"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Schlagwort: LEH

Was isst Deutschland?

Wohl jeder hat zumindest in der entfernten Familie jemanden, der, auch wenn er wollte, gar nicht wüsste, wie Nudeln überhaupt gekocht werden – während andere, nicht weniger liebe Verwandte aus Spaghettini oder Spaghettoni einen Glaubenskrieg machen. Pastinaken und Petersilienwurzeln nutzten geschickt die Ge- und Abwöhnung an und von Erdnußbutter, Papaya und Avocados, um aus der Versenkung zurück zu kehren – und so ist in aller Abgedroschenheit an der Beständigkeit des Wandels durchaus etwas dran.

Im Vergleich März 2023 zum selben Monat des Vorjahres sticht zwar mit einem Plus von 27 % Gemüse heraus, richtig viel teurer ist aber mit 71 % Zucker geworden, über den so gut wie niemand spricht. 402 € geben wir alle im Schnitt Jahr für Jahr für Lebensmittel aus; der Anteil des Haushaltseinkommens, der in Polen für Lebensmittel ausgegeben wird, liegt um die Hälfte höher als bei uns.

Der Umsatz mit Biolebensmittel sank im Vorjahr im Vergleich zu 2021 zwar um 3,5 %, lag aber immer noch 25 % über dem von 2019. Interessanterweise war in der letzten Saison der Preisaufschlag für konventionelle Möhren über alle Absatzkanäle hinweg ausgeprägter als für Bioware. Noch extremer: Bei Zwiebeln ging in der zu Ende gehenden Saison konventionelle Ware ab wie Schmitz Katze, die Biokollegen dagegen konnten schon fast froh sein, das konstante Preisniveau der Vorjahre zu halten.

Doof dann auch, wenn die solvente Stammkundschaft das direktvertriebene Ökofleisch nicht mehr zu zahlen bereit ist, sich auf Discounterbio stürzt – und gleichzeitig am 30 % Ziel des Koalitionsvertrags festgehalten wird. Richtig attraktiv wird die Umstellung dadurch nicht, auch wenn Biobauern zumindest von der Preissteigerung für synthetische Dünger nicht betroffen sein sollten. Eier sind übrigens die am häufigsten gekauften Bioprodukte, noch vor Obst und Gemüse sowie Kartoffeln und den Mopros.

Der Ökolandbau schneidet in vielen Dingen besser ab als die konventionelle Landwirtschaft, die Frage, wie groß die Ertragseinbußen sind, scheidet die Geister. Smart Farming könnte eine Art Mini-game-changer werden, der große Wurf wäre allerdings eine Anpassung des EU-Gentechnikrechts. Nicht unbedingt etwas Neues: Schon die Urbios diskutierten darüber, ob nicht Molekularbiologie geradezu dafür gemacht wäre, den nicht chemisch unterstützen Pflanzen in ihrem Überlebenskampf alle denkbaren Vorteile zu bieten. Seinerzeit soll die Stimmungslage ungefähr fifty-fifty gewesen sein.

Letztendlich ist das Ganze aber mehr eine Art Scheindiskussion angesichts dessen, dass von 50 m2, die es braucht, um ein Rind 1 kg schwerer werden zu lassen, standortabhängig eben auch bis zu 2,5 dt Kartoffeln abgefahren werden können. Seit dem Jahrhundertwechsel ging der Milchkonsum bei uns um rund ein Zehntel zurück, die Alternativen aus Hafer, Soja und Mandel eroberten 5,5 % Marktanteil.

Erfreuliche 72 % der Deutschen greifen täglich zu Obst und Gemüse, wieder einmal sind die Frauen mit 81 % vernünftiger als die Männer mit 63 %. Fleisch gibt es bei 19 % unserer Frauen jeden Tag, hier liegen die Männer mit 31 % deutlich darüber. Mit unseren durchschnittlich 52 kg Fleischkonsum liegen wir zwischen den 4 kg in Indien und den 110 kg in Amerika, Australien und Argentinien irgendwo in der Mitte.

Die Beliebtheit von Suppen und Eintöpfen steigt mit dem Alter, beim Ketchup ist es andersrum. Frauen trinken mehr Kräutertee als Männer und Männer viermal so viel Alkohol. 78 kg Lebensmittel werfen wir alle durchschnittlich weg und von den 7,4 % der Treibhausgasemissionen, die auf die Landwirtschaft entfallen, stammen zwei Drittel aus der Tierhaltung.

Gut die Hälfte Deutschlands wird in der einen oder anderen Form bewirtschaftet und so wird schnell klar, dass Insektenhotels hier und bestäuberfreundliche Blüten da allenfalls Kosmetik sein können und es vor allem mehr Diversität in der Fläche braucht.

Insekt ist dabei nicht gleich Insekt, mit rund einer Million Arten sind Insekten die artenreichste Tiergruppe überhaupt. Andere Länder, andere Sitten: während nicht nur in Bayern Insekten eher langsam Eingang in unsere Speisekarten finden werden, sind sie für rund ein Viertel der Weltbevölkerung der Proteinlieferant schlechthin.

Vielleicht kommen wir aber auch noch einmal mit einem blauen Auge davon – zumindest was die Insekten angeht. Wer schon einmal einen Vorgeschmack darauf bekommen möchte, wie es gehen könnte, die bis 2050 wahrscheinlich 10 Mrd. Menschen zu ernähren, sollte einen Blick in „Eat Good“ wagen.

Auch auf die Gefahr hin, eine der Haupterkenntnisse der Rezeptsammlung zu spoilern: mit den Lancet-Kommissions-Empfehlungs-gerechten 350 g Gemüse und 200 g Obst täglich sollte uns Gärtnerinnen und Gärtnern eigentlich nicht bang vor der Zukunft sein!

Tim Jacobsen

Da geht noch was

Zwar erreicht er nur zwei Drittel des weltweiten Umsatzes des Brauseherstellers Coca Cola, aber immerhin 26 Mrd. € schwer soll er sein, der europäische Markt für Zierpflanzenprodukte. Verteilt auf die 213 Mio. Haushalte, die derzeit die Europäische Union bevölkern, macht das im Jahr 121,50 € pro Haushalt – dass das noch nicht das Ende der Fahnenstange sein kann, wird einem spätestens dann klar, wenn man sich bewusst macht, dass dies gleichzeitig bedeutet, dass pro Haushalt weniger als 2,50 € in der Woche für Zierpflanzen ausgegeben werden.

Am einfachsten aufpolieren ließe sich die Statistik, wenn es gelingen würde, das in Umfragen ermittelte Drittel der Bevölkerung, das in den letzten drei Monaten weder Schnittblumen noch Zimmer- oder Gartenpflanzen gekauft hat, als Kunden zu gewinnen. Schließlich sollte es gar nicht allzu schwierig sein, auf in Umfragen ungestützt vorgebrachte Gründe wie `zu teuer´, `zu kurz haltbar´, `keine Zeit für den Einkauf´ oder `kein Anlass, jemanden zu beschenken´ eine passende florale Antwort zu finden.

Geht man der Preisfrage auf den Grund, fällt auf, dass dies hauptsächlich von der Damenwelt so empfunden wird – mitunter könnte dies eine Folge davon sein, dass Frauen vergleichsweise oft Blumen geschenkt bekommen und nur selten selbst als Kundinnen im Laden stehen. Ganz falsch kann Mann mit so einem Blumengeschenk statistisch gesehen ja auch gar nicht liegen: rund zwei Drittel der in einer ABN AMRO Studie befragten Damen gaben an, sich über blumige Mitbringsel zu freuen.

Dahingegen scheint nur jeder zehnte Mann regelmäßig Blumen geschenkt zu bekommen; angesichts dessen, dass mehr als ein Drittel der befragten Herren angibt, sich über Blumengeschenke zu freuen, ist damit auch gleich die nächste unterversorgte Zielgruppe entdeckt. Und auch die Jüngeren, denen oft nachgesagt wird, mit Tradition nichts am Hut zu haben, scheinen in Wirklichkeit ganz anders zu ticken: knapp die Hälfte der befragten Youngsters gab an, sich über Blumen zu freuen und erreichen als eigene Alterskohorte damit fast die Umfragespitzenwerte der über 50-Jährigen.

Um den Vorwurf der mangelnden Haltbarkeit zu entkräften, bräuchte man nur wenige Stunden: während Verbraucher erwarten, dass Blumensträuße statistisch errechnete 9,28 Tage vorzeigbar bleiben, erreichen sie im Schnitt nur 8,99 Tage. Interessant dabei ist, dass Verbraucher beim Einkauf im Supermarkt ihre Haltbarkeitserwartung im Gegensatz zum Einkauf im Fachhandel deutlich niedriger ansetzen und die dort verfügbare Ware diese Erwartung dann auch nahezu zu erfüllen scheint.

Wollte man nun den Absatz ankurbeln, bräuchte man wahrscheinlich gar nicht allzu viel zu verändern: Wenn Frische alles entscheidend ist, führt kein Weg daran vorbei, die Effizienz der Vermarktungskette weiter zu steigern, auch wenn dies kaum mehr möglich zu sein scheint. Um aber die Erwartungshaltung der Konsumenten zu übertreffen, kann die Kette letztendlich gar nicht kurz genug sein. Netter Nebeneffekt: je früher Ware präsentiert werden kann, desto länger ist der mögliche Verkaufszeitraum und desto weniger müsste weggeworfen werden.

Und die Freude beim Konsumenten wird immer größer, denn auch ein anderer, immer wieder genannter Blumenkaufsverhinderungsgrund lässt sich mit modernen Warenwirtschaftssystemen leicht ausräumen: Wenn es nun einmal so ist, dass Kunden auch im Blumenladen gerne Schnäppchen schießen wollen, warum nicht aus dem Ärgernis eine Tugend machen? Ware, die dringend verkauft werden muss, wird mit deutlichem Preisabschlag angeboten. Bisher funktioniert das sog. Dynamic Pricing so richtig gut nur in die andere Richtung und sorgt für Preisaufschläge an Blumenschenktagen wie dem 14. Februar – dass die Vorratshaltung in Vorbereitung auf diese Großkampftage in Verbindung mit erhöhten Preisen dann beim Konsumenten oft für lange Gesichter sorgt, betont nur noch einmal, dass der Kunde gerne ernst genommen werden möchte.

Verteilt auf die 213 Mio. Haushalte, die derzeit die Europäische Union bevölkern, macht das im Jahr 121,50 € pro Haushalt

Tim Jaocbsen

Und selbst wenn neun Zehntel der Befragten im Laufe des letzten Jahres zum Teil wegen grundsätzlicher Bedenken oder auch, weil die Ware nicht im herkömmlichen Sinne sichtbar ist und deshalb verstärkt Qualitätsprobleme vermutet werden, keine Zierpflanzenprodukte online gekauft haben, steckt in diesem Vermarktungsweg eine Vielzahl von Möglichkeiten, mit denen sich dann die Blumenkaufverhinderungsgründe drei und vier ausräumen lassen.

Und das geht ganz ohne mit Kundenkarten, sozialen Medien, dem Internet oder Big Data gewonnenen Erkenntnissen: Maßgeschneiderte Blumen- oder Pflanzenabos können helfen, im übertragenen Sinne Zeit für den Einkauf und den passenden Anlass, jemanden zu beschenken, zu finden – und auch danach nicht wieder zu vergessen. Denkt man noch einen Schritt weiter, werden mit Sicherheit unter Zuhilfenahme von Kundendaten in nicht allzu ferner Zukunft unter der Onlinehändlerkategorie „Dann haben wir die folgende Auswahl für Sie“ auch Zierpflanzen auftauchen.

Natürlich könnte man sich auch zurücklegen und darauf vertrauen dass kein Ende der gesellschaftlichen Entwicklung, die seit 2005 zu einem Zehntel mehr an Haushalten, gleichbedeutend mit einem Zehntel mehr an Fensterbänken, Gärten und Balkonen, geführt hat, in Sicht ist und uns die Zukunft wahrscheinlich fast automatisch mehr und mehr potentielle Kunden bescheren wird.

Dennoch ist deutlich mehr möglich – packen wir es an!

Tim Jacobsen

Zitat:

Verteilt auf die 213 Mio. Haushalte, die derzeit die Europäische Union bevölkern, macht das im Jahr 121,50 € pro Haushalt

Gedanken zur stillen Jahreszeit

Wäre die deutsche Fußballnationalmannschaft nicht drei Spiele nach dem auch von Per Mertesacker selbst holprig empfundenen Auftritt gegen Algerien noch Weltmeister geworden, hätte die Reaktion des ehemaligen Bremer Abwehrchefs auf die Fragen des ZDF-Reporters Boris Büchler mit Sicherheit ähnlichen Kultstatus erreicht wie Trappatonis „Ich habe fertig“.

Halb Spaß, halb Ernst wurde Anfang Juli dieses Jahres gar ein Mertesacker-Syndrom kreiert, mit der eine Art wurstige Zufriedenheit mit dem Erreichten diagnostiziert werden sollte. Was aber soll man, kurz nachdem man in einem weltweit beachteten Turnier die Runde der besten acht erreicht hat, auch auf Fragen wie „Dass man sich noch steigern muss, denke ich, müsste auch Ihnen klar sein?“ antworten?

Auf den Gartenbau übertragen hieße dies: kaum ist der letzte Salat geschnitten, endgültig kein Apfel mehr am Baum oder der CC vollbepackt im LKW verschwunden – schon muss man der gierigen Pressemeute Auskunft geben auf Fragen wie „Das kann doch nicht das Niveau sein, das Sie sich davor ausgerechnet haben?“.

Davon abgesehen, wäre es denn nicht eigentlich auch viel sympathischer gewesen, wäre statt Helene Fischers Auftritt auf der Berliner Fanmeile Per Mertesackers „Ich kann diese ganze Fragerei nicht verstehen“ in Erinnerung geblieben? Stünde uns denn nicht allen ab und an ein „Ich lege mich jetzt drei Tage in die Eistonne … und dann sehen wir weiter“ gut zu Gesicht?

So aber lässt der Alltag kaum Raum für das Mertesackerische „Mir ist völlig wurscht wie“ – ganz so als würde an permanenter Höchstleistung kein Weg vorbei führen. Was aber könnte denn passieren, wenn wir alle die Dinge einmal etwas weniger verbissen sehen würden?

Hätte die europaweite Intensivierung des Kernobstanbaus nicht ein vor Jahren noch unvorstellbares Niveau erreicht, könnte die EU-Kommission Däumchen drehen und müsste sich nicht mit „Sonderstützungsmaßnahmen für Erzeuger von bestimmtem Obst und Gemüse“ beschäftigen.

Stünde uns denn nicht allen ab und an ein „Ich lege mich jetzt drei Tage in die Eistonne … und dann sehen wir weiter“ gut zu Gesicht?

Tim JAcobsen

Auch am anderen Ende des Alphabets beginnt sich die Erkenntnis durchzusetzen, dass die Ertragsmaximierung kein Allheilmittel zur Renditeerhöhung sein kann. So gibt es dann von Apfel bis Zwiebel zahllose Kulturen, mit denen gegenwärtig letztendlich nur Geld verdient werden kann, wenn gleichzeitig irgendwo anders Gärtnerkollegen aufgrund oftmals nicht in ihrer Verantwortung liegender Umstände leer ausgehen.

Dazu kommt, dass der Preis für das ganzjährige `höher, weiter und schneller´ beträchtlich ist. Kaum eine Vortragsveranstaltung, die etwas auf sich hält, kommt derzeit ohne Burn Out im Programm aus. Es ist ja auch schon lange nicht mehr so, dass `zwei grüne Daumen´ reichen würden – genauso wie von Fußballspielern erwartet wird, dass sie zu jeder Tages- und Nachtzeit zitierfähige Beiträge zu gesellschaftspolitisch relevanten Debatten liefern, sollen Gärtner neben der Produktion die Vermarktung im Griff haben und darüber hinaus jederzeit öffentlichkeitswirksam im Sinne des Berufsstandes tätig sein.

Manches wurde aber auch einfacher: Ähnlich wie mancher Fußballfan erst einmal Tradition vorschiebt, um missliebige Konkurrenz außen vor zu halten, und sich letztendlich dann aber doch mit der höheren Attraktivität des großen Ganzen zu arrangieren weiß, haben in der leidigen Umweltdiskussion ursprünglich verfeindete Lager zueinander gefunden.

Von ein paar Dinosauriern abgesehen gibt es niemanden mehr, der eine strikte Trennlinie zwischen Ökoanbau und Konzepten wie kontrolliert-integrierter Produktion ziehen wollte – auch wenn das eine so viel publikumswirksamer als das andere erklärt werden kann.

Vielleicht kommen wir ja tatsächlich bald einmal an den Punkt, an dem wir mit Fug und Recht behaupten können: Optimaler als wir das derzeit machen, lassen sich Nahrungsmittel nicht produzieren. Und vielleicht gibt es dann nicht mehr 365 Tage im Jahr Erdbeeren im Supermarkt, vielleicht gäbe es dann auch einmal Tage, an denen im Salatsortiment Lücken wären oder die Floristen nicht aus dem Vollen schöpfen könnten – aber wäre es denn tatsächlich ein Weltuntergang, wenn dank der Angebotsverknappung auch das Preisgefüge ein höheres Niveau erreichen würde?

Es gibt Kollegen, die empfinden angesichts des allgegenwärtigen Überflusses die modern gewordene Rückbesinnung auf die Nutzfunktion von Hausgärten absurd, wie viel absurder aber ist eigentlich das Warenangebot, das mittlerweile in jeder mittelgroßen Stadt nahezu rund um die Uhr verfügbar ist?

Ähnlich, wie man vortrefflich darüber diskutieren kann, ob der Ökoanbau in seiner intensiven Form ressourcenschonender ist als die konventionelle Produktion und damit beim Verbraucher allenfalls ungläubiges Staunen erntet, sollte nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame im Vordergrund stehen. Allen, die das anders sehen, sollte man auf gut Mertesackerisch antworten: „Was wollen Sie jetzt von mir … ich kann Sie nicht verstehen.“

Tim Jacobsen

Friedrich geht, Schmidt kommt

Es war ein bisschen geflunkert, als Dr. Hans-Peter Friedrich bei der Eröffnungsveranstaltung der Internationalen Grünen Woche damit kokettierte, erst einen Monat im Amt zu sein – schließlich hatte er als Innenminister nach Ilse Aigners Repatriierung bereits Ende September die kommissarische Leitung des BMELV übernommen, das er dann ab seiner Ernennung eine Woche vor Heiligabend bis zu seinem Rücktritt am Valentinstag, als ein im Titel um den Verbraucherschutz beraubtes Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft führte.

Einen aus Gartenbausicht besseren Termin zur offiziellen Amtseinführung hätte es dann aber auch gar nicht geben können, schließlich stehen in der Nachweihnachtszeit traditionell die Branchenhighlights Grüne Woche, IPM, Fruit Logistica sowie BioFach unmittelbar bevor. Gelegenheiten genug, um, wie der Minister im Berlin erklärte, „vom Obstbauern am Bodensee bis zum Getreidebauern in Mecklenburg, vom Milchbauern in Allgäu und Oberfranken bis zum rheinländischen Gemüsebauern, vom Hopfenbauern aus Oberbayern bis zum Winzer an Rhein, Mosel und Saale“ all diejenigen kennenzulernen, deren Schicksal mit der Amtsübergabe in Friedrichs Hände gelegt wurde.

Die größten Sorgen hatte Friedrich schnell ausgemacht und versprach zur Eröffnung der Grünen Woche Planungssicherheit, Schutz des Eigentums sowie die Umsetzung der im Wahlkampf gemachten Versprechen. In Essen stellte er in Aussicht, die Passage des Koalitionsvertrages `Die Potentiale zur Energieeinsparung im Gartenbau sollen stärker genutzt werden´ mit Leben zu füllen, die bisherige Förderung des Agrardiesels beizubehalten sowie eine pauschale Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes auch zukünftig vehement ablehnen zu wollen.

Friedrich zeigte sich Ende Januar bestens informiert, als er zurückgreifend auf die Erkenntnisse des zweiten Zukunftskongresses das IPM-Eröffnungspublikum in die Pflicht nahm, dafür zu sorgen, dass Gartenbauprodukte zukünftig stärker nachgefragt und nicht zu Dumpingpreisen und in ihrer Bedeutung entwertet verschleudert werden. Friedrich lieferte die Problemlösung gleich mit: mit innovativen Produkten und Dienstleistungen sowie einem differenzierteren Eingehen auf die unterschiedlichen Konsumentengruppen könne die vom Konsumenten empfundene Wertigkeit gartenbaulicher Produkte gesteigert und so beispielsweise Blumen und Pflanzen beim Konsumenten als „hochwertiger Bestandteil im Leben“ verankert werden.

Eine EEG-Novellierung, die nicht zu einer Mehrbelastung des Gartenbaus führt, sowie die Einführung der steuerlichen Risikoausgleichsrücklage, wären ein guter Anfang

Tim Jacobsen

Ähnliches dann auf der Fruit Logistica: „Die Branche ist gefordert, den Konsum von Obst und Gemüse anzukurbeln, neue Trends zu erkennen, Marktlücken zu suchen und zu besetzen. Wir müssen auf Frische, Qualität und Transparenz setzen und zusehen, dass wir den Konsum weiter steigern – im Interesse der Betriebe und des Handels, aber auch im Interesse einer gesunden Ernährung.“ Abends bei der German Fruit Traders Night betonte Friedrich dann die zunehmende Bedeutung der Vermarktung von Lebensmitteln aus der Region und verwies auf das `Regionalfenster´, das Friedrich zufolge eine hervorragende Möglichkeit ist, regionale Produkte verlässlich und transparent zu vermarkten.

Am Eröffnungstag der Jubiläumsausgabe der BioFach schließlich erweiterte Friedrich den Regionalbegriff um das Thema Bio: „Regionale Bioprodukte liegen im Trend. Das bestätigt neben Umfragen auch das konkrete Kaufverhalten der Verbraucher. Daher sollte es unser gemeinsames Ziel sein, den Anteil an regionalen Bioprodukten zu steigern, zumal Produktion, Verarbeitung und Handel in den ländlichen Regionen auch aktiv zur Stärkung der Wirtschaftskraft vor Ort beitragen.“

Zwei Dinge lagen dem Minister zwei Tage vor seinem Rücktritt in Nürnberg dann noch besonders auf dem Herzen: „Ökologisch wirtschaftende Betriebe benötigen weiterhin attraktive Prämien, die die besonderen Ökosystemleistungen honorieren. Nur so bleibt der Anreiz für eine ökologische Bewirtschaftung erhalten“ sowie im Hinblick auf die geplante Revision der EU-Ökoverordnung „Weiterentwicklung und Anpassung sind wichtige Elemente einer zukunftsfähigen Branchenentwicklung. Dies gilt ganz besonders für einen sauberen Wettbewerb mit echten und qualitativ hochwertigen Bioprodukten. Daher begrüßen wir die Anstrengungen der Kommission grundsätzlich: Wo Bio draufsteht, muss auch Bio drin sein.“

Es blieb wohl niemandem verborgen, dass Friedrich als Landwirtschaftsminister in den knapp neun Wochen seiner Amtszeit in der grünen Branche auffallend viel Präsenz zeigte, was nach dem aus gartenbaulicher Sicht eher bescheidenen Ergebnis der Koalitionsverhandlungen für Aufatmen unter den berufsständischen Vertretern sorgte. Das damit allerdings automatisch einhergehende Dilemma verdeutlichte Friedrich zum IPM-Auftakt in Essen: „Ja, ich habe in meiner Rede auf der Grünen Woche in Berlin den Gartenbau gleich dreimal erwähnt, ganz absichtlich. Und prompt liegen mir schon die Beschwerden der Forstwirte und Teichwirte auf dem Tisch.“

Es bleibt zu hoffen, dass der frischgekürte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt den Gartenbau auch ohne Besuch der deutschen Weltleitmessen ernst nimmt und für die dringlichsten Sorgen und Nöte der Gärtner ein offenes Ohr hat: Eine EEG-Novellierung, die nicht zu einer Mehrbelastung des Gartenbaus führt, sowie die Einführung der steuerlichen Risikoausgleichsrücklage, wären ein guter Anfang.

Tim Jacobsen

Geld oder Leben – Moral und Märkte

Wer bei Ökonomen zuallererst an Schlippsträger denkt, wird beim Leiter des Bonner Econlab Schwierigkeiten haben, zu erraten, welchem Beruf Prof. Dr. Armin Falk nachgeht. Wahrscheinlich ist es aber genau dieses gewisse Etwas, das Falk in die Lage versetzt, mit dem Ergebnis seiner Experimente weltweit für Aufsehen und –regung zu sorgen. Jüngster Streich des Shootings Stars unter den deutschen Wirtschaftswissenschaftlern waren die Mitte Mai im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichten Erkenntnisse darüber, wie Marktzusammenhänge moralische Grundsätze aushebeln können. Falks Ausgangshypothese war dabei, dass das Agieren auf Märkten einen Abstand zwischen uns und den Folgen unserer Entscheidungen schafft, der uns letztendlich zu unmoralischem Handeln verführt.

Konkret stellte Falk gemeinsam mit seiner Magdeburger Kollegin Prof. Dr. Nora Szech den knapp 800 Teilnehmern des Experimentes im Sommer letzten Jahres die Frage, ob ihnen das Überleben einer Labormaus oder ein kleiner Geldbetrag lieber wäre. Unterschiedliche Versuchsanordnungen sollten dabei klären, ob der Marktmechanismus unmoralisches Verhalten fördert. Ein Teil der Probanden konnte sich individuell zwischen 10 € oder dem Leben einer Maus entscheiden; der Rest wurde in Käufer und Verkäufer aufgeteilt. Jedem Verkäufer wurde eine Maus, jedem Käufer 20 € in die Hand gedrückt. In der bilateralen Versuchsanordnung trafen jeweils ein Käufer sowie ein Verkäufer aufeinander, in der multilateralen Versuchsgruppe standen sieben Käufern neun Verkäufer gegenüber.

Käufern und Verkäufern war dabei freigestellt, ob sie überhaupt am Handel teilnehmen wollten. Ging der Verkäufer jedoch auf das Angebot eines Käufers ein, wurden die 20 € aufgeteilt und die Maus getötet (ein Schicksal, das die Labormäuse sowieso erwartet hätte). Gehandelt wurde anonym über ein zu diesem Zweck in der Bonner Beethovenhalle installiertes Computernetzwerk. Im Rahmen der Einführung bekamen die Teilnehmer ein Video zu sehen, in dem eine Maus vergast wird, langsam an Atemnot stirbt und nach zehn Minuten aus dem Käfig entfernt wird.

Auf sich allein gestellt, entschied sich mehr als die Hälfte der Teilnehmer für das Leben der Maus und gegen die 10 €. Aus den bilateralen Verhandlungen ging dann nur noch ungefähr ein Viertel der Mäuse als Sieger hervor und unter Marktbedingungen mit mehreren Teilnehmern stellte dann lediglich ein gutes Fünftel der Teilnehmer das Leben der Maus über die Aussicht auf den Geldgewinn – selbst wenn dieser unter den verschärften Marktbedingungen im Laufe von zehn Spielrunden sogar noch einmal um knapp zwei Euro auf 4,50 € sank – und damit ein Wert erreicht wurde, der in der individuellen Abfrage noch für so gut wie unmöglich gehalten wurde.

Gekauft wird, was billig ist

tim Jacobsen

Für Falk und Szech bewahrheitet sich damit, dass allein das Vorhandensein von Märkten zur Erosion moralischer Standards führen kann. Sie erklären das damit, dass, sobald man nicht mehr auf sich allein gestellt ist, gemäß dem Sprichwort `geteilte Schuld ist halbe Schuld´ die Schuldfrage entwertet werde, zum anderen impliziere die Handelbarkeit eines Gutes gewisse moralische Standards, die im weiteren Verlauf ohne viel Zutun in eine Abwärtsspirale geraten können. Keinesfalls unterschätzt werden sollte Falk und Szech zufolge auch, dass die Fokussierung auf das bestmögliche Handelsergebnis dazu führen kann, dass moralische Grundsätze in den Hintergrund rücken.

Die Autoren vergleichen das Ergebnis ihres Experiments mit der Alltagssituation vieler Verbraucher in Deutschland. Zwar gäbe es beispielsweise niemanden, der öffentlich für Kinderarbeit eintritt; und natürlich wüssten die meisten Konsumenten Bescheid über die teilweise erbärmlichen Arbeitsbedingungen in fernöstlichen Sweatshops – da aber diese Bedingungen für uns nur wenig direkte Bewandtnis haben, gelten sie nicht viel. Gekauft wird, was billig ist. Die beiden Wissenschaftler sind sich dann auch sicher, dass Moralappelle wenig Abhilfe schaffen können – ähnlich wie den Verbrauchern auf Schnäppchenjagd hätten den Teilnehmern der Studie die Folgen ihres Handelns jederzeit bewusst sein können.

Ob das unmoralische Verhalten nun tatsächlich den Marktmechanismen oder vielleicht doch auch zumindest ein bisschen der Gruppendynamik geschuldet ist, wie von manchem Kritiker angemerkt wurde, bleibt letztendlich eine pur akademische Diskussion. Schließlich zeigt das Experiment auf schlichte und dennoch aufsehenerregende Weise, dass es der Markt den Menschen einfach macht, moralische Bedenken auf die Seite zu schieben. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass es möglich ist, den eigenen moralischen Standards treu zu bleiben – immerhin verweigerte ein Teil der Probanden standhaft, am munteren Handelstreiben mit dem für die Mäuse tödlichem Ausgang teilzunehmen. Und nicht zuletzt ist mit dem Experiment auch der Beweis erbracht, dass es sich lohnt, aus der Anonymität der Masse hervorzutreten und den persönlichen Kontakt mit der eigenen Kundschaft zu suchen.

Tim Jacobsen

Lokal, regional, national – die Herkunft zählt; aber zahlt sie sich auch aus?

Es gibt weltweit wahrscheinlich nur eine gute handvoll Länder, deren Nationalflagge einen eigenen Namen bekommen hat. Das Schweizerkreuz und Frankreichs Tricolore gehören genauso zu diesem erlesenen Club wie Dänemarks Dannebrog, die US-amerikanischen Stars and Stripes und der britische Union Jack. Während Eidgenossen, Franzosen und Amerikaner sich bei der Namensfindung wohl hauptsächlich von Äußerlichkeiten leiten ließen, steht bei den Dänen und Briten der einigende Charakter des Nationalsymbols im Vordergrund.

Daraus abgeleitet könnte dann schon ein Funken Wahrheit an der Behauptung sein, dass sich die Bewohner dieser Länder angeblich nicht lange mit der Frage aufhalten, warum sie denn überhaupt einheimische Erzeugnisse kaufen sollten, sondern vielmehr wissen wollen, wo es diese Produkte denn zu kaufen gibt.

Zehnjähriges Jubiläum feierte dieses Jahr der kleine rote Traktor, mit dem die Briten im Jahr 2000 das gordische Siegelwirrwarr durchhackten und für landwirtschaftliche Produkte eine einheitliche Kennzeichnung schufen, die neben einem Qualitätsversprechen auch einen Herkunftsnachweis enthält. Produkte im Wert von derzeit jährlich über 10 Mrd. £ zieren sich mittlerweile mit dem Logo, das Untersuchungen zufolge zu den bekanntesten Marken im Vereinigten Königreich gehört.

„So frisch wie nur irgendwie möglich. Das sieht man nicht nur, sondern schmeckt es vor allem“

Willem Treep und Drees Peter van den Bosch

Vielen Konsumenten soll mittlerweile allerdings national bereits schon wieder zu global geworden sein, will man den Trendforschern glauben. Anzeichen dafür, dass dahinter mehr als nur heiße Marketingluft stecken könnte, gibt es zuhauf. Internetdatenbanken, die einem beispielsweise in Belgien beim Aufspüren regionaltypischer Köstlichkeiten unterstützen, erfreuen sich großer Beliebtheit. Und die Möglichkeit, Landwirten und Gärtnern auch einmal im echten Leben von Angesicht zu Angesicht gegenüber stehen zu können, zählt mittlerweile an der Kühltheke so mancher englischen Supermarktkette zum Standardprogramm.

Ganz ohne schulmeisterhafte CO2-Fußabdrücke kommt auch die Erfolgsgeschichte von Willem Treep und Drees Peter van den Bosch aus. Statt auf Überzeugungstäter setzen die beiden Niederländer auf die Überzeugungskraft des Produktes selbst. „So frisch wie nur irgendwie möglich“ lautet ihr Geschäftsgeheimnis. „Das sieht man nicht nur, sondern schmeckt es vor allem“ heißt ihr Versprechen. Über die gesamten Niederlande verteilt, versorgen Willem&Drees gut ein Jahr nach der Geschäftsgründung bereits über 100 Supermärkte mit ihrem stark saisonal ausgerichteten Obst- und Gemüsesortiment.

Vom Produktionsbetrieb bis in den Supermarkt soll dabei kein Produkt mehr als 40 km zurücklegen müssen, Unterglas darf nicht geheizt werden und auch der Rest der selbstauferlegten Regeln wirken wie aus einer vergangenen Zeit. Aus einer Zeit wohl gemerkt, in der Zusammenarbeit auch tatsächlich noch vertrauensvolles Miteinander bedeutete. Van den Bosch selbst kennzeichnet dieses Miteinander als Dreiecksbeziehung zwischen Produzenten, Händler und Konsumenten.

Mit „Ein M regionaler“ wirbt die schweizerische Migros für ihr umfassendes Sortiment an Produkten „Aus der Region“. Das Beeindruckende dabei ist, dass in den Filialen des Lebensmittelgrossisten rund 1 400 verschiedene Artikel erhältlich sind, die dieses Label tragen. Damit hat Migros weitaus mehr Artikel regionalen Ursprungs im Sortiment, als durchschnittliche Discountketten überhaupt im Angebot haben.

Diesseits der Grenze erhielten die nordrhein-westfälischen Obst- und Gemüsebauern unlängst Schützenhilfe von der Edeka Regionalgesellschaft Rhein Ruhr: Auch deren neu geschaffene Regionalmarke „Mein Land“ setzt auf „Frisches aus der Region“. Dem Vernehmen nach sollen die Absatzzahlen belegen, dass die Kampagne vom Verbraucher gut angenommen wird. Insgesamt zwölf nordrhein-westfälische Obst- und Gemüseproduzenten stehen bei Edeka derzeit mit ihrem Namen ein für die Einhaltung des Versprechens „4 mal anders, 4 mal mehr wert“.

Paradoxerweise fällt die bessere Verfügbarkeit von Produkten aus der Region zeitlich zusammen mit dem Abflauen des Biobooms. Waren zu Anfangszeiten der Öko-Bewegung Obst, Gemüse, Milch und Fleisch aus ökologischem Anbau noch das Nonplusultra für umweltbewusste Verbraucher, hat der viel zitierte peruanische Bio-Spargel seinen Teil zu einem Umdenken auf Konsumentenseite beigetragen und die Biobranche insgesamt dem Anschein nach in eine Sinnkrise geführt.

Produkte aus der Region versprechen im Vergleich zu Ökoprodukten mit langen Transportwegen nicht nur ein erhöhtes Maß an Authentizität und ökologischer Nachhaltigkeit, sondern eben auch einen Verbleib der Wertschöpfung in der Region. Bei all der gegenwärtigen Begeisterung über das Erstarken regionaler Vertriebskonzepte sollte aber nicht vergessen werden, dass Regionalität beileibe nicht der einzige Weg ist, Mehrwert zu generieren.

Tim Jacobsen

Wege in die Zukunft

Deutschland ist größter Milchproduzent der EU. Nahezu jeder dritte landwirtschaftliche Betrieb erzeugt hierzulande Milch. Die Milchpreise bestimmen das Bild, dass die Medien in der Öffentlichkeit von der Landwirtschaft zeichnen. Fast täglich kann man hören und lesen: Die Lage auf dem deutschen Milchmarkt ist ernst.

Mancher Gärtner wäre allerdings froh gewesen, hätte er letztes Jahr wenigstens das Betriebsergebnis eines durchschnittlichen Milchviehbetriebes erreicht. Und die Prognosen sind düster: Folgen auf das nur in Teilbereichen überhaupt positiv abgeschlossene 2009 ein paar bessere Jahre, können die Betriebe wieder Reserven aufbauen, heißt es. Bleiben diese besseren Jahre aus, wird ein Teil der Betriebe notgedrungen aufgeben müssen.

Prunkbauten in den deutschen Hansestädten legen Zeugnis ab vom Reichtum der großen Reedereien zu Beginn des 19ten Jahrhunderts. Als in den 20er Jahren ein Aufkommen des Luftverkehrs zu beobachten war, schafften es nur wenige Reeder, ihr Geschäftsmodell den neuen Möglichkeiten anzupassen. Der Name Lufthansa verweist noch stets an die Weitsicht zweier norddeutscher Reeder.

Als die Digitalisierung Einzug in den Alltag hielt, stellte sie das Geschäftsmodell von Plattenfirmen in Frage. Mit Feldzügen gegen Raubkopierer wurde letztendlich erfolglos versucht, das Unausweichliche aufzuschieben. Heutzutage kann man auf Sellaband Musik kaufen, die noch nicht einmal aufgenommen worden ist, und gleichzeitig verdienen Bands mit Livekonzerten mehr als mit dem Verkauf von Musikträgern.

Im Agrarbereich verlief die Entwicklung gegenläufig. Anders als in der Musikindustrie, entfernten sich Produktion und Verbraucher in den letzten Jahrzehnten zusehends voneinander. Die Ursachen hierfür sind in der Professionalisierung der Nahrungsmittelkette zu suchen, die auf gesellschaftliche Entwicklungen wie beispielsweise die zunehmende Verstädterung einspielte.

Einfach so weiterzumachen wie bisher, ist aus Produzentensicht keine Lösung

Tim Jacobsen

Nicht wenige Planspiele, die derzeit unternommen werden, um aus der Preismisere herauszufinden, gehen in die Richtung, den Abstand zwischen Produzenten und Konsumenten erneut zu verkleinern. Manche meinen, klassisches Marketing und damit einhergehend der Aufbau von Marken könne den Gartenbau retten. Die Kosten hierfür sind jedoch immens – und geht das Konzept nicht auf, ist das Geld verloren. Andere suchen die Lösung in breiter angelegten Strategien, die die Verbraucher vom Mehrwert der jeweiligen Produkte überzeugen sollen.

Bei Erdbeeren könnte dies Geschmack sein, bei Mandarinen, dass Kernlosigkeit mehr ist als nur ein Versprechen. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen, allerdings ist der Kundenkreis, der Wertigkeit auch beim Einkauf an der Frischetheke obenan stellt, demgegenüber sehr überschaubar. Einen ähnlich überschaubaren Kundenkreis, aber große Strahlkraft könnte die Einrichtung so genannter Bauernmärkte haben: Modern ausgestattete Läden mitten in der Stadt, in denen es ein Komplettangebot von Frisch- und weiterverarbeiteten Produkten ohne falsche Romantik direkt vom Produzenten zu fairen Preisen zu kaufen gibt.

Einfach so weiterzumachen wie bisher, ist aus Produzentensicht keine Lösung – zu mindest so lange es keine gefühlte oder echte Versorgungsknappheit auf dem Markt gibt. Auch nationale Alleingänge im Sinne einer Reduktion von Anbauflächen oder der Vernichtung von Ernteprodukten würden am Marktgefüge nur wenig ändern. Dafür sind die Frachtraten für den Import von Produkten aus den Mittelmeeranrainerstaaten schlichtweg zu günstig. Gedankenspiele wie eine grenzübergreifende Bündelung des europäischen Warenangebots werden nicht nur angesichts verschiedenster nationalstaatlicher Interessen voraussichtlich nur schwer umsetzbar sein.

Zielführender könnte da schon die Etablierung kettenübergreifender Strukturen in bis vor kurzem noch unvorstellbaren Ausmaßen sein, wie sie beispielsweise im Fleischbereich zu beobachten ist. Allerdings können auch im Fleischbereich Schlagwörter wie ausgefeiltes Qualitätsmanagement und hohe Transparenz nicht darüber hinweg täuschen, dass Kostenführerschaft in einem Wettkampf des Fressen oder Gefressenwerdens letztendlich immer nur auf Kosten der Produzenten möglich ist.

Tim Jacobsen