"Now, here, you see, it takes all the running you can do, to keep in the same place. If you want to get somewhere else, you must run at least twice as fast as that!"

Schlagwort: Lohnkosten

Hinter dem Hügel ist noch nicht über den Berg

Als Griechenland im Jahr 1981 der Europäischen Gemeinschaft beitrat, wurde dies begleitet von Befürchtungen, ein Kollaps der Sozialsysteme in den reicheren Ländern Europas stünde unmittelbar bevor. Aber selbst als Portugal und Spanien im Jahr 1986 der EG beitraten, kam es weder zu massiven Völkerwanderungen, noch geriet unser Sozialsystem übermaßen unter Druck. Untersuchungen der Fremdarbeiterströme vom 2. Weltkrieg bis in die 1980er Jahre zeigten, dass während der wirtschaftliche Abstand zwischen den armen und reichen Ländern Europas über die Jahre hinweg ungefähr gleich blieb, die Wanderbewegungen von anderen Faktoren als Gehaltsunterschieden allein abhängig waren.

Das Beispiel Italien zeigt, dass die große Emigrationswelle zwischen den Jahren 1960 und 1970 nicht in eine Periode des wirtschaftlichen Abschwungs fiel, sondern in die Zeit der Industrialisierung Italiens. Auch Spaniens Emigrationswelle zwischen den Jahren 1960 und 1974 fiel in einen Zeitraum, in dem Spanien die größten Wachstumsraten Europas verzeichnete. Ähnliches gilt für Portugal in den 1970ern und Griechenland in den 1960ern. Der Wunsch, zur Einkommensmaximierung der eigenen Heimat den Rücken zu kehren scheint also mit steigendem Wohlstand zuzunehmen – wahrscheinlich auch, weil Haushalte dadurch überhaupt erst finanziell in die Lage versetzt werden, über Emigration nachzudenken.

Im Laufe der wirtschaftlichen Weiterentwicklung der Herkunftsländer scheint es dann jedoch stets minder verlockend, das eigene Land zu verlassen. Dies ist nicht weiter verwunderlich: Die Arbeitsmarktsituation im Herkunftsland entspannt sich, politische und gesellschaftliche Strukturen gewinnen an Stabilität und nicht zuletzt steigt mit den Pro-Kopf-Einkommen auch die gefühlte Lebensqualität. Ab einem Pro-Kopfjahreseinkommen von $ 3500 scheint der Anreiz, wegzugehen, deutlich abzunehmen und unter 30 % kaufkraftbereinigtem Lohnunterschied zwischen Herkunfts- und Bestimmungsland macht sich kaum mehr jemand auf die Reise.

Der Wunsch, zur Einkommensmaximierung der eigenen Heimat den Rücken zu kehren scheint also mit steigendem Wohlstand zuzunehmen

Tim Jacobsen

Auch das Beispiel EU-Osterweiterung zeigt, dass es bei starkem wirtschaftlichem Wachstum und institutionellen Verbesserungen trotz hoher Lohnunterschiede nicht zwangsläufig zu Migrations-schüben kommt. Nicht unterbewertet werden sollten in diesem Zusammenhang die Maßnahmen, die die Europäische Union den Beitrittsländern vor ihrer Aufnahme in die europäische Gemeinschaft abverlangt. Mittel des Strukturfonds helfen zudem beim Aufbau der Binnenwirtschaft, was wiederum den Inlandskonsum erhöht, ausländisches Kapital anzieht, die Nachfrage nach Arbeitskräften steigert und vor allem auch zukünftiges Wachstum verheißt.

Deshalb kann auch die bei uns gegenwärtig geführte Diskussion allenfalls Symptome lindern, die Ursache für das zunehmende Missverhältnis zwischen dem Angebot und der Nachfrage nach Saisonarbeitskräften kann sie nicht aus der Welt schaffen.

Aber auch wenn die viel diskutierten Freizügigkeitsregelungen die Konkurrenz unter den Bestimmungsländern noch zusätzlich verschärft haben, besitzen die deutschen Gärtner dennoch im Buhlen um osteuropäische Saisonarbeitskräfte einen Wettbewerbsvorteil, wie die Entwicklung Portugals beweist:

Zum Zeitpunkt des EG-Beitritts Portugals betrug das dortige kaufkraftbereinigte Pro-Kopfbruttosozialprodukt die Hälfte dessen Deutschlands. Mit zunehmendem Wohlstand zeigte es sich, dass permanente Auswanderung im Laufe der Jahre von so genannter zirkulärer Migration ersetzt wurde. Portugiesen verließen ihr Land also nur mehr für überschaubare Zeiträume, um anderswo für mehr Geld zu arbeiten. Und obwohl in den letzten Jahrzehnten das Reisen stets günstiger wurde, zog es die Menschen mehr und mehr in geographische und kulturelle Nähe zu ihrem Heimatland.

Tim Jacobsen

Vom Regen in die Traufe: Schreckgespenst Arbeitskräftemangel

Weitaus nachhaltiger als durch nicht beerntete Erdbeerfelder oder ins Laub geschossene Spargeläcker könnte der deutsche Gartenbau in nicht allzu ferner Zukunft durch einen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften Schaden erleiden. Sinkende Ausbildungszahlen im grünen Bereich setzten einen Teufelskreislauf in Gang, in Folge dessen Bildungseinrichtungen für den Gartenbau geschlossen wurden, was wiederum dazu führte, dass jungen Leuten die Wahl gärtnerischer Berufe zusätzlich unattraktiv erschien. In manchen Bereichen übersteigt heute bereits die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften das Angebot deutlich.

Der fortschreitende Strukturwandel im Gartenbau und die technische Weiterentwicklung tun ihr Übriges dazu, die Nachfrage nach hochqualifiziertem Personal weiter ansteigen zu lassen. Dabei geht es nicht unbedingt nur um Arbeitskräfte mit gärtnerischem Hintergrund. Allerdings steht der Gartenbau mit anderen Wirtschaftsbereichen in Konkurrenz um die klügsten Köpfe und hat dabei nicht immer das beste Blatt auf der Hand. Es tut dringend Not, in der Selbstdarstellung des Gartenbaus die Dynamik des Sektors deutlich voran zu stellen. Nur wenn die Anziehungskraft des Gartenbaus als Arbeitgeber zunimmt, kann die Abwärtsspirale durch Arbeitskräftemangel gestoppt werden.

Weitergehende Mechanisierung wird schwere Arbeiten zwar vereinfachen, der Kampf um Arbeitskräfte wird aber auch im Niedriglohnbereich mit deutlich schärferen Waffen gefochten werden

Tim Jacobsen

Gründe für Flächenausweitung oder Produktionsintensivierung gibt es viele. Die Folgen dieser Entwicklung sind jedoch stets die Gleichen. Arbeitsprozesse werden schwerer durchschaubar, Personalführung und innerbetriebliche Organisation nehmen einen größeren Stellenwert ein. Mitarbeiter spezialisieren sich, Aufgaben werden verteilt. Mit den gestiegenen Ansprüchen wächst auch die Verantwortung jedes Einzelnen. Der Fort- und Weiterbildung von Mitarbeitern sollte deshalb gerade vor dem Hintergrund rückläufiger Ausbildungszahlen mehr Platz eingeräumt werden.

Dies sollte nicht zuletzt auch aus Eigennutz des Unternehmers geschehen. Schließlich wird der formalen Qualifikation der Mitarbeiter im Rahmen von Qualitätszertifizierungsprozessen wie QS, QS-GAP, Eurep Gap oder BRC eine besondere Bedeutung zugemessen. Erstaunlicherweise nehmen deutsche Arbeitnehmer im europaweiten Vergleich Weiterbildungsmaßnahmen nur in äußerst geringem Ausmaß in Anspruch.

Die demographische Entwicklung wiederum trägt bereits heute spürbar dazu bei, dass die Mitarbeiter in den Betrieben im Schnitt älter werden. Mit dem Ausscheiden altgedienter Mitarbeiter aus den Betrieben in Zukunft wird auch ein Großteil des zuvor vorhandenen Wissens verloren gehen. Es ist dringend an der Zeit, Strukturen zu etablieren, die diesen Erfahrungsschatz sichern. Dies kann nur über die frühzeitige Einbindung junger Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse funktionieren. Die verstärkte Bindung von Mitarbeitern an die Unternehmen sollte deshalb höchste Priorität besitzen.

Ein wichtiger Teil der unternehmerischen Tätigkeit ist die Personalführung. Konsequenz im Anleiten von Mitarbeitern sorgt dafür, dass jeder seinen Fähigkeiten entsprechend beschäftigt wird. Der Selektion und dem Anwerben von Mitarbeitern wird in Zukunft noch mehr Aufmerksamkeit zukommen. In größeren Betrieben liegt die Leitung bereits heute oftmals in Händen von Managern, die teilweise weit entfernt vom Produktionsprozess stehen. In diesen Betrieben wird der Produktionsfaktor Arbeit weniger als Kostenpunkt gesehen, sondern als strategische Gestaltungsmöglichkeit.

Um in Zukunft als Betrieb konkurrenzfähig zu bleiben und gleichzeitig ein attraktiver Arbeitgeber zu sein, werden neben Rahmenbedingungen wie der Lohnstruktur und Arbeitszeitmodellen auch soziale Aspekte und nicht zuletzt die Arbeitsumstände eine wichtige Rolle spielen. Der Kommunikation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerseite wird in Zukunft ebenfalls mehr Platz eingeräumt werden. Der Typ Boss, der alles kann und alles in der Hand hat, ist angesichts vielfältigster Anforderungen heutzutage ein nicht mehr zeitgemäßes Auslaufmodell.

Der Anteil der Lohnkosten an den Produktionskosten ist von Kultur zu Kultur und von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Über den ganzen Gartenbau hinweg betragen sie durchschnittlich ein Drittel. Daran wird sich auch in Zukunft voraussichtlich wenig ändern. Weitergehende Mechanisierung wird schwere Arbeiten zwar vereinfachen, der Kampf um Arbeitskräfte wird aber auch im Niedriglohnbereich mit deutlich schärferen Waffen gefochten werden. Patentrezepte dafür gibt es keine. Einmal in Gedanken die Seiten zu wechseln, könnte aber den Unterschied ausmachen.

Tim Jacobsen