"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Kategorie: Zukunft (Seite 2 von 3)

Risikoabsicherung nützt uns allen

Gut 30 m hoch ist der Weihnachtsbaum, mit dem Uli Hoeneß nach einem Jahr Energiekrisenpause zuletzt erneut das Tegernseer Tal erleuchtete. Da sich zu dieser Zeit bereits ein wenig erfolgreicher Fußballsaisonverlauf andeutete, brauchte er für den Spott nicht zu sorgen. Dazu kam, dass fast frühlingshafte Temperaturen weiße Weihnachten verhinderten, anders dann vier Monate später, als der April mehr oder weniger in einem Schneechaos endete.

Ende Mai kam angesichts von mancherorts bis zu 50 cm Hagel nicht nur der Verkehr im Voralpenraum zum Erliegen, auf Rekordniederschläge folgten Jahrhunderthochwasser, besonders im Donaugebiet. Anders in den Jahren zuvor: Zwischen April und August 2018 regnete es in weiten Teilen Deutschlands kaum. Auch in den Folgejahren war es vielerorts zu trocken.

Klimawandel gibt es schon immer, nur jetzt halt nicht länger in der Form „1934 und dann erst 1974 wieder einmal ein zu warmer Winter“

Vorausgegangen waren ein extrem nasser Herbst und Winter, die dazu führten, dass die Ernte von späträumenden Kulturen, wenn überhaupt, nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden konnte und die Herbstbestellung mit Raps und Wintergetreide vielfach unmöglich war – eine Gemengelage, die dem einen und anderen aus der jüngsten Vergangenheit durchaus bekannt vorkommen dürfte.

Der Dürresommer und die starke Ausweitung des Anbaus von ertragsschwächeren Sommergetreiden führten dann in Folge zu erheblichen Ertragseinbußen, am meisten litt darunter der Futterbau. Um in den Veredlungsbetrieben Kosten zu senken, wurden vermehrt Rinder zur Schlachtung gegeben, Bund und Länder stellten Hilfsgelder für die Landwirtschaft bereit.

Das vom Staat in solchen „Katastrophenjahren“ bereitgestellte Geld ist meist aber nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein; gleichzeitig sind die größten Profiteure oftmals diejenigen, die am wenigsten zur Risikovorsorge unternommen haben. Nicht vergessen werden sollte auch, dass angesichts klammer Haushalte staatliche Ad-hoc-Hilfen zukünftig auch eher die Ausnahme als die Regel sein werden.

Auch Zwischenfruchtanbau, konservierende Bodenbearbeitung, Verbesserung der Wasserhaltefähigkeit des Bodens, effiziente Bewässerungs- und Frostschutztechnik und ausreichend dimensionierte Dränung tragen dazu bei, Risiken zu minimieren, die Gefahr eines Ernteverlusts können sie jedoch nicht ausräumen.

260 Jahre nach der Gründung des weltweit ersten Brandversicherungsvereins in den Elbmarschen begann die Mecklenburgische im Jahr 1797, Hagelversicherungen anzubieten, ein erster Schritt in Richtung bessere Absicherung von Flächen und Kulturen gegen witterungsbedingte Gefahren. Unsere Vorreiterrolle in der Risikovorsorge haben wir jedoch verloren:

Während fast alle EU-Staaten ihren Gärtnern und Landwirten einen Zuschuss zu den Prämien für Versicherungen gegen Dürre, Starkregen, Sturm oder Frost zahlen, wird eine solche Förderung in der Bundesrepublik nicht flächendeckend angeboten. Knapp zwei Drittel Prämienzuschuss sollen es in Frankreich und Polen sein.

Auch in den Benelux-Staaten, Italien, Spanien und Portugal sowie weiteren mittel- und osteuropäischen Ländern wird die Risikoabsicherung stark alimentiert. Dementsprechend stark nachgefragt ist dieses Instrument des Risikomanagements dann auch in diesen Ländern.

Bereits 2019 forderte die Agrarministerkonferenz „einen Prämienzuschuss insbesondere für Sektoren und Risiken vorzusehen, in denen noch kein für die Betriebe wirtschaftlich tragbares Versicherungsangebot am Markt ist oder große Wettbewerbsunterschiede innerhalb der EU bestehen“.

Obwohl die Gemeinsame Agrarpolitik eine Förderung von Mehrgefahrenversicherungen ausdrücklich vorsieht, entstand statt eines großen nationalen Wurfes ein kleinstaatlicher Flickenteppich an Fördertatbeständen. Dabei wäre der finanzielle Aufwand für eine bundesweite Lösung überschaubar:

Die Kosten für eine um die Hälfte bezuschusste Mehrgefahrenversicherung für Ackerkulturen soll bei einem kleinen dreistelligen Millionenbetrag liegen. Kling nach viel Geld, gerade auch in Zeiten, in denen der Bundeshaushalt ein großes Streitthema ist. Dabei geht es dem Fiskus gar nicht so schlecht:

Die Steuereinnahmen steigen immer weiter, schneller sogar als die Preise und auch schneller als das, was Deutschland erwirtschaftet. Allerdings ist das Ganze dann ein bisschen „wie gewonnen, so zerronnen“: die maroden Schienen der Bahn, unsere fehlende Kriegstüchtigkeit, die auf Subventionen beruhende Energiewende und dann natürlich die Schuldenlast, die sich in Zeiten steigender Zinsen verstärkt bemerkbar macht – und schon fehlen 25 Mrd. €.

Die viel zitierten Radwege in Peru werden den Haushalt dabei genau so wenig retten wie Kürzungen bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Rund 130 Mrd. € kostet es uns, dass Menschen Renten bekommen, ohne selbst eingezahlt zu haben. Das Bürgergeld liegt mit allem, was dazu gehört, bei rund 40 Mrd. €. Richtig viel Geld also.

Verständlich aber auch, dass schon die Erwähnung des K-Wortes Menschen auf die Barrikaden bringt. Wie aber weiter? Die Vermögenssteuer, den Spitzensteuersatz, die Einkommenssteuer oder doch lieber die Mehrwertsteuer erhöhen? Es gäbe noch einen anderen Weg: Was, wenn wir, statt Abgaben zu erhöhen, doch einfach wieder die Wirtschaft in Gang brächten?

Man mag über die Merkeljahre denken, wie man will. Den ersten ausgeglichenen Haushalt seit 1969 im Jahr 2014 haben wir Wolfgang Schäubles Mutter, einer „schwäbischen Hausfrau“ zu verdanken.

Ich bin mir sicher, dass Gertrud Schäuble im Sinne ihrer kolportierten Vorstellungen zur Führung solider Privathaushalte, die unter Finanzminister Schäuble dann Staatsräson wurden, für eine einheitlich flächendeckende Bezuschussung einer Risikoabsicherung zur Zukunftssicherung unserer Betriebe plädiert hätte. Fördern und Fordern einmal anders.

Tim Jacobsen

Bente zum Geburtstag

Eigentlich müsste der folgende Text mit einem Warnhinweis beginnen, immerhin geht es darin um Schurkenstaaten, Ausbürgerungen, Völkermord, Terrorismus, Spionage, Tarifkämpfe mit zweistelligen Abschlüssen, Klimawandel, drohende Deindustrialisierung, staatliche Bevormundung und nicht zuletzt auch um Diktatoren und Invasionen, wären wir nicht alle dieser Themen müde, weil sie uns sowieso jeden Tag mit dicken Lettern aus den Zeitungen anschreien.

Wer nun denkt, dass früher halt einfach sowieso alles besser war, wird nun eines Besseren belehrt, denn es geht im folgenden Text nicht um das Jahr 2024, sondern um genau ein halbes Jahrhundert zuvor:

Fünf Euro ins Phrasenschwein: Alles muss sich ändern, damit es so bleibt, wie es ist

Das Jahr 1974 sollte eigentlich mit Fahrverboten beginnen, stattdessen stellt Horst Brandstätter Anfang Februar auf der Nürnberger Spielwarenmesse erstmals in Playmobil verfeinertes Erdöl vor. Im selben Monat wird Alexander Scholschenizyn aus der Sowjetunion ausgewiesen und findet bei unserem Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll Unterschlupf.

Anfang März wird die Vereinbarung über die Einrichtung einer Ständigen Vertretung, die heute nur noch als Kölschkneipe weiterlebt, zwischen den beiden deutschen Staaten unterzeichnet, kurz davor stimmt der Bundestag dem Atomwaffensperrvertrag zu.

Die Roten Khmer legen derweil, von der Weltöffentlichkeit weitgehend unbemerkt, das Fundament für die fünfjährige Schreckensherrschaft Pol Pots, der rund ein Drittel der Bevölkerung Kambodschas zum Opfer fällt.

Mitte März werden in Deutschland die als Antwort auf den Ölpreisschock eingeführten Tempolimits wieder abgeschafft, seitdem gilt auf Landstraßen wieder Tempo 100 und darf auf Autobahnen vielerorts nach Belieben gerast werden. Zum ersten Mal gibt es Energieferien, die heute eher unter dem Namen Semesterferien bekannt sind.

Ende März wird das Alter für Volljährigkeit von 21 auf 18 Jahre gesenkt, einen Monat später Günter Guillaume als Spion des anderen Deutschlands entlarvt.

Der israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir wird zum Verhängnis, den Jom-Kippur-Krieg ein halbes Jahr zuvor nicht kommen gesehen zu haben und tritt zurück. Die Nelkenrevolution beschert Portugal Demokratie, Augusto Pinochet festigt seine Diktatur in Chile.

Das Schreckgespenst Punkteregister wird am 1. Mai eingeführt, fünf Tage später kommt Bente Jacobsen zwar auch in Flensburg, aber ohne Punkte zur Welt. Am selben Tag, dem 6. Mai 1974 und nur wenige Stunden später tritt der in beiden Deutschlands gleichermaßen beliebte Entspannungspolitiker Willy Brandt zurück.

Am 8. Mai besiegt der FC Magdeburg in Rotterdam AC Mailand und gewinnt den Europapokal der Pokalsieger.

Das NSDAP Mitglied Walter Scheel wird am 15. Mai in der Bonner Beethovenhalle Bundespräsident, am Tag darauf wird Helmut Schmidt wenige Meter rheinaufwärts im Bundestag Kanzler.

Im Wonnemonat Mai betritt auch der 3,71 m lange und 70 PS starke Nachfolger des Käfers die Weltbühne, für 8000 Mark gibt es 800 kg Auto. Der Jubiläumsgolf Edition 50 aus dem Jahr 2024 ist gut einen halben Meter länger, hat mehr als doppelt so viel PS und kommt auf den sechsfachen Kilopreis. Die beiden Modelle bilden den Anfang und auch das absehbare Ende einer 37 Millionen Artgenossen umfassenden Ahnenreihe.

Im Juni 1974 streikt der öffentliche Dienst für drei Tage, rückwirkend zum Jahreswechsel werden die Gehälter um 11 % erhöht.

Die gesetzlichen Grundlagen für das Bundesumweltamt werden geschaffen.

Am 7. Juli werden wir unter tatkräftiger Mithilfe des unlängst verstorbenen Bernd Hölzenbein Fußballweltmeister. Schwalbe ist übrigens eines der wenigen Worte, die das Niederländische eins zu eins aus dem Deutschen übernommen hat.

Hätte das eine Deutschland zuvor nicht gegen das andere Deutschland verloren, hätten statt Schweden, Jugoslawien und Polen die Niederlande, Brasilien und Argentinien gedroht und uns wäre 32 Jahre später der Sommermärchenhit der Sportfreunde Stiller erspart geblieben.

Mitte Juli 1974 geht in Biblis das seinerzeit weltweit größte Atomkraftwerk ans Netz, sieben Tage nach der Katastrophe von Fukushima wird der Reaktor in Block A Mitte März 2011 zum letzten Mal heruntergefahren.

Ende Juli besetzt die Türkei halb Zypern, fast gleichzeitig schütteln die Griechen ihre Militärdiktatur ab.

Präsident Nixon reist ebenfalls im Juli 1974 in die Sowjetunion und wird wenig später in Amerika von der Watergate-Affäre eingeholt. Sein Nachfolger Gerald Ford unterzeichnet im November in Wladiwostok ein Abkommen zur Rüstungskontrolle, zuvor nehmen die USA erstmals diplomatische Beziehungen mit der DDR auf.

Im anderen Deutschland schlägt Frankfurt den HSV, wird Pokalsieger und der FC Bayern zum dritten Mal in Folge Deutscher Meister, bevor die Fohlen erneut die nächsten drei Jahre übernehmen.

Ende August schenkt Ferry Porsche seiner Schwester den überhaupt allerersten 911er mit Heckflosse zum Geburtstag, am anderen Ende der Speedskala steht vielleicht ähnlich stilprägend die Kastenform der in Form des Volvo 240 gegossene Schwedenstahl.

Der wiederum kommt Ende Oktober auf den Markt, als Muhammad Ali gerade mit George Foreman um den Weltmeistertitel aller Klassen kämpft und den bis dahin unbesiegten sieben Jahre jüngeren Foreman in der achten Runde K.O. schlägt.

Zuvor hatte die Volkskammer zum 25-jährigen Bestehen der DDR noch den Begriff der deutschen Nation und das Ziel Einheit aus der Verfassung gestrichen und sich damit endgültig Richtung Breschnew verabschiedet.

Holger Meins stirbt am 9. November in der Justizvollzugsanstalt Wittlich mit einem BMI von 11,6. Am 13. November hält Jassir Arafat eine Rede vor der UNO-Vollversammlung, neun Tage später wird dort die Resolution 3236 angenommen, die das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung und Eigenstaatlichkeit prinzipiell anerkennt.

So neigt sich Jahr eins nach der durch den Jom-Kippur-Krieg ausgelösten Ölkrise seinem Ende zu, der Dezember 1974 macht dann mit einer zu dieser Zeit zumindest noch außergewöhnlichen Temperaturanomalie den Skifahrern das Leben schwer.

Und so können wir vieles, was uns in diesem Jahr als nicht ganz so gelungen begegnet, bereits in der Rückschau auf 1974 wiedererkennen. Ähnlich wie die Golfstaaten versuchte auch Mobuto mit dem Rumble in the Jungle internationale Anerkennung zu finden.

Die Palästina-Frage ist auch fünfzig Jahre und zahllose Vollversammlungen später ungeklärt und mal gewinnt die eine Fußballmannschaft, mal die andere.

Hohe Energiepreise führen bei Großverbrauchern, in Gesellschaft und Politik zu einer Reaktion, die dann die Menetekel als Übertreibung oder als notwendiger Anstoß zum Wandel entlarven.

Klimawandel gibt es schon immer, nur jetzt halt nicht länger in der Form „1934 und dann erst 1974 wieder einmal ein zu warmer Winter“.

Das vielleicht Schönste, was sich aus 1974 lernen lässt, ist die Geschichte mit dem Golf und dem Käfer. Das bereits erwähnte SS-Mitglied Ferry Porsche war auch an der der Entwicklung des KdF-Wagens maßgeblich beteiligt.

Von 1938 trat der Käfer dann seinen Siegeszug als das bis 2002 und eben jenem Golf weltmeist meist verkaufte Automobil an.

Vierzig Jahre nach der Entwicklung war aber auch der beste Käfer in die Jahre gekommen, die Rendite des Wolfsburger Autobauer stark unter Druck und die weiteren Aussichten alles andere rosig.

Und da entschied sich Volkswagen, mit dem Entwicklungsauftrag 337 gegen Evolution und wählte die Revolution: nicht rund, sondern kantig und eckig, nicht verspielt, sondern streng. Statt luftgekühlter Boxer hinten wassergekühlter Vierzylinder vorne.

Der Mut der Verzweiflung vielleicht, aber ausgezahlt hat er sich und sollte uns allen Mahnung sein.

Tim Jacobsen

Du hast keine Chance, aber nutze sie

Es ist ein bisschen schwierig geworden, die Frage, wie es einem so geht, in voller Überzeugung positiv zu beantworten. Der Grund für die schlechte Laune sind dabei dann nicht unbedingt die kleinen oder großen Zipperlein, von denen die einen von uns mehr, die anderen weniger geplagt sind. Auch die ersteinmal vielleicht etwas gar hohen Spargelsaisoneinstiegspreise haben daran keine Schuld, genau so wenig wie der Temperaturdipp, der den Beginn der Beet- und Balkonsaison auf nach Ostern vertagt.

Wenn bei unserem ehemals fünftwichtigsten Exportpartner Gefangenen Körperteile abgeschnitten werden und das Ganze dann staatlich orchestriert in den sozialen Medien stattfindet, dann ist unseren ehemaligen russischen Freunden einmal mehr gelungen, was kaum möglich schien, nämlich für Fassungslosigkeit zu sorgen.

Putins in Zweckgemeinschaft verbundener Diktatorkollege Kim macht derweil mit einem simulierten Angriff auf sein Nachbarland auf sich aufmerksam und eine „militärische Sonderoperation“ Chinas in Taiwan scheint nur mehr eine Frage der Zeit zu sein. Die Luftbrücke in den Gazastreifen verhilft einmal mehr den Stärkeren zu ihrem „Recht“ und unsere Fregatte „Hessen“ wird im Roten Meer umdrehen müssen, sobald die Munitionsschränke leer sind.

„Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt darin um“

Herbert Achternbusch

Wie auch im Fall unserer militärischen Unterstützung der Ukraine stellt sich hier berechtigterweise die Frage, wem eigentlich damit gedient ist, wenn unsere Verteidigungsfähigkeit bis ins kleinste Detail in aller Öffentlichkeit diskutiert wird? So reicht dann das kleine Einmaleins, um den Tiger zahnlos werden zu lassen: wenn bis zu 20 Taurus Marschflugkörper benötigt werden, um die Kertschbrücke nennenswert zu beschädigen, dann bleiben von den kolportierten einsatzbereiten 150 bei uns nicht mehr viele über.

Bei den Luftverteidigungssystemen wie dem mit dem klangvollen Namen „Patriot“ sieht es noch ernüchternder aus und wenn dann der französische Staatspräsident – zugegebenermaßen etwas unkoordiniert – Bodentruppen für die Ukraine ins Rennen wirft, dann wirkt das zwar deutlich wehrhafter als die Angst unseres Bundeskanzlers vor der russischen Bombe, zeigt aber auch, dass wir in Zeiten, in denen europäische Einigkeit wichtiger wäre als vieles andere, wir eher dabei sind, uns Bedeutungs-mäßig selbst zu atomisieren.

Umfragewerte der AfD unter dem magischen Verfassungs-relevanten-Drittel werden bereits als Erfolg gefeiert und dann haben wir Donald Trump und den Klimawandel an dieser Stelle auch nur einmal kurz der Vollständigkeit halber erwähnt. Dabei ist Angst eigentlich etwas ganz praktisches, mit erhöhtem Puls und Blutdruck reagieren wir schneller und sind leistungsfähiger als im Normalzustand. Anders verhält es sich aber mit der Angst vor eher abstrakten Dingen wie dem Verlust von Sicherheit oder der diffusen Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen.

Patentrezepte zum Umgang mit dem Gefühl der Hilflosigkeit gibt es leider nicht. Aber nur, weil wir nicht mit einem Handstreich den Klimawandel aufhalten oder uns in die zumindest in unseren Breiten äußerst überschaubare Welt der Kohl-Jahre zurückkatapultieren können, bedeutet das nicht, dass wir nichts machen können. Wer schon einmal während der spoga+gafa durch die Hallen der Messe Köln gewandelt ist, wird bei so manchem Produkt zumindest still und heimlich Nutzen und vielleicht auch Sinn hinterfragt haben.

Vom 16. bis 18. Juni 2024 hat sich die größte Garten- und BBQ-Messe der Welt das Leitthema „Responsible Gardens – verantwortungsvolle Gärten“ auf die Fahnen geschrieben; angesichts des Konsumaufrufs, der mit den meisten der dort gezeigten Artikel einhergeht, eine auf den ersten Blick überraschende Wahl. Auch Aussteller und Besucher aus so gut wie allen Herren Ländern in der Domstadt zusammen zu bringen, scheint erst einmal wenig nachhaltig. Nachhaltig wird das Ganze dann aber genau dadurch, dass eben alle an einem Ort zusammenkommen.

In „verantwortungsvollen Gärten“ ist das Substrat dann vielleicht noch nicht vollkommen Torf-frei und es wird an heißen Sommertagen auch einmal der Wasserhahn aufgedreht, aber bitte nicht vergessen: auch die längste Wanderung beginnt mit einem ersten Schritt. Rechtsstaatlichkeit können wir von Deutschland aus nicht per Dekret in Russland einführen, wohl aber können wir dafür Sorge tragen, dass die Fundamente unserer eigenen Gesellschaft nicht erschüttert werden, sei es nun von rechts, von links oder durch pure Gleichgültigkeit. Ähnlich wie torf-reduziertes Substrat keinen großen Aufwand darstellt, sollte die Europawahl am 9. Juni 2024 mindestens genau so dick wie GreenTech und FlowerTrials in Woche 24 im Kalender markiert sein.

Tim Jacobsen

Streikweltmeister Deutschland?

In der ersten Januarhälfte dieses Jahres war es so, dass die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) streikte, das Ganze aber weitgehend in den Bauernprotesten, die ja sowieso auch das ganze Land lahmlegen sollten, unterging. Später lieferten sich dann GDL und das Bodenpersonal der Deutschen Lufthansa eine Art Wettstreit, und da wollten dann auch die Flugbegleiter nicht außen vor bleiben. Schließlich musste auch der Nahverkehr noch einmal in die Schlagzeilen und am Ende wusste niemand mehr, was noch fährt oder fliegt, von eigenen Transportmitteln einmal abgesehen, die sich dann die Straßen mit anderen Glücksrittern teilten und ganz ohne Blockade von selbst für Entschleunigung sorgten.

Die Bauernproteste gingen dann ein bisschen aus wie das Hornberger oder auf modern vielleicht eher Heilbronner Schießen; zum Glück möchte man im Rückblick meinen angesichts so mancher Parole, die wenig Lösungs-orientiert für ein eher klar unverträgliches Miteinander stand. Wer nun denkt, die bis Ende März 300 Stunden umfassende Bestreikung des Personen- und Güterverkehrs in dieser Tarifrunde sowie die fünf Warnstreiks bei der Lufthansa hätte es in dieser Form noch nie geben, liegt allerdings falsch. 2015 gilt als Spitzenstreikjahr. Vor allem durch die Arbeitskämpfe bei der Deutschen Post und dem sog. Kita-Streik fanden damals mehr als 2 Mio. Arbeitstage nicht statt.

Für das Jahr 2022 weist das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung 225 Arbeitskämpfe mit 674 000 ausgefallenen Arbeitstagen aus, deutlich mehr als die Bundesagentur für Arbeit, die allerdings selbst darauf verweist, dass bei der Verwendung ihrer Daten „die Unsicherheit und Untererfassung des Gesamtniveaus zu berücksichtigen“ seien. International sind wir, was Streiks angeht, eher Mittelfeld. In Belgien und Frankreich fielen von 2012 bis 2021 im Schnitt 96 beziehungsweise 92 Arbeitstage im Jahr je tausend Beschäftigte aus, deutlich mehr als unsere 18 Tage.

Eine Erklärung dafür ist, dass bei uns das Mittel des Arbeitskampfes eigentlich nur in Verhandlungsphasen für Tarifverträge erlaubt ist. In Frankreich hingegen darf jeder zum Streik aufrufen. Anders als in Deutschland sind bspw. auch Generalstreiks zulässig. Neu ist, dass Tarifkonflikte bei uns zuletzt schneller eskalierten. Honni soit qui mal y pense zeigen die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften in den letzten Jahren eine deutlich rückläufige Tendenz.

Das mittlere Bruttomonatsgehalt eines Lokführers liegt mit 38 Stunden Wochenarbeitszeit bei 3735 Euro, die Flugzeugabfertiger liegen nicht weitab. Knapp 10 % kürzere Arbeitszeiten und ein gutes Sechstel mehr in der Lohntüte fordert die GDL. Die Kosten durch Arbeitskämpfe für die Gesamtwirtschaft sind schwierig festzustellen. Lufthansa sieht sich 2024 durch Streiks schon mit 250 Mio. € belastet. Die Kosten für einen Tag Bahnstreik beziffert das Institut der deutschen Wirtschaft auf 100 Mio. €.

Unter den aktuellen Arbeitskämpfen leiden aber vor allem Millionen von Reisenden. Und so lässt sich den Forderungen, dass Streiken schön und gut ist, aber irgendwann eben auch ein Ende und wenn es gar nicht anders geht in Form einer Schlichtung haben muss, durchaus etwas abgewinnen. Und wahrscheinlich ist das dann immer noch mehr als der Saldo der „Woche der Wut“, die vielleicht mehr Porzellan zerschlagen hat, als unbedingt nötig gewesen wäre.

Tim Jacobsen

Wie alles mit allem zusammenhängt

Man könnte meinen, es liegt ein Fluch auf dem Zwiebelforum: nach der Erstausgabe 2014 ging es mehr oder weniger direkt vom Bonner GSI an die russische Riviera zu den Olympischen Winterspielen, die wiederum nur den Deckmantel für die Annektion der Krimhalbinsel darstellten. Womit nun leider auch der Krieg in der Ostukraine ziemlich genau sein Zehnjähriges hat.

2018 sorgte Orkantief Friederike passend zum Veranstaltungsbeginn in Peine für Verwüstung und Chaos in Deutschland. 2020 ging es ins Haus am Weinberg nach St. Martin – dort gab es einen der letzten spektakulären Sonnenaufgänge zu sehen, bevor es dann für uns alle „ab in den Lockdown“ hieß.

Aus dem Zweijahresrhythmus wurde kurzerhand ein Vierjahresrhythmus. 2024 war dann zwar die von Rukwied ausgerufene Wut-Woche gerade passend zu Veranstaltungsbeginn zu Ende gegangen, als wollte der Wettergott das Ganze aber nicht auf sich sitzen lassen, schüttelte Frau Holle, was vom Himmel ging und sorgte im wenig Winter-erprobten Rheinland für garantiert-nicht-Genehmigungs-pflichtige Entschleunigung.

Grund genug, ein bisschen wütend zu sein, hätten wir eigentlich alle: Stiftung Warentest rechnet vor, dass der CO2-Steueranteil an Benzin, Diesel, Heizöl und Erdgas zu Jahresbeginn um rund 50 % gestiegen ist. Von dem im Koalitionsvertrag angekündigten „sozialen Kompensationsmechanismus“ fehlt jedoch jede Spur, interessanter Weise genauso wie von einem Aufschrei in der Bevölkerung.

Die OECD attestiert der deutschen Durchschnittsfamilie die zweithöchste Abgabenlast aller OECD-Staaten. Nicht verwunderlich, sollten die Haushaltsdaten dann auch eigentlich gar nicht so schlecht sein, und liegen relativ zur Wirtschaftsleistung dann auch tatsächlich deutlich über denjenigen vom letzten Vorpandemiejahr. Wohin das ganze liebe Geld versickert, lässt sich je nach politischer Gesinnung unterschiedlich interpretieren und ausschlachten.

In all dem Gehupe und dem ganzen Trubel der zweiten Januarwoche ist nicht nur ein bundesweiter dreitägiger Bahnstreik komplett untergegangen, sondern auch, dass nicht nur Landwirte Leidtragende der Sparbeschlüsse waren, die von einem unzurecht zum Buhmann gemachten Bundesverfassungsgericht angeordnet wurden. Auch das Strompreispaket, das die Reduzierung der Stromsteuer für das gesamte produzierende Gewerbe auf das europarechtlich zulässige Mindestmaß bedeutet hätte, fiel dem Rotstift zum Opfer.

Die Verdoppelung der Netzengelte macht bei Haushaltskunden ein paar Dutzend Euro aus, bei industriellen Mittelständlern sind das schnell ein paar Hunderttausend Euro. Auch Gießereien und Verzinker, Kunststoff-, Metall- und Stahlverarbeiter stehen im Wettbewerb mit Unternehmen aus Ländern, in denen nicht nur der Strompreis deutlich niedriger ist. Höfesterben heißt im Rest der Wirtschaft Konkurs und Privatinsolvenz.

Hier eine leerstehende Werkhalle, dort die eine und andere Stellenstreichung werden Zeugnis davon ablegen, dass zumindest im Fall der Strompreise der Markt funktioniert hat: das auch durch den Atomausstieg verknappte Angebot führte und führt zu steigenden Preisen. Davon nicht ganz losgelöst sollte die Diskussion sein, ob der Netzausbau genauso wie der Ausbau der Erneuerbaren wirklich über den Strompreis finanziert werden muss.

Die DZ Bank prognostizierte Anfang Januar einen Rückgang der Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland von derzeit 256 000 auf 100 000 im Jahr 2040. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gab es noch 1,8 Mio. Bauernhöfe, im Jahr 1960 zählte das damalige Bundesgebiet rund 1,5 Mio. landwirtschaftliche Betriebe. Bis 1980 halbierte sich diese Zahl, in den folgenden 20 Jahren sank sie noch einmal um fast die Hälfte auf rund 450 000 im Jahr 2000 – und das trotz fünf neuer Bundesländer. Gab es zu Beginn von Angela Merkels Regierungszeit noch knapp 400 000 landwirtschaftliche Betriebe waren es 2021 nur noch gut 260 000.

Ob letztendlich die Kluft zwischen Stadt und Land im Laufe der „Woche der Wut“ etwas kleiner geworden ist, wird sich zeigen müssen. Zu oft schon hätten diejenigen, die diesen Winter wieder einmal am Straßenrand Beifall klatschten, die Gelegenheit gehabt, im Alltag auf die Jagd nach dem ultimativen Supermarktschnäppchen zu verzichten und durch ihr Konsumverhalten Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen.

Was auf jeden Fall im Gedächtnis bleiben wird, ist eine erneute Verrohung des Debattentons: neben „ohne Bauern gibt es keinen Jungbäuerinnenkalender“ gab es eben auch die Anschuldigung unseres Bauernpräsidenten, im Berliner Regierungsviertel habe noch nie jemand geschwitzt oder gearbeitet. Und schon baumelten die Ampeln an Galgen.

Tim Jacobsen

Rishi Sunak und seine Konservativen machen einen in Manchester drauf, Man City verliert gegen Wolverhampton und ich wäre bald Tom Hanks geworden

Begonnen hat das Ganze ja ein paar Tage zuvor, da hatte der besuchte Unternehmer netterweise einen Bus besorgt, damit wir allesamt ohne Zeitverlust von links nach rechts und wieder zurück transportiert werden können. Meinen Sitznachbarn habe ich dann ernstscherzhaft gefragt, ob das die letzten Pollen sind , die er da eingesammelt hat, worauf der dann doch seine Männertragödie Erkältung ins Rennen warf. Donnerstagmittag dann der Absturz in Richtung ich-muss-auch-sterben, am Freitag ein kurzes Aufbäumen, um noch die Boardkarte für Samstag im Büro auszudrucken.

Samstag hätte ich dann spätestens stutzig werden sollen, als die 175-Jährige im schön geputzten BMW-SUV vor mir beim Anfahren nach der Grünumschaltung erst einmal mit dem Rückwärtsgang startete, aber da war ich noch zuversichtlich, schlimmer wird es heute nicht mehr. Ankunft in Manchester, wie immer direkt zu meinen Orangefarbenen Lieblingen, aber die so alle-Extras-eingebucht, das ließ sich teils rückgängig machen, OK, aber dann, nein, die Kreditkarte funktioniert nicht. Noch einmal, und danach der Hinweis, dass es nicht sixtmal geht, sondern nach dreimal die Sperre droht.

Plan gescheitert, was tun? Eventuell mit der guten alten EC-Karte weiter nach York? Am Ticketautomaten dann ein Schild, wegen-des-Streikes-werden-schon-gar-keine-Zugfahrkarten-mehr-verkauft. OK, dann vielleicht das Zimmer in York zu stornieren versuchen und stattdessen bei immer noch strömenden Regen erst einmal in Manchester bleiben und den nächsten Tag mit frischen Ideen abwarten?

Billigste Zimmer für eine Nacht 350 Pfund aufwärts, am Flughafen selbst gab es schon gar keines mehr. Zum Flughafenassistancedesk: ja, der Flughafen hat 24/7 auf, würde er zwar nicht empfehlen, aber notfalls könnte ich da schon ruhiges Eckchen irgendwo finden. Kurz noch nach National Express gesurft, aber auch die zwei letzten viereinhalb-Stunden-Verbindungen ausverkauft.

OK, dann langsam mal auf Übernachtung am Schalter einstellen und mit wieder fahrenden Zügen einen neuen Plan entwickeln. Aber erst einmal Wasser kaufen. Und siehe da: Kreditkarte und Code funktionieren einwandfrei. Wieder in den so überflüssig langsamen Bus gesetzt, der das Rental Car Village mit den Terminals verbindet und der dafür länger braucht als der Flug von Köln nach Manchester.

Bei den vielleicht Oktoberfestgeschädigten Alex und Konsti aus Pullach immer noch kein Weiterkommen, aber Franko, mein ganz persönlicher Held des Vermieters aus Parsippany, ließ sich von den Schauergeschichten der Oberbayern nicht entmutigen, und buchte von der Kreditkarte ab.

Und ich konnte fünf Stunden später als geplant und anders als Tom Hanks und sein historisches Vorbild doch noch Car Rental Village mit einem kleinen, feinen fahrbaren Untersatz verlassen.

Rishi Sunak wusste als Regierungschef naturgemäß mehr als ich und natürlich auch bereits von dem Streik und ließ sich samt Frau im standestypischen englischen Allräder zur Party Conference nach Manchester bringen. Noch dazu, wo er ja auch gerade die Pläne für eine Hochgeschwindigkeitszuganbindung Nordenglands gekappt hatte.

Und während die Fußballer von Man City nach Hause fahren konnten, wurden wohl in vielen Hotelzimmern der von außerhalb stammenden Fans die Minibars geleert, ob der verloren gegangenen Partie oder der aufgerufenen astronomischen Hotelpreise wegen der Abertausenden von Parteigranden und Cityfans sei einmal dahingestellt.

Tim Jacobsen

Der schönste Ausblick ins Mittelrheintal

Die Binnenschiffer können ein Lied davon singen: Im Mittelrheintal wird kein Platz verschenkt. Dementsprechend spannend ist auch, wie sich dort in ein paar Jahren eine ganze BUGA unterbringen lassen soll, zumal die Hotelkapazitäten beschränkt und die Unesco-Welterbeauflagen relativ strikt sind – mit ein Grund dafür, dass entlang der Hochebene erst mit einigem Abstand Windräder zu sehen sind.

Familie Lanius ist mit der Enge des Rheintals seit Generationen vertraut. Es waren die Eltern von Rita Lanius-Heck, die in den 1970-er Jahren den Beschluss fassten, dem vom Rhein in Jahrtausenden gegrabenen Tal des Grand Canyons der deutschen Romantik Lebewohl zu sagen und quer gegenüber vom Aussichtspunkt Schwedenschwanze oberhalb Oberwesels auszusiedeln.

Dass sich just an dieser Stelle ein Aussichtspunkt befindet, hat viel damit zu tun, dass die Silhouette Oberwesels samt des vor sich hin mäandrierenden Rheins wohl einen der schönsten Anblicke des rechtsrheinischen Rheinsteigs sowie des linksrheinisch verlaufenden Rheinburgenwegs bietet.

Nicht ganz unbeteiligt daran ist die Burg Schönburg, die ihren Namen vollkommen zu Recht trägt und deren Turmspitzen ungefähr auf Augenhöhe des Blicks vom Ferienhof Hardthöhe sind. Der Ferienhof ist dann in gewisser Weise der weiterentwickelte landwirtschaftliche Betrieb von Lanius-Heck.

Aufgeteilt in Weinbau und Landwirtschaft betreibt Lanius-Hecks Bruder das Weingut Lanius-Knab im Tal, während sie sich gemeinsam mit ihren Eltern und mittlerweile auch der Tochter Christina Theis daran machte, den „Hof Hardthöhe“ zu einem „Family Resort“ auszubauen, Traktor fahren und Pony reiten inklusive.

Getreu dem Motto „das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“ gibt es Reitangebote für  „Sattelzwerge“, etwas Wagemutigere können „frei wie der Wind“ buchen. Sättel und Reitsportzubehöhr sind dann auch durchgängige, vielleicht nicht immer an den jeweiligen Stellen auch unbedingt gewollte Dekoelemente, übertroffen in ihrer Präsenz nur noch von Jagdmotiven.

Stefan Heck, der die rund 160 ha Ackerland sowie das Grünland und den Forst bewirtschaftet, trägt maßgeblich dazu bei, dass beim Frühstücksbuffet sowie im „hofLaden“ gegenüber der Sattelkammer die eine und andere Wildspezialität zu finden ist.

In Jahrzehnten Jägerei ist dabei einiges an Trophäen zusammengekommen. In der „jägerLounge“ kann ein Teil der Präparate besichtigt werden – einige Naturkundemuseen wären mit Sicherheit neidisch auf die Sammlung. Gerade weggeräumt wurde eines der Prunkstücke der Sammlung, das Bärenfell. Die Geschichte, wie es zu diesem Abschuss kam, könnte man sich auch mit viel Fantasie nicht besser ausdenken:

Nach einigen Tagen erfolglosen Ansitzens auf eben Braunbären kuckte Heck am Telefon zum Zeitvertreib Fotos durch. Just in diesem Moment schickte ihm seine Frau ein Foto von sich mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkels ins tiefste Russland. An und für sich nicht unbedingt eine Außergewöhnlichkeit, da Rita Lanius-Heck aufgrund ihres ehrenamtlichen Engagements in herausgehobener Position doch des Öfteren in Kontakt mit politischer und sonstiger Prominenz kommt.

Als die Jagdkameraden von Heck dies nun aber mitbekamen, kam Bewegung in die Jagdgesellschaft. Die Zelte wurden abgebrochen und ein neues Ziel angesteuert. In der Nähe des Anwesens eines der reichsten Männer der Welt lief Heck dann tatsächlich ein Bär vor die Büchse, Monate später kam das Paket im Ferienhof Hardthöhe an und das stattliche Bärenfell zierte fortan, wie aus „Dinner for one“ bekannt, die „jägerLounge“.

Nun hat die Oberweseler Hardthöhe aber wenig gemein mit der Bonner Hardthöhe, die wiederum mit dem Rheinischen Landwirtschafts-Verlag die Postleitzahl teilt und in der viele eher hartgesottenere Soldatinnen und Soldaten ein- und ausgehen.

Und so gibt es dann unter den vielen Heiratswilligen, die auf der Oberweseler Hardthöhe in der „jägerLounge“ ihre Zukunftspläne besprechen wollen, dann eher wenig überraschend auch viele, die eher zurückhaltend sind, was ihren eigenen Fleischkonsum angeht und vielleicht auch der Jägerei nicht gerade vorurteilsfrei gegenüber stehen.

Und so wurde in gewisser Weise aus dem sehr schmucken Bettvorleger ein Bruno Problembär, der in die Abstellkammer verbannt sein weiteres Dasein fristen muss.

Tim Jacobsen

„Wiederbewaldung eine der größten Herausforderungen unserer Zeit“

Zwar waren deutlich mehr Mitglieder zum Landesjägertag nach Neuss gekommen, als dies noch bei der Corona-geschwächten 2022er Ausgabe in Dortmund der Fall war. Klar dreistellig ist die Anzahl der Anwesenden am 3. Juni dann auch mit Sicherheit gewesen, die angepeilte 1000er Marke wurde wie allerdings schon beim letzten Treffen vor Corona-Zeiten deutlich verpasst.

Der stellvertretende Bürgermeister sowie der Landrat des Kreises Neuss waren noch recht einfach zu begrüßen, schwieriger wurde es dann mit der stellvertretenden Vorsitzenden und den –mitgliedern des Ausschusses mit dem sehr langen Namen, der die Begrüßung der Ehrengäste des Landesjägertags zum einen etwas gar in die Länge zog, zum anderen in der Anmoderation für den einen und anderen Sprachstolperer sorgte. Honni soit, qui mal y pense, wurde in der ganzen AULNV-Begeisterung dann auch noch fast RLV-Präsident vergessen, immerhin nach Geerlings und Petrauschke Grußwort-Sprecher Nummer drei.

Bernhard Conzen, als Jäger, Landwirt und langjähriges RLV-Mitglied in vielerlei Hinsicht selbst betroffen von den Anfang Juni in Neuss diskutierten Herausforderungen, konnte gewissermaßen schon allein von Amts wegen deutlich fundierter Stellung beziehen als seine beiden Vorredner, die sich mehr oder weniger auf die Betonung der Schönheiten ihrer Heimat beschränkten. Der RLV-Präsident schlug einen weiten Bogen vom konstruktiv geprägten Verhältnis zwischen Landwirtschaft und Jagd hin zu einer zumindest in Teilen „empörungsbereiten Gesellschaft“ und war schnell beim Jahr 2018, dem Jahr, in dem in NRW erste Wolfsindividuen standorttreu wurden.

Aufmerksamen LZ-Lesern wird nicht entgangen sein, wie sich die Konfliktsituation seither verschärft hat. Angesichts dessen, dass mangels Entnahmemanagements wie bspw. in Frankreich die Freilandhaltung in betroffenen Regionen in ihrer Gesamtheit bedroht ist, forderte Conzen einmal mehr eine kritische Überprüfung unseres Umgangs mit dem größten Raubtier aus der Familie der Hunde. Auch die Präsidentin des Landesjagdverbands NRW kam um das Thema Wolf nicht umhin. Die gemeinsamen Interessen von RLV und LJV wurden dabei mehr als deutlich.

Nicole Heitzig erinnerte in ihren jagdpolitischen Ausführungen am Beispiel der Kitzretter aber auch an die „Rendite“, die die Jägerinnen und Jäger der Gesellschaft zurückgeben würden und ermahnte die Anwesenden, dass „wie wir jagen und auftreten“ maßgeblich über die gesellschaftliche Akzeptanz der Jagd entscheiden würde. Nach Funktionsträgern, Präsident und Präsidentin kam dann die in NRW auch für die Jagd zuständige Ministerin ans Wort und brachte, gewissermaßen als Dank für diese „Rendite“ ihre Wertschätzung gegenüber den Leistungen der Jägerinnen und Jäger zum Ausdruck.

Silke Gorißen appellierte an die Jägerschaft, bei der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe einer nachhaltigen Wiederbewaldung und dem Aufbau klimastabiler Wälder nicht nachzulassen. Forst und Jagd seien dabei Partner, „Wild und Wald“ gleichrangig. Die Wiederbewaldung und die Schaffung klimaresilienter Wälder bezeichnete die Ministerin als „eine der größten Herausforderungen unserer Zeit“. Zugleich versprach Gorißen den Jägern Planungssicherheit. Sie verwies darauf, dass keine Novelle des Landesjagdgesetzes geplant sei. Was die Afrikanische Schweinepest angehe, sei man in NRW für den Ernstfall gut vorbereitet und in Sachen Digitalisierung der Verwaltung kündigte Gorißen an, dass die Jagdscheinverlängerung und die Jagdstreckenerfassung zunehmend online erfolgen sollen.

Im Hinblick auf den Einsatz technischer Innovationen und die Ausweitung der Jagdzeiten für Reh- und Schwarzwild appellierte die Ministerin an einen verantwortungsvollen mit den neuen Möglichkeiten. Denn auch Gorißen konnte keine Entwarnung geben: Jägerinnen und Jäger stünden nun einmal unter besonderer Beobachtung der Gesellschaft. Was den Wolf angehe, seien kurzfristig keine Lösungen zu erwarten und werde sich das Problem eher noch verschärfen. Es bestünde zwar ein Austausch mit dem für den Wolf in der Landesregierung zuständigen Umwelt-Ressort, die Ansichten seien aber zu unterschiedlich für schnelle Fortschritte. Fast wünschte man sich, dass unser ebenfalls jagdlich aktiver Landesvater ja mal ein Machtwort sprechen könnte.

Traditionell werden auf dem Landesjägertag auch eine Reihe von Preisen und Auszeichnungen verliehen: Den Biotophegepreis 2023 der Wildtier- und Biotopschutz-Stiftung NRW konnte der Hegering Agger-Sieg in der Kreisjägerschaft Rhein-Sieg für das Projekt „Bestandserhalt und Renaturierung eines Heidemoor-Gagelstrauchbiotops“ einheimsen. Den Lernort Natur-Preis 2023 erhielt die Kreisjägerschaft Bottrop für das Projekt “Natur on Tour”.

Nach der Mittagspause betonte Deutschlands wahrscheinlich einziger Dozent für Wildökologie und Jagdwirtschaft in seinem Vortrag zum Thema „Wald und Wild“, dass der derzeitige Fokus bei der Wiederbewaldung viel zu sehr auf die Wilddichte gerichtet sei. Doch der Ansatz „je mehr ich jage, desto weniger Schäden habe ich“, funktioniere nicht, so Sven Herzog. Sein Appell: „Großflächig denken – kleinflächig jagen“ und empfahl, die Schwerpunktbejagung als Konzept im Waldbau zu integrieren.

Bei Kalamitätsflächen sollte es weniger als Risiko sondern als Chance erachtet werden, auf einem Teil der Fläche „Wildnis“ zuzulassen. „Und warum nicht auf weiteren 5 % der Fläche eine Wildacker einsäen?“ Reiche die Lebensraumkapazität aus und würden trotzdem Schäden auftreten, sei dies ein Zeichen für einen falschen Umgang mit der Wildart. Herzog zufolge sei bspw. Sommerschäle beim Rotwild zu 90 % ein Indiz für falsche Bejagung. Jagdstrategien gelte es dabei stets mit anderen Planungen, insbesondere forstlichen, abzustimmen.

Tim Jacobsen

Was isst Deutschland?

Wohl jeder hat zumindest in der entfernten Familie jemanden, der, auch wenn er wollte, gar nicht wüsste, wie Nudeln überhaupt gekocht werden – während andere, nicht weniger liebe Verwandte aus Spaghettini oder Spaghettoni einen Glaubenskrieg machen. Pastinaken und Petersilienwurzeln nutzten geschickt die Ge- und Abwöhnung an und von Erdnußbutter, Papaya und Avocados, um aus der Versenkung zurück zu kehren – und so ist in aller Abgedroschenheit an der Beständigkeit des Wandels durchaus etwas dran.

Im Vergleich März 2023 zum selben Monat des Vorjahres sticht zwar mit einem Plus von 27 % Gemüse heraus, richtig viel teurer ist aber mit 71 % Zucker geworden, über den so gut wie niemand spricht. 402 € geben wir alle im Schnitt Jahr für Jahr für Lebensmittel aus; der Anteil des Haushaltseinkommens, der in Polen für Lebensmittel ausgegeben wird, liegt um die Hälfte höher als bei uns.

Der Umsatz mit Biolebensmittel sank im Vorjahr im Vergleich zu 2021 zwar um 3,5 %, lag aber immer noch 25 % über dem von 2019. Interessanterweise war in der letzten Saison der Preisaufschlag für konventionelle Möhren über alle Absatzkanäle hinweg ausgeprägter als für Bioware. Noch extremer: Bei Zwiebeln ging in der zu Ende gehenden Saison konventionelle Ware ab wie Schmitz Katze, die Biokollegen dagegen konnten schon fast froh sein, das konstante Preisniveau der Vorjahre zu halten.

Doof dann auch, wenn die solvente Stammkundschaft das direktvertriebene Ökofleisch nicht mehr zu zahlen bereit ist, sich auf Discounterbio stürzt – und gleichzeitig am 30 % Ziel des Koalitionsvertrags festgehalten wird. Richtig attraktiv wird die Umstellung dadurch nicht, auch wenn Biobauern zumindest von der Preissteigerung für synthetische Dünger nicht betroffen sein sollten. Eier sind übrigens die am häufigsten gekauften Bioprodukte, noch vor Obst und Gemüse sowie Kartoffeln und den Mopros.

Der Ökolandbau schneidet in vielen Dingen besser ab als die konventionelle Landwirtschaft, die Frage, wie groß die Ertragseinbußen sind, scheidet die Geister. Smart Farming könnte eine Art Mini-game-changer werden, der große Wurf wäre allerdings eine Anpassung des EU-Gentechnikrechts. Nicht unbedingt etwas Neues: Schon die Urbios diskutierten darüber, ob nicht Molekularbiologie geradezu dafür gemacht wäre, den nicht chemisch unterstützen Pflanzen in ihrem Überlebenskampf alle denkbaren Vorteile zu bieten. Seinerzeit soll die Stimmungslage ungefähr fifty-fifty gewesen sein.

Letztendlich ist das Ganze aber mehr eine Art Scheindiskussion angesichts dessen, dass von 50 m2, die es braucht, um ein Rind 1 kg schwerer werden zu lassen, standortabhängig eben auch bis zu 2,5 dt Kartoffeln abgefahren werden können. Seit dem Jahrhundertwechsel ging der Milchkonsum bei uns um rund ein Zehntel zurück, die Alternativen aus Hafer, Soja und Mandel eroberten 5,5 % Marktanteil.

Erfreuliche 72 % der Deutschen greifen täglich zu Obst und Gemüse, wieder einmal sind die Frauen mit 81 % vernünftiger als die Männer mit 63 %. Fleisch gibt es bei 19 % unserer Frauen jeden Tag, hier liegen die Männer mit 31 % deutlich darüber. Mit unseren durchschnittlich 52 kg Fleischkonsum liegen wir zwischen den 4 kg in Indien und den 110 kg in Amerika, Australien und Argentinien irgendwo in der Mitte.

Die Beliebtheit von Suppen und Eintöpfen steigt mit dem Alter, beim Ketchup ist es andersrum. Frauen trinken mehr Kräutertee als Männer und Männer viermal so viel Alkohol. 78 kg Lebensmittel werfen wir alle durchschnittlich weg und von den 7,4 % der Treibhausgasemissionen, die auf die Landwirtschaft entfallen, stammen zwei Drittel aus der Tierhaltung.

Gut die Hälfte Deutschlands wird in der einen oder anderen Form bewirtschaftet und so wird schnell klar, dass Insektenhotels hier und bestäuberfreundliche Blüten da allenfalls Kosmetik sein können und es vor allem mehr Diversität in der Fläche braucht.

Insekt ist dabei nicht gleich Insekt, mit rund einer Million Arten sind Insekten die artenreichste Tiergruppe überhaupt. Andere Länder, andere Sitten: während nicht nur in Bayern Insekten eher langsam Eingang in unsere Speisekarten finden werden, sind sie für rund ein Viertel der Weltbevölkerung der Proteinlieferant schlechthin.

Vielleicht kommen wir aber auch noch einmal mit einem blauen Auge davon – zumindest was die Insekten angeht. Wer schon einmal einen Vorgeschmack darauf bekommen möchte, wie es gehen könnte, die bis 2050 wahrscheinlich 10 Mrd. Menschen zu ernähren, sollte einen Blick in „Eat Good“ wagen.

Auch auf die Gefahr hin, eine der Haupterkenntnisse der Rezeptsammlung zu spoilern: mit den Lancet-Kommissions-Empfehlungs-gerechten 350 g Gemüse und 200 g Obst täglich sollte uns Gärtnerinnen und Gärtnern eigentlich nicht bang vor der Zukunft sein!

Tim Jacobsen

Aufklärung, die Spaß macht

Zurück von weggewesen: auch bei den Kollegen einmal über den Kanal begann im letzten Jahr nach mehrmaligem Coronawinter- und -sommerschlaf wieder die Veranstaltungssaison. Einigermaßen bezeichnend, dass sich die Mund- und Nasenbedeckungen bis zum Wiedereinstieg in den öffentlichen Nahverkehr diesseits der Passkontrolle eine Pause verdient hatten, aber geschenkt: England im Spätherbst wie eine andere Welt, die Kathedralen strahlten im Dunklen um die Wette, Schlittschuhbahnen luden zur vorweihnachtlichen Ausfuhr und der Sieg der englischen Nationalelf über die Vereinigten-Königsreichs-Kollegen aus Wales wurde – public viewing at its best – ein- und ausgehend gefeiert.

Nachdenklicher stimmte, was auf der Onion and Carrot Conference (OCC) diskutiert wurde. Und damit sind nicht die Ausführungen des aus Missouri stammenden Präsidenten der US-amerikanischen National Onion Association gemeint, der in der Biden Administration den Grund für alles Übel auf der Welt sah und seinen europäischen Berufskollegen riet, doch einfach nicht zu verkaufen, wenn die Preise nicht stimmen. Erinnerte Greg Yielding mit markigen Sprüchen und Cowboyhut an die Karikatur eines Westernhelden, erfüllte David Exwood die Erwartungen an die Rede eines Bauernverbandsvizepräsidenten – wobei Häme angesichts des selbsteingebrockten Brexits mit Sicherheit fehl am Platz ist.

Nachhaltigkeit der Inflationsbekämpfung zu opfern und mit noch mehr Saisonarbeitskräften aus Nepal und Indonesien Arbeitsmarktlücken stopfen, hört sich zwar nach einem Plan an, aber einem vielleicht eher kurzsichtigen. Steilvorlage für Emeritus Tim Lang, der gemeinhin als einer der klügsten Köpfe Englands gilt. Und auf einmal waren die Probleme unserer mit Linksverkehr gesegneten Berufskollegen auch unsere: Ohne Importe geht es auch in England nicht, hüben wie drüben führt falsche Ernährung zu Riesenkosten für die Gesundheitssysteme und konzentriert sich die Marktmacht im Lebensmitteleinzelhandel auf eine Handvoll anerkannt profitorientierter Unternehmen.

Und da die Engländer uns normalerweise einen Schritt voraus sind, wird auch in Deutschland die Lücke zwischen der Lebenserwartung privilegierter und weniger privilegierter Bevölkerungsschichten größer werden. Die nie erreichten mindestens Fünf am Tag werden zukünftig noch mehr zu einem Luxusproblem werden und auch bei uns zeigt sich: Die Tafeln sind nicht die Antwort und können das Problem auch nicht lösen. Die Politik ist gefragt, Lang wünschte sich einen 1943er Hot Springs Moment – auch wenn eigentlich in den letzten knapp achtzig Jahren genug Zeit gewesen wäre, der seinerzeit im Rahmen der UN Conference on Food and Agriculture aufgestellten Forderung nach einer „ausreichenden und angemessenen Versorgung eines jeden Menschen mit Nahrung“ nachzukommen.

Die 2008er Wirtschaftskrise und vieler ihrer Nachfahren und Vorläufer lassen grüßen

Tim JAcobsen

Wie verzwickt das Problem ist, zeigt Langs Vergleich inflationsbereinigter Konsumentenpreise: Möhren waren 2019 halb so teuer wie 1988, Zwiebeln um die Hälfte billiger. Das Preispendel schlug zwar in den Folgejahren in die Gegenrichtung aus und spätestens mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine wurde dann auch dem letzten klar, dass die Preise gewissermaßen durch die Decke gehen. Die Chance, folgerichtig die Erzeugerpreise neu zu tarieren, wurde jedoch verpasst, auch 2022 ließen sich Zwiebel und Möhren im Handel finden, die den Preisaufschwung seit 2019 irgendwie nicht mitbekommen hatten.

Die Antwort des LEHs lautete nämlich allgemeinhin, dass die Inflation „im Schulterschluss mit den Produzenten“ bekämpft werden müsse. Etwas, das Ged Futter dann eher als „auf den Schultern der Produzenten“ interpretierte. Der ehemalige Chefeinkäufer ist Experte für unlautere Wettbewerbspraktiken im Vereinigten Königreich und konnte jedem und jeder nur raten: Augen auf bei der Geschäftspartnerwahl. Es seien zwar unruhige Zeiten, doch – und da zeichnete sich dann auch endlich einmal eine lang erwartete gute Nachricht ab – werde die abnehmende Hand angesichts abnehmender Warenverfügbarkeit zukünftig weniger Spielraum haben und auf zuverlässige Partner angewiesen sein.

Damit ist allerdings noch nicht das Problem gelöst, dass in Krisenzeiten der Obst- und Gemüseverzehr leidet und das besonders in weniger begüterten Bevölkerungsschichten: mehr als ein Viertel aller Haushalte mit Kindern mussten in England in den letzten Monaten Mahlzeiten ausfallen lassen. Davon betroffen waren mehr als 4 Mio. Kinder. Knapp 10 Mio. Erwachsene mussten in den letzten Monaten auf die eine und andere Mahlzeit verzichten. Die Hälfte der Haushalte mit moderat bis niedrigen Einkommen machte Abstriche an den Obst- und Gemüsetheken, was zu einem Rückgang der Verkäufe um knapp ein Zehntel im Vergleich zur Prä-Covid-Zeit führte.

Schulgärten, wie von Joe Mann während der OCC angeregt, werden allerfrühestens mittelfristig für Veränderung sorgen. Deutlich schneller könnte es dann mit Simply Veg gehen, dem neuesten Streich des IPA Effectiveness-Preisträgers Dan Parker. Anders als noch in der ebenfalls sehr sehenswerten „Eat them to defeat them“-Kampagne hilft Veg Power dieses Mal dabei, mit Hilfe von simplyveg.org.uk preiswert und geschmack-voll die Klippen der „Permakrise“ ernährungstechnisch zu umschiffen. Wobei weder ausgewogen oder gesund noch regional oder saisonal im Vordergrund stehen, es klammheimlich aber dann doch tun.

Parker hatte sieben Jahre Vorlauf, die komplett privat finanzierte Kampagne rund zu bekommen. Zeit, die uns fehlt. Mit nur einem Bruchteil der einen Milliarde Euro, die als Anschubfinanzierung zur Förderung des Umbaus der Tierhaltung eingeplant sind, könnte hier Großes geschaffen werden.

Tim Jacobsen

« Ältere Beiträge Neuere Beiträge »