Nachrichten zur Wettbewerbslage

"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

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And Now for Something Completely Different

Die Zutaten sind eher unspektakulär: vier Lehrer in der Mitte ihres Lebens samt kriselnder und vergangener Ehen sowie der ewigen Sinnfrage. Statt Lehrerbashing oder billigem Klamauk macht Thomas Vinterberg daraus allerdings einen Film, der einen bedauern lässt, nicht fließend dänisch verstehen zu können. Auch wenn „Der Rausch“ weder die kleinen noch die großen Katastrophen des Lebens ausspart: mehr Lebensfreude gab es auf der großen Leinwand lange nicht mehr zu sehen.

Tim Jacobsen

Mehr als nur Tennis

Es fehlte am Mittwoch nur noch ein letzter Volley: Roger Federer hatte wie schon so oft mit schnellen Schritten seine Rückhand umlaufen, danach mit der Vorhand attackiert und war ans Netz gestürmt. Sein Gegner Hubert Hurkacz hatte sich zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich mit dem unausweichlich scheinenden bereits abgefunden – es kam jedoch ganz anders: Federer bekam beim Stand von 2:3 im Tiebreak den heranfliegenden Ball nicht über das Netz, 29 Minuten später hatte er nicht nur den ersten und den zweiten, sondern ohne Punktgewinn auch den dritten Satz verloren.

Der 39-Jährige erlebte am 7.07.21 seinen eigenen, ganz besonderen Federermoment – der so ganz anders als die Federermomente war, die das Publikum von ihm gewohnt ist. Ob Federer dies zum Anlass nehmen wird, sich aus dem Tennissport zurück zu ziehen oder ob er nach den Olympischen Spielen doch noch bei den US Open antritt, wird sich zeigen. Im Interview mit David Foster Wallace erklärte er vor fünfzehn Jahren: „Es ist mein Körper, der entscheidet, wie lange ich spielen werde. Wenn Sie ein bestimmtes Alter erreichen, scheint es, als gäbe es eine Uhr, die die Zeit zählt. Es ist klar, dass früher oder später diese Zeit kommen wird.“

Mit der zweisprachigen Ausgabe von Fosters: „Roger Federer. Eine Huldigung“ erinnert der KIWI-Verlag an die „übermenschliche Karriere“ des Schweizers und erlaubt einen Blick hinter die Kulissen des ältesten und prestigeträchtigsten Tennisturniers der Welt. 112 Seiten kosten 10 € und sind wahrscheinlich eine der letzten Möglichkeiten, auch dem Menschen Federer näher zu kommen und mehr darüber zu erfahren, was ihn antreibt und wie er es schafft, auch in seiner 24. Profisaison die Menschen zu verzaubern.

Tim Jacobsen

“I just thought that’s not difficult. But it’s phenomenally difficult“

Mann muss kein Benzin im Blut haben, um von Top Gear zumindest schon einmal gehört zu haben. Angesichts der, nun ja, eher charismatisch-sperrig, unkonventionell-machohaften Person von Jeremy Clarkson verwundert es nicht, dass dieser irgendwann die brave BBC gegen das quotenhungrige und eher wenig skrupelhafte Prime Video eintauschen musste. Seither darf Clarkson seine etwas aus der Zeit gefallen scheinenden Allüren unter dem Namen The Grand Tour ausleben.

Zu einer Zeit, als Negativzinsen noch kein Thema waren, kaufte Clarkson ein rund 400 ha großes Anwesen in den englischen Cotswolds, das er liebevoll Diddly Squat taufte. Als sich sein Pächter 2019 zur Ruhe setzte, beschloss Clarkson, das Land selbst zu bewirtschaften – und wie könnte es anders sein, sich dabei auch filmen zu lassen. Heraus kam mit Clarkson’s Farm eine Dokuserie zum knuddeln: Eine große Hommage an das Scheitern und vielleicht einer der besten Landwirtschaftserklärfilme überhaupt.

Beim Traktorkauf verschmäht Clarkson den angebotenen Massey Ferguson und lässt sich vom Namen Lamborghini blenden. Schon bald muss er jedoch feststellen, dass dieser Traktor zu groß und das Bearbeiten des Ackers schwerer ist als gedacht. Der Einsatz eines Quadrocopters anstelle des vermeintlich teureren Hütehundes in der Schafszucht bringt nur kurzfristig Erfolg.

Der Besuch eines Hofladens bringt Clarkson auf die Idee, dass so ein Hofladen auch für seinen Betrieb eine gute Idee sein könnte, dieses Unterfangen umzusetzen erweist sich als genauso schwierig wie das Renaturierungsprojekt. Die Corona-Pandemie, sinkende Erzeugerpreise und eine Hitzewelle bereiten das große Finale vor, in dem es dann zur ernüchternden Abrechnung kommt.

Clarkson selbst führt unter den zehn größten Herausforderungen seines ersten Jahres als Farmer acht auch in unseren Breiten wohlbekannte auf: “Weather, weather, weather, weather, Brexit, weather, COVID, weather, weather and sheep would be the 10 biggest problems that we had.” Vergnügliche fünf Stunden Serienmarathon nicht nur für regnerische Tage.

Tim Jacobsen

Eat Them to Defeat Them

In Coronazeiten sind Filme, die als Miniserien feilgeboten werden, keine Außergewöhnlichkeit mehr. Spektakulär ist und bleibt, was die Kollegen von Veg Power und ITV in ihrer Eat Them to Defeat Them-Kampagne auf die Beine stellen. Am 29. Mai 2021 feierte ihr letztes Machwerk im englischen Fernsehen Premiere. In Deutschland zu sehen ist das von Total Produce und einer Reihe großer Einzelhändler wie Sainsbury’s, Asda und Tesco sowie dem Tiefkühlspezialisten Birds Eye gesponserte Medienereignis sowie die Vorgängerclips unter Eat Them To Defeat Them – YouTube (to be played at maximum volume).

Tim Jacobsen

War da was?

Ja, liebe Kinder, es gab einmal eine Zeit, da haben sich nicht alle hinter Masken versteckt. Das war ungefähr genau zu derselben Zeit, als zu wenig Abstand zwar als unangenehm, aber nicht als möglicherweise Tod-bringend empfunden wurde.

Es hat im letzten Jahr nicht lange gedauert, bis Zugangsbeschränkungen für Supermärkte der Normalzustand geworden waren und Restaurantbesuche etwas, das bald nur noch Kindheitserinnerungen glich.

Die Bilder von den ersten deutschen Touristen, die Mitte Juni letzten Jahres nach drei Monaten faktischer Nichterreichbarkeit wieder auf der Baleareninsel Mallorca landen durften, erinnerten in ihrer Emotionalität beinahe an die deutschdeutsche Grenzöffnung.

Fast schien es, als ob am Flughafen abgetastet zu werden, möglicherweise auf dem Weg dahin im Stau zu stehen um dann supergestresst den allerletzten Platz im Parkhaus zu ergattern, natürlich halb zugeparkt vom Nachbarauto, genau das Leben gewesen war, dass wir mit sofortiger Wirkung gerne genau so wieder haben wollten.

Neben den Beklatschten und dann nur in Einzelfällen zusätzlich entlohnten gab es in der Pandemie auch die, die sich schön einrichteten in der Bequemlichkeit des Homeoffices. Sorgten im Frühjahr 2020 in Videokonferenzen hereinplatzende Kinder oder plötzlich auftauchende Boxershorts noch für Klickzahlen auf Youtube, lösten ein Jahr später entsprechende Videoclips selbst bei den Betroffenen allenfalls noch Gähnreiz aus.

Die gute Nachricht: mittlerweile gibt es so gut wie keine Totalverweigerer mehr, was Onlinekommunikationsmöglichkeiten angeht. Was das für die Zukunft bedeutet, kann allerdings nur die Zukunft zeigen.

So teilte sich die Gesellschaft in die, die länger schlafen konnten, da ihnen ja jede Menge Pendelei erspart blieb, und die, deren Schichten im Krankenhaus stets länger und länger wurden – oder deren Zustellbüschen immer tiefer und tiefer in den Stoßdämpfern hing.

Die Jogginghosenfraktion sorgte in Kooperation mit den Zustellbrigaden dafür, dass Amazon letztes Jahr seinen Gewinn gegenüber dem Vorjahr verdoppeln konnte. Mindestens vierfach war wahrscheinlich die Freude bei Jeff Bezos: die rekordverdächtigen 5,2 Mrd. US$ musste er erstmals nicht mit einem Ehepartner teilen.

Rekordverdächtig auch die Anzahl der Häufigkeit des Abrufs von Fehlinformationen im Internet: rund 3,8 Mrd.-mal soll 2020 auf so genannte Fake News geklickt worden sein. Seiten, die im Internet einen Zusammenhang zwischen dem Mobilfunkstandard 5G und Covid-19 herstellen, scheinen besonders beliebt gewesen zu sein. Da ist es fast schon eine Randnotiz, dass Facebook weltweit mittlerweile 1,8 Mrd. Nutzer zählt.

Verrückte Zeiten

Tim Jacobsen

Kinofilme, die es nicht ins Kino geschafft haben, da niemand ins Kino durfte, laufen auf den einschlägigen Streamingplattformen, die wiederum auch Rekordgeschäftsergebnisse verbuchen konnten. Hightechfitnessgeräte ermöglichen ein betreutes Training, das dem im echten Studio kaum nachstehen muss, ohne das Haus verlassen zu müssen.

Mahlzeitpakete schenken das Glücksgefühl gelungener Gerichte, ohne dafür Einkaufslisten schreiben oder Kochbücher studieren zu müssen. Die entsprechenden Anbieter verzeichnen naturgemäß ebenfalls Rekordumsätze und werden in den entsprechenden Statistiken über Absatzwege mittlerweile wie selbstverständlich neben den traditionellen Lebensmitteleinzelhändlern aufgeführt.

Und so ist die spannende Frage, wohin unsere gemeinsame Reise denn gehen wird: zwar sind wir zweifelsohne soziale Wesen, die sich in Gemeinschaft am wohlsten fühlen. Aber wir sind auch Gewohnheitstiere, die sich nur schwer aus dem Trott bringen lassen: stabile vier Fünftel befürworten in Umfragen einen entschlossenen Kampf gegen den Klimawandel. Die Umsatzzahlen der deutschen Autoindustrie erreichten Ende Mai aber bereits wieder das Niveau der Vorcoronazeit.

Mit mittlerweile mehr als 1 Mrd. Euro bewerten Investoren ein Berliner Startup namens Gorillas. Hinter dem einer Primatengattung aus der Familie der Menschenaffen entlehnten Namen verbirgt sich ein so genannter Liefer-Supermarkt. Fahrradkuriere liefern Lebensmittel, die die Kunden per App bestellen. Die Auswahl ist zwar nicht so groß wie in klassischen Supermärkten, für den täglichen Bedarf reicht es jedoch allemal. Preislich liegt das Angebot nur wenig über dem Niveau der stationären Konkurrenten wie Rewe und Edeka.

Auf den Produktpreis wird eine Liefergebühr von 1,80 € aufgeschlagen. Umgerechnet in Mindestlohn wären das zehn Minuten vom Verlassen des eigenen Hauses bis zum Einräumen des Kühlschranks. Es könnte also durchaus sein, dass einige doch noch etwas länger brauchen, bis sie wieder außerhalb der eigenen vier Wände anzutreffen sind. Zehn Minuten soll auch die Lieferzeit von der Bestellung bis zur Haustür betragen.

Tim Jacobsen

Erfurt: immer eine Reise wert (und in diesem Jahr ganz besonders)

Spätestens mit der „Allgemeinen deutschen Ausstellung von Produkten des Gartenbaus und der Landwirtschaft“ hat Erfurt seinen Ruf als Blumenstadt zementiert. Agaven, Tabak und Ananas waren vor knapp 150 Jahren ähnlich exotisch wie Blumenkohl und Brunnenkresse wiederum 150 Jahre zuvor. Hätte Gartenpionier Christian Reichart als Spross einer reichen Erfurter Familie nicht vor 300 Jahren mit dem Anbau von Kreuzblütlern experimentiert, hätte es nicht nur sein 1753 erschienenes Hauptwerk „Land- und Gartenschatz“ nicht gegeben, auch die älteste Kakteengärtnerei der Welt hätte sich wahrscheinlich nicht so lange auf dem Markt halten können und weder Brunnenkresse noch Blumenkohl wären jemals typisch Erfurter Erzeugnisse geworden.

So gibt es eine ganze Menge zu feiern, wenn in diesem Jahr die Bundesgartenschau gewissermaßen wieder an ihren Geburtsort zurückkehrt. Zwar ist die Feierlaune pandemiebedingt noch etwas verhalten, die Frühlingsblüher haben dennoch in bravouröser Weise ihren Job erledigt und Platz gemacht für den Sommerflor auf den beiden Hauptstandorten ega-Park und Petersberg samt dem mit Aufzug erreichbaren Panoramablick über die Erfurter Altstadt. Ein Besuch des neuerrichteten Danakils, eines Gewächshauses, das karge Wüsten- mit üppiger Dschungellandschaft kontrastiert, verkürzt derweil das Warten auf die Wiedereröffnung des Gartenbaumuseums. Tagesaktuelle Informationen zu Öffnungs- und Schließzeiten lassen sich unter www.buga2021.de abrufen.

Tim Jacobsen

Freudlos, freudloser, die Grünen?

Zwar wollten die Grünen im Jahr 1998 auf ihrem Parteitag in Magdeburg den Benzinpreis gerne verdreifacht sehen, der Literpreis von fünf Mark geht jedoch auf den zu dieser Zeit amtierenden Leiter des Umweltbundesamt zurück, der zuvor auch ein generelles Tempolimit von 100 km/h gefordert hatte und sein politisches Zuhause in der liberalen Partei sah. Der Veggieday im Sommerloch des Jahres 2013 war dann ein Lehrstück für die Positionierung eines Wahlkampfthemas.

Das Einfamilienhäuserverbot und die Abschaffung von Inlandsflügen wurden zuletzt in der öffentlichen Diskussion nur noch übertroffen von der Diskussion um die Personalie des Tübinger Oberbürgermeisters. Das Wahlprogramm der Grünen hat zwar „Deutschland. Alles ist drin.“, 137 Seiten sind dann aber auch nicht beim Warten auf das Schnelltestergebnis gelesen und verdaut. Und so machen in den sozialen Medien immer wieder plakative Ausschnitte die Runde, wie so oft in der Verkürzung mit Vorsicht zu genießen.

Letzter Aufreger aus der vermeintlichen Verbotspartei ist die sog. Sustainable Event Scorecard, in der 47 Maßnahmen aufgeführt sind, mit deren Einhaltung bei der Organisation von Präsenzveranstaltungen in Berlin insgesamt 930 Punkte erzielt werden können. Ab 300 Punkten winkt ein Zuschuss von 25 € je teilnehmender Person, wird die Veranstaltung im Internet übertragen, legt die Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop noch einmal 10 € obendrauf. Vegetarische oder vegane Veranstaltungsverpflegung sichert Zusatzpunkte, Bio sowieso und 60 % des monetären Wareneinsatzes sollte aus saisonal-regionaler Produktion stammen und regional verarbeitet sein.

Trinkwasser sollte folgerichtig dann auch nur als Leitungswasser serviert werden. Soweit, so gut, dass aber in Punkt 26 der Verzicht auf Blumenschmuck zur Dekoration ebenfalls Punkte sichern kann, wirkt doch mehr als nur ein bisschen lebensfremd. 10 Mio. € stehen insgesamt parat, ausgezahlt werden soll das Geld nach erfolgter Veranstaltung und Prüfung des Verwendungsnachweises. Fünf Anträge auf Nachhaltigkeitsförderung sollen bis Mitte Mai gestellt worden sein, 17 Anträge auf Basisförderung. Ein Schelm, wer nun unkt, dass die Floristinnen und Floristen in der Hauptstadt ja eine Anschlussverwendung in der Senatsverwaltung finden könnten.

Tim Jacobsen

Gärtner. Der Zukunft gewachsen

Fast wie im richtigen Leben: nach einem Hoffnung-machenden Start und der allgegenwärtigen „wir schaffen das“-Euphorie des letzten Frühjahrs kam mit dem Sommer 2020 eine Phase der Verdrängung – alles schien im Griff und die Pandemie fern. Spätestens mit dem Jahreswechsel kippte das Ganze, eine allgemeine Gereiztheit ersetzte Zuversicht. Statt sich über jede Impfung zu freuen, wurde jede Impfung kritisch hinterfragt. Statt Pragmatismus vorherrschen zu lassen, wanderten Impfdosen in den Papierkorb.

Anders als bei Kinderlähmung, die in unseren Breiten als besiegt gilt, wird es den Experten zufolge im Fall von Corona auf ein sogenanntes pandemisches Gleichgewicht hinauslaufen: die Bedrohungslage wird ein Stück weit Normalität werden. Und so war dann auch jede Anstrengung, die jetzt und in den letzten Monaten unternommen wurde, keinesfalls vergeben – sondern wird der Weg in die Zukunft sein. Und in dieser werden die Desinfektionsspender vielleicht nicht mehr ganz so prominent platziert sein, aus den Auflagenkatalogen der Zertifizierer werden sie mit Sicherheit aber nicht wieder verschwinden.

Es ist zu vermuten, dass auch die Auflagen für die Unterbringung von Saisonarbeitskräften und die vielen Verschärfungen der Arbeitsalltagsorganisation nicht wieder gelockert, sondern vielmehr auch ein Stück weit Normalität werden. Und so hätte das Hängen und Würgen der letzten Monate letztendlich doch noch zumindest etwas Gutes gehabt: ein Stück krisenfester geworden ist es zwar noch zu früh, einer strahlenden Zukunft entgegen zu blicken; Grund dafür, sich über die Morgenröte am Horizont freuen zu dürfen gibt es jedoch allemal.

Tim Jacobsen

Corona macht Hoffnung

Ist im Englischen etwas wie Kraut und Rüben, wird es schnell sehr lautmalerisch: topsy-turvy geht noch einigermaßen, higgledy-piggledy hingegen verlangt volle Konzentration, um bei der Aussprache nicht ins Schleudern zu kommen. Was aber will uns das Landwirtschaftsministerium nun mit der Kampagne „Kraut und Rüben. Gibt’s nicht für’n Appel und’n Ei“ sagen? Sind Kraut und Rüben zu teuer, als dass es sie für einen Apfel und ein Ei geben würde? Oder sind Äpfel und Eier etwa zu billig? Steht vielleicht ein Systemwechsel an und wir tauschen demnächst wieder Naturalien?

Nein, natürlich steckt viel mehr dahinter: dieser vielleicht letzte Streich Julia Klöckners soll schaffen, was all die (nein, nicht: Aldi) Kampagnen der Vergangenheit nicht vermochten: die Wertschätzung von Lebensmitteln beim Verbraucher und damit gleichzeitig die Wertschöpfung beim Erzeuger zu steigern. Denn, da ist sich unsere Landwirtschaftsministerin sicher: Die „Landwirtschaft soll noch mehr auf Klima- und Umweltschutz, auf Artenvielfalt und den Tierschutz achten“. Sie weiß aber auch: „das gibt es nicht zum Nulltarif“, denn Investitionen sind nötig: „in neue Produktionsmethoden, moderne Ställe und Technik“. Was in Klöckners Argumentation zumindest dann auch bedeutet, dass dummerweise nur die Zulieferindustrie von der gestiegenen Wertschätzung profitieren wird.

Vielleicht steckt aber auch eine ganz andere Botschaft hinter der Kampagne: die günstigen Angebote, die es für den sprichwörtlichen Apfel und das Ei zu kaufen gibt, haben etymologisch ihren Ursprung im Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage. Werden Gegenstände in großen Mengen produziert und angeboten, kosten sie meist nicht viel, zumindest so lange ein deutlicher Angebotsüberhang besteht. Soll der Preis steigen, muss entweder das Angebot verknappt oder die Nachfrage vergrößert werden. Und genau deshalb ist Klöckners Inwertsetzungsstrategie von Beginn an zum Scheitern verurteilt: Ohne das eine oder das andere oder am besten beides wird es nicht gehen.

Die von Klöckner ins Rennen geworfenen Hashtags #UnsereErnteUnserEssen #MehrWertschätzung ergeben auf Twitter keinen Treffer. So wenig Treffer sind selten

Tim Jacobsen

Seit Wochen fluten spanische Erdbeeren die Frischetheken der deutschen Supermärkte, kostet das Pfund einmal nicht 99 ct, sondern sprengt es die 1 € Schallmauer, ist es ziemlich sicher, dass der knallbunte Reduktionsaufkleber den Preis kurz vor Ladenschluss wieder zuverlässig in den zweistelligen Centbereich drückt. Auch in Spanien müssen Erdbeeren bewässert, gedüngt und gepflückt werden, auch in Spanien kostet Verpackungsmaterial Geld. Der LKW hat zwar Platz für sehr viele Erdbeeren, mit Luft und Liebe fährt aber auch der nicht.

Zu Beginn der Coronakrise gab es diesen kurzen Moment, als von vielen der Stress des Alltags abfiel und dieser Alltagstress noch nicht abgelöst worden war vom Stress, keinen gewohnten Alltag mehr zu haben. Eine kurze Zeitlang schien es, als würde gleichzeitig mit dem Virus eine Art Läuterung Einzug halten. Auch Menschen, deren Alltag sonst zwischen Aufstehen und ins Bettgehen generalstabsmäßig durchgetaktet war, schienen auf einmal große Entschleunigungsfans geworden zu sein. Das tut uns doch mal allen gut und der Umwelt sowieso, war ein Stück weit die Losung des letztjährigen Frühlings. Denn dass da irgendwas mit der Natur im Argen ist, hatte sich ja schon länger herumgesprochen.

Viele, die nicht von existentiellen Zukunftsängsten bedroht waren, nutzten die Zeit im ersten Lockdown zum Frühjahrsputz, und über all das Entrümpeln und Renovieren geriet die Begeisterung über die ungeahnten Möglichkeiten, die das Coronakrisenpaket gewissermaßen als Nebenwirkung mit sich brachte, schnell wieder in Vergessenheit. Spätestens als die Empörung über die Verhältnisse bei Tönnies im Juni letzten Jahres schneller verpufft ist als es dauert eine Bratwurst zu essen, war mehr oder weniger klar, dass wir wieder im gleichen Trott gelandet waren. Mit dem kleinen Unterschied, dass eigentlich immer noch allen klar ist, dass wir den Karren an die Wand fahren, uns aber die Ablenkungsmöglichkeiten der Vorcoronazeit fehlen, weshalb wir uns dann ja auch mit Sehnsucht die Zeit vor Corona herbeiwünschen.

Da wir aber mittlerweile auch selber nicht mehr so sind, wie wir vor Corona waren, wird es nie wieder so sein können wie es davor war – und einmal mehr zeigt sich, dass uns nur Humor durch schwierige Zeiten helfen kann. Wahrscheinlich haben noch nie so viele Leute genau um 21:00 Lust bekommen, doch noch einmal vor die Tür zu gehen und eine Runde zu drehen. Und vielleicht hat sich ja doch was geändert, vielleicht ist doch etwas von der Entschleunigung haften geblieben. Und dann wären die zum Ende der Ladenöffnungszeit noch einmal deutlich vergünstigten spanischen Erdbeeren ein Zeichen dafür, dass es eben nicht länger unbedingt das größte Schnäppchen sein muss, dass internationale Lieferketten auch angesichts noch so ausgetüftelter Lieferkettengesetzen stärker als zuvor hinterfragt werden und dass die Begeisterung für regionale und saisonale Produkte, wie sie sich im letzten Frühsommer manifestiert hatte, kein Strohfeuer war.

Tim Jacobsen

Am Thema Corona kam keiner vorbei

Mitte März war eine der Hauptfragen des online abgehaltenen zweiten FAZ-Kongresses: Wie gut steht Deutschland in der Krise da? Jens Spahn ließ in der Beantwortung dieser Frage keine Zweifel aufkommen: Besser als man denkt. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnte eingangs der Veranstaltung: Wir sollten uns in der Corona-Krise nicht von Schwarzmalerei anstecken lassen.

Schlussredner Sebastian Kurz gab sich optimistisch, dass im Sommer Normalität in das öffentliche Leben zurückkehren könnte. Der österreichische Bundeskanzler berichtete von einer Reise nach Israel: Dort kehrte angesichts einer hohen Durchimpfungsrate Anfang März die Normalität zurück. Kurz erläuterte, dass in Österreich mittlerweile wöchentlich mehr als ein Viertel der Bevölkerung getestet werde. Die hohe Zahl an Testungen sei zwar „kein Allheilmittel“, aber sie würde dazu beitragen, „dass die Ansteckungen nicht explosionsartig steigen“.

Auf die Frage, ob uns ein Zeitalter der Pandemie bevorstehe, erwiderte Kurz, er teile Steinmeiers Einschätzung, dass wir lernen müssten, mit dem Virus zu leben; er sei optimistisch, dass Corona „von einer pandemisch-politischen Frage wieder zu einer medizinischen Frage“ werde. Es sei zwar auch in Zukunft mit weiteren Mutationen des Virus zu rechnen, dafür müssten dann analog zur Grippeimpfung die Impfstoffe angepasst werden.

Gesundheitsminister Jens Spahn griff die Äußerung von Steinmeier auf, dass der deutsche Hang zum Perfektionismus nicht die wirksame Bekämpfung des Virus beeinträchtigen dürfe und Pragmatismus gefragt sei. Allerdings hielt Spahns Ankündigung, die Ausweitung der Schnelltest-Kapazitäten sei ein Paradebeispiel dafür, wie Bund, Länder und Gemeinden neue Maßnahmen in die Tat umsetzten, dem Realitätscheck nur wenige Tage später nicht stand.

Vielleicht ahnte er auch schon wie es weitergehen würde, als er sich während des Kongresses wünschte, dass den Entscheidungen von Bund und Ländern mit mehr Nachsicht begegnet werden sollte: „Dass nicht alles gleich ein Debakel und Desaster ist“, was nicht auf Anhieb reibungslos funktioniere. Es müsse auch in die Beurteilung einbezogen werden, dass „täglich viel gelingt“.

Auf seine Feststellung angesprochen, am Ende der Pandemie werde man einander manches verzeihen müssen, erklärte der Bundesgesundheitsminister, dass es nach zwölf Monaten Pandemie wahrscheinlich keine Entscheidung mehr gebe, „die nicht irgendjemand für falsch hält“; so gesehen, gebe es eben auch keine Entscheidung, „bei der ich nicht jemand um Verzeihung bitten müsste“.

Christian Lindner erinnerte daran, dass die politischen Entscheidungen nicht nur die Gesundheitsschäden, sondern auch die sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise einkalkulieren müssten. Die gesellschaftliche Akzeptanz der verhängten Einschränkungen sinke. Der FDP-Chef plädierte dafür, dass es außer in besonders von Corona belasteten Gebieten möglich sein müsste, „mehr zu öffnen“.

Tim Jacobsen

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