Es ist zum Mäusemelken: wurde mit Corona mehr als offensichtlich, dass das Konzept Innenstädte irgendwie dringend sanierungsbedürftig ist, gab es gewissermaßen als Antwort auf nicht gestellte Fragen ein Finanzpaket zur Betonierung des Fußgängerzonenstatusquos. Beweisen Starkregenereignisse mit ihren verheerenden Folgen, dass irgendwie irgendetwas getan werden muss, um die Folgen des Klimawandels vielleicht doch noch etwas angenehmer zu gestalten, scheint die einzig politisch zündende Idee, mit Hilfe von Elektroautos den Verkehrsinfarkt in die Zukunft retten zu wollen. Will sich die CDU personell erneuern, melden sich ausschließlich Kandidaten, die selbst in ihrer Jugend höchstwahrscheinlich nicht unbedingt einen Flair von Erneuerung und Aufbruch verbreitet haben. Moppert dann die CSU, dass Bayern nicht äquivalent zu seinem Stimmanteil in der Regierung vertreten ist, geht einem auf einmal Andreas Scheuer nicht mehr aus dem Kopf.
So wirkt dann das „Mehr Fortschritt wagen“ der Ampelkoalition zumindest ein kleines bisschen wie ein Befreiungsschlag. Wahrscheinlich stand bei so manchem Journalistenkollegen auf dem Weihnachtswunschzettel, zumindest einmal im Leben eine Frage von Olaf Scholz mit einem knappen Ja oder Nein beantwortet zu bekommen; im ganzen Nebelkerzendickicht ist aber die insgesamt geräuschlose Regierungsbildung eine Leistung, die auf einen eher problemlösungsorientierten Ansatz unseres neuen Kanzlers verweist. Dass dann im ganzen Hin und Her keiner der als Schreckgespenster an die Wand gemalten Kandidaten das Rennen um das Bundeslandwirtschaftsministerium machte, sondern ausgerechnet der sich selbst mit „anatolischer Schwabe“ charakterisierende Cem Özdemir, ging in Zeiten, in denen ungestraft mit Fackeln an Wohnhäusern von Politikern aufmarschiert wird, dann schon fast unter.
Bei bisher jeder Erhöhung des Mindestlohns wurde nicht mehr oder weniger als der Untergang des Abendlandes befürchtet – ganz so schlimm ist es dann Gottseidank bei allen sechs bisherigen Erhöhungsrunden nicht gekommen. Natürlich ist der Sprung von 9,82 € auf 12 statt der geplanten 10,45 € im zweiten Halbjahr 2022 eine Hausnummer. Und auch wenn diesbezüglich noch nichts beschlossen ist, wird sich die SPD die Butter nicht mehr vom Brot nehmen lassen.
Ganz ausverhandelt ist auch von der Leyens Green Deal nicht. Und da wird es streng genommen dann um einiges fitzeliger, schließlich steht mit Farm to Fork mittel- und langfristig deutlich mehr als „nur“ ein abermals erhöhter Lohnkostenanteil, so schmerzlich im Einzel- und ärgerlich in jedem Fall der auch sein mag, ins Haus. Der Green Deal könnte ans Eingemachte gehen.
Und da könnten sich angesichts amtlich verordneter Flächenstilllegungen und dem Aus vieler Pflanzenschutzmittel hierzulande sowie sich häufender Wetterkapriolen allerorten, der Importpolitik Chinas, der Biotreibstoffstrategie Nordamerikas und den Exportrestriktionen Russlands ganz neue Allianzen zwischen Verbraucher und Landwirten bilden: steigt die Inflation infolge gestiegener Lebensmittelpreise in heute kaum vorstellbare Größenordnungen, wird sich schnell die Frage stellen, wie viel Umweltschutz wir als Gesellschaft wollen und wie viel Umweltschutz wir auch dem nicht so wohlhabendem Rest der Welt gegenüber ethisch und moralisch verantworten können.
Wir machen aus technologischem auch gesellschaftlichen Fortschritt … wo Fortschritt entsteht, muss er auch gelebt werden
Aus den Seiten 15 und 22 des Koalitionsvertrags des Bündnisses für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit
Und spätestens dann wäre der Realo vom Bündnis 90/die Grünen als ausgewiesener Brückenbauer in seinem Element und könnte vielleicht sogar die in sein Boot holen, denen es nicht staatsmännisch genug erscheint, als Minister mit dem Fahrrad die Ernennungsurkunde beim Bundespräsidenten im Schloss Bellevue abzuholen um den Stau der Panzerlimousinen zu umfahren. In die Höhle des Löwen gesprungen ist auch Prof. Dr. Karl Wilhelm Lauterbach. Und kämpft seitdem mindestens an zwei Fronten: zum einen gegen das Virus in all seinen Varianten, zum anderen gegen so genannte virale Inhalte: Untersuchungen zeigten, dass dem Anstieg des medizinisch messbaren pandemischen Geschehens jeweils ein Anstieg der Verbreitung von Informationen aus zweifelhaften Quellen vorausging.
Einziger Lichtblick der Mitte März 2021 im Fachjournal Cell veröffentlichten „Conversations“ war, dass mit zunehmend schlimmer Lage dann die Vernunft wieder einzusetzen scheint und eher klassische Nachrichtenquellen wieder mehr in den Fokus rücken. Das ist leicht erklärbar, schließlich lässt sich die Pandemie sinnvoller Weise nur leugnen, solange niemand aus dem Freundes- und Familienkreis schwer daran erkrankt – auch wenn es Fälle geben soll, in denen Menschen selbst über ihr Ableben auf der Intensivstation hinaus ihrer Überzeugung treugeblieben sind. Leicht erklären lässt sich auch, warum sich Menschen zweifelhaften Informationsquellen zuwenden: Ängste lassen sich abbauen, indem Institutionen als Sündenböcke verunglimpft werden, gleichzeitig scheint es menschlich, zu denken, dass es andere eher als einen selbst erwischt und am Allereinfachsten kompensieren lässt sich Hilflosigkeit mit dem Glauben an Heilsversprechen.
In der gleichen Ausgabe von Cell gab es übrigens auch „Neue Ansätze für die Impfstoffentwicklung“, einen Beitrag zu „Antiviralen Mitteln mit gemeinsamen Angriffszielen gegen hochpathogene Viren“, etwas zu „Biokraftstoffen für eine nachhaltige Zukunft“ und einen Artikel über „Genom-Engineering für die Verbesserung von Nutzpflanzen und die Landwirtschaft der Zukunft“. Soll noch einer sagen, dass Wissenschaft das Problem und nicht die Lösung ist.
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