"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: Zukunft (Seite 1 von 3)

Leider keine Bring-, sondern eine Holschuld

Hätten Sie gewusst, wann der erste Mähroboter auf den Markt kam? Im schwedischen Motala dreht der weltweit dienstälteste Solar Mower seit dreißig Jahren zuverlässig seine Runden. Ein Zeitungsartikel hatte seinerzeit Ingemar Carlssons Interesse geweckt, der zufällige Kontakt mit einem Husqvarna Händler bei einer Weihnachtsfeier ihm das Erstlings-Exemplar beschert. Ein wasserdichter Business Case, ein wahrer Meilenstein und doch nur ein Zwischenschritt hin zu dem, was Ihnen präsentiert wird, wenn Sie im Internet nach Humanoiden Robotern suchen. Es dauert nicht mehr lang und die Maschinenwesen können selbständig den guten alten Spindelmäher reaktivieren und die Mähroboter in den Ruhestand schicken.

Weiter in Sachen Künstlicher Intelligenz: Wofür steht eigentlich die Top-Level-Domain .ai? Artificial Intelligence liegt zwar auf der Hand, in Wahrheit ist diese Endung, mit der im Internet viele Webseiten gekennzeichnet werden, die irgendwas mit KI machen, das Länderkürzel des britischen Überseegebiets Anguilla, das ganz nebenbei mit den Lizenzeinnahmen seinen Staatshaushalt querfinanziert. Und wie lange es wohl gedauert hat, bis ChatGPT die für-alles-im-Internet so wichtige Schallmauer von einer Million Nutzer durchbrach?

Zwei kleine Hinweise: bei Netflix dauerte das dreieinhalb Jahre, bei Instagram dann nur noch zweieinhalb Monate und bei ChatGPT im November 2022 nicht einmal mehr fünf Tage. Das wirklich Erstaunliche daran ist, dass ausgewiesene Experten kurz zuvor noch auf eher fünfzig Jahre getippt hatten. Zweifelsohne ein kolossaler Durchbruch, der natürlich aber nicht ohne entsprechende Rechenleistung möglich wäre. Und da wird dann schnell ein Energie- und Ökologiefragstück daraus. Ähnlich wie Pflanzen gegossen werden müssen, verbraucht ein Durchschnittsgespräch mit einem der Large Language Models einen halben Liter Wasser. Und das Training so einer KI verbraucht so viel Energie wie ein durchschnittlicher US-Haushalt samt ortsüblicher monumentaler Kühlschränke in 41 Jahren.

Und während der britische Fernsehsender Channel 4 am 20. Oktober 2025 eine Doku mit dem Titel „Wird künstliche Intelligenz meinen Job übernehmen?“ sendete, an deren Ende die Moderatorin „Ich existiere nicht, die künstliche Intelligenz hat mein Bild und meine Stimme erschaffen“ enthüllte und damit für Puls bei so manchem Zuschauer sorgte, hatte in einer japanischen Kleinstadt bereits 2018 ein Chatbot für den Bürgermeisterposten kandidiert.

„Künstliche Intelligenz ist für uns alle Neuland.“ Das muss nicht so bleiben

Ab dem 9. November wird in den Hannoveraner Messehallen zu sehen sein, wie sich KI und Landtechnik gegenseitig befruchten. Menschen fehlen, Automatisierung, Robotik und KI müssen zwangsläufig übernehmen, wollen wir auch weiterhin säen und ernten. Dass das alles aber leider nicht ohne mögliche Komplikationen für uns einhergeht zeigt bspw. der Automation Bias. Und der schlägt zu, wenn Menschen der Maschine mehr als dem gesunden Menschenverstand glauben und dann auf dem Forstweg statt an Oma Hildegards Kaffeetafel landen. Oder der absolute MonsterGAU, Opfer einer Ransomwareattacke zu werden. Auf dem Zwiebelforum 2026 werden wir live und in Farbe einen Hackingangriff vorgeführt bekommen, im Preis inbegriffen sind Tipps und Tricks, wie sich so etwas verhindern lässt. Dass KIs zuweilen menschliche Eigenschaften angedichtet werden, zeigt, dass sich hinter „schwachen KIs“ Algorithmen verbergen, die nur eine begrenzte Anzahl von Aufgaben lösen können. Und es ist tatsächlich so, dass – fast wie im echten Leben – Zuckerbrot und Peitsche im Prompt ChatGPT dazu ermutigen, die Quellensuche etwas gründlicher zu betreiben.

Was steht als nächstes an? Generation Alpha, die nach 2010 Geborenen, wird übernehmen, physisches, digitales und virtuelles Leben zunehmend verschmelzen. Alles, was heute digital ist, wird KI-fähig werden. Und alles, was KI-fähig ist, wird mithilfe natürlicher Sprachkonversation kommunizieren können. Während Sie morgens auf Ihren Kaffee warten, setzen Sie Ihre Smart Glasses auf und fragen Ihren KI-Assistenten: „Was habe ich verpasst?“ Der KI-Agent wird liefern. Und dann haben wir es noch gar nicht über Quantencomputer gehabt, die statt Einsen und Nullen Protonen, Neutronen und Elektronen verarbeiten können und für die bspw. dann unsere heutigen Verschlüsselungsverfahren gewissermaßen mit dem Zahnstocher zu knacken sein werden. Noch nie war es so leicht, mit einmal kurz den Kopf in den Sand zu stecken, den Anschluss zu verlieren. Es bleibt spannend.

Willkommen im Erdbeeruniversum 2.0 – powered by Dyson

Sir James, der Mann, der einst mit beutellosen Zyklonen den eher an größtmöglichen Wattzahlen orientierten Staubsaugern den Krieg erklärte, hat sich zuletzt auch der Erdbeere verschrieben – und zwar, wie könnte es anders sein, nicht irgendwie ein kleines bisschen, sondern auf spektakulärste Weise. Denn wo andere noch von Vertical Farming träumen, dreht sich bei Dyson bereits das „Hybrid Vertical Growing System“.

Der neueste Clou in Dysons riesigem Gewächshauskomplex in Lincolnshire, der 26 Acres und damit ungefähr 10,5 Hektar groß, mehr als 1,2 Mio. Erdbeerpflanzen beherbergt und Großbritannien ganzjährig mit rund 1.250 t Früchten versorgt, ist ein rotierendes Riesengerüst für Erdbeerpflanzen, das eher an ein Jahrmarkts-Riesenrad erinnert als an von Hedgerows eingezäunter Countryside im ländlichen England.

Zwei gigantische Aluminiumstrukturen, jeweils größer als zwei hintereinander geparkte von Urlaubspostkarten aus der Hauptstadt des Vereinigten Königreichs wohlbekannte Doppeldeckerbusse, die langsam und elegant 6 000 Pflanzen pro Einheit durch den Raum rotieren. Der Effekt? 250 % Ertrag, wie das Unternehmen im einschlägigen Fachorgan Youtube stolz verkündet (https://www.youtube.com/watch?v=FA6BCIWPJ30). Einmal mehr ein formidabler Image-Coup für Dyson.

Dabei geht es nicht nur um Ertragsmaximierung, auch die Qualität profitiert: Die rotierenden Beerenriesenräder sorgen dafür, dass jede Pflanze – oben wie unten – stets optimales Licht abbekommt. Natürliches Licht wird durch gezielte LED-Beleuchtung ergänzt, vor allem in den lichtarmen Wintermonaten. Ein ausgeklügeltes Drainage- und Bewässerungssystem sorgt dafür, dass die Pflanzen weder verdursten noch ertrinken.

Es ist die Art von Ingenieursleistung, bei der man fast erwartet, dass irgendwo ums Eck bereits ein Dyson-Raumschiff mit Gewächshausmodul geparkt ist und auf Startfreigabe wartet. Zwölf Monate Planung, Konstruktion und unzählige Schrauben später sind Technologie und Technik hinter dem System genauso faszinierend wie futuristisch:

Es sind nicht nur die Erdbeeren in langen Reihen in den drehbaren Strukturen, es sind die Roboter, die Sensoren, das UV-Licht und all die anderen kleineren und größeren Stellschrauben, die bei Dyson ausgereizt scheinen und dem Anschein nach zumindest den Stand der Dinge markieren. Bei Dyson ist sogar der biologische Pflanzenschutz automatisiert.

Die Energie für dieses botanische Meisterwerk stammt von einem benachbarten Biogasreaktor – einem der größten des Landes. Dieser verarbeitet Ernterückstände aus den umliegenden Feldern, erzeugt Strom und Wärme für bis zu 10 000 Haushalte – und liefert gleichzeitig CO₂ für das Glashaus. Sogar die Gärrückstände werden wieder als Dünger auf die Felder gebracht.

In Summe entsteht ein in sich geschlossener Kreislauf, bei dem Nachhaltigkeit gewissermaßen nicht nur grün aussieht, sondern auch nach Erdbeere schmeckt. Was Dyson hier abzieht, könnte mehr als der Gag eines gelangweilten Tech-Milliardärs mit zu viel Land und zu vielen Ideen sein. Es ist ein technologischer Feldzug gegen Ineffizienz in der Lebensmittelproduktion – mit Präzision, wie man, wie bereits erwähnt, sie sonst hauptsächlich aus der Raumfahrt kennt.

Und auch, wenn der ein oder andere Spötter Dyson vorwirft, eine große Show um etwas so Einfaches wie eine Erdbeere zu machen – der Erfolg gibt ihm Recht. Ein Vierteltonne Erdbeeren pro 100 Quadratmeter Fläche? Das ist mehr als beeindruckend. Und die Technik ist skalierbar – für Tomaten, Paprika oder gar Cannabis (sollte Dyson sich eines Tages für Medizinalprodukte interessieren).

Der Ideengeber und Eigentümer scheint dabei rastlos wie eh und je. Der mittlerweile weit über 75 Jahre alte Brite hatte schon in jungen Jahren ein Faible fürs Ungewöhnliche: Die Idee des beutellosen Staubsaugers kam ihm, nachdem er sich über verstopfte Staubsäcke geärgert hatte. Der Rest ist Geschichte: Staubsauger, Händetrockner, Ventilatoren – alles mit einem gewissen James-Bond-Flair, minus die Explosionen. Dass er nun Landwirtschaft neu erfindet, überrascht eigentlich nur die, die seine Karriere nicht verfolgt haben.

Denn Dyson ist kein Unternehmer, der Trends jagt – er schafft sie. Und sein Erdbeeranbausystem ist nicht einfach nur „High-Tech-Landwirtschaft“, sondern eine Vision, wie moderne Nahrungsmittelproduktion aussehen könnte: automatisiert, ressourcenschonend, lokal. In einer Zeit, in der britische Supermärkte im Winter zwischen spanischen und marokkanischen Erdbeeren wählen müssen, bringt Dyson die Heimatbeere zurück ins Regal – frisch, süß, CO₂-arm.

Natürlich gibt es auch Kritik: Der Aufwand ist enorm, die Maschinen sind teuer, die Systeme komplex. Kritiker fragen: „Lohnt sich das wirklich?“ Auf Plattformen wie Reddit wird heiß diskutiert – zwischen Faszination und Skepsis. Manche feiern Dyson als Pionier, andere spotten über „Tech-Overkill“. Doch Dyson Farming lässt sich nicht beirren. Das nächste Ausbauprojekt – zusätzliche 4,7 ha Gewächshausfläche – ist bereits geplant. Die Ausweitung auf weitere Fruchtarten ist nur eine Frage der Zeit.

Und während in mancher Schrebergartenkolonie noch über die perfekte Erde für Freilanderdbeeren debattiert wird, drehen sich in Lincolnshire schon die nächsten Beerenräder gen Sonnenlicht. Die Frage ist nicht mehr, ob Vertical Farming eine Zukunft hat – sondern nur noch, wie laut es dabei summt, klickt und rotiert.

Vielleicht bringt Dyson demnächst auch einen Heim-Erdbeerautomaten auf den Markt: Selbstreinigend, klimatisiert, mit App-Anbindung. „Hey Dyson, ernte meine Erdbeeren.“ Bis dahin bleibt festzuhalten: Wenn ein Staubsaugerhersteller es schafft, Erdbeeren effizienter zu produzieren als viele, die sich tagein, tagaus darüber den Kopf zerbrechen – dann haben wir vielleicht zu lange in nur eine Richtung gedacht.

Tim Jacobsen

Und täglich grüßt das Murmeltier

Wahrscheinlich wird es so gewesen sein, dass die Haushaltshilfen meiner Großeltern am Wochenende mit ihren eigenen Familien zu Mittag aßen und am Sonntag schon allein aus mangelnder Kochpraxis in eine Wirtschaft gegangen werden musste. Da dort dann aber auch tatsächlich stets ein Großteil aller Nichten, Neffen, Tanten und Onkels zusammenkamen, glichen diese Mittagessen immer auch ein bisschen einem Gärtnerstammtisch. In meiner Erinnerung dominierten Diskussionen über das Wetter die Gespräche.

Der Strelitzienanbau sowie die Schnittrosen unter Glas hatten die Ölpreiskrisen überlebt, personelle Engpässe entstanden dadurch, dass die türkischstämmigen Mitarbeiter nach Jahrzehnten fernab der Heimat ihren Ruhestand lieber wieder zuhause verbringen wollten. Lehrlinge kamen und gingen, fleißige Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien blieben. Die Preise für Gehölze wurden im Katalog nachgeschlagen und den Lohn gab es freitags in Papiertüten.

Die großen Alleebäume in den Revieren hatten ihre Daseinsberechtigung, da ja doch ab und zu ein verunglückter Baum an der Bundesstraße durch einem typengleichen ersetzt werden wollte. Profit stand nicht unbedingt an erster Stelle: Einer meiner Onkel zog mit seiner Fuchsiensammlung den Neid botanischer Gärten auf sich, ein anderer tauchte im Nebenberuf ab in die Miniaturwelt der Bonsais, ein dritter ging regelmäßig in Südamerika auf Jagd nach unbekannten Masdevalliae.

Ungemütlich wurde es mit der Einführung des Faxgerätes. Statt Verkaufsgesprächen am Telefon mit der Wählscheibe gab es fortan schnöde Preisabfragen. Computertabellen ersetzten Notizbücher und immer seltener wurde mittags die Hofeinfahrt mit dem großen Tor verschlossen – Gartencenter und Baumärkte machten ja schließlich auch keine Mittagsstunde.

Seit einigen Jahren wachsen statt Raritäten, Exoten und dem Standardbaumschulsortiment wieder wie vor gut siebzig Jahren Kartoffeln und eher robustere Gemüsearten auf meinem früheren Kinderspielplatz. Die nahgelegene Großstadt bietet genügend Menschen ein Zuhause, die gerne einen Aufpreis dafür zu zahlen bereit sind, ihren Kindern wiederum zeigen zu können, dass Lebensmittel eben nicht im Supermarkt wachsen.

Warum erzähle ich Ihnen das alles? Wenn Sie diese Zeilen lesen, dann ist es fast auf den Tag genau zwanzig Jahre her, dass ich mich zum ersten Mal an dieser prominenten Stelle zu Wort melden durfte. Damals hatte die Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Gartenbaus mit der Auseinandersetzung über die Sozialabgabensätze polnischer Saisonarbeitskräfte und der Energiekostendiskusssion gerade einen Höhepunkt erreicht.

Seinerzeit war Michael Porters Diamantenmodell zur Beurteilung der Konkurrenzfähigkeit von Staaten in Bezug auf einzelne Branchen gerade der letzte Schrei und zumindest unter Ökonomen setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass niedrige Gestehungskosten nur ein Produktionsfaktor von vielen sind.

Vieles von dem, was unser Land lebenswert macht, trägt auf seine Weise dazu bei, dass wir es uns leisten können, auch einmal über das Ziel hinaus zu schießen, da wir ja in gewisser Weise auf anderen Gebieten schon in Vorleistung gegangen sind. Menschheitsgeschichtlich sind wir gepolt auf Problemlösung: kam der Säbelzahntiger, mussten wir uns in Windeseile entscheiden zwischen Kämpfen oder Laufen.

Heutzutage heißt der Säbelzahntiger Cutoff-Kriterium, Mindestlohn oder Schilf-Glasflügelzikade. Wörter bei denen einem unweigerlich der Kamm schwillt. Vergessen dürfen wir dabei aber nicht, dass, hätten die Apologeten auch nur bei einem der Katastrophenszenarien der letzten Jahrzehnte Recht behalten, es schon lange keine Landwirte und Gärtner mehr bei uns geben würde.

Die Gärtnereien und Betriebe in und mit denen ich aufgewachsen bin, gibt es auch heute alle noch – wenn auch mitunter in einem anderen Erscheinungsbild und mit einem anderen Geschäftsmodell. Auch wenn dies der Drohkulisse Mindestlohnerhöhung keinen Abbruch tut, war oft die Betriebsnachfolge der größte Stolperstein.

Tim Jacobsen

True crime, das unter die Haut geht

Es ist noch gar nicht so lange her, dass in Kleinanzeigen der landwirtschaftlichen Wochenblätter philippinische Frauen offensiv als Ausweg aus der Einsamkeit so manchem bäuerlichen Wohnzimmers beworben wurden. Chris de Stoop meldete sich bei einem dieser Vermittler, sein Debütroman „Ze zijn zo lief, meneer“ handelt von einer internationalen Frauenhändlerbande und hatte nicht nur in Belgien so manche Gesetzesverschärfung und das Ende dieses Businessmodells zur Folge. Es folgten Bücher über das Drogenmilieu, Sexarbeiterinnen, Jihadisten, den Völkermord in Ruanda, Bootsflüchtlinge und die Coronapandemie.

Immer wieder richtet sich sein Blick aber auch auf die Dinge direkt vor seiner Haustür und immer wieder handeln diese Geschichten dann vom Kampf der Kleinen gegen die Großen, von Tradition und Moderne, von Ohnmacht und Ausgeliefertsein. In „De Bres“ erlebt de Stoop aus erster Reihe, wie in seiner Heimat ganze Dörfer der Ausweitung des Antwerpener Hafens weichen müssen und Felder zum letzten Mal bestellt werden.

In dem auch auf Deutsch erschienen „Dit is mijn hof” kehrt de Stoop nach einer Reihe von Schicksalsschlägen auf den leerstehenden elterlichen Hof zurück und wird Zeuge davon, wie abermals bester landwirtschaftlicher Grund und Boden geopfert wird, dieses Mal um Platz für „neue Natur“ zu machen. „Het boek Daniel“ handelt von Jugendlichen, die nichts mit sich selbst anzufangen wissen, und der Ermordung von de Stoops Onkel Daniel, der auf seinem Vierkanthof eigentlich keiner Fliege etwas zu leiden getan hat.

Mit Mord und Totschlag, Brandstiftung und finsteren Machenschaften geht es auch in de Stoops neuestem Roman weiter. Der titelgebende „De Damiaanhoeve“ ist Schauplatz eines Verbrechens, das auch sieben Jahre später nicht aufgeklärt ist. Zwar reimt sich „jeder gewinnt mit Kies“ nicht so schön wie im flämischen Original, schnell wird einem aber schnell klar, dass wahrscheinlich nur diejenige mit der Abbaugenehmigung wirklich vom Kiesabbau profitiert.

Wenn sich dann manche querstellen und einige am Ende vielleicht sogar recht bekommen und als Einzige ihren Hof weiter bewohnen dürfen, trägt das zur dörflichen Harmonie nicht unbedingt bei. Auch wenn die Sympathien klar verteilt sind, macht de Stoop aus höchstwahrscheinlich unschuldig Verdächtigten keine Unschuldslämmer, was letztendlich die Schilderung dessen, was Verdacht und Gerüchte mit einem machen, umso eindrücklicher gestaltet. 240 Seiten kosten 23,99 €.

Tim Jacobsen

Gute Stimmung auf dem Möhrenforum 2025

Streng genommen hätte rein rechnerisch 2025 das achte Möhrenforum stattfinden müssen. Eine Pandemie sowie eine Möhrenforumssommeredition später war es dann aber tatsächlich erst Nummer sieben, die uns ins zwar nicht verschneite, aber dennoch leicht angepuderzuckerte Leverkusen brachte, genauer gesagt mitten rein ins Herz des deutschen Triplechampions.

Denn die Baumeister der Bayarena hatten inmitten der Nordtribüne, Heim der Ultras und sonstigen Diehard-Fans des Fußballbundesligateams mit dem Weltkonzern im Namen extra eine kleine Logenreihe ausgespart, die an Tagen ohne Spielbetrieb vom rheinländischen Ableger der im Stadionrund befindlichen, kurz vor Weihnachten allerdings in Konkurs gegangenen Hotelkette für Tagungsveranstaltungen genutzt wird.

Und so passten die gut 80 Teilnehmer samt dem Auftritt unserer Platinsponsoren Bayer, Basf, Bejo, Escarda, Hazera und Rijk Zwaan dann auch gerade so in den Tagungssaal mit Blick auf das Allerheiligste, den Leverkusener Rasen, der im Rahmen der den ersten Veranstaltungstag beschließenden Stadionführung, die nichts weniger als den Headgreenkeeper aufbot, nicht nur in Augenschein genommen, sondern auch betreten werden konnte. Ein Umstand, der unseren Stadionführer zum Kommentar verleitete, dass er dies in mehr als zehn Jahren wenn überhaupt nur einmal erlebt hätte.

Aber auch wenn die Geschichte des Möhrenforums mittlerweile fast eineinhalb Jahrzehnte umfasst, waren nicht nur die Sponsoren aus der Saatgutindustrie seit 2011 als zuverlässige und unverzichtbare Partner alle Jahre wieder mit an Bord, auch ein knappes Viertel der Teilnehmer hätte für einen lückenloses Teilnahmenachweis eigentlich eine Ehrennadel verdient gehabt. Wir werden diese zur zehnten Auflage des Möhrenforum in voraussichtlich sechs Jahren dann nachreichen.

Und was mit der Bayarena unweit des Bayer-Kreuzes, immerhin der größten Leuchtreklame weltweit begann, fand dann mit dem zweiten Veranstaltungstag sein Ende am Sitz der Crop Science Division der Bayer AG in Monheim am Rhein. Maren Schlichting-Nagel und Judith Imnadze-Wehr stellten, orchestriert von Heinz Breuer und Tim Pauli, im Rahmen einer Führung über das weitläufige Werksgelände die Bereiche Substanzlogistik, Insektizide, Applikationstechnik sowie das SeedGrowth Center vor.

Am Nachmittag zuvor gab es noch das eine und andere zu erleben, und damit ist nicht unbedingt nur das Workoutangebot von Jerrek Tebling gemeint, das den eher technisch gehaltenen zweiten Vortragsblock vom eher Pflanzenschutz-orientierten ersten Teil mit den beiden Möhrenkoryphäen Frank Uwihs und Gerd Sauerwein trennte. Bei Christoffel den Herder waren dann schon mehr Traktoren und Holzkisten zu sehen, bei Daniel Pitton flogen die Möhren im wahrsten Sinne des Wortes durch die Sortierung und Judith Dittrich machte vor der Kaffeepause noch Appetit auf den Möhrendreiteiler des Arbeitskreises Möhren.

Muhammed Sidi ließ, während der Stadionrasen trotz früh einsetzender Dämmerung noch hell erleuchtet war, keine Zweifel daran aufkommen, dass Escardas Laser-basierte Unkrautbekämpfungslösung schlichtweg unübertroffen ist. Jeroen Veldman schickte seine Odd.Bot-Flotte auf den Weg und Lena Pollul sowie Tim Boenigk wagten zwar keinen Blick in die Kristallkugel, attestierten der laufenden Möhrensaison für sowohl Bio- als auch konventionelle Ware allerdings ein durchschnittliches Preisniveau mit einem sehr stabilen Preisniveau über den Herbst und leichten Preisaufschlägen – die hoffentlich einen Trend eingeleitet haben, der sich weiter fortsetzt!

Tim Jacobsen

Wie alles mit allem zusammenhängt: Revolutioniert Dyson auch den Erdbeeranbau oder will er nur Steuern sparen?

Im November 2024 kündigte die neu gewählte Labour Regierung an, die Befreiung von der Erbschaftssteuer für landwirtschaftliche Betriebe ab einer Million Pfund aufheben zu wollen, , was zu Massenprotesten im gesamten Königreich führte. 32 Jahre zuvor war die Übertragung von landwirtschaftlichen Betrieben zwischen den Generationen unter dem konservativen John Major- zum Schutz der Ernährungssicherheit von der Steuer befreit worden. Die neue Regelung soll im April 2026 in Kraft treten und sieht eine Erbschaftssteuer von 20 % auf Beträge über diesem Schwellenwert vor.

Die Landwirte führen ins Feld, dass sie zwar reich an Vermögen, aber arm an Bargeld seien, was zu einer Situation führe, in der Erben Ackerland verkaufen müssten, um ihren Steuerpflichten nachkommen zu können. Befürworter der Änderung argumentieren damit, dass wohlhabende Privatpersonen Ackerlandkaufen, um der Erbschaftssteuer zu entgehen. Regierungsangaben zufolge würde die Maßnahme etwa 27 % der landwirtschaftlichen Betriebe im Vereinigten Königreich (ungefähr 56700 landwirtschaftliche Betriebe) betreffen.

Wütend machten die Steuerpläne der Labour-Regierung auch Staubsauger-Milliardär James Dyson, der sich als einer der schärfsten Kritiker der neuen Erbschaftsteuer auf Landwirtschafts- und andere Familienbetriebe hervorgetan hat. Als „bösartig“ bezeichnete Dyson die Budgetpläne von Finanzministerin Rachel Reeves in einem Gastkommentar in der „Times“. „Kein Unternehmen kann Reeves’ zwanzigprozentigen Steuer-Zugriff über­leben“, schimpfte er. Nicht weniger als den „Tod des Unternehmertums“ siehe er kommen.

Dass der 77 Jahre alte Unternehmer und Erfinder sich so sehr für die Steuerbelastung der Bauern interessiert, könnte auch daran liegen, dass er selbst eines der größten Landwirtschaftsunternehmen des Vereinigten Königreichs zusammengekauft hat. Besonders in Lincolnshire im Nordosten Englands, wo es sehr gute Böden gibt, sowie in Somerset im Südwesten hat er im vergangenen Jahrzehnt große Flächen erworben.

Insgesamt fast 15000 ha Land gehören der Dyson Farming Ltd. Damit ist der Mann, der mit der Erfindung von Hightech-Staubsaugern, Hände- und Haartrocknern zum fünfreichsten Briten aufstieg, inzwischen auch unter den fünf größten Produzenten für Getreide, Bohnen und Kartoffeln des Landes angekommen. Neben den klassischen Ackerbaukulturen baut Dyson auch Erdbeeren im großen Stil an. Auf seiner Farm in Lincolnshire wachsen mehr als eine Million Erdbeerpflanzen in Gewächshäusern, die mit LED-Lichtern beleuchtet werden.

Die Gewächshäuser mit insgesamt mehr als 100000 m2 Fläche sind hoch technisiert. So erspähen Roboter des Start-ups Dogtooth aus Cambridgeshire mit optischen Sensoren die reifen, roten Früchte. Ein Greifarm pflückt und legt sie in Kisten. Alles ist so weit automatisiert wie nur möglich. Dank des Einsatzes von UV-Licht kommen so gut wie keine Fungizide zum Einsatz. Rund 1250 t Erdbeeren sind der Lohn der Mühen. Der Bioabfall wird in großen Faultürmen vergoren, und das daraus entstehende Gas und die Wärme wird für die Beheizung der Treibhäuser genutzt.

Mehr als 140 Mio. Pfund hat Dyson nach eigenen Angaben in den vergangenen Jahren in die Modernisierung seiner gleichnamigen Faming Limited investiert. Und er plant Großes, auch wenn der ausgewiesene Gewinn von fünf Millionen Pfund angesichts der großen Investitionen eher mäßig scheint Kritiker werfen ihm (und anderen Promi-Landwirten wie Jeremy Calrkson) vor, sie wollten mit ihren Farmen lediglich Steuern sparen. Dyson weist dies zurück.

Bei dem angenommenen Wert seiner Farmaktivitäten in Höhe von gut 600 Millionen Pfund und möglichen rund 120 Millionen Pfund Erbschaftsteuer fällig, haben seinen Beteuerungen, die Investitionen in die Landwirtschaft dienten garantiert nicht dem Zweck, Erbschaftsteuer zu vermeiden, zumindest einen Beigeschmack. Zumal der dreifache Vater und sechsfache Großvater vor fünf Jahren auch bereits seine nach Singapur verlegt hatte – auch dies selbstredend nicht aus steuerlichen Gründen.

Die Motivation für sein Engagement in der Landwirtschaft sei eine andere, beteuert Dyson. Er wolle helfen, moderne Technologien und nachhaltige Anbaumethoden zu etablieren sowie dazu beitragen die Lebensmittelqualität und Versorgungssicherheit insgesamt zu verbessern. Der Absolvent des Londoner Royal College of Art hatte sich ab den Siebzigern in technische Erfindungen und Konstruktionen vergraben und ließ sich dabei von Fehl- und Rückschlägen nicht entmutigen.

Seine ersten Ideen wie das Transportboot Sea Truck floppten, ebenso die eigenwillige Konstruktion einer Schubkarre, die nicht auf einem Rad, sondern auf einer Kugel rollen sollte. Auch der Wasser-Quad wurde kein Erfolg. Erst mit dem effizienten Hightech-Staubsauger, der ohne Beutel (und später ohne Stromkabel) auskommt, gelang Dyson der Durchbruch. Angeblich hat er in fünf Jahren 5127 Prototypen gebaut, bis ihn das Ergebnis endlich befriedigte. In dieser Zeit war die Familie knapp bei Kasse, sie lebten vom Gehalt von Dysons Frau, einer Kunstlehrerin.

Auch die Markteinführung war schwierig. Da die britische Industrie abwinkte, ging Dyson nach Japan. Schließlich wurde der Staubsauger ein globaler Markterfolg. „Der Dyson“ ist inzwischen ein Haushaltsname, mehr als zehn Millionen Briten nutzen ihn. In den meisten Ländern hat die Firma einen Marktanteil von mehr als zwanzig Prozent, in Deutschland sind Dyson-Staubsauger beliebter als die heimischen Marken Miele und Bosch. Immer neue Modelle designen Dysons Ingenieure im Forschungs- und Entwicklungszentrum in Malmesbury, Südengland.

Verglichen mit den Hightech-Produkten in Dysons Sortiment, die in den jeweiligen Produktkategorien oft Marktbeherrschend wurden, scheint der Konkurrenzkampf im Erdbeergeschäft vergleichsweise hart. Dysons Erdbeeren, die er über die Supermarktketten Sainsbury’s und Marks & Spencer verkauft werden, liegen preislich am obersten Ende. Künftig soll mit mehr Union-Jack die britische Herkunft noch stärker hervorgehoben werden. Einblick in das Hightechgewächshaus gewährt https://tinyurl.com/4prt9ty3.

Tim Jacobsen

Bange machen gilt nicht

Die allzu Zuversichtlichen von uns wurden im Laufe der Evolution wahrscheinlich irgendwann im wahrsten Sinne des Wortes aufgefressen – auf Alarmzeichen wie knurrende Raubtiermägen lieber etwas übertrieben zu reagieren, hat uns Menschheits-geschichtlich höchstwahrscheinlich mehr als nur einmal das Überleben gesichert – auch wenn sich „Negativity Bias“ erst einmal so gar nicht nach Lebensretter anhört.

Heutzutage sind es zumindest in unseren Breiten nicht mehr wilde Tiere, die uns nach dem Leben trachten, sondern Nachbarn oder der eigene Partner, die uns das Leben schwer machen – wobei wir im Moment des Aufruhrs geflissentlich übersehen, dass der Nachbar mehr ist als nur sein Laubbläser, der Kollege mit den kryptischen Mails vielleicht gerade andere Sorgen hat und sich auch die beste Ehefrau von allen nicht auf eine nicht immer effizient-möglichste Nutzung von Parkraum reduzieren lässt.

Das Negative setzt sich stärker fest im Kopf als das Positive: Wer hat nicht schon einmal das Gefühl gehabt, immer an der falschen Kasse anzustehen? Statistisch gesehen ist das so gut wie unmöglich und über das rein Rationale hinaus: die Einkaufstouren, bei denen es flotter nicht hätte laufen können, sind schlichtweg in Vergessenheit geraten.

Es ist nichts ganz Neues, dass wir mehr Angst davor haben, zehn Euro zu verlieren, als Freude darüber empfinden, zehn Euro zu finden. Unser Gehirn ignoriert statistische Wahrscheinlichkeiten weitgehend und Kritik beeinflusst uns weitaus stärker als Lob. Wir fühlen uns in Gruppen wohl und äußern uns abwertend über Andere, wenn das im Umkehrschluss unser Gruppengefühl stärkt.

Wir denken gerne in Schubladen, kognitiven Dissonanzen gehen wir lieber aus dem Weg und so sind viele Probleme in Wahrheit Scheinprobleme. Auch wenn wir alle fest daran glauben, dass wir einzigartig sind, unterliegen wir doch denselben psychologischen Mechanismen.

Ein grauer Novembermorgen, eine Regierung auf der einen Seite des Atlantiks zu viel und auf der anderen zu wenig, das Ganze eingebettet in eine Nachrichtenlage, die alles mit etwas Qualvollem überzieht, spült die Frage, wohin all dies denn noch führen soll, im Gedankenstrudel zwangsläufig ganz nach oben.

Dabei ist die Lage gar nicht so schlecht. Viele Sorgen sind vom eigenen Unvermögen, sich im stressigen Alltag mit kompliziertem Zeug auseinanderzusetzen, gewissermaßen an den Haaren herbeigezogen. Nicht ganz unschuldig daran ist, was gemeinhin Empörungsökonomie genannt wird: Empörung schürt Aufmerksamkeit und damit lässt sich Geld verdienen. Aber ist es wirklich so schlimm, wenn andere Menschen etwas anderes fordern als man selbst?

Vielleicht geht es am Ende auch ein bisschen darum, auszuhalten, dass man nicht alles versteht, ohne öffentlich zu beklagen, dass man gar nichts mehr versteht und überhaupt auch gar nichts mehr sagen darf?

In „Heute ist besser“ kombiniert Stefan Sagmeister Design, Kunst, Geschichte und Statistik zu einer neuen Sprache von Zahlen, anhand derer er verschiedene Entwicklungen der Menschheit visualisiert. In Form von zeitgenössischen Eingriffen in historische Gemälde zeigt er, dass früher mitnichten alles besser war.

Auch wenn, wer gerade von einem Erdrutsch verschüttet wurde, wenig Trost in der Tatsache finden wird, dass heute weniger Menschen in Naturkatastrophen umkommen als vor 100 Jahren, lässt sich als grobe Linie festhalten, dass es heute besser ist als vor 100 Jahren, und dass es vor 100 Jahren besser war als vor 200 Jahren. Und so wird es wahrscheinlich auch in 100 Jahren besser sein als heute.

Genauso, wie es besser ist, am Leben zu sein, als tot auf dem Friedhof zu liegen, angenehmer ist, gesund zu sein als krank. Wir haben lieber etwas zu essen, als dass wir hungern. Wir leben lieber in einer Demokratie als in einer Diktatur, lieber im Frieden als im Krieg. Wir sind lieber gebildet als ignorant.

Aber was, wenn sich dann einer die Losung „Make America great again“ auf die Kappe schreibt? Eigentlich kann das nur funktionieren, wenn heute alles schlecht ist und es früher viel besser war. Aber wann war es je „great“? Vor zehn Jahren? Aus konservativer Sicht scheidet Obamas Präsidentschaft schon einmal aus. Davor gab es 9/11, Irak und Afghanistan und noch ein Stück weiter zurück trat Ronald Reagan mit dem genau gleichen Slogan an.

Und wo wir ja schon bei systematischen Fehleinschätzungen waren, nichts anderes versteckt sich ja hinter dem Begriff Bias: „Biased Memory“ bezeichnet das Phänomen, dass das Schlechte an schlechten Nachrichten schneller vergessen wird wie das Gute an guten Nachrichten.

Deshalb zum Schluss noch ein bisschen aktuelle Datenlage aus dem „Glücksatlas“: Die Lebenszufriedenheit ist im Jahr 2024 besonders stark bei denjenigen gestiegen, die in der Pandemie besonders stark gelitten haben: bei Alleinlebenden, Jugendlichen und berufstätigen Müttern. Die Angst vor steigenden Lebenshaltungskosten ist gesunken, genauso wie die Angst vor unbezahlbarem Wohnraum, vor Steuererhöhungen, vor einer schlechteren Wirtschaftslage, vor überforderten Politikern, vor der Spaltung der Gesellschaft.

Es geht uns immer besser. Wir leben gesünder, trinken durchschnittlich weniger Alkohol, die Zahl derer, die mindestens einmal pro Woche spazieren gehen, joggen oder das Fitnessstudio besuchen, ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich angestiegen. Wir haben alle Möglichkeiten, uns auszutauschen, über Zeitzonen und Ländergrenzen hinweg, binnen Sekunden. Das alles zeigt: das Leben wird besser, wenn wir es wollen.

Tim Jacobsen

Beruf Gärtner. Der Zukunft gewachsen

Die Älteren unter uns können sich noch erinnern: am ersten Tag des Jahres 2000 drohte der Weltuntergang, weil überfleißige Programmierer übersehen hatten, dass mitunter ja auch einmal ein Jahrtausendwechsel anstehen könnte. Danach entwickelte sich das Jahr 2030 zum neuen Sehnsuchtsziel und so verabschiedeten die Vereinten Nationen noch im Jahr 2015 eine Agenda 2030, wohlwissend oder besser hoffend, dass in 15 Jahren eine Menge passieren kann.

Zur Halbzeit Richtung 2030 war das Fazit dann allerdings mehr als ernüchternd: angesichts von Kriegen, Pandemien, der Erderwärmung und einem augenscheinlich viel zu oft fehlenden politischem Willen werden wir wohl keines der darin formulierten 17 Ziele auch nur annähernd erreichen.

Dringend Zeit für eine neue Messlatte und da wir uns ja gerade mit Riesenschritten in Richtung stille Zeit und dem dazu gehörenden „wünsch Dir was“ begeben, wollen wir uns einmal in das fern klingende, in Wahrheit aber auch nur 300 Ausgaben des Gartenbau-Profis entfernte Jahr 2050 begeben. Steilvorlage könnte das „Maßnahmenpaket Zukunft“ sein, dass „der Gartenbau“ gewissermaßen als erledigte Hausaufgabe im Frühjahr 2024 „der Politik“ überreichte.

Allerdings krankt das Maßnahmenpaket, wie schon der Zukunftskongress zwei Jahre zuvor, daran, dass die Zukunft selbst darin etwas zu kurz kommt. Zugegebenermaßen ist das mit der Zukunft und wie sie aussehen wird, ja auch so eine Sache. So wie wir heute Gewächshäuser aus den1980er Jahren zuweilen belächeln, werden wir im Jahr 2050 wahrscheinlich auf Produktionsstätten schauen, die heute den Stand der Technik markieren. „Aus einer anderen Zeit“, „am falschen Fleck“ und überhaupt „von Innovation kaum was zu sehen“, könnte unser Urteil dann lauten.

Wobei es auch 2050 noch diejenigen geben wird, die das ganze moderne Zeug verteufeln und einfach nur in Ruhe ihr Ding machen wollen, genauso wie es auch diejenigen geben wird, denen alles gar nicht schnell genug gehen kann und die gedanklich schon wieder ein Vierteljahrhundert weiter sind.

Und natürlich ahnten auch die Dinosaurier nicht, dass ausgerechnet ein Asteroideneinschlag ihrer Vorherrschaft ein Ende bereiten könnte – genauso wenig war Ende Oktober der Wahlausgang in den USA absehbar oder hätte vorweihnachtlicher Frieden die Brandherde des Nahen Ostens, des Ostchinesischen Meers, in Myanmar, Ost- und Westafrika oder der Ukraine gelöscht.

Dennoch könnte es durchaus so sein, dass sich der Produktionsgartenbau bis 2050 in eine wahrhaft nachhaltige Richtung entwickelt. Dies sowohl was die finanziellen Aussichten als auch was die heute bereits vielfach diskutierten Nachhaltigkeitsaspekte wie Klimaresilienz und dem Anforderungskatalog des in Zukunft noch deutlich wichtiger werdenden Prädikats „gut für Mensch und Umwelt“ angeht.

Anzeichen hierfür sind im hier und jetzt bereits erkennbar: Nahrungsmittelskandale werden auch in Zukunft nicht ausbleiben und das Insektensterben wird über kurz oder lang zu einer deutlichen Abnahme von Wildvögelpopulationen führen – zwei der Entwicklungen, die zu einem endgültigen Gesinnungswandel weg von „Geiz ist geil“ beitragen könnten. Eher aktivistisch veranlagte Grundbesitzer könnten (wie bspw. bereits in Dänemark zu beobachten ist) zunehmend strikte Bedingungen an die Art der Bodennutzung stellen.

Produzenten und Konsumenten nähern sich nach Jahren der Entfremdung wieder an, ihr Schulterschluss sorgt dafür, dass die Gesetze des Marktes ein Stück weit ausgehebelt werden. Auch wenn Energie in Zukunft tatsächlich ohne Preiskärtchen verfügbar sein könnte, wird die Konkurrenz in den klassischen Handelskanälen nicht unbedingt kleiner, da die heutzutage noch aus produktionstechnischer etwas rückständigen Standorte aufholen werden.

Angesichts strengerer Regelauslegung zugunsten von Umwelt und Klima werden Flächenausweitungen eher ein Geschäftsmodell der Vergangenheit sein und Formen der solidarischen Landwirtschaft eher der Regelfall werden. Gleichzeitig könnte es aus einer ganz anderen Ecke zu einem Nachfrageschub kommen:

Wenn Prävention immer wichtiger wird und die Gesundheits-Apps Burger verbieten, steigt zwangsläufig der Obst- und Gemüseverbrauch. Ähnlich wie schon beim CO2-Fußabdruck wird das True Cost Accounting bei Nahrungsmitteln gang und gäbe. Block Chain-Technologie sorgt für Transparenz; Zucker, Alkohol und all die anderen schönen Dinge werden schlimmer besteuert als Zigaretten heutzutage.

Mit diesem Geld wird ein Gesundheitsfonds eingerichtet, der dann wiederum die Folgen des übermäßigen Konsums allem Ungesundens kostenmäßig auffängt. Big Data sorgt für individualisierte Diätpläne und eine Vielzahl strategischer und organisatorischer Allianzen sorgt dafür, dass die Unterschiede zwischen Eigentümer, Stakeholder, Produzent und Konsument verschwimmen, genauso wie die zwischen Gartenbau, Tierhaltung und Ackerbau, der Anzucht von Algen, Pilzen und Insekten.

Technologischer Fortschritt sorgt für die Wiedergewinnung von Nährstoffen, Durchbrüche in der Gentechnik optimieren die Fotosynthese. Bodengebundene Produktionsverfahren gibt es kaum noch und dann haben wir es ja noch gar nicht darüber gehabt, welchen Einfluss Künstliche Intelligenz in Kombination mit Robotik und Prozessautomatisierung auf unser Leben in 25 Jahren haben könnten.

Tim Jacobsen

In eigener Sache

In der Zeitschriftenbranche gehört es zum guten Ton, keine Zweifel am fast schon zwangsläufigen eigenen Untergang aufkommen zu lassen. Geradezu masochistisch wird im Kollegenkreis der Rückgang von Abonnementzahlen diskutiert. Zwar dauerte es etwas von der Erfindung des Buchdrucks bis zum erstmaligen Erscheinen eines deutschsprachigen Periodikums – gäbe es sie heute noch, könnte die Rorschacher Monatsschrift aber auf eine 427-jährige Geschichte zurückblicken. Und während wir 1597 von der Erfindung des Automobils noch weit entfernt waren und auch niemand weiß, wie Mobilität in 50 Jahren aussehen wird, hat sich am Wesen von Zeitschriften im Laufe der Jahrhunderte nur unwesentlich etwas geändert. Zeitschriften entstehen in einem oft mühsamen und zuweilen auch langwierigen Prozess. Dies gilt oftmals auch für das Lesen, bei dem man sich auf das Geschriebene einlassen muss. Aber nur so lässt sich die Komplexität unserer Welt zumindest ein Stück weit abbilden, können Geschichten erzählt und Wissen transferiert werden. In diesem Sinne viel Freude mit jeder der 34 Zeitschriften, die jeder Deutsche über sechs Jahre alt im Schnitt jährlich erwirbt!

Tim Jacobsen

Wir gratulieren!

Zu Zeiten, in denen es Fernsehen nur in der linearen Form gab, war „Unser Land“ zumindest im gärtnerisch-landwirtschaftlich geprägten Oberbayern zur festen Sendezeit freitags um 19:00 eine Art Straßenfeger. Wahrscheinlich war es weniger Wissbegierde, sondern vielmehr pure Neugierde, wer denn in der aktuellen Folge wohl an bekannten Gesichtern auf der Mattscheibe zu sehen sein wird, die die Menschen zum Einschalten bewog. Am 24.10. 1964, also vor ziemlich genau sechzig Jahren, ging das Format erstmals auf Sendung, gewissermaßen als Geburtstagsgeschenk hat die aus dem „Landfunk“ hervorgegangene Redaktion nun einen sehr sehenswerten Dreiteiler in der ARD- und BR-Mediathek zur Verfügung gestellt, der am Beispiel von drei Familien 100 Jahre Landwirtschaftsgeschichte nachvollzieht und wohl niemanden unberührt lässt.

Tim Jacobsen

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