Es gab mit Sicherheit den einen und anderen, der beim Uiendag von pflanzenbaulich durchaus möglichen Erträgen weit über 100 t pro Hektar träumte – aber selbst die Gutgläubigsten wurden ziemlich schnell von der Realität der staubigen Äcker rundum die Versuchsstation Rusthoeve eingeholt.
So mancher Zwiebelanbauer im ehemaligen Herzen des niederländischen Zwiebelanbaus wird froh sein, wenn er überhaupt eine um den Faktor zehn geringere Ernte einfahren kann und es ist nicht so, dass 2022 das eine schlechte Jahr ist, dass auch einmal dabei sein kann: In vier der letzten fünf Jahre war die Situation ähnlich.
So wandelte sich im Laufe der Jahre dann auch der Fokus des Zwiebeltags von einem eher mechanistisch geprägten Weltbild hin zu einem eher systemischen Naturverständnis. Statt zu lamen- und diskutieren, wie sich der eine Wirkstoff mit dem anderen ersetzen lassen könnte, wurde zunehmend das digitale schwarz und weiß um das Regenbogenspektrum erweitert.
Als mit der Aufhebung der Produktschappen ein Zwiebel-Aus für Forschung und Wissenschaft drohte, organisierte sich der Sektor kurzerhand selbst und stellte mit Uireka Beeindruckendes auf die Beine. Und so könnte durchaus etwas dran sein, dass sich von der vollkommen zu Unrecht als altbacken verschrienen Zwiebel eine Menge lernen lässt.
Statt Ertragsoptimierung stand Ende August beim Zwiebeltag das Thema Innovation im Fokus. Für sich genommen ähnlich aufregend wie Nachhaltigkeit, füllte sich der Begriff aber schnell mit Leben angesichts der Herausforderungen, die mehr oder weniger als gesetzt galten: mehr Hitze, weniger Wasser, Versalzung der Böden.
Dazu größerer und vor allem auch anderer Insektendruck – und generell aufgrund des Dauerstresses für Schaderreger äußerst empfängliche Kulturen. Das Ganze unter gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die der Landwirtschaft nicht immer nur gewogen sind. Als Schlagworte, die zeigen, dass die Themen längst größer als der Zwiebelanbau allein sind, fielen u.a. Nullemission und Biodiversität.
In der Geschichte des Zwiebeltags gab es dann auch noch nie so viele Aussteller, die Lösungen jenseits der klassischen Agrarchemie zeigten, sei es in der mechanischen Unkrautbekämpfung, den präventiv wirksamen Biostimulanzien, dem Risikomanagement oder dem Einsatz von Sensorik und Prognosemodellen.
Dem Zwiebeltag geht traditionell das Zwiebelfrühstück voraus, eine Art informelles Treffen, das Fieberthermometer-gleich die Stimmung in der Branche wiederspiegelt. Dieses Jahr hangelte sich die Diskussion an einer Reihe Statements entlang, die Meinungsbild-technisch leicht erkennbar mit dem Aufzeigen einer grünen oder roten Karte entweder unterstützt oder abgelehnt werden konnten.
Die Anwesenden waren größtenteils überzeugt davon, dass es gelingen wird, die jetzt noch im Zwiebelanbau durchschnittlich ausgebrachten 13 kg Wirkstoff bis zum Jahr 2030 halbieren zu können. Sportlich dann auch das nächste Thema: bei der Frage, ob die niederländische Zwiebel auch im Jahr 2030 noch ein bedeutender Spieler auf dem Weltmarkt sein wird, schieden sich die Geister.
Half im ersten Fall also das Vertrauen auf die eigene Innovationskraft dabei, sich im Glauben bestärkt zu fühlen, auch über regulatorische Hürden hinweg zu kommen, vertraute kaum einer Anwesenden darauf, dass der derzeit noch vorhandene Innovationsvorsprung die Vormachtstellung der niederländischen Zwiebeln auf ewig sichern werde.
Sind Produktionskosten von 25 ct / kg und mehr heutzutage zwar schon in Dürre geplagten Landesteilen an der Tagesordnung, könnten sie bis 2030 angesichts der allgemeinen Kostenentwicklung auch für Vollertragsjahre Standard werden und das Gefüge auf dem Weltmarkt nachhaltig verschieben. Zudem ja auch nicht einmal jede zehnte Zwiebel in den Export geht, regionale Produktion also eher die Regel als die Ausnahme ist.
Angesichts dieser vielfältig komplexen Herausforderungen stellt sich dann fast automatisch die Frage, ob sich die eigene Marktposition anders als mit neuen Business-Konzepten und Sektor-übergreifenden Innovationen sichern lässt, was allgemein verneint wurde. Und da war dann das Thema Nachhaltigkeit auf einmal auch nicht mehr weit weg – um die Beschäftigung mit Product Environmental Footprint Category Rules wird mittelfristig niemand hinwegkommen.
An diesem Punkt gab es dann aber erst einmal Entwarnung: Zwar entfällt knapp die Hälfte des ökologischen Fußabdrucks eines aus den Niederlanden nach Indonesien exportierten Kilogramms Zwiebeln auf den Anbau, ein knappes Viertel auf den Transport und rund ein Zehntel auf die Lagerung, dennoch macht die hohe Anbaueffizienz das in unseren Breiten erzeugte Produkt zu mindest aus ökologischer Sicht konkurrenzfähig.
Dass es aus Sicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer für eine florierende Zukunft mehr brauchen werde, bewies die große Unterstützung, die die letzte These fand: Landwirtschaft, wie wir sie heute kennen, hat ihre beste Zeit gehabt und wird auf absehbare Zeit verschwinden. Anpassungen sind ein Muss und keine Option. Und auf einmal klang all das, was auf dem Uiendag in Colijnsplaat gezeigt wurde, nicht mehr nach Zukunftsmusik sondern nach einem Ausblick in eben jene Zukunft.
Auch wenn es zuweilen mühsam erscheint, sich aus der eigenen Komfortzone heraus zu bewegen, gilt seit dem 24. Februar mehr denn je, dass der Status Quo unweigerlich im gegenwärtigen Strudel der Ereignisse untergehen wird und die Zukunft denen gehört, die sich aufmachen.
Oder wie Jonas Deichmann Mitte August auf dem Möhrenforum erklärte: jede Weltumrundung beginnt mit einem ersten Schritt. Und da einmal um die Welt ja nur schwer vorstellbar ist, hilft es, die einzelnen Etappen gedanklich kleinzuhalten – und vor allem auch „vielleicht“ und „wenn alles gut geht“ aus dem Wortschatz zu streichen.
Tim Jacobsen
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