"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Schlagwort: Angebot

Was Michael Stipe mit Callunen zu tun hat

Es muss ein bisschen das R.E.M.sche „Ende der Welt, wie wir sie kennen“ gewesen sein: vor ziemlich genau 100 Jahren führte die Hyperinflation in der Weimarer Republik ausgerechnet zu Beginn der Adventszeit zu einem Anstieg des Wechselkurses der Mark gegenüber dem US-Dollar auf das Allzeithoch von 1 : 4,2 Billionen (eine Zahl mit zwölf Nullen). Ein Ei kostete Anfang Dezember 1923 320 Mrd. Mark, 1 l Milch 360 Mrd. Mark und 1 kg Kartoffeln 90 Mrd. Mark.

Größter Profiteur seinerzeit war, ein Schelm, wer Böses dabei denkt, das Deutsche Reich, dessen Kriegsschulden mit der dann zur Inflationsbekämpfung eingeführten Renten- und späteren Reichsmark von 154 Milliarden Mark auf lediglich 15,4 Pfennige schrumpften. Auch heute profitieren eher Schulden als Vermögen von Inflation.

Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine verdoppelten sich die entsprechenden Kennzahlen, was gleichbedeutend damit ist, dass bspw. im November 2022 der sog. Anstieg des Verbraucherpreisindexes statt wie 4,4 % im Vorjahr auf einmal 8,8 % betrug. Die Folgen dieses Anstiegs des Verbraucherpreisindexes gegenüber dem Vormonat spüren nicht nur Möbelhändler.

Ein kurzes Rechenexempel: bei einer Inflationsrate von 2 % haben Sie zwar nach zehn Jahren immer noch 1500 € auf dem Konto, damit können Sie aber nur noch für 1225 € einkaufen. Nach zwanzig Jahren ist der Gegenwert des Geldbetrages auf Ihrem Konto dann ganz von selbst fast drei-  statt vierstellig geworden, denn was sich hinter dem etwas sperrigen „Anstieg des Verbraucherpreisindexes“ verbirgt, ist auf gut deutsch gesagt einfach nur, dass alles teurer wird.

Wenn wir, wie im August 2023, also von einer gesunkenen Inflationsrate in Höhe „von nur noch“ 6,1 % sprechen, ist der Preisanstieg zwar kleiner als noch im letzten Winter, aber immer noch erheblich. Vorbei die Jahrzehnte, in denen die Preise, und dabei sollten fairerweise auch die Zinsen nicht vergessen werden, nur so vor sich hin dümpelten. Die Verbraucher stimmen mit den Füßen ab und rennen spätestens seit Februar 2022 den Discountern mehr denn je Tür und Tor ein.

Manche Markenartikler reagieren, indem sie dem Ganzen noch eines obendrauf setzen und erhöhen die Preise mehr, als dass dies der Anstieg der Produktionskosten vielleicht nahelegen würde. Wenig charmant, wird dies dann als Gierflation bezeichnet und führt, wenn die Händler das Ganze nicht mittragen und weitergeben wollen, dazu, dass es nicht Hamsterkaufbedingte Leerstellen in den Supermarktregalen gibt. Die ganz besonders pfiffigen Markenartikler lassen die Preise und Verpackungen gleich, packen aber weniger Inhalt rein.

Der Aufschrei bei den Verbraucherschützern ist dann jeweils groß, letztendlich kommt darin dann aber vielleicht auch eine von ihren Vertretern als Geschäftsgrundlage benötigte Entmündigung der Verbraucher zum Ausdruck. Die Preisschilder in den Supermärkten sind zwar noch nicht ganz so aussagekräftig wie die Packungsbeilagen von Medikamenten, einen mühelosen Preisvergleich erlauben sie jedoch allemal und spielen den Ball eigentlich zurück zu den Verbrauchern.

Schwieriger wird es dann, wenn einzelne Produktbestandteile durch billiger zu beschaffende  Rohstoffe ausgetauscht werden, Palmfett bspw. Sonnenblumenöl ersetzt – Skimpflation bedeutet gewissermaßen, dass auf die Inferiorität des Produktes zwar hingewiesen wird, aber eine Lesebrille für deren Entdeckung vonnöten ist. Es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass bei uns die Herkunftsbezeichnungen an den Frischetheken, anders als bspw. im Vereinigten Königreich, eher dem Bereich Kleinstgedrucktes zuzuordnen sind.

Es geht auch aber ganz ohne Griff in die Trickkiste. Nach den Pandemierekordjahren war im letztjährigen Herbst Trübsalblasen angesagt für unsere Heidekrautproduzenten. Mit der Fieberkurve Gasspeicherfüllstand und teils absurden Energiepreissteigerungen waren Callunen auf den Einkaufszetteln der Verbraucher ziemlich weit nach unten und der Abverkauf sowohl unter das Niveau der Vorjahre als auch der Vorpandemiezeit gerutscht. Insbesondere die größeren Topfgrößen litten. In diesem Herbst scheint, auch um der Inflation ein Schnippchen zu schlagen, eine Invasion der relativ kleinen Töpfe bevor zu stehen.

Und dabei macht nicht nur billig, billig das Rennen, auch Duos scheinen sich im 11er Topf durchaus wohl zu fühlen und könnten am Ende die Durchschnittspreise auf ein auskömmliches Niveau hieven. Einmal mehr zeigt sich, dass das Aufeinandertreffen von Angebot und Nachfrage zu äußerst effizienten Lösungen führt. Wer hätte im letzten Herbst gedacht, dass im Frühjahr 2023 die Energieversorger nach einem winterlichen Neukundenaufnahmestopp auf einmal wieder mit Kampfpreisen werben würden?

Et hätt noch immer jot jejange

§ 3 des Kölschen Grundgesetzes

Natürlich liegt das Energiepreisniveau immer noch deutlich über dem vor Februar 2022 – bei aller Dystopie in Michael Stipes „It’s the end of the world as we know it” liegt aber gerade im Ende des Refrains Hoffnung und Ausblick zugleich: „and I feel fine“. Und wenn nicht „fine“, dann zumindest zuversichtlich.

Tim Jacobsen

Gedanken zur stillen Jahreszeit

Wäre die deutsche Fußballnationalmannschaft nicht drei Spiele nach dem auch von Per Mertesacker selbst holprig empfundenen Auftritt gegen Algerien noch Weltmeister geworden, hätte die Reaktion des ehemaligen Bremer Abwehrchefs auf die Fragen des ZDF-Reporters Boris Büchler mit Sicherheit ähnlichen Kultstatus erreicht wie Trappatonis „Ich habe fertig“.

Halb Spaß, halb Ernst wurde Anfang Juli dieses Jahres gar ein Mertesacker-Syndrom kreiert, mit der eine Art wurstige Zufriedenheit mit dem Erreichten diagnostiziert werden sollte. Was aber soll man, kurz nachdem man in einem weltweit beachteten Turnier die Runde der besten acht erreicht hat, auch auf Fragen wie „Dass man sich noch steigern muss, denke ich, müsste auch Ihnen klar sein?“ antworten?

Auf den Gartenbau übertragen hieße dies: kaum ist der letzte Salat geschnitten, endgültig kein Apfel mehr am Baum oder der CC vollbepackt im LKW verschwunden – schon muss man der gierigen Pressemeute Auskunft geben auf Fragen wie „Das kann doch nicht das Niveau sein, das Sie sich davor ausgerechnet haben?“.

Davon abgesehen, wäre es denn nicht eigentlich auch viel sympathischer gewesen, wäre statt Helene Fischers Auftritt auf der Berliner Fanmeile Per Mertesackers „Ich kann diese ganze Fragerei nicht verstehen“ in Erinnerung geblieben? Stünde uns denn nicht allen ab und an ein „Ich lege mich jetzt drei Tage in die Eistonne … und dann sehen wir weiter“ gut zu Gesicht?

So aber lässt der Alltag kaum Raum für das Mertesackerische „Mir ist völlig wurscht wie“ – ganz so als würde an permanenter Höchstleistung kein Weg vorbei führen. Was aber könnte denn passieren, wenn wir alle die Dinge einmal etwas weniger verbissen sehen würden?

Hätte die europaweite Intensivierung des Kernobstanbaus nicht ein vor Jahren noch unvorstellbares Niveau erreicht, könnte die EU-Kommission Däumchen drehen und müsste sich nicht mit „Sonderstützungsmaßnahmen für Erzeuger von bestimmtem Obst und Gemüse“ beschäftigen.

Stünde uns denn nicht allen ab und an ein „Ich lege mich jetzt drei Tage in die Eistonne … und dann sehen wir weiter“ gut zu Gesicht?

Tim JAcobsen

Auch am anderen Ende des Alphabets beginnt sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Ertragsmaximierung kein Allheilmittel zur Renditeerhöhung sein kann. So gibt es dann von Apfel bis Zwiebel zahllose Kulturen, mit denen gegenwärtig letztendlich nur Geld verdient werden kann, wenn gleichzeitig irgendwo anders Gärtnerkollegen aufgrund oftmals nicht in ihrer Verantwortung liegender Umstände leer ausgehen.

Dazu kommt, dass der Preis für das ganzjährige `höher, weiter und schneller´ beträchtlich ist. Kaum eine Vortragsveranstaltung, die etwas auf sich hält, kommt derzeit ohne Burn Out im Programm aus. Es ist ja auch schon lange nicht mehr so, dass `zwei grüne Daumen´ reichen würden – genauso wie von Fußballspielern erwartet wird, dass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit zitierfähige Beiträge zu gesellschaftspolitisch relevanten Debatten liefern, sollen Gärtner neben der Produktion die Vermarktung im Griff haben und darüber hinaus jederzeit öffentlichkeitswirksam im Sinne des Berufsstandes tätig sein.

Manches wurde aber auch einfacher: Ähnlich wie mancher Fußballfan erst einmal Tradition vorschiebt, um missliebige Konkurrenz außen vor zu halten, und sich letztendlich dann aber doch mit der höheren Attraktivität des großen Ganzen zu arrangieren weiß, haben in der leidigen Umweltdiskussion ursprünglich verfeindete Lager zueinander gefunden.

Von ein paar Dinosauriern abgesehen gibt es niemanden mehr, der eine strikte Trennlinie zwischen Ökoanbau und Konzepten wie kontrolliert-integrierter Produktion ziehen wollte – auch wenn das eine so viel publikumswirksamer als das andere erklärt werden kann.

Vielleicht kommen wir ja tatsächlich bald einmal an den Punkt, an dem wir mit Fug und Recht behaupten können: Optimaler als wir das derzeit machen, lassen sich Nahrungsmittel nicht produzieren. Und vielleicht gibt es dann nicht mehr 365 Tage im Jahr Erdbeeren im Supermarkt, vielleicht gäbe es dann auch einmal Tage, an denen im Salatsortiment Lücken wären oder die Floristen nicht aus dem Vollen schöpfen könnten – aber wäre es denn tatsächlich ein Weltuntergang, wenn dank der Angebotsverknappung auch das Preisgefüge ein höheres Niveau erreichen würde?

Es gibt Kollegen, die empfinden angesichts des allgegenwärtigen Überflusses die modern gewordene Rückbesinnung auf die Nutzfunktion von Hausgärten absurd, wie viel absurder aber ist eigentlich das Warenangebot, das mittlerweile in jeder mittelgroßen Stadt nahezu rund um die Uhr verfügbar ist?

Ähnlich, wie man vortrefflich darüber diskutieren kann, ob der Ökoanbau in seiner intensiven Form ressourcenschonender ist als die konventionelle Produktion und damit beim Verbraucher allenfalls ungläubiges Staunen erntet, sollte nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame im Vordergrund stehen. Allen, die das anders sehen, sollte man auf gut Mertesackerisch antworten: „Was wollen Sie jetzt von mir … ich kann Sie nicht verstehen.“

Tim Jacobsen

Geld oder Leben – Moral und Märkte

Wer bei Ökonomen zuallererst an Schlippsträger denkt, wird beim Leiter des Bonner Econlab Schwierigkeiten haben, zu erraten, welchem Beruf Prof. Dr. Armin Falk nachgeht. Wahrscheinlich ist es aber genau dieses gewisse Etwas, das Falk in die Lage versetzt, mit dem Ergebnis seiner Experimente weltweit für Aufsehen und –regung zu sorgen. Jüngster Streich des Shootings Stars unter den deutschen Wirtschaftswissenschaftlern waren die Mitte Mai im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichten Erkenntnisse darüber, wie Marktzusammenhänge moralische Grundsätze aushebeln können. Falks Ausgangshypothese war dabei, dass das Agieren auf Märkten einen Abstand zwischen uns und den Folgen unserer Entscheidungen schafft, der uns letztendlich zu unmoralischem Handeln verführt.

Konkret stellte Falk gemeinsam mit seiner Magdeburger Kollegin Prof. Dr. Nora Szech den knapp 800 Teilnehmern des Experimentes im Sommer letzten Jahres die Frage, ob ihnen das Überleben einer Labormaus oder ein kleiner Geldbetrag lieber wäre. Unterschiedliche Versuchsanordnungen sollten dabei klären, ob der Marktmechanismus unmoralisches Verhalten fördert. Ein Teil der Probanden konnte sich individuell zwischen 10 € oder dem Leben einer Maus entscheiden; der Rest wurde in Käufer und Verkäufer aufgeteilt. Jedem Verkäufer wurde eine Maus, jedem Käufer 20 € in die Hand gedrückt. In der bilateralen Versuchsanordnung trafen jeweils ein Käufer sowie ein Verkäufer aufeinander, in der multilateralen Versuchsgruppe standen sieben Käufern neun Verkäufer gegenüber.

Käufern und Verkäufern war dabei freigestellt, ob sie überhaupt am Handel teilnehmen wollten. Ging der Verkäufer jedoch auf das Angebot eines Käufers ein, wurden die 20 € aufgeteilt und die Maus getötet (ein Schicksal, das die Labormäuse sowieso erwartet hätte). Gehandelt wurde anonym über ein zu diesem Zweck in der Bonner Beethovenhalle installiertes Computernetzwerk. Im Rahmen der Einführung bekamen die Teilnehmer ein Video zu sehen, in dem eine Maus vergast wird, langsam an Atemnot stirbt und nach zehn Minuten aus dem Käfig entfernt wird.

Auf sich allein gestellt, entschied sich mehr als die Hälfte der Teilnehmer für das Leben der Maus und gegen die 10 €. Aus den bilateralen Verhandlungen ging dann nur noch ungefähr ein Viertel der Mäuse als Sieger hervor und unter Marktbedingungen mit mehreren Teilnehmern stellte dann lediglich ein gutes Fünftel der Teilnehmer das Leben der Maus über die Aussicht auf den Geldgewinn – selbst wenn dieser unter den verschärften Marktbedingungen im Laufe von zehn Spielrunden sogar noch einmal um knapp zwei Euro auf 4,50 € sank – und damit ein Wert erreicht wurde, der in der individuellen Abfrage noch für so gut wie unmöglich gehalten wurde.

Gekauft wird, was billig ist

tim Jacobsen

Für Falk und Szech bewahrheitet sich damit, dass allein das Vorhandensein von Märkten zur Erosion moralischer Standards führen kann. Sie erklären das damit, dass, sobald man nicht mehr auf sich allein gestellt ist, gemäß dem Sprichwort `geteilte Schuld ist halbe Schuld´ die Schuldfrage entwertet werde, zum anderen impliziere die Handelbarkeit eines Gutes gewisse moralische Standards, die im weiteren Verlauf ohne viel Zutun in eine Abwärtsspirale geraten können. Keinesfalls unterschätzt werden sollte Falk und Szech zufolge auch, dass die Fokussierung auf das bestmögliche Handelsergebnis dazu führen kann, dass moralische Grundsätze in den Hintergrund rücken.

Die Autoren vergleichen das Ergebnis ihres Experiments mit der Alltagssituation vieler Verbraucher in Deutschland. Zwar gäbe es beispielsweise niemanden, der öffentlich für Kinderarbeit eintritt; und natürlich wüssten die meisten Konsumenten Bescheid über die teilweise erbärmlichen Arbeitsbedingungen in fernöstlichen Sweatshops – da aber diese Bedingungen für uns nur wenig direkte Bewandtnis haben, gelten sie nicht viel. Gekauft wird, was billig ist. Die beiden Wissenschaftler sind sich dann auch sicher, dass Moralappelle wenig Abhilfe schaffen können – ähnlich wie den Verbrauchern auf Schnäppchenjagd hätten den Teilnehmern der Studie die Folgen ihres Handelns jederzeit bewusst sein können.

Ob das unmoralische Verhalten nun tatsächlich den Marktmechanismen oder vielleicht doch auch zumindest ein bisschen der Gruppendynamik geschuldet ist, wie von manchem Kritiker angemerkt wurde, bleibt letztendlich eine pur akademische Diskussion. Schließlich zeigt das Experiment auf schlichte und dennoch aufsehenerregende Weise, dass es der Markt den Menschen einfach macht, moralische Bedenken auf die Seite zu schieben. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass es möglich ist, den eigenen moralischen Standards treu zu bleiben – immerhin verweigerte ein Teil der Probanden standhaft, am munteren Handelstreiben mit dem für die Mäuse tödlichem Ausgang teilzunehmen. Und nicht zuletzt ist mit dem Experiment auch der Beweis erbracht, dass es sich lohnt, aus der Anonymität der Masse hervorzutreten und den persönlichen Kontakt mit der eigenen Kundschaft zu suchen.

Tim Jacobsen