Wer bei Ökonomen zuallererst an Schlippsträger denkt, wird beim Leiter des Bonner Econlab Schwierigkeiten haben, zu erraten, welchem Beruf Prof. Dr. Armin Falk nachgeht. Wahrscheinlich ist es aber genau dieses gewisse Etwas, das Falk in die Lage versetzt, mit dem Ergebnis seiner Experimente weltweit für Aufsehen und –regung zu sorgen. Jüngster Streich des Shootings Stars unter den deutschen Wirtschaftswissenschaftlern waren die Mitte Mai im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlichten Erkenntnisse darüber, wie Marktzusammenhänge moralische Grundsätze aushebeln können. Falks Ausgangshypothese war dabei, dass das Agieren auf Märkten einen Abstand zwischen uns und den Folgen unserer Entscheidungen schafft, der uns letztendlich zu unmoralischem Handeln verführt.
Konkret stellte Falk gemeinsam mit seiner Magdeburger Kollegin Prof. Dr. Nora Szech den knapp 800 Teilnehmern des Experimentes im Sommer letzten Jahres die Frage, ob ihnen das Überleben einer Labormaus oder ein kleiner Geldbetrag lieber wäre. Unterschiedliche Versuchsanordnungen sollten dabei klären, ob der Marktmechanismus unmoralisches Verhalten fördert. Ein Teil der Probanden konnte sich individuell zwischen 10 € oder dem Leben einer Maus entscheiden; der Rest wurde in Käufer und Verkäufer aufgeteilt. Jedem Verkäufer wurde eine Maus, jedem Käufer 20 € in die Hand gedrückt. In der bilateralen Versuchsanordnung trafen jeweils ein Käufer sowie ein Verkäufer aufeinander, in der multilateralen Versuchsgruppe standen sieben Käufern neun Verkäufer gegenüber.
Käufern und Verkäufern war dabei freigestellt, ob sie überhaupt am Handel teilnehmen wollten. Ging der Verkäufer jedoch auf das Angebot eines Käufers ein, wurden die 20 € aufgeteilt und die Maus getötet (ein Schicksal, das die Labormäuse sowieso erwartet hätte). Gehandelt wurde anonym über ein zu diesem Zweck in der Bonner Beethovenhalle installiertes Computernetzwerk. Im Rahmen der Einführung bekamen die Teilnehmer ein Video zu sehen, in dem eine Maus vergast wird, langsam an Atemnot stirbt und nach zehn Minuten aus dem Käfig entfernt wird.
Auf sich allein gestellt, entschied sich mehr als die Hälfte der Teilnehmer für das Leben der Maus und gegen die 10 €. Aus den bilateralen Verhandlungen ging dann nur noch ungefähr ein Viertel der Mäuse als Sieger hervor und unter Marktbedingungen mit mehreren Teilnehmern stellte dann lediglich ein gutes Fünftel der Teilnehmer das Leben der Maus über die Aussicht auf den Geldgewinn – selbst wenn dieser unter den verschärften Marktbedingungen im Laufe von zehn Spielrunden sogar noch einmal um knapp zwei Euro auf 4,50 € sank – und damit ein Wert erreicht wurde, der in der individuellen Abfrage noch für so gut wie unmöglich gehalten wurde.
Gekauft wird, was billig ist
tim Jacobsen
Für Falk und Szech bewahrheitet sich damit, dass allein das Vorhandensein von Märkten zur Erosion moralischer Standards führen kann. Sie erklären das damit, dass, sobald man nicht mehr auf sich allein gestellt ist, gemäß dem Sprichwort `geteilte Schuld ist halbe Schuld´ die Schuldfrage entwertet werde, zum anderen impliziere die Handelbarkeit eines Gutes gewisse moralische Standards, die im weiteren Verlauf ohne viel Zutun in eine Abwärtsspirale geraten können. Keinesfalls unterschätzt werden sollte Falk und Szech zufolge auch, dass die Fokussierung auf das bestmögliche Handelsergebnis dazu führen kann, dass moralische Grundsätze in den Hintergrund rücken.
Die Autoren vergleichen das Ergebnis ihres Experiments mit der Alltagssituation vieler Verbraucher in Deutschland. Zwar gäbe es beispielsweise niemanden, der öffentlich für Kinderarbeit eintritt; und natürlich wüssten die meisten Konsumenten Bescheid über die teilweise erbärmlichen Arbeitsbedingungen in fernöstlichen Sweatshops – da aber diese Bedingungen für uns nur wenig direkte Bewandtnis haben, gelten sie nicht viel. Gekauft wird, was billig ist. Die beiden Wissenschaftler sind sich dann auch sicher, dass Moralappelle wenig Abhilfe schaffen können – ähnlich wie den Verbrauchern auf Schnäppchenjagd hätten den Teilnehmern der Studie die Folgen ihres Handelns jederzeit bewusst sein können.
Ob das unmoralische Verhalten nun tatsächlich den Marktmechanismen oder vielleicht doch auch zumindest ein bisschen der Gruppendynamik geschuldet ist, wie von manchem Kritiker angemerkt wurde, bleibt letztendlich eine pur akademische Diskussion. Schließlich zeigt das Experiment auf schlichte und dennoch aufsehenerregende Weise, dass es der Markt den Menschen einfach macht, moralische Bedenken auf die Seite zu schieben. Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass es möglich ist, den eigenen moralischen Standards treu zu bleiben – immerhin verweigerte ein Teil der Probanden standhaft, am munteren Handelstreiben mit dem für die Mäuse tödlichem Ausgang teilzunehmen. Und nicht zuletzt ist mit dem Experiment auch der Beweis erbracht, dass es sich lohnt, aus der Anonymität der Masse hervorzutreten und den persönlichen Kontakt mit der eigenen Kundschaft zu suchen.
Tim Jacobsen
Neueste Kommentare