Nachrichten zur Wettbewerbslage

"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

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Hajo, des wisse mer doch, dass Monnem halt schee is

Vor ziemlich genau zehn Jahren stimmten die Mannheimer ab: Soll in ihrer Stadt die Bundesgartenschau 2023 stattfinden – ja oder nein? Klar war: Mannheim hatte mit mehr als 500 ha brachliegendes Gelände mehr oder weniger mitten in der Stadt ein wahrhaft großes Problem, das gleichzeitig ebenso unglaubliche Chancen bot. Riesige Flächen, ein spätes Erbe der US Army, konnten ein Grünzug, ein Naherholungsgebiet, eine Frischluftschneise, ein attraktives Wohnumfeld mit Gewerbe werden – der Phantasie waren kaum Grenzen gesetzt.

Eine Bundesgartenschau als „unterstützende Maßnahme“ käme da wie gerufen, dachte sich der Gemeinderat und stimmte im Februar 2013 einstimmig für die Bewerbung der Stadt. Basis war eine Machbarkeitsstudie, die in den eineinhalb Jahren zuvor gemeinsam mit Bürgern erarbeitet und im Oktober 2012 vorgestellt worden war. Die Bewerbung glückte. Doch plötzlich formierte sich Widerstand in der Bürgerschaft. Unzählige Artikel und Leserbriefe wurden geschrieben, Abgeordnete per Facebook, Email und Twitter mit Fragen gelöchert. Um Ruhe in die unruhevolle Dynamik zu bringen, beschloss der Gemeinderat, die Bürger selbst entscheiden zu lassen.

Die Befürworter der blühenden Landschaften erinnerten an die erfolgreiche Bundesgartenschau von 1975 und bekamen am Ende Recht. Dass eine Buga heutzutage keinesfalls mehr ein Selbstläufer ist, zeigt das Beispiel Rostock. Auch dort sollte die Bundesgartenschau der Booster für die Stadtentwicklung werden. In rund 70 Jahren Bundesgartenschau-Geschichte ist die 2025er Ostseeedition nun die erste Buga überhaupt, die abgesagt wurde. Nach einem etwas zähen: sie kommt, sie kommt nicht, sie kommt, sie kommt nicht, soll die letzte Abschlagszahlung der Hansestadt an die Deutschen Bundesgartenschaugesellschaft bei einer Viertelmillion Euro gelegen haben, womit Insidern zufolge die Stadt noch ganz gut weggekommen sein soll.

Auf die IGA 2027 Metropole Ruhr wird dann 2029 „Willkommen am Wasser“ im Oberen Mittelrheintal folgen. Ob dann zeitweise wieder mehr über schwarze Perücken, Kimonos, Sombreros und Ponchos als über das eigentliche Ereignis diskutiert wird, bleibt abzuwarten, stiehlt aber wie im Fall von Luisen- und Spinelli-Park dem eigentlichen Großereignis die Aufmerksamkeit. Es ist kein großes Geheimnis, dass die Quadratstadt Mannheim vielleicht nicht unbedingt Deutschlands schönste Metropole ist, gewinnt sie doch hauptsächlich durch das noch etwas tristere Ludwigshafen, verliert aber deutlich gegen das Neckar aufwärts gelegene Heidelberg.

Warum Mannheim eigentlich keine Schönheit sein kann, ist schnell erklärt: Die vom holländischen Festungsarchitekten Bartel Janson entworfene und ab 1606 gebaute Stadt war noch im Teenageralter, als Heerführer Tilly während des Dreißigjährigen Krieges die Mauern beschoss. Zuletzt ging fast die gesamte Innenstadt im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs unter. Vielleicht war das ein Grund, warum Mannheim lange Zeit eher touristisches Brachland war, in das sich höchstens Geschäftsreisende verirrten. Nun soll die Buga23 von Mitte April bis Mitte Oktober rund zwei Millionen Besucher in die Stadt bringen.

Marco Polo kürte im Oktober vergangenen Jahres Mannheim gar zum Top-Reiseziel für 2023. Buga klinge zwar „nach Reisebussen und Old-School-Blumenanstarren“, heißt es darin, doch die Schau triggere auch die Städtebau-Aktivität, neben dem Spinelli-Park zwei weitere Ergebnisse der Bemühungen: eine Seilbahn und eine nicht ganz plangerecht fertiggestellte Unterwasserwelt. Und so ist die Buga23 dann wie die Stadt selbst: der Kontrast zwischen barockem Luisenpark und zerfranster Vorstadtlandschaft auf dem Militärgelände zeigt in beeindruckender Weise die Spannweite des städtebaulich ästhetisch Möglichen.

Wem bei all dem eher Plakativen der intellektuelle Tiefgang fehlt, ist dann wiederum in der 1909 gegründeten Kunsthalle bestens aufgehoben. Dass alles mit allem zusammen hängt, ist schon lange kein Geheimnis mehr, wie eng die Vernetzungen sind und wie stark der Einfluss der Erderwärmung auf jede Facette des Lebens ist, untersucht die Ausstellung „1,5 Grad. Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik“. Und wer nun auch damit nichts anzufangen weiß: neben dem Fahrrad, dem Traktor, dem Auto, der Fernwärme wurde auch  das Spaghetti-Eis in Mannheim erfunden – und das schmeckt nicht nur den paar Schnöseln, die in der einstigen Arbeiterstadt gelandet sind und meist BWL an einer in einem Barockschloss untergebrachten Universität studieren.

Tim Jacobsen

Was isst Deutschland?

Wohl jeder hat zumindest in der entfernten Familie jemanden, der, auch wenn er wollte, gar nicht wüsste, wie Nudeln überhaupt gekocht werden – während andere, nicht weniger liebe Verwandte aus Spaghettini oder Spaghettoni einen Glaubenskrieg machen. Pastinaken und Petersilienwurzeln nutzten geschickt die Ge- und Abwöhnung an und von Erdnußbutter, Papaya und Avocados, um aus der Versenkung zurück zu kehren – und so ist in aller Abgedroschenheit an der Beständigkeit des Wandels durchaus etwas dran.

Im Vergleich März 2023 zum selben Monat des Vorjahres sticht zwar mit einem Plus von 27 % Gemüse heraus, richtig viel teurer ist aber mit 71 % Zucker geworden, über den so gut wie niemand spricht. 402 € geben wir alle im Schnitt Jahr für Jahr für Lebensmittel aus; der Anteil des Haushaltseinkommens, der in Polen für Lebensmittel ausgegeben wird, liegt um die Hälfte höher als bei uns.

Der Umsatz mit Biolebensmittel sank im Vorjahr im Vergleich zu 2021 zwar um 3,5 %, lag aber immer noch 25 % über dem von 2019. Interessanterweise war in der letzten Saison der Preisaufschlag für konventionelle Möhren über alle Absatzkanäle hinweg ausgeprägter als für Bioware. Noch extremer: Bei Zwiebeln ging in der zu Ende gehenden Saison konventionelle Ware ab wie Schmitz Katze, die Biokollegen dagegen konnten schon fast froh sein, das konstante Preisniveau der Vorjahre zu halten.

Doof dann auch, wenn die solvente Stammkundschaft das direktvertriebene Ökofleisch nicht mehr zu zahlen bereit ist, sich auf Discounterbio stürzt – und gleichzeitig am 30 % Ziel des Koalitionsvertrags festgehalten wird. Richtig attraktiv wird die Umstellung dadurch nicht, auch wenn Biobauern zumindest von der Preissteigerung für synthetische Dünger nicht betroffen sein sollten. Eier sind übrigens die am häufigsten gekauften Bioprodukte, noch vor Obst und Gemüse sowie Kartoffeln und den Mopros.

Der Ökolandbau schneidet in vielen Dingen besser ab als die konventionelle Landwirtschaft, die Frage, wie groß die Ertragseinbußen sind, scheidet die Geister. Smart Farming könnte eine Art Mini-game-changer werden, der große Wurf wäre allerdings eine Anpassung des EU-Gentechnikrechts. Nicht unbedingt etwas Neues: Schon die Urbios diskutierten darüber, ob nicht Molekularbiologie geradezu dafür gemacht wäre, den nicht chemisch unterstützen Pflanzen in ihrem Überlebenskampf alle denkbaren Vorteile zu bieten. Seinerzeit soll die Stimmungslage ungefähr fifty-fifty gewesen sein.

Letztendlich ist das Ganze aber mehr eine Art Scheindiskussion angesichts dessen, dass von 50 m2, die es braucht, um ein Rind 1 kg schwerer werden zu lassen, standortabhängig eben auch bis zu 2,5 dt Kartoffeln abgefahren werden können. Seit dem Jahrhundertwechsel ging der Milchkonsum bei uns um rund ein Zehntel zurück, die Alternativen aus Hafer, Soja und Mandel eroberten 5,5 % Marktanteil.

Erfreuliche 72 % der Deutschen greifen täglich zu Obst und Gemüse, wieder einmal sind die Frauen mit 81 % vernünftiger als die Männer mit 63 %. Fleisch gibt es bei 19 % unserer Frauen jeden Tag, hier liegen die Männer mit 31 % deutlich darüber. Mit unseren durchschnittlich 52 kg Fleischkonsum liegen wir zwischen den 4 kg in Indien und den 110 kg in Amerika, Australien und Argentinien irgendwo in der Mitte.

Die Beliebtheit von Suppen und Eintöpfen steigt mit dem Alter, beim Ketchup ist es andersrum. Frauen trinken mehr Kräutertee als Männer und Männer viermal so viel Alkohol. 78 kg Lebensmittel werfen wir alle durchschnittlich weg und von den 7,4 % der Treibhausgasemissionen, die auf die Landwirtschaft entfallen, stammen zwei Drittel aus der Tierhaltung.

Gut die Hälfte Deutschlands wird in der einen oder anderen Form bewirtschaftet und so wird schnell klar, dass Insektenhotels hier und bestäuberfreundliche Blüten da allenfalls Kosmetik sein können und es vor allem mehr Diversität in der Fläche braucht.

Insekt ist dabei nicht gleich Insekt, mit rund einer Million Arten sind Insekten die artenreichste Tiergruppe überhaupt. Andere Länder, andere Sitten: während nicht nur in Bayern Insekten eher langsam Eingang in unsere Speisekarten finden werden, sind sie für rund ein Viertel der Weltbevölkerung der Proteinlieferant schlechthin.

Vielleicht kommen wir aber auch noch einmal mit einem blauen Auge davon – zumindest was die Insekten angeht. Wer schon einmal einen Vorgeschmack darauf bekommen möchte, wie es gehen könnte, die bis 2050 wahrscheinlich 10 Mrd. Menschen zu ernähren, sollte einen Blick in „Eat Good“ wagen.

Auch auf die Gefahr hin, eine der Haupterkenntnisse der Rezeptsammlung zu spoilern: mit den Lancet-Kommissions-Empfehlungs-gerechten 350 g Gemüse und 200 g Obst täglich sollte uns Gärtnerinnen und Gärtnern eigentlich nicht bang vor der Zukunft sein!

Tim Jacobsen

Nachhaltigkeit muss in allen Facetten nachhaltig sein

Eigentlich ist der Rosenanbau ja eine einfache Sache, wie die meisten von Ihnen wahrscheinlich aus eigener Erfahrung wissen. Schwierig wird es, wenn Sie versuchen wollen, damit auch Geld zu verdienen. Und weder Regionalität noch Saisonalität sind ganz neue Erfindungen, vielmehr haben sie bereits den Speiseplan der Jäger und Sammler bestimmt. Relativ neu dagegen ist, dass sesshaft gewordene Menschen zumindest in den sehr wohlhabenden Ländern dieser Welt dann Trick 17, 53 und 86 bedacht haben, um möglichst niemals auf gar nichts verzichten zu müssen.

Und so hat uns die großtechnische Ausbeutung von Erdöllagerstätten nicht nur Nylonstrümpfe und jede Menge anderen Verpackungsmüll beschert, sie machte auch den vor Wetterkapriolen und Klimaperikeln geschützten geschützten Anbau von Schnittrosen überhaupt erst möglich. Befeuert von günstiger Energie und der wirtschaftlichen Prosperität der Wirtschaftswunderjahre schossen die Gewächshäuser in den Nachkriegsjahren wie CDU-geführte Bundesregierungen aus dem Boden. Auf die erste große Koalition unter Kiesinger folgten die Sozialliberalen und der Ölpreisschock. Vier autofreie Sonntage manifestierten, dass die Limits to Growth auf betrieblicher Ebene schneller sichtbar wurden als die Tinte des Clubs of Rome trocknen konnte.

Ein paar pfiffige Gärtner schifften daraufhin nach Teneriffa aus, die ganz Wagemutigen verschlug es nach Ecuador. Hier trafen sie in gewisser Weise auf den Rosengarten Eden. Cayambe liegt auf 3000 Metern ziemlich exakt auf dem Äquator. Die einzigartigen Lichtverhältnisse, die gemäßigten Temperaturen und die fruchtbaren Böden haben Cayambe gewissermaßen zur Welthauptstadt der Rosen gemacht. Manche sagen, dass Rosen nirgends besser gedeihen als dort – und dies mit vergleichbar geringem Aufwand: stehen bei uns High-Tech-Gewächshäuser industriellen Produktionsanlagen in nichts nach, genügen dort ein paar Dachlatten und Plastikfolie. Ein kleines Problem sind die Distanzen. Nun werden Rosen zwar nicht aus Flugscham rot, ein bisschen ein Spaßverderber ist die Entfernung allerdings allemal. Zweites Problem sind die nur aus unserer Sicht niedrigen Löhne in Ecuador.

Kolumbien nahm den Arbeitskosten-Unterbietungshandschuh gerne auf, genauso wie die Berufskollegen in Kenia, die dann wiederum mit Äthiopien einen Billiganbieter in direkter Nachbarschaft hatten. Ganz verschwunden ist der Schnittrosenanbau allerdings auch bei uns nicht. Mit Leidenschaft und zuweilen auch Leidensfähigkeit halten bei uns auf rund 125 ha Gärtnerinnen und Gärtner die Rosen-Stellung, jenseits der deutsch-niederländischen Grenze sind es noch ein paar mehr, von ehemals knapp vierstelligen Anbauzahlen fehlt allerdings auch hier jede Spur. Energie ist auch fünfzig Jahre nach der Ölpreiskrise Aufregerthema Nummer eins, dazu kommt die eher noch weiter auseinandergegangene Lohnpreisschere zwischen uns und dem globalen Süden. Einige haben aufgerüstet, bei Marjoland beispielsweise kommt der Berg zum Propheten.

Manches ist hingegen auch über all die Jahre hinweg relativ stabil geblieben: Neben Sergei Lawrow und Jean Asselborn im Außenministeramt beispielsweise auch die dominierende Rolle der genossenschaftlichen Koninlijke Floraholland, des größten Blumenhändlers der Welt. Bis 2008 war das 700 mal 740 Meter große Aalsmeerer Versteigerungsgebäude mit direktem Flughafenanschluss nichts weniger als das größte Gebäude der Welt – und gleichzeitig der globale Flaschenhals für Ex- und Importe im Zierpflanzenbereich. Es war über viele Jahre eher die Regel als die Ausnahme, dass Blumen aus Südamerika statt der Direttissima über Mittelamerika zweimal Weltmeere überfliegen mussten, bevor sie in Nordamerika Herz und Sinne erfreuen konnten.

Auch wenn die Frage „brauchen wir das oder kann das weg“ für sich genommen spannend zu diskutieren wäre, lässt sich das Ganze auch weniger hoch aufhängen: Wäre denn nicht allen gedient, wenn sich in Absatzmarktnähe unter ähnlichen Umständen wie in Ecuador Rosen produzieren ließen? Die Niederlande sind damit schon einmal raus und auch der Alpennordkamm bei uns kommt an das Tageszeitenklima des nullten Breitengrades nicht einmal Ansatz-weise heran. Luiz Corella ließ sich davon nicht entmutigen. Im fernen Mexiko vom Heimweh nach Spanien und dem Wunsch, die besten Rosen der Welt anbauen zu wollen, gepackt, fand er zwei Autostunden nördlich von Madrid am Oberlauf des Dueros in 1100 Metern Höhe Licht- und Temperaturverhältnisse, die zumindest in Europa ihresgleichen suchen. Dazu die perfekte Anbindung an das europäische Autobahnnetz: 19 Stunden brauchen LKWs von Soria nach Aalsmeer.

Der Businessplan stand 2013. 2015 begannen die Bauarbeiten und im September des Folgejahres wurden die ersten Rosen gepflanzt. 14 ha ist der Neubau groß, verschlungen könnte er um die 50 Mio. € haben. Eine mögliche Verdoppelung der Anbaufläche war von Anfang an Teil des Plans. Es dauerte weniger als zweieinhalb Jahre, bis sich im Januar 2019 mit der Einführung der Premiumsortierung Aleia Máxima die Produktionsprozesse offensichtlich eingespielt hatten. Nahezu zeitgleich mit der Optimierung der Produktionsprozesse begann sich allerdings auch der Himmel über den ansonsten wolkenfreien, Schnee bedeckten Berggipfeln Nordspaniens zunehmend zu verdüstern. Im Sommer 2019 machten Gerüchte die Runde, dass es bei der Entlohnung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei.

Am 16. Oktober 2019 dann die Beantragung des Voluntary Creditor Contests, der trotz Zahlungsschwierigkeiten eine Fortführung der Geschäftstätigkeit erlaubt. Als Ursache für die unternehmerische Schieflage wurde der Rückzug eines Großinvestors benannt. Die US-amerikanische Full Moon übernahm schließlich im Sommer 2020 für wahrscheinlich unwesentlich mehr als ein Zehntel der mutmaßlich ursprünglich investierten Summe den nordspanischen Rosenproduzenten. Am 12. März 2021 wurden an der Veiling Rhein Maas die allerletzten `Red Naomi´-Rosen aus Soria versteigert.

Die letzten Nachrichten, die aus Soria zu hören waren, klingen insgesamt eher nach einer Investitionsruine im ländlichen Raum. Full Moon Investments hatte und hat offensichtlich größere Schwierigkeiten, eine der begehrten Lizenzen für den Anbau von medizinischem Cannabis in Spanien zu bekommen. Zwischenzeitlich waren drei von vier vergebenen Lizenzen in den Händen von Mitgliedern des spanischen Königshauses. Begründet wurde dies damit, dass befürchtet wurde, die Lizenzen könnten reine Handelsware werden, sobald sie in ausländischen Besitz kämen.

Im Fall von Aleia Roses noch viel mehr als bei der „vertically integrated cannabis business development group“ war die gute Idee Vater und Mutter des Gedankens. Einmal mehr zeigte sich aber, dass Nachhaltigkeit aus drei Dimensionen besteht, auf mindestens drei Säulen beruht: Neben Ökologischem und Sozialem darf eben auch die Ökonomie nicht zu kurz kommen. Und vielleicht, aber auch nur ganz vielleicht, war das Ganze zumindest eine etwas waghalsige Geschäftsidee, also das eine wie das andere.

Tim Jacobsen

Geschichte als Familiengeschichte

Manche haben in der Corona-Zeit Netflix leergekuckt, andere mit Duolingo Koreanisch gelernt, Ewald Frie wiederum begab sich mit Hilfe seiner zehn Geschwister auf eine Reise in die eigene Vergangenheit. 1962 in eine Münsteraner Bauernfamilie hineingeboren, ist Frie wie neun seiner Geschwister einen Lebensweg außerhalb der Landwirtschaft gegangen. Die Interviews, die er mit seinen Geschwistern führte und die historischen Quellen, die er beim Verfassen von „Ein Hof und elf Geschwister“ zu Rate zog, können in der Ausarbeitung nicht die zuweilen etwas übertrieben wissenschaftlich wirkende Herangehensweise eines Geschichtsprofessors verhehlen, lassen die sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch ziehende Dankbarkeit, Bewunderung und Verehrung der eigenen Mutter aber noch viel eindrücklicher erscheinen. Mit dem Stichwort Strukturwandel ließe sich die Familiengeschichte schnell erzählen, dass hinter dem Höfesterben aber auch immer Schicksale, gescheiterte Träume, Beharrungsmomente sowie Entscheidungen für und wider das Richtige stehen, wird einem bei der Lektüre der 191 luftig gesetzten Seiten zum Preis von 23 € deutlich vor Augen geführt.

Tim Jacobsen

Clarkson´s Farm geht in die zweite Runde

Als Jeremy Clarkson im Dezember 2022 eine Kolumne in The Sun veröffentlichte, in der er davon träumte, dass die Frau des Bruders des britischen Thronfolgers eines Tages nackt durch die Straßen des Vereinigten Königreich paradieren und dabei von einer aufgebrachten Menge mit Exkrementen beworfen werde, geriet er nicht zum ersten Mal in das Auge eines veritablen Shitstorms. Clarkson, der sich selbst als „Petrolhead“ bezeichnet, polarisiert und provoziert durch grenzwertige, politisch unkorrekte Äußerungen und mehr als nur satirisch-ironische Seitenhiebe – was vor vielen Jahren bereits dazu führte , dass die altehrwürdige BBC seinen Top Gear-Vertrag nicht verlängerte. Die nicht ganz so kritischen Kollegen von Amazon Prime Video hat er mit seinen zweifelhaften Äußerungen nun ähnlich weit gebracht.

Die zweite Staffel von Clarkson´s Farm war zu der Zeit allerdings bereits abgedreht und auch eine dritte Staffel im Kasten. Dem Vernehmen nach soll danach nun aber auf jeden Fall Schluss sein. Und so lässt sich dann in Zeiten von Cancel Culture ein ungutes Gefühl nicht ganz verheimlichen, was Clarkson allerdings alles widerfährt, bevor er am Ende der zweiten Staffel dann tatsächlich erste Gäste in seinem Hofrestaurant begrüßen kann, ist dermaßen unterhaltsam und aus dem Leben gegriffen, dass es den alltäglichen Wahnsinn auf den Höfen nicht nur im Vereinigten Königreich in kaum zu übertreffender Weise dokumentiert. Um einmal mehr den Spagat zwischen unternehmerischer Freiheit, missgünstiger Nachbarschaft und Auflagen-orientierten Behörden gewissermaßen im Extremform aufzuzeigen, brauchte es ein charmantes Ekel wie Clarkson, der in Clarkson´s Farm das spielt, was er am Besten kann: sich selbst.

Tim Jacobsen

WeGrow macht Namensclaim wahr

Eine Erfolgsgeschichte aus dem Rheinland, die beweist, dass Gutes zu tun nicht unbedingt ausschließen muss, damit auch Geld verdienen zu können: Es ist gerade einmal gut zehn Jahre her, dass Allin Gasparian und Peter Diessenbacher mit einer kleinen Heerschar von Kommilitonen rund 4000 Setzlinge ihres NordMax21® auf einem gut sechs Hektar großen Acker in Sankt Augustin-Birlinghoven pflanzten.

In den Folgejahren entwickelte sich die Kiribaumplantage besonders zur Blütezeit zu einem Anlaufpunkt für Hobbyfotografen und Selbstdarsteller, aber auch die nüchterne Wissenschaft zeigte sich begeistert sowohl von der Geschäftsidee als auch dem Wachstum der Bäume. Nicht umsonst nennt Diessenbacher „seine“ Blauglockenbäume die am „schnellsten wachsenden Bäume der Welt“, allein im Pflanzjahr sind bis zu fünf Meter Höhenwachstum möglich.

Aufmerksam gemacht wurden Gasparian und Diessenbacher auf die Wachstumrakete von einem Mitarbeiter des Botanischen Gartens der Universität Bonn, fast augenblicklich wurde aus ihrer Studentenbude eine Züchtungs- und Anzuchtstation für Kreuzungen verschiedener Paulownia-Arten. 2009 kam es zur Ausgründung, seitdem macht WeGrow auch als Firmengruppe den Namensclaim wahr: in weniger als 20 Jahren von der Fensterbank auf mehr als 120 Mitarbeitende und Geschäftspartner in 37 Ländern.

Letzten Donnerstag nun der große Augenblick: Gasparian und Diessenbacher konnten ihre erste „richtige“ Ernte einfahren: Die Bäume hatten in gut zehn Jahren eine Höhe von 20 m mit einem Stammumfang von 40 cm erreicht. Das hochpreisige Paulowniaholz zeichnet sich vor allem durch sein geringes Gewichtes aus und findet hauptsächlich in der Möbel-, Holzwerkstoffindustrie und beim Bau von Musikinstrumenten sowie Sportgeräten Verwendung.

Der Anbau von Kiriholz ist dabei keine Raketenwissenschaft, wie Diessenbacher erklärt: „Damit Ihre Kiribaum-Plantage erfolgreich wächst, liegt der Schlüssel in der Auswahl des richtigen Plantagenstandortes. Hinsichtlich der klimatischen Bedingungen der Plantage sollten die Temperaturen nie unter -22°C fallen oder für einen längeren Zeitraum höher als 45°C sein.“ Das dürfte für weite Teile Deutschlands zutreffend sein.

Diessenbacher weiter: „Sollte während der Wachstumsphase nicht mindestens 600 mm – 800 mm am besten gut über das Jahr verteilter Niederschlag fallen, sollte über künstliche Bewässerung nachgedacht werden. Paulownia-Plantagen benötigen für das optimale Wachstum zudem einen sandig-lockeren, salzarmen Boden möglichst ohne Staunässe, dessen pH-Wert zwischen 4,7 und 8,3 liegen sollte.“

Volkswirtin Gasparian und Agraringenieur Diessenbacher ergänzen sich beruflich auf das Vortrefflichste und so bleibt dann auch niemand die nackten Zahlen und Daten schuldig.  Auf mehr als 500 ha entstanden Gasparian zufolge in den Jahren seit 2012 in Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommer und Spanien Kiri-Plantagen – in Eigenregie oder im Kundenauftrag: „20 000 t CO2 binden diese Bäume rein rechnerisch im Jahr.“

Ebenfalls nicht ganz unerheblich: „Der Jahresumsatz der WeGrow AG lag 2022 bei rund 3,5 Mio. €.“ Wer nun Lust bekommen hat, ebenfalls von der Nachfrage nach dem „Aluminum der Hölzer“ profitieren zu wollen, sollte die Kontaktmöglichkeiten auf www.wegrow.de/ näher studieren – nicht geplant war, dass passend zur ersten Ernte unsere Bafin den Wertpapierprospekt der WeGrow AG freigab und sich noch bis Ende April für alle ohne die entsprechenden Hektar Aktien der WeGrow AG zum Vorzugspreis zeichnen lassen.

Tim Jacobsen

Karnevalsmuffel: die Lösung naht!

Zugegeben: ich bin ein leichtes Opfer, ist doch der Spagat zwischen Zeitung machen und Landwirtschaft wie sie ist und wie sie sein sollte gewissermaßen beruflicher Alltag. Und wer ist nicht neugierig und erfährt gerne mehr darüber, wie sich andere Menschen in einem Leben schlagen, das auch das eigene hätte sein können?

Auch wenn es streng genommen vielleicht gar nicht unbedingt nötig ist, Werbung für ein Buch zu machen, das Woche nach Woche die Bestsellerliste anführt, ist Juli Zeh mit dem einmal mehr Titel-kryptischen „Zwischen Welten“ dennoch ein äußerst vergnüglicher und dringend lesenswerter Roman gelungen, der die Leichtigkeit von Glattauers „Gut gegen Nordwind“ mit den großen Themen unserer Zeit verbindet und zum Nachdenken anregt, ohne dabei penetrant zu werden.

448 Seiten kosten 24 €.

Tim Jacobsen

Bingewatchers aufgepasst

Waren wir nicht alle spätestens nach der 49. Folge von The Affair überzeugt davon, dass Dominic West und Noah Solloway ein und dieselbe Person sein müssen? Dann das: auf einmal sind Dominic West und Noah Solloway Prince Charles – bleibt die Frage: wer ist eigentlich Detective James McNulty?

Tim Jacobsen

Auch 2023 Stau in und um Essen

Die IPM-Woche fing zumindest für die Zierpflanzengärtner relativ entspannt an. Hatten die sich selbst gern als Saubermänner gerierenden Südtiroler Obstbauern mit unvorteilhaften Rückstandsanalysen zu kämpfen, setzten die Gebühren-finanzierten Öffentlichen mit „Grün und exotisch – mehr Umweltschutz im Blumentopf“ positive Akzente.

Schlag auf Schlag ging es dann weiter: Noch bevor überhaupt ein Besucher, eine Besucherin einen Fuß auf bzw. in die Messe setzen konnte, war Sabine Platz bereits in den Messehallen unterwegs und servierte weder kalten Kaffee noch Frühstücksei, sondern warf in drei Live-Schalten lieferte sie einen begeisterten und ausgesprochen positiven Blick auf die Branche.

Nach zweijähriger unfreiwilliger Pause freute sich wahrscheinlich so manches, mancher und manche auf die Gelegenheit, in Essen endlich wieder Geschäftspartner, Freunde und Bekannte zu treffen. Die Messe machte mit einem toften Video, das auch eingangs der Eröffnungsveranstaltung gezeigt wurde, zusätzlichen Appetit auf einen strikt weltlichen Messebesuch. Aussteller aus 45 Nationen wurden erwartet, als Partnerland präsentierte sich Großbritannien.

Unterstützt vom britischen Außenhandelsministerium und der britischen Botschaft präsentierten die Aussteller auf dem Gemeinschaftstand in Halle 7 gewissermaßen grünbritische Produkte. Weiteres Highlight war das Internationale Gartenbauforum unter dem Motto `Quintessentially Green & British´ mit einmal mehr Nachhaltigkeitsthemen, dem Wert neuer Pflanzen und in gewisser Weise selbst verschuldetem Grenzbetriebsmodell.

Der Geschäftsführer der Messe Essen, Oliver P. Kuhrt, hängte die Kirschen ganz nach oben: „Der Wunsch nach Informationsaustausch und Innovationen ist angesichts aktueller wirtschaftspolitischer und ökologischer Herausforderungen hoch. Die IPM bietet die optimale Plattform, um Lösungen rund um Themen wie eine nachhaltige Produktion, fragile Lieferketten oder den Fachkräftemangel zu erarbeiten.“

Im Ausstellungsbereich Pflanzen waren wie in den guten alten Präcoronazeit in den Hallen 1, 2, 5, 6, 7, 8 und der Galeria Schnittblumen, Beet- und Balkonpflanzen, Kräuter, Naschgemüse und Zimmerpflanzen bis hin zu Weihnachtsbäumen, Stauden und Gehölzen vertreten. Themenrundgänge zu Klimabäumen und legten den Fokus auf möglichst nachhaltige Pflanzensortimente. Im Technikbereich in den Hallen 3, 4 und der Galeria gehörte die ressourcenschonende Produktion zu den Top-Themen.

Torfreduktion, Start-ups und smarte Technik sollten Besucher in das Innovationscenter Gartenbautechnik locken. In Halle 5 wie immer Steckschwämme, Schleifenband, Filze, Vasen, Übertöpfe, Pflanzschalen, Deko-Elemente und Grußkarten. Der Concept Store mit ergänzenden Sortimenten wie Tableware und Feinkost präsentierte sich etwas gar luftig. Nicht über Platzmangelbeklagen musste sich auch der Gemeinschaftsstand `Junge Innovative Unternehmen´ in Halle 5.

Das IPM Discovery Center in Halle 7 inszenierte ein bisschen auch sich selbst, genauso wie die Green City in Halle 1A die einen mit Live-Floristik aus Meisterhand lockte, die anderen mit dem eher nüchtern angelegten Infocenter Gartenbau. Beim `Show Your Colours Award´ wurde die beste Marketing-Story preisgekürt. Das Thema des Floristikwettbewerbs in den Kategorien `Strauß´, `Grüner Held im Topf´ und `Gefäßpflanzung´ lautete `Mission: Flower Future´.

Wie Konzepte und Kooperationen für hochwertige grüne Produkte begeistern können, war beim Gang über den Landgard-Messestand zu sehen. Eines der Highlights war die Landlust-Kollektion, dem einen oder der anderen bekannt vom Bahnhofskiosk, in dem die Magazine, die sich dem Leben auf dem Land und wie es in einer idealen Welt vielleicht sein könnte, längst den Motorsport-Magazinen die Regalmeter abgelaufen haben.

Produkte ausschließlich von Betrieben, die für besondere Qualitäten stehen sowie die zwei starken Partner überzeugten auch die Juroren, die der Kollektion vor kurzem den Titel `Beste Kooperation 2022´verliehen. `Starke Typen´ mit leicht zu formendem Ilex als Buchsbaumersatz, `Wat ne Hübsche´ mit Rhododendron-Hybriden und das Rosen-Konzept `Blühende Schönheit´ sowie italienisches Flair mit `Figaro Botanico´ und die altgedienten `Biene Maja´, `Minions´, `Jurassic World´, `Sansibar´, `Eataliano´ und `Eataliano biologico´, `Gärtnerware´, `IssBio´ und `Respect Nature´ zeigten einen guten Querschnitt durch das konzeptionell mögliche und vorhandene.

Ganz Londoner  Hyde Park war die Speakers‘ Corner mit ihren täglich wechselnden Themenschwerpunkten. Am ersten Messetag standen Marktprognosen und Trends im Fokus. Besagter Romeo Sommers sowie Manfred Hoffmann vom Fachverband Deutscher Floristen präsentierten Trends, Inspirationen und Ideen für 2023. Monique Kempermann vom Blumenbüro Holland versuchte `Nachhaltigkeit vs. Verbraucher´ in Einklang zu bringen.

Moderne Personalführung war Schwerpunkt des zweiten Messetages, hier stellte unter anderem der Landesverband Gartenbau NRW seinen Grünen Campus vor. Best Practices aus dem Bereich Kommunikation standen am dritten und vorletzten Messetag auf der Agenda. Torsten Brämer von `Wir sind Garten´ und Michael Perry, bekannt auf Insta unter Mr Plant Geek plauderten aus dem Social Media Nähkästchen. Nicht fehlen durfte in dem Zusammenhang Tristan Heinen-Bizjak. Der letzte Messetag widmete sich den Marktveränderungen im Gartenbau, Nabu und Bundessortenamtes schmissen die Veranstaltung.

Beruf+Zukunft gab es auch auf der IPM Essen und zwar ebenfalls in Form eines Forums. Kurzknackige Impulsreferate sollten Absolventen Erfahrungen und Tipps liefern. Eliot Barden brauchte diese wohl nicht mehr, er gewann zuvor bereits die Kategorie `Young IGOTY´. Auf einen Abendkurs der Royal Horticultural Society im Alter von 15 Jahren folgte ein Studium in den Kew Royal Botanic Gardens, bevor er 2018 zu Majestic Trees kam.

„Es gibt zwei Gründe, warum wir Eliot Barden zum Gewinner des Young IGOTY gewählt haben“, erklärte der Präsident der AIPH und Capitano der Vivai Capitanio, Leonardo Capitanio. „Erstens hat er genaues technisches und berufliches Fachwissen bewiesen. Zweitens investiert Eliot kontinuierlich in das Wachstum und die Entwicklung seiner Fähigkeiten, um sein höchstes Potenzial zu erreichen“.

In der Erwachsenenkonkurrenz ging AIPHs `Goldene Rose´ bzw. der Titel` International Grower of the Year´ an Brookdale Treeland Nurseries Ltd (BTN), mit 800 ha einer der größeren kanadischen Betriebe. Oberbaumschulist Jeff Olsen kommentierte ganz amerikanisch: „Wir fühlen uns unglaublich, so gesegnet, dass wir mit diesen Auszeichnungen geehrt werden. Es bedeutet mir persönlich und unserem gesamten Team in Kanada so viel. Wir freuen uns so sehr, ihnen die Neuigkeiten mitzuteilen.“

Gold gab es für BTN auch in der Kategorie Finished Plants & Trees und damit noch lange nicht genug auch noch Bronze in der Kategorie Sustainability. Das niederländische Vermarktungsurgestein Bernard Oosterom kommentierte: „Brookdale Treeland Nurseries zeichnet sich als zukunftsorientiertes Unternehmen aus, das mit einem breiten Sortiment und immer neuen Sorten immer wieder etwas Neues in die Branche bringt. Das Unternehmen setzt auf nachhaltige Produktion und Innovation und engagiert sich für den Wissensaustausch und den Aufbau eines starken Teams. Sein dynamischer Ansatz hat es ihm ermöglicht, neue Produkte und Märkte zu entwickeln, und es ist gut aufgestellt, um die Branche in den kommenden Jahren anzuführen.“

Tim Jacobsen

Aufklärung, die Spaß macht

Zurück von weggewesen: auch bei den Kollegen einmal über den Kanal begann im letzten Jahr nach mehrmaligem Coronawinter- und -sommerschlaf wieder die Veranstaltungssaison. Einigermaßen bezeichnend, dass sich die Mund- und Nasenbedeckungen bis zum Wiedereinstieg in den öffentlichen Nahverkehr diesseits der Passkontrolle eine Pause verdient hatten, aber geschenkt: England im Spätherbst wie eine andere Welt, die Kathedralen strahlten im Dunklen um die Wette, Schlittschuhbahnen luden zur vorweihnachtlichen Ausfuhr und der Sieg der englischen Nationalelf über die Vereinigten-Königsreichs-Kollegen aus Wales wurde – public viewing at its best – ein- und ausgehend gefeiert.

Nachdenklicher stimmte, was auf der Onion and Carrot Conference (OCC) diskutiert wurde. Und damit sind nicht die Ausführungen des aus Missouri stammenden Präsidenten der US-amerikanischen National Onion Association gemeint, der in der Biden Administration den Grund für alles Übel auf der Welt sah und seinen europäischen Berufskollegen riet, doch einfach nicht zu verkaufen, wenn die Preise nicht stimmen. Erinnerte Greg Yielding mit markigen Sprüchen und Cowboyhut an die Karikatur eines Westernhelden, erfüllte David Exwood die Erwartungen an die Rede eines Bauernverbandsvizepräsidenten – wobei Häme angesichts des selbsteingebrockten Brexits mit Sicherheit fehl am Platz ist.

Nachhaltigkeit der Inflationsbekämpfung zu opfern und mit noch mehr Saisonarbeitskräften aus Nepal und Indonesien Arbeitsmarktlücken stopfen, hört sich zwar nach einem Plan an, aber einem vielleicht eher kurzsichtigen. Steilvorlage für Emeritus Tim Lang, der gemeinhin als einer der klügsten Köpfe Englands gilt. Und auf einmal waren die Probleme unserer mit Linksverkehr gesegneten Berufskollegen auch unsere: Ohne Importe geht es auch in England nicht, hüben wie drüben führt falsche Ernährung zu Riesenkosten für die Gesundheitssysteme und konzentriert sich die Marktmacht im Lebensmitteleinzelhandel auf eine Handvoll anerkannt profitorientierter Unternehmen.

Und da die Engländer uns normalerweise einen Schritt voraus sind, wird auch in Deutschland die Lücke zwischen der Lebenserwartung privilegierter und weniger privilegierter Bevölkerungsschichten größer werden. Die nie erreichten mindestens Fünf am Tag werden zukünftig noch mehr zu einem Luxusproblem werden und auch bei uns zeigt sich: Die Tafeln sind nicht die Antwort und können das Problem auch nicht lösen. Die Politik ist gefragt, Lang wünschte sich einen 1943er Hot Springs Moment – auch wenn eigentlich in den letzten knapp achtzig Jahren genug Zeit gewesen wäre, der seinerzeit im Rahmen der UN Conference on Food and Agriculture aufgestellten Forderung nach einer „ausreichenden und angemessenen Versorgung eines jeden Menschen mit Nahrung“ nachzukommen.

Die 2008er Wirtschaftskrise und vieler ihrer Nachfahren und Vorläufer lassen grüßen

Tim JAcobsen

Wie verzwickt das Problem ist, zeigt Langs Vergleich inflationsbereinigter Konsumentenpreise: Möhren waren 2019 halb so teuer wie 1988, Zwiebeln um die Hälfte billiger. Das Preispendel schlug zwar in den Folgejahren in die Gegenrichtung aus und spätestens mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine wurde dann auch dem letzten klar, dass die Preise gewissermaßen durch die Decke gehen. Die Chance, folgerichtig die Erzeugerpreise neu zu tarieren, wurde jedoch verpasst, auch 2022 ließen sich Zwiebel und Möhren im Handel finden, die den Preisaufschwung seit 2019 irgendwie nicht mitbekommen hatten.

Die Antwort des LEHs lautete nämlich allgemeinhin, dass die Inflation „im Schulterschluss mit den Produzenten“ bekämpft werden müsse. Etwas, das Ged Futter dann eher als „auf den Schultern der Produzenten“ interpretierte. Der ehemalige Chefeinkäufer ist Experte für unlautere Wettbewerbspraktiken im Vereinigten Königreich und konnte jedem und jeder nur raten: Augen auf bei der Geschäftspartnerwahl. Es seien zwar unruhige Zeiten, doch – und da zeichnete sich dann auch endlich einmal eine lang erwartete gute Nachricht ab – werde die abnehmende Hand angesichts abnehmender Warenverfügbarkeit zukünftig weniger Spielraum haben und auf zuverlässige Partner angewiesen sein.

Damit ist allerdings noch nicht das Problem gelöst, dass in Krisenzeiten der Obst- und Gemüseverzehr leidet und das besonders in weniger begüterten Bevölkerungsschichten: mehr als ein Viertel aller Haushalte mit Kindern mussten in England in den letzten Monaten Mahlzeiten ausfallen lassen. Davon betroffen waren mehr als 4 Mio. Kinder. Knapp 10 Mio. Erwachsene mussten in den letzten Monaten auf die eine und andere Mahlzeit verzichten. Die Hälfte der Haushalte mit moderat bis niedrigen Einkommen machte Abstriche an den Obst- und Gemüsetheken, was zu einem Rückgang der Verkäufe um knapp ein Zehntel im Vergleich zur Prä-Covid-Zeit führte.

Schulgärten, wie von Joe Mann während der OCC angeregt, werden allerfrühestens mittelfristig für Veränderung sorgen. Deutlich schneller könnte es dann mit Simply Veg gehen, dem neuesten Streich des IPA Effectiveness-Preisträgers Dan Parker. Anders als noch in der ebenfalls sehr sehenswerten „Eat them to defeat them“-Kampagne hilft Veg Power dieses Mal dabei, mit Hilfe von simplyveg.org.uk preiswert und geschmack-voll die Klippen der „Permakrise“ ernährungstechnisch zu umschiffen. Wobei weder ausgewogen oder gesund noch regional oder saisonal im Vordergrund stehen, es klammheimlich aber dann doch tun.

Parker hatte sieben Jahre Vorlauf, die komplett privat finanzierte Kampagne rund zu bekommen. Zeit, die uns fehlt. Mit nur einem Bruchteil der einen Milliarde Euro, die als Anschubfinanzierung zur Förderung des Umbaus der Tierhaltung eingeplant sind, könnte hier Großes geschaffen werden.

Tim Jacobsen

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