Will man sich vor Augen führen, wie lange es her ist, dass ministeriell orchestriert das erste Mal in die Zukunft des deutschen Gartenbaus geschaut wurde, musste zuallererst Steinmeier Merkel im Kanzlerduell unterliegen, bevor wenige Tage und Meter vom Fernsehstudio entfernt dann die Erstausgabe des Zukunftskongresses Gartenbau stattfinden konnte.

Adlershof hatte den Vorteil, über Schönefeld seinerzeit zumindest noch direkt an die große weite Welt angeschlossen zu sein.

Die SPD ließ nicht locker und verfrühstückte vier Jahre später im Jahr 2013 Steinbrück an die Amtsinhaberin, auch dieses Mal begleitet von einem Zukunftskongress Gartenbau. Damals kam gerade Graphic Recording wieder aus der Mode und so wurden die Inhalte zumindest fast zeitgemäß in Wandgemälden festgehalten.

Nur neun Tage trennten Merkel am 8. Dezember 2021 von der 5869 Tage umfassenden Rekordkanzlerschaft Kohls. Wer 2013 in Tiefschlaf gefallen war, verpasste also in den Folgejahren nicht allzu viel, weder in der Politik noch im Profifußball. Der Amtsinhaberinnenbonus war und blieb lange Zeit Trumpf, die Ergebnisse des 2013er-Zukunftskongresses wurden in einer 85 seitigen –strategie festgehalten.

Ohne Duell, Flughafen und direktem Merkelbezug hatte Adlershof dann wohl seinen Reiz verloren und für die in wenigen Wochen aus dem Boden gestampfte 2022er-Drittauflage des Zukunftskongresses wurde mit der Heilig-Geist-Kapelle, einem der ältesten Gebäude Berlins, eine etwas zentralere Location gefunden.

Für den Minister, der sogar zur Vereidigung bei erstaunlicherweise wiederum Steinmeier mit dem Fahrrad gekommen war, wären die zwei Kilometer vom Dienstsitz in der Wilhelmstraße wahrscheinlich ein Klacks gewesen. Da aber am 18. Oktober 2022 das Agriculture and Fisheries Council tagte, konnte er nicht selbst kommen, sondern schickte eine Videobotschaft.

Etwas, das seine CSU-Vorgängerin 2013 ähnlich handhabte. Nur fingen damit für ihn gerade wegen des ganz-ohne-da-zu-seins die Probleme in gewisser Weise erst an: Eine überlebensgroße schwäbelnde Projektion an genau der Stelle, wo sich über viele Jahrhunderte das Altarbild befunden haben muss, war in ihrer Außenwirkung zumindest etwas befremdlich. Und was im Radio „versendet sich“ heißt, war einer der ersten thematischen Stolpersteine der Veranstaltung.

Die Frage „wer wen und wieso unterschätzt“ vergallopierte sich eingangs des über weite Strecken gar-nicht-so Zukunftskongresses zusehends, gleichzeitig wurde unliebsamen Vertretern anderer Meinungen mit Referenzen an die dunkelsten Jahre Deutschlands lautstark die Ablehnung gegeigt. Immerhin sorgte der einzige Praktiker auf dem Vormittagspodium für mehrere im Titel der Veranstaltung ja versprochene Licht- und vor allem Ausblicke.

Das karge Mittagsmahl war wahrscheinlich eine Referenz an frühere klösterliche Riten und wer dann tatsächlich passgenau zu den Parallelforen aus einem neun Jahre und fünf Wochen begonnenen Tiefschlaf aufgewacht wäre, hätte sich sofort zurecht gefunden.

Zwar ist das Graphic Recording 2022 etwas farbloser als dies noch 2013 live im Adlershof und für alle Ewigkeit auf den Seiten 67, 71 und 73 im Tagungsband der Fall war. Zurückhaltung bei der Farbsättigung ist aber tatsächlich gerade sehr modern.

Die diskutierten Probleme hätten aktueller kaum sein können und waren doch nahezu identisch mit denen der beiden Vorgängerveranstaltungen. Natürlich sind Flüssiggastanker im Vergleich zu Branchen wie dem Gartenbau Schnellboote, etwas weniger in die gleiche Richtung hätte der Veranstaltung jedoch gutgetan.

Mehr noch, etwas weniger herumdoktern im zunehmend verzweifelteren Versuch, mit möglichst wenig Aufwand den Status Quo beibehalten zu können, hätte vielleicht tatsächlich zu zukunftstauglicheren Ideen geführt.

Auch die vorgestellten Leuchtturmprojekte hatten und haben zwar mit Sicherheit Strahlkraft, zum Teil strahlen sie aber eben auch schon sehr lange.

Und da wirkt dann das Renaming des 2013er Mottos  „Die Zukunft beginnt jetzt“ in ein „Die Zukunft ist heute“ vielleicht im Nachhinein wie die Selbsterkenntnis, dass irgendetwas nicht ganz richtig sein kann, wenn die 2013er Zukunft heute eigentlich schon Vergangenheit sein müsste, aber noch immer im Futur diskutiert wird.

Der Status Quo ist die wahrscheinlich unwahrscheinlichste Option, die wir zukünftig haben werden. Die Diskussion, was denn jetzt eigentlich passieren soll, versandete in der Moderation und wieder einmal bewahrheitete sich, dass viel diskutiert werden kann, was aber davon überbleibt, einzig und allein die Protokollantin bestimmt.

Aus der Pokermine des ranghöchsten Ministeriumsvertreters ließ sich zumindest nicht ablesen, dass ihm die Existenznöte der Gärtnerinnen und Gärtner besonders nahegehen würden.

Tim Jacobsen