Zum Nürnberger Bio-Branchentreff jagt mit fast schon erstaunlicher Regelmäßigkeit ein Rekord den anderen – so auch dieses Mal: Wie Mitte Februar zu erfahren war, erreichte der weltweite Umsatz mit Biolebensmitteln zuletzt noch nie dagewesene 62,9 Mrd. US$, immerhin ein Plus von knapp 7 % gegenüber dem Vorjahr.
Von den 21,5 Mrd. €, die dabei in Europa mit Biolebensmitteln umgesetzt werden, entfällt knapp ein Drittel auf Deutschland. Das heißt aber nicht, das wir auch diejenigen wären, die Pro-Kopf am meisten für Biolebensmittel ausgeben würden: Die Verbraucher in unseren Nachbarländern Schweiz und Dänemark kommen auf rund doppelt soviel.
Zwar wurden die unter Bundeskanzler Gerhard Schröder für Deutschland geforderten 20 % Bio-Flächenanteil im Jahr 2010 außer auf den Falklandinseln und im Fürstentum Lichtenstein nirgendwo erreicht, ganz abgekommen von diesem Ziel ist aber auch die Regierung Merkel nicht. Im aktuellen Nachhaltigkeitsbericht stehen die 20 % noch immer als Zielmarke, wenn auch ohne Jahresangabe. Schriebe sich der Trend der letzten Jahrzehnte fort, sollte diese auch irgendwann erreicht werden – schließlich hat sich seit 1990 die Biofläche in Deutschland verzwölffacht, während sich gleichzeitig die Anzahl Biobetriebe versiebenfachte.
Hinter diesen Erfolgsziffern versteckt sich aber auch eine andere Zahl, wie aus einer Ende Februar veröffentlichten Studie des Thünen-Institutes in Braunschweig hervorgeht. So stellten zwischen 2003 und 2010 zwar 7 500 konventionelle Betriebe auf Bio um, im gleichen Zeitraum kehrten jedoch auch 3 000 Biobauern der Ökolandwirtschaft den Rücken – auf fünfzehn neue Biobetriebe kamen also sechs Betriebe, die just in diesem Geschäftsmodell keine Zukunft mehr sahen.
Und obwohl es im Sinne der nachhaltigen Förderung des Bioanbaus schon immer interessant gewesen wäre, nicht nur der Frage nachzugehen, warum Betriebsleiter auf Bio umstellen, schien es angesichts der Erfolgsmeldungen allerorten bisher kaum jemanden so richtig zu interessieren, warum gar nicht so wenige von diesem Weg auch wieder abkommen.
Einem Autorenteam um Dr. Jürn Sanders gelang es nun, diese Informationslücke zu schließen: Nicht weiter verwunderlich, spielen bei der Rückumstellung oft mehrere Faktoren eine Rolle. Kleinere Betriebe führen Dokumentationspflichten und Kontrollen als unverhältnismäßig an. Auch die gefühlte Praxisferne so mancher Ökorichtlinie ließ Produzenten in der Vergangenheit am eingeschlagenen Weg zweifeln.
Nicht weiter verwunderlich, spielen bei der Rückumstellung oft mehrere Faktoren eine Rolle. Kleinere Betriebe führen Dokumentationspflichten und Kontrollen als unverhältnismäßig an. Auch die gefühlte Praxisferne so mancher Ökorichtlinie ließ Produzenten in der Vergangenheit am eingeschlagenen Weg zweifeln. Zentral stand bei vielen Befragten jedoch die wirtschaftliche Situation ihres Betriebes
Dr. Jürn Sanders
Zentral stand bei vielen Befragten jedoch die wirtschaftliche Situation ihres Betriebes. Neben einem insgesamt zu niedrigen Einkommen waren dies häufig Vermarktungsprobleme, gekürzte Ökoprämien oder zu geringe Preisunterschiede zwischen konventioneller und Bioware. Dass der ökonomische Druck allerdings kein Bio-Spezifikum ist, beweist, wenn auch ungewollt, die Bild-Schlagzeile `Jetzt Betrug mit Bio-Eiern!´ vom 25. Februar – schließlich wurde im Sinne der Skandal-Maximierung geflissentlich übersehen, dass Ende Februar weit mehr konventionelle als Bio-Betriebe Gegenstand der behördlichen Untersuchungen waren.
Die Studie bestreitet nicht, dass es wohl auch immer Rückumsteller geben wird. Ihre Autoren weisen aber unmissverständlich darauf hin, dass die Anzahl Rückumsteller deutlich abnehmen könnte, könnten sich die Betriebe auf eine stimmige und vor allem konstante Förderpolitik verlassen. Dazu gehört dann beispielsweise, dass die einzelnen Bundesländer auf Sonderwege verzichten sollten. Auch sollten sich Agrarpolitik und andere Politikbereiche nicht widersprechen.
So können Landwirte seit geraumer Zeit ein Vielfaches verdienen, wenn sie Biogasanlagen statt ökologischem Landbau betreiben. Nicht zuletzt verspricht das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit seiner zwanzig Jahre umfassenden Förderzusage auch finanziell etwas mehr Nachhaltigkeit, als wenn Bio-Prämien im einen Jahr um ein paar Euros steigen, um bei der nächsten Gelegenheit wieder zum Spielball politischer Interessen zu werden.
Es scheint kaum vorstellbar, dass dies- oder jenseits der kommenden Bundestagswahl jemand am Erneuerbaren-Energien-Gesetz rütteln könnte – selbst wenn trotz historisch niedriger Preise an der Strombörse derzeit die Rechnungen der Versorger dank EEG-Umlage so üppig wie nie zuvor ausfallen: Zu groß ist der Kreis an Profiteuren, die sich dank staatlich garantierter Traumrenditen beruhigt zurücklehnen und wahrscheinlich selten darüber nachdenken, welchen Unfug es darstellt, wenn sie an wind- oder sonnenreichen Tagen Geld dafür bekommen, keinen Strom einzuspeisen und wenn wir für unseren teuer produzierten Ökostrom sogar Aufpreis bezahlen, um ihn im Ausland loszuwerden.
Tim Jacobsen
Neueste Kommentare