Vor etwas mehr als 150 Jahren, genau genommen am 1. November 1874 wurde Jakob Zelzer als einer der Ersten von mittlerweile mehr als drei Millionen Verstorbenen auf dem Wiener Zentralfriedhof bestattet. Der „neue“ Friedhof, nach mehreren Ausweitungen mit zweieinhalb Quadratkilometern immerhin der zweitgrößte Europas, war dabei schon immer etwas anders: nicht nur war er der erste seiner Art, der nicht von der Kirche betrieben wurde, er ist mit Sicherheit auch der erste Friedhof überhaupt, der Kultstatus erlangte und das lag nicht nur, aber auch an Wolfgang Ambros’ Lied „Es lebe der Zentralfriedhof“, das 1975 erschien.
Heutzutage ist der Zentralfriedhof ist eine Art begehbares Geschichtsbuch, eine Architekturausstellung, Schaubühne vergangener Größe und vergänglicher Würde, ein Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen und ein Ort der Ruhe, Erholung und Besinnung – die nur von den auf dem benachbarten Flughafen Schwechat startenden und landenden Flugzeugen gestört wird. Gegen Gebühr kann man mit dem Auto auf den Friedhof, ein Elektrobus dreht seine Runden, am gemächlichsten geht es mit dem Fiaker.
E-Bikes können ausgeliehen werden, Jogger auf ausgewiesenen Strecken entlang der Gräber an ihrer Ausdauer arbeiten und, wir sind ja in Wien, nach Konditorei und Würstelbuden muss auch nicht lange gesucht werden. Klar, gibt es ein Bestattungsmuseum innerhalb der Friedhofsmauern und natürlich haben die Friedhofsgärtner auch einen eigenen Souvenirladen, T-Shirts mit dem Aufdruck „irgendwann bleib i dann durt“ sind noch die eher weniger makabren Mitbringsel. Es wurden 170 Tier- und 200 Pflanzenarten gezählt, bis in die Achtziger Jahre gab es einen eigenen Jagdverein und gegen Gebühr kann auf Freiflächen gegärtnert werden.
Reiseführer verweisen auf das prominente Gräberfeld. Nicht nur an Allerheiligen stehen Busse vor den Eingängen. Der Touristenandrang ist so groß, dass Fremdenführer eine Akkreditierung brauchen. Der Promifaktor zieht: Die Gräber von Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Udo Jürgens, Falco oder dem Karikaturisten Manfred Deix fehlen auf keiner Besichtigungstour. 330 000 Gräber gibt es hier, dazu kommen noch einmal 220 000 Gräber im restlichen Wien. Mit deren Verwaltung sind bei der Friedhöfe Wien GmbH 380 Leute beschäftigt.
Sie wachen auch über die Einhaltung der 29-seitigen Bestattungsanlagenverordnung. Die definiert, wann ein Grab ein Grab ist, und legt fest, dass ein Sarg nicht länger als 2,12 m, eine Urne nicht höher als 35 cm sein darf. Österreichs größtes Krematorium, ein Begräbnisort für Haustiere, eine Gärtnerei und eine Steinmetzwerkstatt gehören ebenfalls zur Friedhöfe Wien GmbH. Zuletzt setzte der Betrieb samt Beerdigungszweig 17,4 Mio. € um. Vor gut zwanzig Jahren hielt auch im Wiener Zentralfriedhof die Marktwirtschaft Einzug:
Das jahrhundertealte Monopol der „Bestattung Wien“ wurde aufgehoben. Seit 2002 bieten auch private Unternehmen ihre Dienste um „a schöne Leich“ an. „A schöne Leich“ ist in Wien dabei gleichbedeutend mit einem würdevollen Begräbnis. Dafür sorgen die „Pompfüneberer“, also die Bestatter. Ihr Name leitet sich von einem Unternehmen aus dem 19. Jahrhundert ab, das als „Entreprise des pompes funèbres“ in die Geschichte einging. Über die Toten heißt es dann, dass „sie den 71er genommen haben“. Die Straßenbahnlinie 71 verkehrt zwischen Börsegasse und Wiener Zentralfriedhof.
Tim Jacobsen




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