In Brüssel ist nach der Reform vor der Reform – und das durchaus wortwörtlich. Falls also der Zeitrahmen für die nötigen Debatten im Europäischen Rat und Parlament tatsächlich eingehalten würde, es bis Ende 2013 zu einer Verabschiedung der verschiedenen Verordnungen und Durchführungsbestimmungen käme und die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) Anfang 2014 in Kraft treten könnte, dann hätten sich die ersten Kommissionsbeamten bereits schon wieder Gedanken gemacht für die Zeit nach 2020. Noch scheint es aber mehr als fraglich, ob in den nächsten Monaten tatsächlich Einigkeit erzielt werden kann – wie so oft scheiden sich die Geister an der Frage, wer denn wessen Rechnung bezahlen soll. Angesichts der europäischen Finanzmalaise scheinen derzeit zu mindest die Nettozahler der EU – eine Rangliste, die Deutschland traditionell anführt – äußerst unwillig, Zugeständnisse zu machen.
Dabei hatte die inhaltliche Diskussion eigentlich vielversprechend einvernehmlich begonnen; hatte doch EU-Agrarkommissar Dacian Cioloş alle Bürger Europas – insgesamt also rund 500 Mio. Menschen verteilt auf 27 Länder – aufgefordert, ihre Meinung zur Gestaltung der GAP nach 2013 zu äußern. Der Rücklauf war recht überschaubar – in 5 000 Einsendungen wurde im Großen und Ganzen für eine Fortführung des Status Quo plädiert. Etwas anders fielen dann die Reformvorschläge aus, die Cioloş Mitte Oktober letzten Jahres präsentierte und die deutlich mehr Gewicht auf Nachhaltigkeit im strikt ökologischen Sinne legten. Neben der immer noch schwelenden Budgetdiskussion rückte damit auch die inhaltliche Gestaltung der Reform wieder verstärkt in den Vordergrund.
Dabei lassen sich diese beiden Diskussionen nur schwer voneinander trennen, auch wenn es auf den ersten Blick überrascht, dass zuerst ein Budget festgelegt, und danach über die Verwendung der Mittel entschieden wird – schließlich geht am Samstagmorgen auch niemand zum Bäcker, um eine bestimmte Summe auszugeben, sondern im weitaus häufigeren Fall, um eine bestimmte Anzahl Brötchen zu kaufen. So lässt sich die Finanzierung der GAP vielleicht eher mit dem Bau eines Eigenheims vergleichen: ausgehend vom zur Verfügung stehenden Budget sollen möglichst viele Wünsche berücksichtigt werden – nur dass die Interessen sehr vieler Bauherren gleichzeitig berücksichtigt werden müssen. Dies beginnt mit den Regierungschefs, die bei ihren vierteljährlichen Ratstreffen die groben Linien vorgeben, setzt sich auf der Ebene der Fachminister fort und endet beim Europäischen Parlament, das seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ein gewichtiges Wort mitzureden hat.
Wie unterschiedlich die Ansichten innerhalb der Ministerien eines föderal organisierten Landes wie Deutschland dann sein können, zeigt der Vergleich dieser Vorschläge mit Forderungen, denen beispielsweise sogar die von Cioloş vorgeschlagene pauschalisierte Flächenstilllegung nicht weit genug geht.
Tim JAcobsen
Nicht einfacher wird es dadurch, dass die Interessenlage im Parlament ähnlich heterogen ist wie die vielschichtigen Vorstellungen und Wünsche der diversen Lobbyorganisationen, die sich schon lange in Position gebracht haben und versuchen, die Ausgestaltung der zukünftigen GAP in ihrem Sinne zu beeinflussen. Zusätzlich verwirrend ist, dass sich die politischen Parteien im Europaparlament zu Fraktionen zusammengeschlossen haben und der deutsche Standpunkt innerhalb der jeweiligen Fraktion zwar mit Sicherheit ein gewichtiger, aber eben nur einer von vielen ist.
Deutlich einfacher hat es da Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner, die im Prinzip den 2009 multilateral vereinbarten Wiener Grundsätzen treu bleiben möchte, die eine Weiterentwicklung der derzeitigen GAP auch über das Jahr 2014 hinaus vorsehen. Wie unterschiedlich die Ansichten innerhalb der Ministerien eines föderal organisierten Landes wie Deutschland dann sein können, zeigt der Vergleich dieser Vorschläge mit Forderungen, denen beispielsweise sogar die von Cioloş vorgeschlagene pauschalisierte Flächenstilllegung nicht weit genug geht.
Und dann versuchen noch jede Menge so genannter Nichtregierungsorganisationen der Reform ihren Stempel aufzudrücken – wobei auch dort das Kompromisse schmieden täglich Handwerk ist. Schließlich ist die Stimme des Deutschen Bauernverbandes beispielsweise zwar ein weithin gehörtes Schwergewicht; soll aber unter dem Dach von COPA ein gemeinsamer europäischer Standpunkt gefunden werden, müssen zwangsläufig jedes der 60 Vollmitglieder sowie die 36 Partnerorganisationen Abstriche machen.
Umso bedeutender ist es dann, dass COPA-COGECA Mitte Februar in einer gemeinsamen Resolution zum Schluss kommen, dass die Kommission `bedauerlicherweise´ die Gelegenheit verpasst hat, mit der anstehenden GAP-Reform `die wirtschaftliche Rolle der Landwirte und ihrer Genossenschaften zu verstärken´. Scharf kritisiert werden insbesondere die Vorschläge `zum obligatorischen Greening´. Diese werden COPA-COGECA zufolge `die Fähigkeit des Agrarnahrungsmittelsektors, in wettbewerbsfähiger und effizienter Weise zu wirtschaften und nachhaltiges Wachstum hervorzubringen, in Wirklichkeit nur untergraben´.
Interessant an dem ganzen Entscheidungsprozess ist aber auch, dass sich am Ende dieses vielschichtigen hin und her Rat und Parlament auf Vorschläge der Kommission einigen müssen – und dann mit den Mitgliedern des Ausschusses Landwirtschaft und den Ratsmitgliedern letztendlich 45 Ausschussmitglieder gemeinsam mit 27 Fachministern Entscheidungen treffen, die Auswirkungen auf rund 500 Mio. Menschen haben werden.
Tim Jacobsen
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