Lange Zeit besaß der Anbau von Obst und Gemüse nach ökologischen Richtlinien den Ruf, dem Verlangen einiger weniger nach Erzeugnissen aus naturnäherer Produktion zu entsprechen. Die angebotenen Produkte boten einen für traditionelle Supermarktkunden oftmals ungewohnten Anblick. Trotz großer äußerer Makel fand die Ware ihre Abnehmer. Die Frage, ob nach ökologischen Richtlinien produziertes Obst und Gemüse tatsächlich besser schmeckt oder gesünder sei, konnte von der Wissenschaft nie gänzlich geklärt werden. Neben dem subjektiven Empfinden wurde diese Frage durch weltanschauliche Prägung entschieden. Noch bis vor wenigen Jahren kannten Konsumenten und Produzenten von Bioprodukten einander meist persönlich. Das Vertrauensverhältnis zwischen Produzent und Verbraucher ersetzte weitgehend jegliche Gütesiegel. Der Ökobauer wirkte nicht zuletzt auch dadurch glaubhaft, dass er im Vergleich zu seinen konventionell produzierenden Kollegen einen vermeintlich schwereren Weg gewählt hatte. Dabei stand für die Konsumenten stets außer Zweifel, dass die Produktion neben den Richtlinien des jeweiligen Anbaukonzeptes auch hochstehenden sozialen Maßstäben gerecht wurde. Nicht von ungefähr waren viele Integrationsprojekte im Bereich des ökologisch wirtschaftenden Garten- und Landbaus angesiedelt. Auf die Idee, weder der Jahreszeit noch der Region angepasste Produkte als ökologisch besonders sinnvolle Alternative zu vermarkten, kam bis vor einigen Jahren niemand. Genauso wenig, wie zu jener Zeit gefordert worden wäre, dass Ökoprodukte ähnlich makellos wie ihre konventionellen Entsprechungen zu sein hätten.
Anders stellt sich die Situation heutzutage dar. Mit der Schaffung eines Produktstandards jenseits der Vorgaben der einzelnen Verbände setzte eine politisch gewollte Ausweitung der Ökoproduktion ein. Diese „Banalisierung“ der Ökoproduktion hatte zum Ergebnis, dass sich die Anforderungen an die innere und äußere Qualität der biologisch erzeugten Produkte heute kaum mehr von der konventionellen Produktion unterscheiden. Der durch anfängliche Überproduktion hervorgerufene Preisverfall im Biosegment läutete einen Strukturwandel ein, der dazu führte, dass ganzheitliche Ansätze immer mehr von rein betriebswirtschaftlichen Überlegungen verdrängt wurden.
Wie schon in der Vergangenheit wurden die Forderungen nach einem höheren Preisniveau für Ökoprodukte damit begründet, dass der Bioanbau gegenüber dem konventionellen Anbau in vielerlei Hinsicht benachteiligt ist. Der Hauptunterschied zur Argumentationsweise früherer Jahre bestand allerdings darin, dass statt Mindererträgen nun die erhöhte Intensität des Einsatzes von Produktionsfaktoren in den Mittelpunkt gerückt wurde. Diese Erhöhung war nötig, um den gestiegenen Ansprüchen an Bioware gerecht zu werden. Drei Beispiele aus dem Kernobstanbau sollen verdeutlichen, wie im Zuge dieser Entwicklung die Ökologie im Bioanbau immer mehr in das Hintertreffen geriet.
Eine ganze Menge gewonnen wäre bereits, wenn beispielsweise für den Bioanbau besonders geeignete Sorten leichter absetzbar wären und der Speiseplan der Endverbraucher wieder verstärkt auf regionale und saisonale Besonderheiten Rücksicht nehmen würde
Tim jacobsen
Zur Insektenbekämpfung werden im Bioanbau Pflanzenextrakte verwendet. Das Wirkstoffgemisch Pyrethrum beispielsweise wird aus den getrockneten Blütenköpfen verschiedener Chrysanthemenarten gewonnen. Die geringe Stabilität der Hauptwirkstoffe des Kontaktgiftes und die auch trotz der Produktion in Drittweltländern hohen Herstellungskosten stehen einem ökonomisch sinnvollen Einsatz in Gartenbau und Landwirtschaft entgegen. Für die breite Verwendung im Pflanzenschutz wurden deshalb synthetische Verbindungen mit analogem Wirkungsmechanismus entwickelt. Da diese vergleichsweise stabilen und dadurch länger wirksamen „Generika“ im Bioanbau nicht verwendet werden dürfen, verursacht die Insektenbekämpfung im Bioanbau ein Vielfaches an Kosten. Deutlich günstiger im Vergleich zur konventionellen Produktion kommen im Bioanbau die Mittel zur Bekämpfung der Pilzkrankheiten. Kupfersulfat war vor über 120 Jahren bereits Bestandteil der „Bordelaise pulpe“ – fast scheint es, als ob sich seit der ersten Pflanzenschutzmittelempfehlung der Menschheitsgeschichte wenig getan hätte: Auskristallisierter reiner Schwefel und Kupferverbindungen sind im Bioanbau noch stets die Mittel der Wahl. Mit den Abhandlungen zum Pro und Contra des Einsatzes von Kupferionen als Pflanzenschutzmittel lassen sich mittlerweile Bibliotheken füllen. Gerne übersehen wird dabei, dass wegen der geringen Effizienz der Mittel die Anwendung ebenfalls vergleichsweise häufig zu erfolgen hat. Eine Vielzahl von Herstellern bietet mittlerweile Hackgeräte an, die sich in einer noch vor kurzem für unvorstellbar gehaltenen Geschwindigkeit und Präzision des Problems Unkraut im Kernobstanbau annehmen. Allerdings muss auch im Falle der Unkrautbekämpfung der Einsatz aufwändiger Maschinerie in vergleichsweise kurzen Intervallen erfolgen – mit einer entsprechenden Belastung der ökologischen Gesamtbilanz.
Mit Sicherheit gibt es Anbaugebiete, in denen aufgrund naturgegebener Wettbewerbsvorteile Schadinsekten, Pilzinfektionen oder Unkrautdruck keine Unlösbarkeiten darstellen. In Regionen jedoch, in denen die Gärtner unter Zuhilfenahme des im konventionellen Anbau zur Verfügung stehenden Waffenarsenals bereits Schwierigkeiten haben, den Anforderungen des Marktes genüge zu tun, kann eine Aufrechterhaltung der Bioproduktion oder eine Produktionsumstellung nur zu Lasten der Umwelt erfolgen – auch wenn sie sich dank gegenwärtig hoher Erzeugerpreise finanziell rechnen sollte.
Das Blatt, die Ökobilanz und die Gewinn-und-Verlustrechnung der Betriebe wenden sich, sobald der Lebensmitteleinzelhandel und dessen verlängerter Arm, die Verbraucher, bereit wären, Produkten aus dem biologischen Anbau Zugeständnisse einzuräumen. Dabei müssten noch nicht einmal Abstriche bei der Produktqualität gemacht werden. Eine ganze Menge gewonnen wäre bereits, wenn beispielsweise für den Bioanbau besonders geeignete Sorten leichter absetzbar wären und der Speiseplan der Endverbraucher wieder verstärkt auf regionale und saisonale Besonderheiten Rücksicht nehmen würde. Es ist unbestreitbar ein Verdienst der ehemaligen Bundesregierung, den Bioanbau aus seinem Nischendasein geholt zu haben. Es liegt an der jetzigen Bundesregierung, die Weichen für eine sinnvolle Weiterentwicklung des derzeit einzigen Wachstumssegments der deutschen Ernährungswirtschaft zu stellen.
Tim Jacobsen
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