schlussstrich unter die einstige Erfolgsgeschichte zog das Jahr 1999, als Guernsey offiziell Tomatennettoimporteur wurde.

Es ist ein Einfaches diese Entwicklung als ein weiteres Beispiel für die Zerstörungskraft der Globalisierung anzusehen. Unbezweifelt führt das Öffnen von Grenzen zu stärkerem Wettbewerb, aber während die Tomaten auf der Strecke blieben, machte die Insel als Off-shore-Standort für finanzielle Dienstleistungen aller Art Karriere. Mit den Tomaten auf der Strecke blieben allerdings auch Sozialstrukturen, die das Leben auf der Insel über viele Jahrzehnte geprägt hatten.

Die Kannibalisierung der Guernsey-Tomaten durch nach niederländischem Vorbild vor allem im landschaftlich vergleichsweise großzügigen Südengland entstandene Gewächshausanlagen mag eine Rolle für den Niedergang gespielt haben. Am schwersten gewogen hat mit Sicherheit aber eine Entwicklung, die dem Einzelhandel eine stets bedeutendere Rolle zuwies: hatte das GTNB noch die Informationshoheit und volle Kontrolle über Liefermengen, -wege und -zeitpunkte, begannen die Supermärkte – der Strichcode feierte gerade runden Geburtstag – spätestens mit der Wahl Margaret Thatchers im Jahr 1979 zunehmend alle Trümpfe in der Hand zu haben.

Und wenn da dann, wie heute fast schon üblich, vier Handvoll verschiedene Tomatensorten und -arten angeboten werden müssen, kann das mit einer „one size fits all Guernsey standard round“ nicht klappen. Auch Henry Ford produzierte zwar fast zwei Jahrzehnte lang ausschließlich das Modell T in schwarz, musste dann aber doch einsehen, dass die Geschmäcker nun einmal verschieden sind.

Tim Jacobsen

Risikoabsicherung nützt uns allen

Gut 30 m hoch ist der Weihnachtsbaum, mit dem Uli Hoeneß nach einem Jahr Energiekrisenpause zuletzt erneut das Tegernseer Tal erleuchtete. Da sich zu dieser Zeit bereits ein wenig erfolgreicher Fußballsaisonverlauf andeutete, brauchte er für den Spott nicht zu sorgen. Dazu kam, dass fast frühlingshafte Temperaturen weiße Weihnachten verhinderten, anders dann vier Monate später, als der April mehr oder weniger in einem Schneechaos endete.

Ende Mai kam angesichts von mancherorts bis zu 50 cm Hagel nicht nur der Verkehr im Voralpenraum zum Erliegen, auf Rekordniederschläge folgten Jahrhunderthochwasser, besonders im Donaugebiet. Anders in den Jahren zuvor: Zwischen April und August 2018 regnete es in weiten Teilen Deutschlands kaum. Auch in den Folgejahren war es vielerorts zu trocken.

Klimawandel gibt es schon immer, nur jetzt halt nicht länger in der Form „1934 und dann erst 1974 wieder einmal ein zu warmer Winter“

Vorausgegangen waren ein extrem nasser Herbst und Winter, die dazu führten, dass die Ernte von späträumenden Kulturen, wenn überhaupt, nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden konnte und die Herbstbestellung mit Raps und Wintergetreide vielfach unmöglich war – eine Gemengelage, die dem einen und anderen aus der jüngsten Vergangenheit durchaus bekannt vorkommen dürfte.

Der Dürresommer und die starke Ausweitung des Anbaus von ertragsschwächeren Sommergetreiden führten dann in Folge zu erheblichen Ertragseinbußen, am meisten litt darunter der Futterbau. Um in den Veredlungsbetrieben Kosten zu senken, wurden vermehrt Rinder zur Schlachtung gegeben, Bund und Länder stellten Hilfsgelder für die Landwirtschaft bereit.

Das vom Staat in solchen „Katastrophenjahren“ bereitgestellte Geld ist meist aber nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein; gleichzeitig sind die größten Profiteure oftmals diejenigen, die am wenigsten zur Risikovorsorge unternommen haben. Nicht vergessen werden sollte auch, dass angesichts klammer Haushalte staatliche Ad-hoc-Hilfen zukünftig auch eher die Ausnahme als die Regel sein werden.

Auch Zwischenfruchtanbau, konservierende Bodenbearbeitung, Verbesserung der Wasserhaltefähigkeit des Bodens, effiziente Bewässerungs- und Frostschutztechnik und ausreichend dimensionierte Dränung tragen dazu bei, Risiken zu minimieren, die Gefahr eines Ernteverlusts können sie jedoch nicht ausräumen.

260 Jahre nach der Gründung des weltweit ersten Brandversicherungsvereins in den Elbmarschen begann die Mecklenburgische im Jahr 1797, Hagelversicherungen anzubieten, ein erster Schritt in Richtung bessere Absicherung von Flächen und Kulturen gegen witterungsbedingte Gefahren. Unsere Vorreiterrolle in der Risikovorsorge haben wir jedoch verloren:

Während fast alle EU-Staaten ihren Gärtnern und Landwirten einen Zuschuss zu den Prämien für Versicherungen gegen Dürre, Starkregen, Sturm oder Frost zahlen, wird eine solche Förderung in der Bundesrepublik nicht flächendeckend angeboten. Knapp zwei Drittel Prämienzuschuss sollen es in Frankreich und Polen sein.

Auch in den Benelux-Staaten, Italien, Spanien und Portugal sowie weiteren mittel- und osteuropäischen Ländern wird die Risikoabsicherung stark alimentiert. Dementsprechend stark nachgefragt ist dieses Instrument des Risikomanagements dann auch in diesen Ländern.

Bereits 2019 forderte die Agrarministerkonferenz „einen Prämienzuschuss insbesondere für Sektoren und Risiken vorzusehen, in denen noch kein für die Betriebe wirtschaftlich tragbares Versicherungsangebot am Markt ist oder große Wettbewerbsunterschiede innerhalb der EU bestehen“.

Obwohl die Gemeinsame Agrarpolitik eine Förderung von Mehrgefahrenversicherungen ausdrücklich vorsieht, entstand statt eines großen nationalen Wurfes ein kleinstaatlicher Flickenteppich an Fördertatbeständen. Dabei wäre der finanzielle Aufwand für eine bundesweite Lösung überschaubar:

Die Kosten für eine um die Hälfte bezuschusste Mehrgefahrenversicherung für Ackerkulturen soll bei einem kleinen dreistelligen Millionenbetrag liegen. Kling nach viel Geld, gerade auch in Zeiten, in denen der Bundeshaushalt ein großes Streitthema ist. Dabei geht es dem Fiskus gar nicht so schlecht:

Die Steuereinnahmen steigen immer weiter, schneller sogar als die Preise und auch schneller als das, was Deutschland erwirtschaftet. Allerdings ist das Ganze dann ein bisschen „wie gewonnen, so zerronnen“: die maroden Schienen der Bahn, unsere fehlende Kriegstüchtigkeit, die auf Subventionen beruhende Energiewende und dann natürlich die Schuldenlast, die sich in Zeiten steigender Zinsen verstärkt bemerkbar macht – und schon fehlen 25 Mrd. €.

Die viel zitierten Radwege in Peru werden den Haushalt dabei genau so wenig retten wie Kürzungen bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Rund 130 Mrd. € kostet es uns, dass Menschen Renten bekommen, ohne selbst eingezahlt zu haben. Das Bürgergeld liegt mit allem, was dazu gehört, bei rund 40 Mrd. €. Richtig viel Geld also.

Verständlich aber auch, dass schon die Erwähnung des K-Wortes Menschen auf die Barrikaden bringt. Wie aber weiter? Die Vermögenssteuer, den Spitzensteuersatz, die Einkommenssteuer oder doch lieber die Mehrwertsteuer erhöhen? Es gäbe noch einen anderen Weg: Was, wenn wir, statt Abgaben zu erhöhen, doch einfach wieder die Wirtschaft in Gang brächten?

Man mag über die Merkeljahre denken, wie man will. Den ersten ausgeglichenen Haushalt seit 1969 im Jahr 2014 haben wir Wolfgang Schäubles Mutter, einer „schwäbischen Hausfrau“ zu verdanken.

Ich bin mir sicher, dass Gertrud Schäuble im Sinne ihrer kolportierten Vorstellungen zur Führung solider Privathaushalte, die unter Finanzminister Schäuble dann Staatsräson wurden, für eine einheitlich flächendeckende Bezuschussung einer Risikoabsicherung zur Zukunftssicherung unserer Betriebe plädiert hätte. Fördern und Fordern einmal anders.

Tim Jacobsen

Du hast keine Chance, aber nutze sie

Es ist ein bisschen schwierig geworden, die Frage, wie es einem so geht, in voller Überzeugung positiv zu beantworten. Der Grund für die schlechte Laune sind dabei dann nicht unbedingt die kleinen oder großen Zipperlein, von denen die einen von uns mehr, die anderen weniger geplagt sind. Auch die ersteinmal vielleicht etwas gar hohen Spargelsaisoneinstiegspreise haben daran keine Schuld, genau so wenig wie der Temperaturdipp, der den Beginn der Beet- und Balkonsaison auf nach Ostern vertagt.

Wenn bei unserem ehemals fünftwichtigsten Exportpartner Gefangenen Körperteile abgeschnitten werden und das Ganze dann staatlich orchestriert in den sozialen Medien stattfindet, dann ist unseren ehemaligen russischen Freunden einmal mehr gelungen, was kaum möglich schien, nämlich für Fassungslosigkeit zu sorgen.

Putins in Zweckgemeinschaft verbundener Diktatorkollege Kim macht derweil mit einem simulierten Angriff auf sein Nachbarland auf sich aufmerksam und eine „militärische Sonderoperation“ Chinas in Taiwan scheint nur mehr eine Frage der Zeit zu sein. Die Luftbrücke in den Gazastreifen verhilft einmal mehr den Stärkeren zu ihrem „Recht“ und unsere Fregatte „Hessen“ wird im Roten Meer umdrehen müssen, sobald die Munitionsschränke leer sind.

„Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt darin um“

Herbert Achternbusch

Wie auch im Fall unserer militärischen Unterstützung der Ukraine stellt sich hier berechtigterweise die Frage, wem eigentlich damit gedient ist, wenn unsere Verteidigungsfähigkeit bis ins kleinste Detail in aller Öffentlichkeit diskutiert wird? So reicht dann das kleine Einmaleins, um den Tiger zahnlos werden zu lassen: wenn bis zu 20 Taurus Marschflugkörper benötigt werden, um die Kertschbrücke nennenswert zu beschädigen, dann bleiben von den kolportierten einsatzbereiten 150 bei uns nicht mehr viele über.

Bei den Luftverteidigungssystemen wie dem mit dem klangvollen Namen „Patriot“ sieht es noch ernüchternder aus und wenn dann der französische Staatspräsident – zugegebenermaßen etwas unkoordiniert – Bodentruppen für die Ukraine ins Rennen wirft, dann wirkt das zwar deutlich wehrhafter als die Angst unseres Bundeskanzlers vor der russischen Bombe, zeigt aber auch, dass wir in Zeiten, in denen europäische Einigkeit wichtiger wäre als vieles andere, wir eher dabei sind, uns Bedeutungs-mäßig selbst zu atomisieren.

Umfragewerte der AfD unter dem magischen Verfassungs-relevanten-Drittel werden bereits als Erfolg gefeiert und dann haben wir Donald Trump und den Klimawandel an dieser Stelle auch nur einmal kurz der Vollständigkeit halber erwähnt. Dabei ist Angst eigentlich etwas ganz praktisches, mit erhöhtem Puls und Blutdruck reagieren wir schneller und sind leistungsfähiger als im Normalzustand. Anders verhält es sich aber mit der Angst vor eher abstrakten Dingen wie dem Verlust von Sicherheit oder der diffusen Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen.

Patentrezepte zum Umgang mit dem Gefühl der Hilflosigkeit gibt es leider nicht. Aber nur, weil wir nicht mit einem Handstreich den Klimawandel aufhalten oder uns in die zumindest in unseren Breiten äußerst überschaubare Welt der Kohl-Jahre zurückkatapultieren können, bedeutet das nicht, dass wir nichts machen können. Wer schon einmal während der spoga+gafa durch die Hallen der Messe Köln gewandelt ist, wird bei so manchem Produkt zumindest still und heimlich Nutzen und vielleicht auch Sinn hinterfragt haben.

Vom 16. bis 18. Juni 2024 hat sich die größte Garten- und BBQ-Messe der Welt das Leitthema „Responsible Gardens – verantwortungsvolle Gärten“ auf die Fahnen geschrieben; angesichts des Konsumaufrufs, der mit den meisten der dort gezeigten Artikel einhergeht, eine auf den ersten Blick überraschende Wahl. Auch Aussteller und Besucher aus so gut wie allen Herren Ländern in der Domstadt zusammen zu bringen, scheint erst einmal wenig nachhaltig. Nachhaltig wird das Ganze dann aber genau dadurch, dass eben alle an einem Ort zusammenkommen.

In „verantwortungsvollen Gärten“ ist das Substrat dann vielleicht noch nicht vollkommen Torf-frei und es wird an heißen Sommertagen auch einmal der Wasserhahn aufgedreht, aber bitte nicht vergessen: auch die längste Wanderung beginnt mit einem ersten Schritt. Rechtsstaatlichkeit können wir von Deutschland aus nicht per Dekret in Russland einführen, wohl aber können wir dafür Sorge tragen, dass die Fundamente unserer eigenen Gesellschaft nicht erschüttert werden, sei es nun von rechts, von links oder durch pure Gleichgültigkeit. Ähnlich wie torf-reduziertes Substrat keinen großen Aufwand darstellt, sollte die Europawahl am 9. Juni 2024 mindestens genau so dick wie GreenTech und FlowerTrials in Woche 24 im Kalender markiert sein.

Tim Jacobsen

Wie alles mit allem zusammenhängt

Man könnte meinen, es liegt ein Fluch auf dem Zwiebelforum: nach der Erstausgabe 2014 ging es mehr oder weniger direkt vom Bonner GSI an die russische Riviera zu den Olympischen Winterspielen, die wiederum nur den Deckmantel für die Annektion der Krimhalbinsel darstellten. Womit nun leider auch der Krieg in der Ostukraine ziemlich genau sein Zehnjähriges hat.

2018 sorgte Orkantief Friederike passend zum Veranstaltungsbeginn in Peine für Verwüstung und Chaos in Deutschland. 2020 ging es ins Haus am Weinberg nach St. Martin – dort gab es einen der letzten spektakulären Sonnenaufgänge zu sehen, bevor es dann für uns alle „ab in den Lockdown“ hieß.

Aus dem Zweijahresrhythmus wurde kurzerhand ein Vierjahresrhythmus. 2024 war dann zwar die von Rukwied ausgerufene Wut-Woche gerade passend zu Veranstaltungsbeginn zu Ende gegangen, als wollte der Wettergott das Ganze aber nicht auf sich sitzen lassen, schüttelte Frau Holle, was vom Himmel ging und sorgte im wenig Winter-erprobten Rheinland für garantiert-nicht-Genehmigungs-pflichtige Entschleunigung.

Grund genug, ein bisschen wütend zu sein, hätten wir eigentlich alle: Stiftung Warentest rechnet vor, dass der CO2-Steueranteil an Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas zu Jahresbeginn um rund 50 % gestiegen ist. Von dem im Koalitionsvertrag angekündigten „sozialen Kompensationsmechanismus“ fehlt jedoch jede Spur, interessanter Weise genauso wie von einem Aufschrei in der Bevölkerung.

Die OECD attestiert der deutschen Durchschnittsfamilie die zweithöchste Abgabenlast aller OECD-Staaten. Nicht verwunderlich, sollten die Haushaltsdaten dann auch eigentlich gar nicht so schlecht sein, und liegen relativ zur Wirtschaftsleistung dann auch tatsächlich deutlich über denjenigen vom letzten Vorpandemiejahr. Wohin das ganze liebe Geld versickert, lässt sich je nach politischer Gesinnung unterschiedlich interpretieren und ausschlachten.

In all dem Gehupe und dem ganzen Trubel der zweiten Januarwoche ist nicht nur ein bundesweiter dreitägiger Bahnstreik komplett untergegangen, sondern auch, dass nicht nur Landwirte Leidtragende der Sparbeschlüsse waren, die von einem unzurecht zum Buhmann gemachten Bundesverfassungsgericht angeordnet wurden. Auch das Strompreispaket, das die Reduzierung der Stromsteuer für das gesamte produzierende Gewerbe auf das europarechtlich zulässige Mindestmaß bedeutet hätte, fiel dem Rotstift zum Opfer.

Die Verdoppelung der Netzengelte macht bei Haushaltskunden ein paar Dutzend Euro aus, bei industriellen Mittelständlern sind das schnell ein paar Hunderttausend Euro. Auch Gießereien und Verzinker, Kunststoff-, Metall- und Stahlverarbeiter stehen im Wettbewerb mit Unternehmen aus Ländern, in denen nicht nur der Strompreis deutlich niedriger ist. Höfesterben heißt im Rest der Wirtschaft Konkurs und Privatinsolvenz.

Hier eine leerstehende Werkhalle, dort die eine und andere Stellenstreichung werden Zeugnis davon ablegen, dass zumindest im Fall der Strompreise der Markt funktioniert hat: das auch durch den Atomausstieg verknappte Angebot führte und führt zu steigenden Preisen. Davon nicht ganz losgelöst sollte die Diskussion sein, ob der Netzausbau genauso wie der Ausbau der Erneuerbaren wirklich über den Strompreis finanziert werden muss.

Die DZ Bank prognostizierte Anfang Januar einen Rückgang der Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland von derzeit 256 000 auf 100 000 im Jahr 2040. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch 1,8 Mio. Bauernhöfe, im Jahr 1960 zählte das damalige Bundesgebiet rund 1,5 Mio. landwirtschaftliche Betriebe. Bis 1980 halbierte sich diese Zahl, in den folgenden 20 Jahren sank sie noch einmal um fast die Hälfte auf rund 450 000 im Jahr 2000 – und das trotz fünf neuer Bundesländer. Gab es zu Beginn von Angela Merkels Regierungszeit noch knapp 400 000 landwirtschaftliche Betriebe waren es 2021 nur noch gut 260 000.

Ob letztendlich die Kluft zwischen Stadt und Land im Laufe der „Woche der Wut“ etwas kleiner geworden ist, wird sich zeigen müssen. Zu oft schon hätten diejenigen, die diesen Winter wieder einmal am Straßenrand Beifall klatschten, die Gelegenheit gehabt, im Alltag auf die Jagd nach dem ultimativen Supermarktschnäppchen zu verzichten und durch ihr Konsumverhalten Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen.

Was auf jeden Fall im Gedächtnis bleiben wird, ist eine erneute Verrohung des Debattentons: neben „ohne Bauern gibt es keinen Jungbäuerinnenkalender“ gab es eben auch die Anschuldigung unseres Bauernpräsidenten, im Berliner Regierungsviertel habe noch nie jemand geschwitzt oder gearbeitet. Und schon baumelten die Ampeln an Galgen.

Tim Jacobsen

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